Mut und Stärke sind nur zwei der vielen Eigenschaften, die wir unseren Kindergartenkindern am Ende ihrer Kindergartenzeit gerne mit auf den Weg geben. Aber wie gelangen Kinder zu diesen Eigenschaften? Sie brauchen geeignete Vorbilder.
Wenn wir an Mut und Stärke denken, fallen uns viele Vorbilder aus den unterschiedlichsten Berufsgruppen ein. Das reicht vom Polizisten über die Greenpeace-Aktivistin bis zum Tierpfleger, Starkstromelektriker, Dachdecker, Bergretter oder der Bürgermeisterin. Die Berufsgruppe der Erzieherinnen und Erzieher verbinden wir eher nicht mit den Eigenschaften Mut und Stärke, die im Kita-Alltag von Außenstehenden nämlich nicht deutlich zu erkennen sind. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass Erzieherinnen und Erzieher nicht gerade als Personen wahrgenommen werden, die man landläufig als „Rampensau“ betrachtet. Und dennoch birgt der Alltag im Kindergarten viele Momente, in denen wir Mut, Stärke und Standing beweisen müssen, wenn wir unseren Bildungsauftrag gut und gewissenhaft erfüllen möchten.
Zum einen muss es Erzieherinnen und Erziehern gelingen, sich vom „Förderitisvirus“ nicht anstecken zu lassen und dankend abzulehnen, wenn es zum Beispiel heißt: „Komm mit uns ins Zahlenland“. Moment mal! Plötzlich habe ich eine kleine Melodie im Kopf, die nicht nach Zahlen klingt, sondern nach Abenteuer.
Abenteuer, das ist es, was wir suchen! Eine Kita sollte voll spannender Erlebnisse und mutiger Erwachsener sein, die es wagen, mit den Kindern auf Entdeckungsreise zu gehen, oder so tollkühn sind, dass sie es Kindern sogar zutrauen, allein auf eine solche Reise zu gehen. Können Sie sich vorstellen, dass ganz schön viel Mut dazu gehört, die Kleinen allein durch die Einrichtung wandern oder in einem unbewachten Raum spielen zu lassen? Denn was ist, wenn die Eltern nachfragen oder die Kollegin denkt, man sei faul, weil man die Kinder nicht begleitet?
Dringend brauchen wir pädagogisches Fachpersonal, das nicht immer den Fallschirm für die Kinder aufspannt, sondern sie bestärkt, eigene Erfahrungen zu sammeln, und sie dabei unterstützt, sich selbst einschätzen zu lernen. Da ist es für beide Parteien, Kind und Fachkraft, eine Hilfe, sich auf die Ideen der Kinder einzulassen, sich von ihrem Forscher- und Entdeckerdrang inspirieren zu lassen und gemeinsam mit ihnen nach Problemlösungen zu suchen. Wenn wir den Kindern auf Augenhöhe begegnen, erfahren wir etwas über ihre Weltanschauung, erweitern unseren eigenen Horizont und riskieren es vielleicht, unsere eigenen Denkweisen zu reflektieren. Dazu ist Stärke vonnöten, denn wenn wir uns intensiv auf die Kinder einlassen möchten, gehört dazu, dass wir uns mit unseren Charaktereigenschaften einbringen und unsere Persönlichkeit preisgeben. Es gehört dazu, dass wir bereit sind, Neues auszuprobieren, Fehler zu machen, mit Kindern und Erwachsenen auch mal darüber zu lachen und den Alltag durch Unerwartetes zu bereichern. Ebenso gehört dazu, unsere Grenzen zu überschreiten, wenn die Kinder sich wünschen, dass wir einen toten Igel inspizieren, eine vertrocknete Blindschleiche aufschneiden oder einem Kind zusehen, das den höchsten Ast des Kletterbaums erklimmt.
Etwas nicht perfekt zu können, das macht uns menschlich und nahbar für Kinder und Erwachsene. Eltern ist es sympathisch, wenn wir nicht immer alles wissen und zugeben, etwas erst mal nachschlagen zu müssen.
Mut gehört auch dazu, mal Nein zu sagen, zum Beispiel zu absurden Wünschen der Eltern, die Rahmenbedingungen deutlich zu machen und aufzeigen, wo die Grenze ist.
Meiner Meinung nach gehört besonders viel Mut dazu, Müttern oder Vätern klarzumachen, dass es nicht in Ordnung ist, wenn sie ihr Kind regelmäßig zu spät abholen. Genauso erfordert es Mut, Stärke und Standing, Nein zu unzumutbaren Arbeitsbedingungen zu sagen und sich für bessere Rahmenbedingungen der pädagogischen Fachkräfte einzusetzen.
Eins wird ganz deutlich: Wenn man sein persönliches Profil als pädagogische Fachkraft schärfen möchte, gehört dazu, dass man seinen Weg zwischen „Ist mir doch egal“ und „Alles muss perfekt sein“ findet und ihn selbstverständlich vertritt. Nur so gelingt es uns, dazu beizutragen, dass die Gesellschaft endlich das Klischee von der Kaffee trinkenden Erzieherin, die sich nicht dreckig machen möchte und nur nach Bastelvorlage arbeiten kann, verabschiedet. Dazu sind Mut und Stärke unerlässlich.
Text: Saskia Franz
Foto: Lena Grüber