Am Limit

Im Umgang mit Corona offenbaren sich seit Jahren bekannte Mängel des Kita-Systems, denen man jedoch von politischer Seite zu wenig Aufmerksamkeit schenkt. Schon vor der Pandemie war das System mit Fachkräftemangel, häufig nicht kindgerechten Personalschlüsseln und mangelnder (digitaler) Ausstattung am Limit.

Was tun? Die BAG BEK e. V. bezieht Stellung.

Hier gibts den Artikel als PDF: Am Limit_#6_2020

Seit dem Frühjahr 2020 hält das Corona Virus nun schon unser Land in Atem. Bereits im Frühjahr hatte die Bundesarbeitsgemeinschaft Bildung und Erziehung (BAG BEK) in der Kindheit e. V. dazu Stellung bezogen. Seither wurden Fortschritte im Umgang mit der Pandemie gemacht und in vielen Bereichen ein Modus gefunden, wie das Leben weiter gehen kann. Gerade in Kitas und Schulen wird seither versucht, den Betrieb aufrecht zu erhalten, einerseits, um Kindern ihr Recht auf Bildung zu ermöglichen, andererseits aber auch um Eltern Freiräume zu schaffen, ihrer Erwerbstätigkeit nachzugehen.

Der Anspruch, die Bildungseinrichtungen offen zu halten, hat jedoch seinen Preis. Es offenbaren sich jetzt Mängel des Systems, die seit Jahren beklagt werden, denen man jedoch von politischer Seite zu wenig Aufmerksamkeit schenkt. Schon vor der Pandemie war das System mit Fachkräftemangel, häufig nicht kindgerechten Personalschlüsseln und mangelnder (digitaler) Ausstattung am Limit. Unter Corona-Bedingungen zeigt sich jetzt überdeutlich die volle Tragweite der Probleme.

In verschiedenen Brandbriefen (zum Beispiel der Paritätische Wohlfahrtsverband, Fröbel-Gruppe, ver.di sowie einzelner Fachkräfte zum Beispiel in der Berliner Zeitung) wurde darauf hingewiesen, dass der Arbeits- und Gesundheitsschutz der Fachkräfte vielerorts nicht gewährleistet ist und sich der ohnehin schon hohe Personalmangel weiter verschärft. Diese Situation führt dazu, dass eine gute Bildung, Erziehung und Betreuung nicht gewährleistet werden kann und gar an Kindeswohlgefährdung grenzt. Kritische Schwellenwerte im Hinblick zum Beispiel auf die Fachkraft-Kind-Relation, ab denen negative Auswirkungen auf das Wohlbefinden, Verhalten und die Entwicklung von Kindern zu erwarten sind, werden häufig überschritten. Die verbleibenden Fachkräfte bringt es an den Rand ihrer Kräfte, den sogenannten Regelbetrieb aufrecht zu halten, in vielen Bundesländern ohne personelle, finanzielle oder räumliche Zusatzkapazitäten. Träger und Leiter*innen sind auf sich gestellt und erhalten häufig keine Unterstützung von öffentlichen Stellen im Umgang mit Erkrankungen oder Quarantäne.

Eine Analyse des DJI unterstreicht, dass die Kitas selbst bei günstigen Szenarien zum einen bedingt durch Personalausfälle und zum anderen durch zu wenig Raum, bereits bei einer Auslastung von 50 Prozent an ihre päda­gogisch vertretbaren Kapazitätsgrenzen stoßen (Rauschenbach u. a. 2020).

Vor diesem Hintergrund weisen wir erneut auf die Stellungnahme der BAG BEK e. V. zur (Nicht-) Wiedereröffnung von Kitas vom 24. April dieses Jahres hin, in der wir auf diese Gefahren bereits aufmerksam gemacht haben:

„Um die Fachkräfte zu schützen, müssen Gesundheitsschutz- und Hygienekonzepte mit der Maßgabe erarbeitet werden, kindliche Bedürfnisse und den gewohnten Umgang mit den Kindern möglichst wenig einzuschränken. Zur Ermittlung potenzieller Kapazitäten für eine verantwortungsvolle Ausweitung der Betreuung sind verschiedene Parameter wie angestrebte Gruppengrößen, angestrebte Fachkraft-Kind-Relationen, verfügbares, nicht zur Risikogruppe gehörendes Personal, verfügbare Räumlichkeiten und Raumgrößen zu ermitteln und miteinander in Beziehung zu setzen. Entsprechende Planungstools werden aktuell entwickelt. Sie sollten bundesweit und trägerübergreifend verfügbar gemacht und eingesetzt werden. Bereits vorher von vielen Seiten kritisierte Missstände im System der Kindertagesbetreuung wie fehlendes Personal, kleine und zu enge Räumlichkeiten und die Unterfinanzierung des gesamten Systems sind nun erheblich verschärft, werden jetzt zur zusätzlichen Belastung, weil sie verhindern, dass eine vollständige Wiedereröffnung unter Berücksichtigung von Hygienestandards zeitnah möglich wird. Dies wird sowohl den Kindern als auch ihren Familien und Fachkräften, aber auch der Wirtschaft und damit der gesamten Gesellschaft schaden. Daher fordert die BAG BEK e. V., wie bereits in den vergangenen Jahren, Kindertageseinrichtungen und Kindertagespflege endlich als systemrelevant für die gesamte Gesellschaft anzuerkennen und entsprechend finanziell auszustatten.“

(BAG BEK 2020)

Die im Frühjahr geforderten Maßnahmen sind jetzt noch dringlicher geworden.

Es zeigt sich , dass die in Aussicht gestellten Planungstools in vielen Bundesländern immer noch nicht verfügbar sind oder keine Anwendung finden. Während für Schulen Konzepte erarbeitet worden sind, die Vorgehensweisen im Fall einer Erkrankung vorgeben, fehlen diese für Kitas häufig.

Wir fordern daher die Länder auf, für alle Kitas verbindliche Stufenpläne und geregelte Vorgehensweisen im Falle einer Erkrankung oder Quarantäne zu erstellen und zu realisieren, um die verbliebenen Fachkräfte zu entlasten und zu schützen, Verständnis bei Eltern und Arbeitgebern zu erzielen und nicht zuletzt den Kindern die frühkindliche Bildung zukommen zu lassen, die ihnen gerecht wird.

Darüber hinaus muss das System auch Coronahilfen durch zusätzliche finanzielle Unterstützung erhalten, damit es seinem Auftrag gerecht werden kann. Die im August 2020 vom Bund in Aussicht gestellte Milliarde muss zeitnah bei den Kitas ankommen – _zum einen um den Ausfall von Personal zum Beispiel mit Zeitarbeitskräften zumindest teilweise zu kompensieren und zum anderen um die technische Ausstattung der Kitas zu verbessern. Diese ist notwendig, um Kontakt mit den Familien zu halten, Eltern gut und zeitnah zu informieren und Home-Office (gerade für Leiter*innen) zu ermöglichen.

Bei der Entscheidung darüber, welche Berufsgruppen zuerst geimpft werden sollen, dürfen die pädagogischen Fachkräfte als systemrelevante Gruppe, die größtenteils ohne Maske und ohne Abstand arbeiten, nicht fehlen.

Die Pandemie wird noch andauern – daher ist es jetzt an der Zeit, sich für die kommenden Monate gut aufzustellen und den Trägern und Einrichtungen Unterstützungen zukommen zu lassen, die jetzt wirken und langfristig der Weiterentwicklung des Systems dienlich sind.

 

 

Literatur:

BAG BEK (2020): Stellungnahme der BAG BEK e.V. zur (Nicht-)Wiedereröffnung der Kitas. Download unter: https://www.bag-bek.de/fileadmin/user_upload/Stellungnahme_BAG_BEK_Corona_Kitas_2020.pdf (23.11.2020)
Fröbel-Gruppe (2020): Brief an Deutschland. Download unter https://www.froebel-gruppe.de/fileadmin/user/Dokumente/Stellungnahmen/201105_Ein_Brief_an_Deutschland_01.pdf (23.11.2020)

Rauschenbach, Thomas; Meiner-Teubner, Christiane; Böwing-Schmalenbrock, Melanie & Olszenka, Ninja (2020): Von der Notbetreuung zur stufenweisen Kita-Öffnung. Simulationstool zur Abschätzung der Betreuungskapazitäten von Kindertageseinrichtungen anhand amtlicher Daten. Download unter https://docplayer.org/194393014-Von-der-notbetreuung-zur-stufenweisen-kita-oeffnung.html  (23.11.2020)

ver.di (2020): Mehr braucht mehr. Informationen zur Corona Pandemie für die Soziale Arbeit. ver.di fordert die Arbeitgeber und die Länder auf, den Gesundheitsschutz der Beschäftigten in Kitas, Horten, der Kinder- und Jugendhilfe sowie Behindertenhilfe zu realisieren!

Download unter: https://gesundheit-soziales.verdi.de/++file++5fa55716091d281a2286d646/download/20201105_flyer%20corona__Gesundheitsschutz_Arbeitgeber_verdi.pdf (23.11.2020)

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