Rheinland-Pfalz: Die Stimme aus der Praxis

Verband Kita-Fachkräfte Rheinland-Pfalz

Hier gibts den Artikel als PDF: PraxisPower_Landesverbaende_#3_2021

Ein Interview mit Claudia Theobald, Vorsitzende im Landesverband Rheinland-Pfalz

1. Warum habt ihr einen Kitafachverband gegründet? Was waren die Auslöser?

In unserer täglichen Arbeit beobachten wir schon seit Jahren, dass wir den Bedürfnissen der Kinder immer weniger gerecht werden. Wir haben in den letzten 20 Jahren erlebt, wie die Anzahl der Plätze und Kitas in die Höhe schoss. Immer jüngere Kinder werden immer länger betreut. Das Problem dabei ist: Personal und Räume wurden hier nie adäquat angepasst. Im August 2019 wurde in Rheinland-Pfalz ein neues KiTa-Gesetz verabschiedet. Im Vorfeld gab es massiven Protest seitens der Erzieher*innen, weil es wieder vor allem um mehr Quantität ging. Alle Kinder sollen mindestens sieben Stunden durchgehend mit Mittagessen betreut werden. Personal- und Raumausstattung lassen in den meisten KiTas zu wünschen übrig. Ein kindgerechter KiTa-Alltag rückt in noch weitere Ferne. Vielen Kollegen und Kolleginnen wurde immer klarer, dass es so nicht weitergehen kann und dass die Erzieher*innen eine öffentliche Stimme brauchen. Als 2019 das Kita-Gesetz in Rheinland-Pfalz verabschiedet wurde, war ich mit über 50 Jahren auf der ersten Demo meines Lebens, saß mit den Kolleginnen im Ple­narsaal. Es war so traurig! War es das nun? Nein! War es nicht. Mit einer Kollegin begann ich satirische Videoclips über das Kita-Gesetz zu produzieren. Wir dachten uns die Serie: „Glückskita in Rheinland-Pfalz“ *aus. Meine Teenager-Tochter richtete mir ein Konto bei Facebook ein und los ging’s. Innerhalb kurzer Zeit wuchs die Chatgruppe auf mehrere hundert Mitglieder an…

Ein anderer Zündfunke für uns waren die „Kitahelden“ von Andreas Ebenhöh, der immer wieder sagt: „Leute, ihr müsst aufhören, für euch sprechen zu lassen, ihr müsst selbst anfangen zu sprechen.“ Seine Worte klangen mir noch in den Ohren als Carmen, 20 Jahre Berufserfahrung und Leiterin, im Glücks-Kita-Chat einwarf: Wir müssten einen eigenen Berufsverband gründen! Einen Berufsverband, der den Erzieher*innen aus den KiTas vor Ort eine Stimme gibt. Wir stellen gern die Dinge vom Kopf auf die Füße. Deshalb wurde aus dem „Wir müssten“ bald ein “Was müssen wir tun, um das einfach zu machen?“. In der Chatgruppe machten wir die Idee publik, und sehr schnell hatten wir genug Interessent*innen zusammen, um gründen zu können. Wir wollen nicht mehr zuschauen, wie über uns gesprochen und entschieden wird. Und das oft von Leuten, die gar nicht wissen, wie es bei uns in der Praxis aussieht.

Anfangs wurden wir belächelt, unsere Politiker*innen mussten sich – wie wir auch – auf die neue Situation einstellen: Erzieher*innen ergreifen das Wort, widersprechen den schön gefärbten Märchen der Politik über unseren Kita-Alltag. Wir lassen uns nicht abwimmeln und fordern vehement die Einhaltung wissenschaftlicher Standards ein. Nur mild und freundlich sein, ändert gar nichts, das zeigt meine Berufserfahrung aus über 30 Jahren. Auf öffentlichen politischen Veranstaltungen wird immer wieder sehr gern die Mär von den guten Rahmenbedingungen in Rheinland-Pfalz erzählt. Wenn wir da aufklären, komme ich mir immer vor, wie jemand, der in einen riesigen rosa Luftballon piekst. Dann macht’s peng und die ganze Luft schnurrt raus. Noch gut erinnere ich mich an eine unserer ersten Veranstaltungen mit Bildungspolitiker*innen des Landes, ihre Mikrofone waren auf grün geschaltet. Als ich sie aufforderte, uns eine (eine einzige!) fachliche Quelle zu nennen, die belegt, dass hohe pädagogische Qualität in unseren Kitas in diesem Rahmen möglich ist, wurde es mucksmäuschenstill. Alle Mikrofone waren plötzlich auf Rot gesprungen und keine/r wollte mehr antworten. Diese Frage stelle ich in Gesprächen mit der Politik nunmehr seit zwei Jahren immer wieder neu. Eine Antwort darauf habe ich bis heute nicht erhalten.

2. Welche Themen liegen euch am Herzen? Was wollt ihr wie verändern?

Es geht uns um kindgerechte KiTa-Rahmenbedingungen. Wir fordern die seit vielen Jahren bekannten und veröffentlichten Mindeststandards für eine gute pädagogische Qualität in unseren Kitas. Über die notwendigen personellen und räumlichen Ressourcen herrscht in der Fachwelt und Fachpraxis Konsens. Leider ist die Politik bisher noch nicht bereit, die erforderlichen finanziellen Mittel in die Hand zu nehmen.

Das ist ein weiter Weg. Wir KiTa-Fachkräfte müssen lernen, darüber zu reden, wie der KiTa-Alltag wirklich aussieht und wie weit die Bedingungen im Alltag von pädagogisch guter Bildung und Betreuung entfernt sind. Wir waren über Jahrzehnte eine Berufsgruppe, die alles mitgetragen und möglich gemacht hat, wenn auch mit immer größerem Unbehagen.

Deshalb melden wir uns als Verband öffentlich zu Wort, suchen das Gespräch mit den Verantwortlichen im KiTa-Bereich, vernetzen und helfen uns untereinander weiter. Unser Motto ist: „Die Stimme aus der Praxis“. Das nehmen wir ernst und veröffentlichen Briefe, Stellungnahmen oder Aktivitäten unserer Mitglieder. Auf unserer Homepage und den Facebookseiten finden sich mittlerweile viele unterschiedliche Beiträge.

Keine von uns hatte Erfahrung mit der Gründung, wir haben uns unerschrocken durchgewurschtelt: Mustersatzungen, Verbandsarbeit, soziale Medien, wir waren selbst sehr gespannt, wie sich die Arbeit entwickeln wird. Eine Erfahrung ist: Deutschland tickt in Vereinen und Verbänden. Als Verband wirst du mit Aufmerksamkeit bedacht. Unsere Verbandsgründung stieß natürlich nicht nur auf Wohlgefallen. „Wir werden euch ganz genau beobachten“, hörten wir. „Ja, prima!“, antworteten wir: „Der Praxis zuhören und zusehen, genau das möchten wir.“ Im Juni haben wir unsere erste Mitgliederversammlung. Da werden wir das Thema Regionalisierung diskutieren. Ziel ist es, in den verschiedenen Ecken von Rheinland-Pfalz Verbandsmitglieder zu haben, die als Ansprechpartner vor Ort dienen.

Was uns immer wieder überrascht, ist das große mediale Interesse. „Warum interessieren Sie sich für uns?“, fragte ich kürzlich einen Journalisten. „Wir Journalisten lieben das wahre Leben, nicht die häufig gleichen Floskeln von Funktionären“, antwortete er. Rheinland-Pfalz weit sind Zeitung, Radio und Fernsehen uns gegenüber sehr offen und wir können unsere Sicht der Dinge mit einbringen, wenn es um das Thema KiTa geht. Mittlerweile haben wir einmal im Quartal Gespräche mit dem Bildungsministerium, um den Blickwinkel der Praxis vor Ort in die KiTa-Politik mit einzubringen und deutlich zu machen, was sich in der KiTa-Politik verändern muss. Was uns ganz besonders freut? Unsere Verbandsgründung schlägt Wellen. Nach unserer Gründung Ende August 2020 haben Fachkräfte in nun 15 (!) Bundesländern Kita-Fachkräfteverbände gegründet oder sind auf dem Weg dorthin. Auch daran sieht man, wie groß die Not in diesem Lande tatsächlich ist und dass wir in ganz Deutschland ein Problem mit der pädagogischen Qualität in unseren Kitas haben.

* Die Videoclips: Glückskita in Rheinland-Pfalz von Frau Theobald und Frau Steidel sind anzuschauen auf dem youtube-Kanal „Glücks- Kita“

 

Von links nach rechts:

Carmen Stepputat Erzieherin, 20 Jahre Berufspraxis, 8 Jahre Leiterin, stellv. Vorsitzende, Social Media

Kerstin Funke-Merkel Erzieherin, 30 Jahre Berufspraxis, Kassiererin

Kristin Starck-Fürsicht Erzieherin und Leiterin, 20 Jahre Berufspraxis, stellv. Vorsitzende

Claudia Theobald Erzieherin, 30 Jahre Berufspraxis, Qualitäts­­­­beauftragte, Vorsitzende und Schriftführerin

Sandra Krollmann Erzieherin, Revisorin, Webadministratorin

Sabine Fuchs, Erzieherin, Revisorin

Claudia Theobald

 

Womit hast du 2021 aufgehört und womit angefangen?

Da bin ich immer noch am Üben. Ich will nicht mehr intern jammern und schimpfen, denn dadurch verändert sich nichts. Ich will die Probleme öffentlich machen und vor Ort in der KiTa konsequent handeln. Ich bin zum Beispiel nicht mehr bereit, die Kinder unter prekären Umständen zu betreuen. Wenn zu wenig Personal da ist, müssen zum Beispiel auch mal Öffnungszeiten verkürzt werden. Die Schönfärberei vor den Eltern schadet den Kindern und uns allen. Wenn wir Eltern ernst nehmen wollen, dann müssen sie wissen, was wir warum verantworten können und was aus Kindeswohlgründen nicht mehr.

Abhauen oder bleiben?

Bleiben und kämpfen. Nach Verabschiedung des neuen Gesetzes habe ich intensiv darüber nachgedacht, das Arbeitsfeld zu wechseln. Mir ist aber wieder bewusst geworden, wie gern ich mit Kindern im KiTa-Alter arbeite und dass mein Herz nach all den Berufsjahren immer noch für die Frühpädagogik brennt. Deshalb habe ich mich fürs Kämpfen entschieden, in der Hoffnung, dass ich noch Rahmenbedingungen erleben darf, die kindgerechter sind als das aktuell der Fall ist. Es ist aber klar, dass der Weg weit ist und die Bretter, die zu bohren sind, dick sind. Schlechte KiTas sind nichts, was sich nicht verändern ließe. Wir wollen daran arbeiten, dass das gesellschaftliche Bewusstsein dafür wächst, unseren Jüngsten einen kindgerechten Alltag zu gewährleisten.

Bitte ergänze den Satz: Wenn ich die Bundes­familienministerin wäre, dann …

würde ich ein Gesetz verabschieden, das in allen Bundesländern für die KiTas pädagogische Mindeststandards nach wissenschaftlichen Empfehlungen vorschreibt. Gemeinsam mit Bund, Ländern, Kreisen und Kommunen würde ich ein Finanzierungskonzept entwickeln, mit dem kindgerechte Bedingungen in unseren Kitas finanziert werden können.

Bitte ergänze den Satz: Es ist an der Zeit, …

endlich den Mund aufzumachen, ehrlich zu berichten, wie der Alltag in unseren Kitas aussieht und sich nicht mehr duldsam vor den Karren sperren zu lassen. Ja, ich habe schon meine Stelle gewechselt, weil ich mit einem anderen Konzept arbeiten wollte. Die Rahmenbedingungen sind allerdings grundsätzlich in allen KiTas so unzureichend, dass qualitativ gute pädagogische Arbeit nur in Ansätzen möglich ist.

Es lohnt sich, für bessere KiTas zu kämpfen, denn die Kinder von heute sind die Gesellschaft von morgen.

 

 

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