Auf dem Weg

Bilderbuch

Die sparsam-pointierte, seitenüberspannende Dichtung von Heinz Janisch nimmt uns mit auf die abenteuerliche Reise einer Maus. Helga Banschs großflächige, farblich fein abgestimmte Illustrationen mit ihren wunderbaren bunten Zeichnungen in allen Farben und den in diese hineingesetzten figürlichen Collagen entfalten dazu eine faszinierende, zauberhaft verfremdete Welt. Schon auf der Titelei ist die Maus über die Zeichnung einer Wegbeschreibung gebeugt. Unterwegs begegnet sie neben Tieren, Insekten, Pilzen und Pflanzen auch einem Kind, das ihr nach einem Fahrradunfall die Pfote verbindet. Nach dem Monsterberg auf der Seite davor wird es als Zauberzwerg tituliert.

Auch weitere Wortschöpfungen wie Nebelriese nach Urwaldwiese, Blumensturm nach Katzenturm reimen sich über die Seiten hinweg und machen damit ein Angebot, selbst reimend und fabulierend den Fortgang zu antizipieren. Überraschend kommt die Maus am Ende mittels Luftballons bei einem Huhn an, das sie offenbar erwartet hat. Gegenstände, die die Maus unterwegs aufgesammelt hat, fordern im Schlussbild zum Zurückblättern und Suchen im Buch auf. Das ist einfache Poesie vom Besten für die Kleinen. Ab 3 Jahren.

Gedicht: Mascha Kaléko

Ich bleibe der Fremde im Dorf

 

Sie sprechen von mir nur leise

Und weisen auf meinen Schorf.

Sie mischen mir Gift in die Speise.

Ich schnüre mein Bündel zur Reise

Nach uralter Vorväter Weise.

Sie sprechen von mir nur leise.

Ich bleibe der Fremde im Dorf.

 

 

Foto: photocase

Gedicht: Sven Regener

Unscharf mit Katze

 

Wir sind alleine, und wir sind zwei

Wir haben alles, was wir
brauchen, dabei

Und das ist gut, denn die
Zeiten werden wilder

 

Wir halten durch, wir halten aus

Wir gehen heute Abend
nicht mehr raus

Wir haben keine Ahnung,
wir haben Bilder

 

Und auf meinem bist du,
aber unscharf, und du hältst
eine Axt in den Händen

Und auf deinem bin ich mit
einer Katze, und die sagt: Leute, wo soll das enden?

 

Foto: Katja Klassen/Photocase

Gedicht: Berthold Brecht

Kinderhymne

 

Anmut sparet nicht noch Mühe

Leidenschaft nicht noch Verstand.

Daß ein gutes Deutschland blühe

Wie ein andres gutes Land.

 

Daß die Völker nicht erbleichen

Wie vor einer Räuberin

Sondern ihre Hände reichen

Uns wie andern Völkern hin.

 

Und nicht über und nicht unter

Andern Völkern wolln wir sein

Von der See bis zu den Alpen

Von der Oder bis zum Rhein.

 

Und weil wir dies Land verbessern

Lieben und beschirmen wir ’s

Und das Liebste mag ’s uns scheinen

So wie andern Völkern ihrs.

 

 

Gedicht: Robert Gernhardt

Als er zum 3. Oktober 1990 gefragt wurde,

was er von Deutschland erwarte

und was er dem vereinten Land wünsche:

 

Deutsche! Frei nach Bertolt Brecht

rate ich euch, wählet recht:

 

Von den Zielen die wichtigen

Von den Mitteln die richtigen

Von den Zwängen die spärlichen

Von den Worten die ehrlichen

Von den Taten die herzlichen

Von den Opfern die schmerzlichen

Von den Wegen die steinigen

Von den Büchern die meinigen.

 

Foto: Astrid Gast , photocase

Gedicht: Boris Poplawski

Es naht der Morgen,
aber noch ist es Nacht

Ich bin vergiftet, schwimme in den Gischten,
ein zäher Unrat spült mich hoch hinaus,
und ganz allmählich unter mir erlischt schon
die böse Kohlenglut, mein Höllenhaus.

Und an der Pfütze, wo sich Räder winden,
singt eine Diva im Fabrikgeviert,
wie schwer es ist, den rechten Mann zu finden,
wie früh man doch sein schönes Haar verliert.

Über dem Bach voll Hallen und voll Leichen
posaunt die Hupe ungestüm und schrill,
des Abends Bannertuch, das rötlich bleiche,
vom Himmelsfrost ins Album kommen will.

Und im Verglühen des Dezembersommers
ist aus dem zähen Wasser voller Gift
ein riesiges Skelett emporgekommen,
das wachsend sieche Gärten übertrifft.

 

Foto: Screeny/photocase

Gedicht: Arne Rautenberg

emma

 

wird was gutes schlimmer

bleibe immer emma

hast du keinen schimmer

bleibe immer emma

schickt man dich ins zimmer

bleibe immer emma

klappt was nie und nimmer

bleibe immer emma

 

 

Foto: Mukuko/unsplash

Gedicht: Joachim Ringelnatz

AN M.

 

Der du meine Wege mit mir gehst,

Jede Laune meiner Wimper spürst,

Meine Schlechtigkeiten duldest und verstehst —.

Weißt du wohl, wie sehr du mich oft rührst?

 

Wenn ich tot bin, darfst du gar nicht trauern.

Meine Liebe wird mich überdauern

Und in fremden Kleidern dir begegnen

Und dich segnen.

 

Leben, lache gut!

Mach deine Sache gut!

 

 

Foto: Alexander Grey/unsplash

Gedicht: Max Kruse

 

HERR SCHNECK

 

Herr Schneck
(mit seinem Versteck)

kommt so rasch,

dass es braust,

um die Ecke gesaust.

Da schreit er laut:

Halt!!!

Fast

wären wir

zusammengeknallt!

Herr!!!

Sehen Sie nicht,

dass ich

die Vorkriech habe?

Sie sind vielleicht

ein Unglücksrabe!

Beinahe hätte es

einen Unfall gegeben,

mir verdanken Sie,

dass Sie noch leben!

Sie haben wohl

keinen Kriecherschein?

 

Nein!

brummt der Stein.

 

 

Foto: nevio3 / photocase.de

Gedicht: Richard Dehmel

Wahrspruch

Ob wir verdienen, daß wir glücklich sind?

Was zweifelst du! Verdienst du gut zu sein?

Durch Zweifel wird das wahrste Wesen Schein.

Glück ist des Menschen Tugend, Kind;

wer glücklich ist, verdient ’s zu sein.

 

 

Foto: Jutta Schnecke/photocase

Gedicht: Peter Huchel

Über den Jägern jagt der größre Hund

Wenn ich mit den Beuteträgern

ziehe durch den dunklen Grund,

droben über allen Jägern

jagt als Wind der größre Hund.

 

Denn im Rücken spür ich einen,

der in meinem Jagen jagt,

und mein Herzschlag ist dem seinen

wie ein Knecht nur, der sich plagt.

 

Wie ein Knecht nur, der die Beute

sich zu schwerer Bürde häuft,

der im Winde hört die Meute,

die sein Laufen überläuft.

 

Zieh ich mit den Beuteträgern

dunkel durch den alten Grund,

droben über allen Jägern

hungrig jagt der größre Hund.

 

Foto: David-W- / photocase.de