Wohlvertrautes Misstrauen

An der Supermarktkasse sagt eine ältere Dame zu einer Mit-Seniorin: „Man kann heute niemandem mehr trauen.“ Weil sie diese Ansicht einer ihr völlig unbekannten Person anvertraut, erleben wir Umstehenden ein zeitgemäßes Paradox zum Thema „Vertrauen“: Überall sehen Leute das Vertrauen in andere Menschen schwinden. Aber am liebsten erzählen sie das möglichst unvertrauten Mitmenschen wie der Frau am Kassenband oder der Telegram-Gruppe.

Wir haben eine Vertrauenskrise, liest man immer wieder. Bürger*innen vertrauen laut mancher Umfragen weniger auf staatliche und gesellschaftliche Institutionen. Sie misstrauen der Politik, Lösungen für ihre Probleme anzugehen. Medien, die ja eigentlich da für da sind, dem Misstrauen an Politik nachzugehen, leiden unter Vertrauensverlust: „Die schreiben doch nur, was sie sollen…“

Zurückzugehen scheint auch das Vertrauen in Lehrer*innen und Erzieher*innen. Werden wir zu einer ängstlichen Gesellschaft, in der jeder jedem misstraut?

Was ist Vertrauen? Egal, ob Gottvertrauen oder Vertrauen in die Mitmenschen: Eigentlich geht es um ein Gefühl, das hinter dem Satz „Alles wird gut!“ steckt. Der Soziologe Niklas Luhmann beschrieb es als „Mechanismus zu Reduktion sozialer Komplexität“: Weil man sich schlecht vor allen Eventualitäten fürchten kann, vertraut man, denn: „Ohne jegliches Vertrauen aber könnte [der Mensch] morgens sein Bett nicht verlassen.“ Vertrauen ist also die Basis, um zu handeln, statt zu grübeln, sich zu fürchten oder gegen alles zu opponieren.

Für den Verlust von Vertrauen sind vor allem Erfahrungen von Gewalt und Ohnmacht verantwortlich. Wer plötzlich schlimme Dinge erlebt, erfährt, dass sein bisheriges Vertrauen in „Alles wird gut!“ unberechtigt war. Wer sein Vertrauen verloren hat, misstraut nun auch dem, dem er bislang „blind“ vertraute. Bei der Corona-Pandemie konnte man den Effekt oft erleben: Menschen mit Brüchen und Verletzungen im Lebenslauf schienen wesentlich anfälliger dafür zu sein, plötzlich Hardcore-Querdenker zu werden. Auch hier weiß die Soziologie: Erst in Ausnahmesituationen erfährt man, wie viel Vertrauen ein Mensch jeweils empfinden kann.

„Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser!“ Dieser Satz, der dem Thema „Misstrauen in historische Zitate“ entsprechend wohl zu Unrecht Lenin zugeschrieben wird, passt gut zu unserem heutigen Verständnis von Vertrauen auf individueller Ebene. Vergleicht man Lebensführung und Kindererziehung heute und früher, fällt auf, dass ein Kontrollbedürfnis an die Stelle von grundsätzlichem Vertrauen getreten ist. Vertraute man früher auf persönliche Empfehlungen und Gefühle („Jacobs Kaffee vertraue ich einfach!“), checkt man heute in Vergleichsportalen oder Google-Bewertungen, welcher Kaffee oder welches Café am besten ist. Gab es früher im Auto-Cockpit Tacho und Benzinuhr, blinkt heute wie im Flugzeug eine Vielzahl von Check-Lichtern auf. Auch über sich selbst kann man heute täglich Daten ermitteln – Blutdruck, Herzfrequenz etc., die früher nur beim jährlichen Arztbesuch erhoben wurden.

Vor allem in Bezug auf Kinder zeigt sich das geänderte Verhältnis zum Vertrauen. „Ich vertraue darauf, dass ihr zum Abendessen wieder zu Hause seid und euch nicht irgendwo rumtreibt“ ist wohl ein Satz von gestern. Kinder von heute erleben mehr Kontrolle, Begleitung und bewusste Auswahl als Vertrauen, wenn Handy oder gar Smartwatch den Eltern ständige Kontaktaufnahme ermöglichen und jede Bildungseinrichtung erst nach gründlicher Kontrolle ausgewählt wird: „Wir haben uns jetzt für die Klasse von Frau Naumann auf der 2. Grundschule entschieden…“ Der Luzerner Philosoph Martin Hartmann sagt dazu: „Es ist, als würden wir uns einreden, dass wir niemandem mehr vertrauen können, damit wir niemandem mehr vertrauen müssen.“

Der Wert des Vertrauens sinkt – und damit steigt die Bedeutung der Transparenz oder wahlweise der Kontrollierbarkeit. Pädagogische Einrichtungen antworten darauf, dokumentieren alles und machen es evaluierbar. An die Stelle des Vertrauensvorschusses tritt quasi der Rechenschaftsbericht. Das verhindert böse Überraschungen, aber vielleicht auch positive. Teams von Einrichtungen, die besonders aufmerksame Eltern haben, kennen das: Es gibt wenig Spielraum, um ungewohnte Raumkonzepte, Ausflüge oder Projektthemen auszuprobieren. Hier geht es den Kindergärten wie den Kindern, die statt der Abenteuer beim unkontrollierbaren Herumtreiben am Nachmittag nun den wohldokumentierten Gitarrenkurs erleben. Vertrauen lässt Raum, Kon­trolle engt ein – das war schon bei Lenin das Problem.

Was ist die Quintessenz? Vertraut dem Vertrauen! Und wenn jemand klagt: „Man kann heute niemandem mehr vertrauen“, dann sagt: „Versuch es, du schaffst es.“

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Generationen ohne Ende

Wie wird wohl die „Generation Corona“? Ein paar Monate war die Pandemie alt, als die ersten Autor*innen den Begriff verwendeten – und damit einem bewährten Trend folgten. Seit einigen Jahren ist es angesagt, junge Menschen einer Alterskohorte mit Generation-Pipapo-Namen zu behängen, um damit zu behaupten: Weil die alle unter gleichen Voraussetzungen aufgewachsen sind, sind sie einander irgendwie ähnlich. Aber diese Idee ist uralt.

Hier gibts den Artikel als PDF: Wortklauber_#4_2021

 

Schon 3000 Jahre bevor Sokrates die Jugend beschimpfte, weil sie stets „die Beine übereinanderlegt“, reagierten ältere Sumerer ihre Wut auf Tontafeln ab: „Die Jugend achtet das Alter nicht mehr, zeigt bewusst ein ungepflegtes Aussehen, sinnt auf Umsturz, zeigt keine Lernbereitschaft und ist ablehnend gegen übernommene Werte.“ In jeder Epoche gibt es unzählige solcher Schmähungen, mit denen ältere Menschen der jungen Generation Degeneration unterstellen. Dahinter steckte wohl schon immer ein Wahrnehmungsproblem, denn aus Sicht älterer Leuten verhalten sich jüngere Menschen gern tendenziell unreif – die eigene Unreife liegt dagegen lange zurück.

Schicksal, Trauma, Skepsis

Aber seit wann sprach man bestimmten Generationen statt allgemeiner Verlotterungstendenz konkrete Eigenschaften zu? Karl Mannheimer hieß ein deutscher Soziologe, der 1928 die Schrift „Das Problem der Generationen“ publizierte. Seine Kernthese, vereinfacht gesagt: Mitglieder einer Generation erleben gemeinsame Schicksale und verarbeiten vielleicht gemeinsame Zeitströmungen auf gleiche Weise. Beispiele des Soziologen waren damals: die Jugendbewegung vor allem bürgerlicher Heranwachsender zu Beginn des 20. Jahrhunderts und die zarten „Neuromantiker“.

Traumatische Ereignisse scheinen wie geschaffen, eine gemeinsame Generation zu prägen. Kein Wunder, dass nach dem Zweiten Weltkrieg zunehmend wenige Jahrgänge als jeweils eigene Generation bezeichnet wurden. Helmut Schelsky beschrieb in den Fünfzigerjahren wegweisend die „Skeptische Generation“ der überlebenden Kriegsteilnehmer und hoffte, dass diese Generation in ihrem sozialen Bewusstsein und Selbstbewusstsein kritischer, skeptischer, misstrauischer, glaubenslos oder wenigstens illusionsloser als alle Jugendgenerationen vorher ist, dafür aber tolerant, ohne Pathos, Programme oder Parolen.

X und Golf

Dreißig Jahre später ist von Trauma wenig zu spüren, als die Angehörigen der „Boomer-Generation“ allmählich erwachsen werden. Nun ist ein amerikanischer Autor zur Stelle, um den Generationenbegriff boomen zu lassen: Douglas Coupland recycelt 1992 den eigentlich in den frühen Fünfzigern für Rocker verwendeten Ausdruck „Generation X“ in seinem Romantitel „Generation X. Geschichten für eine immer schneller werdende Kultur“. Seine Generationsbeschreibung wird sofort von den Medien aufgegriffen und erweitert, bis das Bild einer Grunge hörenden, stets ironischen Nihilisten-Generation entsteht, die auf dicke Schlitten und das Eigenheim der Eltern pfeift, gerade weil die Alten trotz Zugehörigkeit zur Skeptischen Generation darauf so stolz sind.

Bald ploppt eine Generation nach der anderen auf. Zum Beispiel die „Generation Golf“, in der Florian Illies den eben noch bewunderten „Generation X“-Mitgliedern zuschreibt, weniger nihilistisch, sondern vielmehr hedonistisch zu sein und den von den Eltern angehäuften Wohlstand zu genießen, statt aktiv zu werden.

Von MTV zu Maybe

Nun scheint es Trend zu sein, immer schlimmere Generationen zu entdecken, etwa die „MTV-Generation“ (glotzt nur Musikvideos) und die „Generation Doof“ (glotzt nur RTL 2 und verhält sich entsprechend). „Außerdem legen sie die Füße hoch“, würde Sokrates beipflichten. Oder es werden traurige, weil chancenlose Generationen erdacht, etwa die „Generation Praktikum“ oder die „Generation Prekär“, die beide wirtschaftlich nicht in die Pötte kommen. Weil all die Generationen immer nur auf ein paar Leute zutreffen und auf den Rest nicht, erfindet ein schlauer Mensch die „Generation Maybe“, die sich offenbar nicht festlegen will und deswegen „Vielleicht“ heißt.

Generationsübergreifend!

Immer wieder neue Generationen zu postulieren, um damit mediale Aufmerksamkeit zu erregen, das verbreitet sich inzwischen dermaßen, dass man für entsprechende Autor*innen eine „Generation Generation“ erfinden könnte. Doch das ist ebenso unsinnig wie jeder andere Versuch, große Teile der Menschheit mit einem Label zu versehen. Übrigens wurden bei früheren Generationen nur selten Frauen mitbedacht – siehe: die Flakhelfergeneration.

Wer in den Achtzigern keine vermögenden Eltern hatte, in Ostdeutschland wohnte oder vor irgendeinem Migrationshintergrund aufwuchs, passte kaum zur „Generation Golf“. Und Nicht-Akademiker*innen könnten die prägenden Ängste der „Generation Prekär/Praktikum“ egal sein. Auch beim Beschreiben der „Generation Corona“ wird es schwer, einen gemeinsamen Nenner für wohlhabende Homeoffice-Familienkinder und prekär lebende Notbetreuungskinder zu finden. Trotzdem werden gewiss neue Generationen erfunden werden. Schon weil unsere Generation das Wort Generation so liebt. Längst haben auch die Dinge, die heutige Generationen („Generation App“) prägen, eine eigene Generationenfolge bekommen. Zum Beispiel mein Smartphone – ist es noch „Neueste Generation“ oder wurde bereits ein Nachfolger generiert?

Das abgelegte, obschon noch brauchbare Telefon zeigt uns die wahren Gründe für unsere Generationenbesessenheit: Wir haben Angst vorm Aussortiert-Werden. Was hilft? Solidarität! Wir tun uns einfach zur Generation Generationsübergreifend zusammen.

Auf Phrasenjagd

Hier gibts den Artikel als PDF: wortklauber_#1_2021

Spielen, basteln, Kaffee trinken: Vielleicht liegt es an diesen hartnäckigen Klischees, dass wir PädagogInnen beim Versuch, den Wert unserer beruflichen Tätigkeit zu beschreiben, so oft in die große Phrasenkiste greifen. Das tun wir beim Verfassen von großspurigen Konzepten, Einrichtungsflyern, Fachtexten und wenn wir im Seminar oder beim Elternabend über unser „berufliches Selbstverständnis“ sprechen. Schauen wir mal drauf und „reflektieren kritisch“, welche Phrasen wir vielleicht aussortieren sollten.

Jedes Kind ist einmalig und unverwechselbar

Eine echte Power-Phrase, die deshalb manchen Fachtext, manche Konzeption einleitet. Durchaus in Varianten, etwa der, in der „jedes Kind“ eine „eigene Persönlichkeit besitzt“, statt sie vielleicht mit den Eltern zu teilen?

Eine gesteigerte Form findet sich im Netz in einem beliebten „Begrüßungsbrief“ für Mütter bei der Eingewöhnung: „Als ich dein Kind zum ersten Mal getroffen habe, habe ich sofort gemerkt, dass es etwas ganz Besonderes ist.“ Schön, wenn man das allen Müttern der Gruppe versichert.

Wie hohl die Phrase ist, erkennt man, wenn man sich das Gegenteil vorstellt. Gehen Teams, die den Satz nicht verwenden, davon aus, dass jedes Kind mehrfach vorkommt und deshalb verwechselbar, zumindest „nix Besonderes“ ist? Hieße der Satz „Jedes Kind, jeder Mensch, jedes Tier, jede Pflanze, jeder Stein ist einmalig und unverwechselbar“, würde sofort klar: Ziemlich banale Weisheit!

Wir wertschätzen das Tun der Kinder…

… oder „ihre sprachlichen Äußerungen“, „ihre Kunstwerke“, ihre „Bedürfnisse“ und begegnen Kindern „mit Respekt“. Auch bei diesem Satz kann man erstens Wortkritik betreiben: „Wert schätzen“ ist ein neutraler Ausdruck. „Der taugt nichts“ ist übrigens auch eine Wertschätzung. Zweitens kann man wieder den Umkehr-Test anwenden, um den Wert der Phrase zu schätzen: Wie sähe es aus, wenn Erzieherinnen dem Tun, den Werken und Worten der Kinder herablassend und respektlos begegnen würden? Auch wenn das durchaus passiert, bleibt festzustellen: Die Phrase erhebt eine absolute berufliche Selbstverständlichkeit zum besonderen Konzept.

Die eigene Haltung kritisch reflektieren

Haltung, könnte man zunächst „kritisch reflektieren“, ist nichts, das man hat, sondern etwas, das man einnimmt. Wir kennen das aus Jugendjahren, in denen wir uns nach dem Satz „Sitz gerade!“ missmutig aufrichteten, aber nach wenigen Sekunden wieder gemütlich erschlafften. Ob das bei der pädagogischen „Grundhaltung“ anders ist?

„Kritisch reflektieren“, ein Lieblingssatz in jeder Weiterbildungsveranstaltung, klingt allzu bienenfleißig. Drehen wir es mal um: Kann man auch „unkritisch reflektieren“?

Auf Augenhöhe begegnen

„Sieh mir in die Augen“, fordert Hilfslehrer Hühnerbrüh im „Kleinen Nick“, und so manches Kind wird bei strengen Belehrungen angeherrscht: „Sieh mich an!“ In die Augen zu schauen, das muss nicht immer positiv sein.

Schwach am tausendfach gelesenen Spruch mit der Augenhöhe ist zweitens, dass er nicht beschreibt, wer da wessen Augenhöhe einnehmen soll. Kritisch hinterfragen könnte man drittens auch die positiv gemeinte Bedeutung der Phrase: Ist es eigentlich möglich und nötig, sich als erwachsener Mensch auf „Augenhöhe“ eines Kindes zu begeben, also zeitweise das eigene Erwachsensein zurückzustellen?

Wir lassen niemanden zurück!

Ein Pro-Inklusions-Spruch, der es in Pandemiezeiten sogar zum englischen Graffiti-Spruch geschafft hat: Leave no one behind! Wie immer nett gemeint, aber voller Fragen: Wer ist „wir“? Und wer sind im Unterschied die anderen, die wir irgendwo zurücklassen? Die „Zurückgebliebenen“ etwa, ein längst geächtetes Wort? Zu welchem Vorwärts geht die Reise eigentlich? Und warum hat sich bei der Pandemie nicht „Leave no one alone“ durchgesetzt, die klare Aufforderung, sich um Einzelne zu kümmern?

Im ständigen Austausch mit den Eltern

Manche Phrasen bestrafen die DrescherInnen damit, dass sie wahr werden. Wer „ständigen Austausch“ mit den Eltern ankündigt, bekommt ihn auch: morgens WhatsApps zum Stattfinden des Ausflugs, endlose Tür-Angel-Gespräche, vormittägliche Anrufe, lange Mails am Abend… Wer dann noch wie der Krimi-Kommissar seine Nummer mit dem Spruch „Sie können mich jederzeit anrufen“ vergibt, weiß bald, was „jederzeit“ bedeutet.

Mit allen Sinnen lernen

Fünf Sinne hat der Mensch – und manchmal kommt noch einer dazu, nämlich der Irr- oder Unsinn. Zum Beispiel dann, wenn die PädagogIn über Lernangebote für kleine Kinder schreibt und selten ohne die Phrase „mit allen Sinnen“ auskommt. Dieses Prädikat wird oft schon verliehen, wenn statt des Seh-Sinns nur der seltener erwähnte Tast-Sinn zum Zuge kommt. Oder kann man den Rasierschaum beim Matsch-Angebot wirklich gleichzeitig sehen, hören, tasten, fühlen, riechen und schmecken? Flapsig gesagt: Wer immerzu von „Lernen mit allen Sinnen“ spricht, dem ist egal, ob das alles Sinn ergibt.

Die Kinder lieben…

… alles, was sie drei Minuten lang einigermaßen interessiert tun. Zumindest, wenn man Fachtexten in Printmedien und im Netz glaubt: „Kinder lieben es, selbstständig Apfelmus zu essen“ stand ebenso in einem Text wie „Kinder lieben Händewaschen“. Und mir strich eine Lektorin den Satz „Kinder lieben analoge Küchenwecker“.

Nun „lieben“ zwar laut Werbesprech auch Erwachsene immer mehr Dinge, Tätigkeiten oder Schnellrestaurants. Aber der Drang, kindliches Tun mit diesem Wort zu veredeln, scheint stündlich zuzunehmen. Anders gesagt: Erwachsene lieben es, jede gelegentliche Vorliebe der Kinder als „Liebe“ zu bezeichnen. Reichlich be-lieb-ich!

Gelebte Partizipation

Jeder lebt sein Leben, bis er lange genug gelebt hat. Manchmal lebt man sich auch aus – auf Kosten anderer womöglich. Wie lebt man so etwas Abstraktes wie „Partizipation“?

Wer meint, Beteiligung aller gehöre so selbstverständlich zum Alltag, dass niemand etwas dafür tun muss, darf durchaus von „gelebter Partizipation“ sprechen oder schreiben. Wenn´s nicht so ist, dann passt besser: Partizipation würde ich gern mal erleben.

Foto:kallejipp/photocase.de

Das Bild von Eltern versus „StnMdKh“

Wie sind Eltern? Wer wissen will, ob diese Sorte Mensch, zu der immerhin große Teile der Weltbevölkerung gehören oder gehören werden, gemeinsame Eigenschaften hat, muss uns PädagogInnen besuchen, unsere Gespräche belauschen, unsere Fachbücher und Zeitschriften lesen. Denn wir denken gerne über Eltern nach. Vielleicht hat sich dabei, ähnlich wie beim Bild vom Kind, eine kollektive Vorstellung entwickelt. Nennen wir sie „Unser Bild von Eltern“. Weiter lesen

Weisheiten über Dummheiten

Dummheit und Wortklauberei – ein weites Feld! Nur über wenige Themen gibt es so viele Sprich- und Schimpfwörter, Redewendungen und schlaue Zitate. Der Artikel als PDF zum herunterladen: Wortklauber_#4_2020 Was bedeutet dumm, und was ist der Unterschied zu doof? Ein Blick ins Herkunfts-Wörterbuch verrät: Dumm kommt von dumpf, dumpf von stumpf, stumpf aber von stumm….

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Mach endlich Schluss!

Niemand muss so oft Schluss machen wie die PädagogInnen. Während der Normalbürger höchstens alle paar Jährchen etwas absagt, müssen die PädagogInnen den lieben langen Tag junge Menschen auffordern, etwas zu beenden. Weil die Freispielzeit um oder die Diktatschreibezeit abgelaufen ist, weil ein Zwist zur Kabbelei entartet, weil das Gebrabbel in der letzten Reihe nervt und das eben gehörte Widerwort unverschämt ist. Unzählige Momente, in denen sie zum Schlussmach-Wort greifen. Hören wir mal, welche Wörter zur Verfügung stehen.

Unter Möchtegernen

Möchtest du beim Schlussmachen sanft und einen Hauch partizipativ rüberkommen? Dann wähle den höflichsten aller Modi, nämlich den Konjunktiv, also den Mode-Modus. Verkünde: „Wäre es ok, wenn ihr mal damit aufhört? Wir müssten so allmählich mal zum Schluss kommen. Im Grunde ist die Zeit längst um. Also, ich fände es richtig toll, wenn jetzt jeder mal anfängt, aufzuhören…“ Ernte Zustimmung bei den Kindern: „Ja, wäre im Grunde wirklich toll, wenn wir das täten. Aber wir machen lieber weiter…“

Vorsicht vor falschen ­Konjunktiv- Freunden! Die formulieren streng: „Du möchtest jetzt bitte sofort mit dem Gebrabbel aufhören.“ Vielleicht klappt es ja, und das Kind glaubt, dass es das möchte.

Bei Sonunmachenwirs

Wenn du Überrumplungseffekte liebst, bist du bei den „Sonunmachenwirs“ richtig. Die rufen betont ruhig, aber einen Tick zu laut in die beschäftigte Kindergruppe: „So, nun legen wir alle unser Spielzeug beiseite… (Pause, in der die Kinder verwirrt ihre Sachen ablegen) … und räumen alles auf sei-näään Platz… (abermals Pause, den Blick wachsam schweifen lassen) … und gehen jääätzt ganz ruhig zum Ääässensraum.“

Die Technik der Massenhypnose wurde garantiert in einem solchen Kindergarten erfunden.

Bei den Warlords und -ladys

Du liebst knappe Kommandos und unbedingten Gehorsam? Eine Vielzahl gesellschaftlich akzeptierter Floskeln steht zum Schlussmachen bereit: „Finito! Kein Mucks mehr! Punkt, aus, Ende! Es reicht!“ Oder auf gut Italienisch: „Basta!“

Apropos „Es reicht“: Nutze „Es“-Formulierungen, um dich mit einer unsichtbaren Macht zu verbünden. „Mir reicht´s jetzt“ klingt nach übellaunigen Erwachsenen. „Es ist genug!“ heißt hingegen: Das objektiv aufgestellte Maß ist voll, und ich muss jetzt den Befehl von oben durchsetzen.

Arbeite im Ernstfall mit Lautmalerei: Wie eine Militärblaskapelle klingt ein akzentuiert und am besten in ­Proll-Berlinerisch ausgesprochenes „Hör – uff!“

Unter Sprücheklopfern

Es behagt dir trotz des Erfolges nicht, das Militärische? Dann kleide deine Kommandos einfach in putzige Sprich- oder Reimwörter. Sage „Ende Gelände“, obwohl das eigentlich keinen Sinn ergibt. Behaupte, dass „die Laube“ oder „der Lack“ fertig seien. Sorge für ein bisschen Grusel mit „Aus die Maus!“ Reicht das nicht, dann werde deutlicher: „Klappe zu, Affe tot.“

Bei den Fertigen

Wenn du nicht gern viele Worte machst, dann nutze „Fertig“, das Universalwort für Schlussmachen. Sag es, und Schluss ist.

 

Foto: Eva Blanco Fotografia, photocase

Die Erfindung von MINT

MINT ist kein Wort. Deswegen tut sich der Wortklauber zunächst schwer damit. MINT ist ein Akronym, also eine Abkürzung mehrerer Wörter durch deren Anfangsbuchstaben. Damit steht MINT in der Tradition des ersten Akronyms der Christenheit, nämlich INRI, der Inschrift auf dem Kreuz Jesu. INRI heißt – für alle Heiden unter der Leserschaft oder solche, die sich im Reliunterricht von anstrengenden MINT-Fächern erholten – Iesus Nazarenus Rex Iudaeorum. Was übersetzt heißt: Jesus von Nazareth, König der Juden. Dass die Römer als Verfasser einen ziemlichen Abkürzungsfimmel (Aküfi) gehabt haben müssen, ist offensichtlich, sparten sie zwar Zeit beim Einritzen der Buchstaben, aber gewiss litt die Verständlichkeit: Woher wussten Spaziergänger rund um Golgatha, für was die zwei Is, das R und das N stand?

Zwar enthält INRI zwei gleiche Buchstaben wie MINT, aber das hat nichts zu bedeuten, denn MINT heißt nicht „Moderne Iesus von Nazareth-Theologie“, sondern Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik. MINT spart also zunächst 15 Silben ein und führt die Angewohnheit von Schülern fort, die Namen unbeliebter Fächer zu kürzen – siehe Mathe, Nawi, Sowi und Reli.

MINT ist nicht nur ein Akro- sondern auch ein Apronym. Apronyme sind nämlich – gleich fürs nächste Kneipenquiz merken! – Abkürzungen, die ein neues sinnvolles Wort ergeben. Solche Wörter gibt es nicht viele, weil der Trend zur sinnvollen Abkürzung noch neu ist.

Apronyme gelingen, wenn beim Abkürzen einer unschönen Wortsammlung ein sympathisches Wort entsteht. Aus dem holzigen European Region Action Scheme for the Mobility of University Students wurde der nette Name ERASMUS. Nicht ganz so gut klappt die Sache bei der Elektronischen Steuererklärung, denn das Apronym ELSTER lässt alle Steuerpflichtigen sogleich an Diebstahl denken, weil sie Elstern – unberechtigterweise! – für diebisch halten.

Wer hat MINT erdacht? Intensive Internet-Recherchen ergaben leider keine klaren Anhaltspunkte, höchstens Verdachtsmomente. Vermutlich waren es Bildungspolitiker, die sich um den Nachwuchs in den vier früher als Jungs-Fächer geltenden Disziplinen sorgten. Als Suchbegriff ergibt MINT zahlreiche Treffer, bei denen auch das Wort „Mädchen“ an prominenter Stelle vorkommt. Wenn’s um Jungs geht, bleibt es oft bei Mathe, Informatik, Technik und diversen Naturwissenschaften. Geht’s um Mädels, verschmilzt alles zu MINT.

Schmelzen und Mint – wer denkt da nicht an ein leckeres Eis, bei dem man aufpassen muss, es nicht auf seine mintfarbene Hose zu kleckern? Ja, unser mint in Kleinbuchstaben ist ein waschechtes Modewort und vermutlich wie die mintfarbene Hose irgendwann in der Mitte der Achtziger eingewandert. Doch niemand sagt „Mint“ zu dem verdauungsfördernden Tee. Aber wenn aus dem wuchernden Fast-Unkraut coole Kaugummis, Kaubonbons oder Schokoladenspezialitäten hergestellt werden – das ist mint. Sonderbar.

Was wissen oder ahnen wir über MINTs Entstehung? Entweder hatte, wer aus Mathe, Informatik, Technik sowie Physik, Chemie und Bio, also aus Naturwissenschaften, MINT gemixt hat, einfach Glück, weil das entstandene Wort gut funktioniert. Immerhin wäre, wenn wir wie die Briten statt Naturwissenschaften Science sagen würden, ziemlicher MIST rausgekommen…

Oder war es so, dass ein paar Herrschaften nächtelang beisammen saßen und verzweifelt grübelten: „Wir brauchen so ein echtes ­Girlie-Wort, um diese Nawi-Fächer für Mädchen interessant zu machen. Hubert, du hast eine Tochter, was interessiert Mädels so?“ „Eis, Pferde, Mode…“ Ewig buchstabierte man dann: „P wie Physik, I wie Informatik, N wie Naturwissenschaft, jetzt noch was mit K….“ „Gibt´s nicht! Besser ist R wie Rechnen, O wie Oekologie, S wie Science und A wie… “ Bis dann einer sprach: „Nehmen wir einfach MINT!“

Foto: vogt/photocase

Sechs Streitfragen

Gibt’s Streit? Frage eins ist schnell beantwortet: Ja, den gibt’s. Immer wieder. Obwohl ihn keiner macht.

Eine Eigenart hat das Wort „Streit“ nämlich: Es mangelt an passenden aktiven Verben. Streit kann man weder machen, erzeugen, leben, höchstens verursachen. In dieser Hinsicht ähnelt Streit einem Vulkanausbruch und einem Erdbeben, die sich ebenfalls von selbst ereignen. Genauso verhält es sich mit der militärischen Fortsetzung des Streits, dem Krieg: Den macht auch keiner, führt ihn höchstens (bloß: wohin?) oder erklärt ihn, damit klar ist, dass er da ist.

Willst du Streit? Frage zwei ist – mit drohender Faust vor der Nase – leichter beantwortet als nach längerem Nachdenken. Obwohl wir Frieden brauchen, scheint ein Bedürfnis nach Streit in uns zu stecken. Jedenfalls lassen Wörter wie „Streitlust“ oder „Streitsucht“ das vermuten. Politiker oder Unternehmer mit – ähem – pointierten Ansichten gelten gern als „streitbar“.

Besonders verräterisch aber scheint die Formulierung „Darüber lässt sich trefflich streiten“ zu sein, denn sie legt nahe, dass man das nur zu gerne tut. Eine Ausnahme gibt es, die oft bedauernd geäußert wird: Über Geschmack lässt sich – hier schieben viele Leute das Schlaumeierwort „bekanntlich“ ein – nicht streiten.

Frage drei lautet: Was gehört zum Streit? Dem Volksmund wie konflikt­geplagten Pädagogen geht die Antwort automatisch von der Zunge: Zum Streit gehören immer zwei. Eine Universal-­Antwort, die angestrengtes Nachdenken über Provokateure, Interessenausgleich zwischen Konfliktparteien und ungleiche Machtverhältnisse erspart: Jim und Jan streiten in der Bauecke, und weil zwei zum Streit gehören, sind sie selbst schuld. Das Opfer schreit, der Täter haut? Besser weitergehen, weil zum Streit eben zwei gehören.

Land A überfällt Land B? Sind eben typische Unruheherde voller Streitlust, die zwei. Besser nicht Partei ergreifen, denkt sich der Volksmund, sonst trifft das Lieblingssprichwort „Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte“ am Ende nicht mehr zu. Der „lachende Dritte“ hingegen macht sich die Sache leicht: „Ich will nicht wissen, wer angefangen hat, sondern wer aufhören kann.“

Wer streitet sich, wenn nicht ich? Die Antwort auf Frage vier: Streithansel.

Offenbar gibt es Menschen mit besonderer Neigung zum Streit. Vor ihnen muss man sich in Acht nehmen. Seit jeher hat der Volksmund dafür Fremde im Visier: Vor tausend Jahren waren es streitbare Wikinger, später verlegte sich das gefühlte Epi­zentrum erst nach Westen – die zerstrittenen, unruhigen Franzosen –, dann nach Süden zu den launischen Italienern und Spaniern, schließlich nach Osten, denn von den Polen stammt immerhin das Streit-Synonym Rabatz1. Besondere Streitlust aber attestierte man den eigenen Minderheiten. Lehnworte wie Zoff2 bezeugen das. Auch die immer noch gerne zitierten Kesselflicker haben rassistische Hintergründe, waren damit doch vor allem Roma gemeint, zu deren Broterwerb das Kesselflicken gehörte, ohne dass sie Mitglieder der entsprechenden Zunft waren.

Sind es heute immer noch die Anderen, die für Streit sorgen? Sicher. Vergleiche mal Berichte über „Randale im Asylbewerberheim“ und „familiäre Auseinandersetzungen bei deutscher Familie“.

Frage fünf: Ist öffentlicher Streit schlecht?

„Nicht vor den Kindern streiten“ lautet eine weitere Weisheit, die den Streit auf eine ähnliche Stufe wie öffentliche Liebesbezeugungen stellt. Obwohl Kinder sich „ständig in die Haare kriegen“, finden Volksmund und Volkspädagoge es wichtig, dass man stets „mit einer Stimme“ spricht, statt „Uneinigkeiten öffentlich auszutragen“. Die gleiche Haltung lässt sich Presseberichten über Politik entnehmen, wenn man auf ein Ende von „Asylstreit“, „Dieselstreit“ oder all den „Koalitionsstreitigkeiten“ hofft, als gäbe es nichts Wichtigeres als Burgfrieden im Staate. Selbst in windelweichen Wörtern wie „Meinungsverschiedenheit“ klingt an, dass die ideale Debatte doch eigentlich aus einem einstimmigen Austausch über gemeinsame Überzeugungen bestehen sollte.

Gibt’s – Frage sechs – auch gelassene Worte über Streit? Ja, und zwar in der Bibel, von dem streitlustigen, streitbaren und zu Recht umstrittenen Luther schön übersetzt: „Jegliches hat seine Zeit, Frieden hat seine Zeit, und Streit hat seine Zeit.“

1 Polnisch: rabac = hauen

2 Jiddisch: sof = mieses Ende

 

Von Kreaturen zu Kreatoren

Der erste kreative Prozess war wohl keiner. Für Christen, Juden und Moslems ist Gott der erste Kreative, denn Schöpfer heißt übersetzt Creator. Was dieser laut Schöpfungsgeschichte tat, ist mit keiner modernen Kreativitätstheorie vereinbar. ER schuf die Welt ganz ohne Materialanreize: Die Erde war wüst und leer. Statt kreativer Pausen legte ER ein stringentes Tempo vor und brachte es täglich zu einer bahnbrechenden Erfindung: Erst Licht, dann Himmel, Wasser und Erde, dann die Himmelskörper… Dabei wirkte Gott so zielorientiert, als habe er einen klaren Plan: ER befahl, dass grünes Land wachse – und die Erde brachte grünes Land hervor. Immerhin tat Gott das mit der für kreative Prozesse typischen intrinsischen Motivation, die allerdings erst nach der Vollendung einsetzte: Er sah, es war gut!

Erst danach bewies Gott laut Schöpfungsgeschichte kreative Kompetenzen – wahrscheinlich weil nun endlich Materialanreize für kreative Inspiration vorhanden waren. Nach der Erfindung des Paradieses baute er erst alle Tiere und Vögel aus Erde, obwohl er sie laut Kapitel 1 bereits am vierten Tag erschaffen hatte. Echte Kreative erfinden eben gern mal etwas bereits Erfundenes. Nun wurde ihm die Erd-Formungstechnik offenbar zu langweilig. Deshalb baute er den zweiten Menschen nach einem anderen Konzept: Rippe aus Mensch 1 entnehmen und daraus ein komplett neues Modell zusammenbiegen, Typenbezeichnung: Frau.

Man weiß, wie die Sache ausging: Apfelessen mit Nebenwirkung, Vertreibung aus dem Paradies, erster Sex, Kleinfamilienglück mit zwei Kinder, dann soap-artige Verwerfungen. Der übliche Menschenquatsch. Von wegen „Es war gut!“

Wie nennt man das, was Gott da hergestellt hat? Wasser, Land und Baum mögen „Kreation“ sein, ein Wort mit üblem Werbe-Beigeschmack. Wir Lebewesen dagegen sind „Kreatur“, sagt die Bibel wortwörtlich, was übersetzt bedeutet: „Es wurde geschöpft“.

Seit dem 17. Jahrhundert wurde der ursprünglich wertneutrale Bericht mehr und mehr mit Adjektiven wie „armselig“ oder „unglücklich“ kombiniert – klares Zeichen dafür, dass uns Menschen der passive Zustand des „Geschöpft-Werdens“ zunehmend weniger behagte. Also wechselten wir das Rollenfach – von der Kreatur zum Kreativen, der bis zur Erschöpfung schöpferisch tätig ist.

Lassen wir Gott, auch wenn er das nicht mag, mal beiseite. Die Bibel wortwörtlich zu nehmen, das ist ohnehin nur etwas für – Achtung! – Kreationisten, denen in der Evolutionstheorie der klar benannte Urheber fehlt.

Zum In-Wort wurde Kreativität tausende von Jahren später, genau genommen erst in den 1960er Jahren. Verantwortlich dafür war nicht Picasso, es waren dröge Bildungsforscher und die US-Regierung. Triebkraft war der Neid, denn die Russen hatten gerade den Sprung ins Weltall geschafft. „Um mitzuhalten, brauchen wir mehr Erfindergeist“, knurrte man jenseits des Atlantiks und begann, intensiv zu erforschen, wie gute Ideen entstehen. Nicht durch Fleiß, fand man heraus, sondern durch vielfältige Anregungen und ungezielte Denkprozesse, durch Ausprobieren statt Gleich-Bewerten, durch positiven Zuspruch statt allzu viel Leistungsdruck.

Forscher beschrieben vier bis sechs Phasen des kreativen Prozesses, der für das Entwickeln neuer Weltraum-Ideen dringend nötig war. Erst in dessen Sog entwickelte sich das Bedürfnis, kreative Denkprozesse auch im musischen Bereich zu nutzen, und Kreativ-Angebote, Kreativkurse oder kreatives Chaos entstanden wie die Teflonpfanne als Abfallprodukte der Raumfahrt.

Kehren wir noch einmal zum Ausgangspunkt zurück, um beide Auslegungen des Begriffs „Kreativität“ miteinander zu versöhnen. Denn wie wäre die Welt laut Bibel entstanden, wenn Gott ein echter Kreativer gewesen wäre? In einer kreativen Bibel stünde: „Am Anfang erschuf Gott jede Menge sonderbarer Teile, die zu gar nichts nutze waren. Er schmiss sie auf einen riesigen Haufen Schöpfungs-Schrott und ärgerte sich drei Tage lang. Die Zeit danach vertrieb er sich mit Wolkenschieben. Am 40. Tag beschloss er aufzuräumen. Als ihm beim Sortieren des Schrotts langweilig wurde, bastelte er ein bisschen vor sich hin. Plötzlich brummelte er: „Warte mal – jetzt kommt mir die Idee!“ Und er sah: Es war gar nicht mal so schlecht!

Also bastelte er weiter, bis zum heutigen Tag. Vielleicht dürfen wir Kreaturen irgendwann auch mal mitmachen?

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