Sechs Streitfragen

Gibt’s Streit? Frage eins ist schnell beantwortet: Ja, den gibt’s. Immer wieder. Obwohl ihn keiner macht.

Eine Eigenart hat das Wort „Streit“ nämlich: Es mangelt an passenden aktiven Verben. Streit kann man weder machen, erzeugen, leben, höchstens verursachen. In dieser Hinsicht ähnelt Streit einem Vulkanausbruch und einem Erdbeben, die sich ebenfalls von selbst ereignen. Genauso verhält es sich mit der militärischen Fortsetzung des Streits, dem Krieg: Den macht auch keiner, führt ihn höchstens (bloß: wohin?) oder erklärt ihn, damit klar ist, dass er da ist.

Willst du Streit? Frage zwei ist – mit drohender Faust vor der Nase – leichter beantwortet als nach längerem Nachdenken. Obwohl wir Frieden brauchen, scheint ein Bedürfnis nach Streit in uns zu stecken. Jedenfalls lassen Wörter wie „Streitlust“ oder „Streitsucht“ das vermuten. Politiker oder Unternehmer mit – ähem – pointierten Ansichten gelten gern als „streitbar“.

Besonders verräterisch aber scheint die Formulierung „Darüber lässt sich trefflich streiten“ zu sein, denn sie legt nahe, dass man das nur zu gerne tut. Eine Ausnahme gibt es, die oft bedauernd geäußert wird: Über Geschmack lässt sich – hier schieben viele Leute das Schlaumeierwort „bekanntlich“ ein – nicht streiten.

Frage drei lautet: Was gehört zum Streit? Dem Volksmund wie konflikt­geplagten Pädagogen geht die Antwort automatisch von der Zunge: Zum Streit gehören immer zwei. Eine Universal-­Antwort, die angestrengtes Nachdenken über Provokateure, Interessenausgleich zwischen Konfliktparteien und ungleiche Machtverhältnisse erspart: Jim und Jan streiten in der Bauecke, und weil zwei zum Streit gehören, sind sie selbst schuld. Das Opfer schreit, der Täter haut? Besser weitergehen, weil zum Streit eben zwei gehören.

Land A überfällt Land B? Sind eben typische Unruheherde voller Streitlust, die zwei. Besser nicht Partei ergreifen, denkt sich der Volksmund, sonst trifft das Lieblingssprichwort „Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte“ am Ende nicht mehr zu. Der „lachende Dritte“ hingegen macht sich die Sache leicht: „Ich will nicht wissen, wer angefangen hat, sondern wer aufhören kann.“

Wer streitet sich, wenn nicht ich? Die Antwort auf Frage vier: Streithansel.

Offenbar gibt es Menschen mit besonderer Neigung zum Streit. Vor ihnen muss man sich in Acht nehmen. Seit jeher hat der Volksmund dafür Fremde im Visier: Vor tausend Jahren waren es streitbare Wikinger, später verlegte sich das gefühlte Epi­zentrum erst nach Westen – die zerstrittenen, unruhigen Franzosen –, dann nach Süden zu den launischen Italienern und Spaniern, schließlich nach Osten, denn von den Polen stammt immerhin das Streit-Synonym Rabatz1. Besondere Streitlust aber attestierte man den eigenen Minderheiten. Lehnworte wie Zoff2 bezeugen das. Auch die immer noch gerne zitierten Kesselflicker haben rassistische Hintergründe, waren damit doch vor allem Roma gemeint, zu deren Broterwerb das Kesselflicken gehörte, ohne dass sie Mitglieder der entsprechenden Zunft waren.

Sind es heute immer noch die Anderen, die für Streit sorgen? Sicher. Vergleiche mal Berichte über „Randale im Asylbewerberheim“ und „familiäre Auseinandersetzungen bei deutscher Familie“.

Frage fünf: Ist öffentlicher Streit schlecht?

„Nicht vor den Kindern streiten“ lautet eine weitere Weisheit, die den Streit auf eine ähnliche Stufe wie öffentliche Liebesbezeugungen stellt. Obwohl Kinder sich „ständig in die Haare kriegen“, finden Volksmund und Volkspädagoge es wichtig, dass man stets „mit einer Stimme“ spricht, statt „Uneinigkeiten öffentlich auszutragen“. Die gleiche Haltung lässt sich Presseberichten über Politik entnehmen, wenn man auf ein Ende von „Asylstreit“, „Dieselstreit“ oder all den „Koalitionsstreitigkeiten“ hofft, als gäbe es nichts Wichtigeres als Burgfrieden im Staate. Selbst in windelweichen Wörtern wie „Meinungsverschiedenheit“ klingt an, dass die ideale Debatte doch eigentlich aus einem einstimmigen Austausch über gemeinsame Überzeugungen bestehen sollte.

Gibt’s – Frage sechs – auch gelassene Worte über Streit? Ja, und zwar in der Bibel, von dem streitlustigen, streitbaren und zu Recht umstrittenen Luther schön übersetzt: „Jegliches hat seine Zeit, Frieden hat seine Zeit, und Streit hat seine Zeit.“

1 Polnisch: rabac = hauen

2 Jiddisch: sof = mieses Ende

 

Michael Fink ist Autor und Fortbildner.

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