Wie sind Eltern? Wer wissen will, ob diese Sorte Mensch, zu der immerhin große Teile der Weltbevölkerung gehören oder gehören werden, gemeinsame Eigenschaften hat, muss uns PädagogInnen besuchen, unsere Gespräche belauschen, unsere Fachbücher und Zeitschriften lesen. Denn wir denken gerne über Eltern nach. Vielleicht hat sich dabei, ähnlich wie beim Bild vom Kind, eine kollektive Vorstellung entwickelt. Nennen wir sie „Unser Bild von Eltern“.
Hier gibts den Artikel als PDF: Wortklauber_#6_2020
Das Beste wollen
Man könnte sofort einwenden, dass es Konflikte gibt, wenn viele Menschen gleichzeitig ein „Bestes“ wollen. Dennoch steht in zahlreichen Büchern: „Alle Eltern sind sich einig, dass sie nur das Beste für ihr Kind wollen.“ Der Satz weckt freilich den Verdacht, die AutorInnen hätten ihn, geprägt von ihren Jugenderfahrungen, so formuliert. Denn sagten die eigenen Eltern nicht früher immer mal wieder zum renitenten Sprössling, dass sie nur sein Bestes wollen? Was meinten sie eigentlich damit? Das Beste von ihm oder das Beste für ihn?
Sich ständig sorgen
Eltern haben, sagt der Gesetzgeber, Grund zur Sorge: Sie sind ja Sorgeberechtigte. Doch in Fachbüchern und -zeitschriften steht eher die emotionale Bedeutung des Wortes Sorge im Vordergrund: „Eltern machen sich große Sorgen um die Entwicklung ihres Kindes “, ist immer wieder zu lesen, und T-Online führt gar „Die 10 größten Elternsorgen“ auf. Kaum ein Text über die Zusammenarbeit mit Eltern kommt ohne den Hinweis aus, ErzieherInnen sollten „die Ängste und Nöte der Eltern ernst nehmen“. Als wären Väter, auf jeden Fall aber Mütter ohne Angst und Not nicht denkbar.
Worum sorgen sich die Eltern denn? Auffallend oft um Banalitäten: „Wenn ein Kind nicht isst, so ist das für die meisten Eltern ein Anlass zu großer Sorge.“ Oder sie sorgen sich, „dass das Kind jeden Tag von einer anderen Erzieherin begrüßt wird“.
Verunsichert sein
Woher kommen die Sorgen? Unsere Fachbuch-Eltern gerieten irgendwann „unter Druck“, und dieser Satz kommt selten ohne das Wort „zunehmend“ aus. Heutige Eltern sind „mit Blick auf die Bildungs- und Zukunftschancen der Kinder zunehmend verunsichert“. Zwar sind die Chancen der Kinder im Vergleich mit vergangenen Zeitaltern eigentlich nicht schlecht, aber die Ansprüche sind angeblich gestiegen: „Eltern haben zunehmend hohe Erwartungen“ an den Bildungserfolg ihrer Kinder.
Dankbar sein
„Es ist gut, die besonderen Bedürfnisse der Eltern zu kennen“, postulieren viele Texte. Was für Bedürfnisse sind das? Zum Beispiel Elternabende mit „Mehrwert für Eltern“, die sie in Hinsicht auf die gute Entwicklung ihrer Kinder beruhigen, denn sie hatten sich bestimmt wieder furchtbar aufgeregt. Auch eine nach den Bedürfnissen der Eltern eingerichtete „Elternecke“ hilft, in der Mama und Papa nach Herzenslust „in den Dokumentationen stöbern können“ oder im Hefter mit „Informationen über Kniereiter und Krabbelverse“ poetisches Rüstzeug finden, für das sie „sehr dankbar“ sind, weil sie nun „ihren Alltag besser bewältigen können“. Hoppe, hoppe, Reiter!
Je nach Herkunft besonders sein
Gleichen sich die Eltern in all ihrer Sorge, Unsicherheit und Dankbarkeit eigentlich? Nein! Laut der Texte in Broschüren, Büchern und Foren gibt es durchaus unterschiedliche Elterntypen, oft definiert durch soziale oder ethnische Herkunft. „Lernen und Bildung sind in der Regel bei russland-deutschen Eltern hoch angesehen und werden von den Kindern erwartet“, heißt es zum Beispiel in einer Fachpublikation. Dagegen zeigen „türkischstämmige Mütter öfter rigides und inkonsistentes Erziehungsverhalten“ – wobei rigide und inkonsistent ja eigentlich Gegensätze sind –, neigen aber andererseits zu „Überbehütung“. Damit passen sie hervorragend zu deutschen Mittelschicht-Eltern, die als „Helikopter“- oder „Rasenmäher“-Eltern „Überbehütung“ und „Kontrolle“ ausüben wollen, weil ihnen „das Vertrauen fehlt“. Ob es bald auch „Drohnen-Eltern“ oder „Akkustaubsauger-Eltern“ gibt?
Gefährliche Eltern
Was sagt die Praxis? Sie ergänzt die Elternbilder auf ihre Weise, indem sie Aussagen über Eltern mit einem bestimmten Artikel verschärft. Der Satz „Eltern sind manchmal ganz schön anspruchsvoll“ klingt zu harmlos? Mit einem einfachen „die“ wird mehr daraus. Sätze wie „Die Eltern wollen immer mehr!“ oder „Die Eltern lassen sich nichts mehr sagen!“ zeigen, dass man übergreifende gefährliche Trends erkennt.
Zum Glück gibt’s Ausnahmen, nämlich Eltern mit Possessivpronomen: „Meine Eltern“ hat man in der Regel „gut im Griff“. Das erinnert ein weiteres Mal an Erfahrungen aus der Pubertät.
Was folgt daraus?
Wörter formen das Bewusstsein. Wer immer wieder Texte über Sorgen-Eltern liest, entwickelt eine bildliche Vorstellung von diesen unsicheren Existenzen, die aus lauter Sorge gefährlich werden. Natürlich gibt es solche Menschen, aber in der Praxis sind es doch eher Ausnahmen. Oder? Ist es übertrieben, anzunehmen, dass so ein defizitäres „Bild von Eltern“ diese Sorte Gefährder überhaupt erst schafft? Dass ausgefeilte Beratungsangebote, unterstützende Elterncafés und niedrigschwellige Info-Tafeln die in ihrer Identität als Kita-Eltern noch unsicheren Erziehungsberechtigten ermutigen, diese bedenkliche Rolle tatsächlich ausfüllen zu wollen?
Was hilft?
Formulierungen überprüfen. Mein Vorschlag: StnMdKh, ausgeschrieben „Stinknormale Menschen, die Kinder haben“. Die Regel dazu heißt: Wer einen Text über Eltern schreibt oder liest, muss probeweile das Wort Eltern durch die ausgeschriebene Form von StnMdKh ersetzen. Und testen: Stimmt´s noch?
„Fast alle Eltern stehen heute zunehmend unter großem Druck“ klingt bedeutungsvoll und lässt vor unserem inneren Auge sofort vergrämte Sorgenfalten-Eltern auftauchen. Bei „Fast alle stinknormalen Leute, die Kinder haben, stehen heute zunehmend unter großem Druck“ meldet sich ein inneres Stimmchen im Schreiber, das fragt: Wirklich fast alle, wirklich zunehmend, wirklich großer Druck? Und der Autor verbessert reumütig: „Einige Eltern fühlen sich manchmal ganz schön unter Druck.“ Und ergänzt: „Mal mehr und mal weniger.“
Foto: Markus Spiske/unsplash