Piep, piep, piep, wir haben uns alle lieb

Sticheleien und Anregungen

Diesen Spruch – gibt’s den heute noch in Kitas und anderswo?

Ich weiß es nicht. Ich bin raus aus der Praxis und kann mich nur auf „früher“ beziehen. Manchmal auch auf das, was ich von Freundinnen höre oder im öffentlich-rechtlichen Fernsehen sehe.

Mir kam das Ritual mit dem „Piep“ immer wie eine Beschwörungsformel vor: Harmonie, komm zu uns und bleib bei uns. Beschworen wird, was man sich wünscht, aber vermisst.

Ist es wünschenswert, dass sich alle lieb haben?

Mir reicht es, wenn ich die Menschen lieb habe, die mir nahestehen. Doch wer steht mir nahe? Und warum? Was bedeutet das eigentlich genau? Und: Geht es dabei nur um Blutsverwandte, um Familienmitglieder im engeren Sinne, um Mutter, Vater, Geschwister und Großeltern? Oder geht es auch um Freundinnen und Freunde, die ähnlich auf die Welt schauen wie ich und mit denen ich wunderbar lachen und streiten kann? Schließen sich streiten und lieb haben eigentlich aus?

Wie klappt lieb haben?

Liebhaben gelingt am besten, wenn es auf Gegenseitigkeit beruht. Darum klappt es in frei gewählten Beziehungen eher als in abhängigen. Zwangs-Liebhaben geht schief. Hat man keine Wahl, weil man beispielsweise noch ein Kind ist, kann Liebhaben fatal wirken: Die oft beschworene Bindung erweist sich als Fessel, die „Entbindung“ als Prozess des Erwachsen-Werdens erschwert.

Welche Bedeutung haben Feste und Rituale?

Wer Liebhaben vortäuschen muss, sollte üben, so zu tun, als ob. Besonders wichtig ist es dann, traditionelle Feste und Rituale einzuhalten. Merke: Niemals einen Geburtstag oder andere Liebhabefeste vergessen!

Weihnachten, das klassische Fest der Christenheit, wird ohne Gnade zelebriert. Alle Familienmitglieder haben sich tagelang furchtbar lieb und beschenken einander ohne Limit. Geschenke gelten als Liebesbeweise – egal, ob sie gefallen oder nicht. Man hat sich immerhin bemüht.

Die Liebe der Mutter geht durch den Magen: Ein knuspriger Gänsebraten ist kaum zu toppen. Und wenn’s gut läuft, beweist Vater seine Liebe, indem er den Baum besorgt und beim Schmücken schon mal die Schnäpse verkostet: „Ach, ist das gemütlich.“ Und: „Früher war mehr Lametta.“ Nur Dicki Hoppenstedt fällt aus der Rolle: „Zicke, zacke, Hühnerkacke!“ Ich liebe Loriots schräge Blicke auf Familie und Zwangsbeziehungen!

Die Wochen vor Weihnachten sind die umsatzstärksten im Jahr. Den Einzelhandel und die Versandhäuser freut’s. Doch für Eltern gibt es kaum eine stressigere Zeit. Und wofür das alles? Wenn schon nicht für den Weltfrieden, dann doch immerhin für den Familienfrieden. Was am Ende herauskommt, kann mittels Polizeistatistik besichtigt werden: Hauen und Stechen spätestens am zweiten Weihnachtsfeiertag, denn das „Piep“ in Dauerschleife macht selbst Engel verrückt.

Dennoch fahren erwachsene Kinder zu Weihnachten „nach Hause“. Die alt gewordenen Eltern könnten sonst traurig sein, und das will ja niemand. Haben die Kinder selbst Kinder, kehrt sich die Reiserichtung um: Nun kommen die Großeltern zu Besuch, was Stress ­potenziert, weil Oma und Opa aus Sparsamkeitsgründen auf dem Sofa nächtigen.

Zwar ist der Muttertag nicht ganz so emotional „besetzt“ wie Weihnachten, kann aber halbwegs mithalten. In Kitas bricht Wochen vorher wildes Bastelfieber aus. Schließlich erwarten die Mütter an ihrem Ehrentag einen Liebesbeweis in Form von Salzteigherzen oder bemalten Untersetzern. Etliche Exponate lagern bei mir noch heute in irgendeiner Kiste. So was schmeißt man doch nicht weg! Oder?

Langjährigen Erzieherinnen hängt der Bastelzwang ebenso zum Halse raus wie das Laternenfest. Eine Leiterin aus Bielefeld zählte ihre Restarbeitsjahre so: noch fünf Laternenfeste, noch vier, noch drei… Meine Erfahrung: Egal, wie gruselig man fand, was üblich war, die Devise hieß: durchhalten, bloß keinen Streit provozieren. Ich erinnere mich aber auch an kreative Lösungen. Ein Team in Dresden-Cossebaude schenkte den Müttern freie Zeit. Väter und Kinder wurden in die Kita eingeladen und machten was Abenteuerliches.

Eine schlaue Erfindung des Blumenhandels und der Süßwarenbranche: der Valentinstag. Immerhin reicht es, seiner Liebsten an diesem Tag eine Rose zu schenken, rot natürlich. Ich fände es schöner, wenn solche – und andere – Arten der Liebesbeweise keinen offiziellen Termin nötig hätten. Geld müssen sie auch nicht immer kosten.

Nun ja, es ist, wie es ist. Niemand kann sich dem Sog von Werbung und Tradition entziehen oder dem subtilen Druck familiärer Bindungen. Doch man könnte darüber streiten, was wichtig ist, für wen und warum. Vielleicht nicht unbedingt in der Familie, aber in der Kita. Das klärt die Luft, macht den Kopf frei und bringt auf Ideen.

Streitkultur?

Es gab eine Zeit, da war „Streitkultur“ ein Modethema im pädagogischen Arbeitsfeld. Es ging um den kultivierten Umgang der Erwachsenen mit ihren unterschied­lichen Sichtweisen. Man setzte sich zusammen, um sich auseinanderzusetzen und sich gemeinsam weiterzuent­wickeln. Das Ideal.

Ich habe etliche Seminare dazu veranstaltet, in Teams, mit Leiterinnen, Beraterinnen, Geschäftsführerinnen. Immer erlebte ich das Gleiche: Streit? Bloß nicht. Frauen sind lieb und glätten die Wogen. Darauf wurden sie seit Jahrhunderten abgerichtet: Streit vermeiden, Harmonie sichern und aushalten, was an Gewalt auf sie niederbrettert. Frauen sind keine Streithammel. Sie haben Angst vor Streit, vor allem in sozialen Arbeitsfeldern, obwohl es gerade dort viele Anlässe zum Streiten gibt. Siehe Pflege­notstand.

Wenn es um Qualität in der sozialen Arbeit geht, muss gestritten werden. Denn klar ist nichts, auch nicht nach Jahren und Jahrzehnten der Definitionsversuche. Obwohl…. Klar ist wohl inzwischen: Je nachdem, wer aus welcher Perspektive hinschaut, kommen unterschiedliche Ergebnisse heraus. Hilfreich ist folglich, zu erkennen, wer welche Interessen verfolgt und woran verdient. Beratung und Evaluation bringen mehr ein als die praktische Arbeit.

Piep, piep, piep…? Das bringt kaum voran. Streiten schon. Und es macht Spaß, wenn es nicht in Bösartigkeiten und Verletzungen abgleitet, sondern im Austausch von Argumenten oder Erfahrungen besteht. Was voraussetzt, das Gegenüber nicht als Feind zu sehen, sondern als einen Menschen mit anderem Blickwinkel.

Schön wär’s.

Vom Irrsinn des sog. Gute-Kita-Gesetzes

Warum er sich nicht wiederholen darf, erklärt Matthias Seestern-Pauly, Bundestagsabgeordneter der FDP, in seinem Gastbeitrag für wamiki.

Wie würden Sie entscheiden?

Es schien so, als wären wir in der öffentlichen Anhörung des Familienausschusses zum sogenannten „Gute-Kita-Gesetz“ nach mehreren Stunden intensiver Befragung der zehn Sachverständigen auf die Zielgerade eingebogen, als es noch einmal spannend wurde.

Die letzte Fragerunde hatte begonnen, da hoben sich sämtliche Blicke und ruhten auf der Phalanx der Sachverständigen, die gemäß der Größe der Bundestagsfraktionen von diesen benannt worden waren, in der Mitte des Ausschussrundes.

Die Frage an alle zehn Experten lautete:

„…Würden Sie in Abwägung aller Argumente, die jetzt auf dem Tisch liegen, uns nahelegen, uns zu enthalten, mit Nein oder mit Ja zu stimmen?“

Was dann folgte, hätte ein Wendepunkt sein können, sogar sein müssen: Neun der zehn geladenen Sachverständigen bekannten in kurzer Folge, dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht zustimmen zu können. Nicht eine positive Stimme fand sich, die dem Gesetzentwurf – abgesehen von dem grundsätzlichen Ziel, die Kita-Qualität verbessern zu wollen – etwas abgewinnen konnte.

Neun Mal ‚Ich würde dem vorliegenden Entwurf nicht zustimmen ‘ – bei einer Enthaltung, da die zehnte Sachverständige von ihrem Verband kein Votum mit auf den Weg bekommen hatte.

Wenn man sich vor Augen führt, dass auch die von Union und SPD benannten Sachverständigen den Gesetzentwurf nicht zustimmungsfähig fanden, stellt sich die Frage: Was war passiert?

Dass wir als Freie Demokraten berechtige Kritik üben, auf Problemstellen hinweisen und auf Verbesserungen hinwirken, ist verständlich. Die engmaschige Kontrolle der Regierung und ihrer Arbeit ist Kernaufgabe guter Oppositionsarbeit. Dass jedoch auch Vertreter von Zivilgesellschaft, Stiftungen und Sozialverbänden ein Gesetz so eindeutig ablehnen, wie das sogenannte „Gute-Kita-Gesetz“, würde normalerweise nur eines bedeuten: zurück ans Reißbrett!

Doch es geschah nichts. Nicht eine der grundlegenden Problemstellen und nicht einer der Kritikpunkte wurde im Nachhinein der öffentlichen Anhörung – wie normalerweise parlamentarischer Usus – durch Änderungsanträge der Regierungskoalition zumindest in Ansätzen korrigiert.

Was, also, war passiert?

Den Beratungen war ein jahrelanger, gemeinsamer Prozess der Abstimmung zwischen Bund und Ländern vorausgegangen. Jedoch muss festgestellt werden, dass das von Ministerin Giffey vorgelegte Gesetz deutlich von den beschlossenen Eckpunkten der Jugend- und Familienministerkonferenz (JFMK 2017) abweicht.

Das ursprüngliche Ziel der JFMK war es, dass der Bund sich verlässlich an den Kosten für den Ausbau der Kita-Qualität beteiligt. Die Bedingung im Gegenzug: Die Finanzmittel müssen zielgerichtet, wie vereinbart, von den Ländern eingesetzt werden.

An diesem Punkt begann der Prozess in den Händen von Familienministern Giffey an drei Stellen zu zerfasern und vom Vereinbarten abzuweichen:

• verlässliche Finanzierungsbeteiligung des
Bundes (über 2022 hinaus),

• klare Vereinbarungen mit den Ländern über
den Einsatz der Mittel,

• anschließende Kontrolle der Mittelverwendung durch bundesweit vergleichbare Qualitäts­standards.

Dieser Dreiklang aus verlässlicher finanzieller Unterstützung des Bundes im Gegenzug für überprüfbare Investitionen der Länder in vorher festgelegte Qualitätsfelder sollte die Basis für dauerhafte und zielgerichtete Verbesserungen der Kita-Qualität sein.

Es kam anders.

Es kam das sogenannte „Gute-Kita-Gesetz“

Wer verstehen will, wie sich der anfänglich vielversprechende Fahrplan der JFMK zum „Gute-Kita-Gesetz“ verpuppte, der braucht nur diese drei Punkte beleuchten. Doch der Reihe nach.

Bildung ist grundsätzlich Ländersache. Das bedeutet zum einen, dass die Länder alleine über die Ausgestaltung der Bildungspolitik entscheiden; es bedeutet aber auch, dass der Bund nur unter strengen Auflagen Geld an die Länder für die Bildung überweisen darf.

Im Falle des sogenannten „Gute-Kita-Gesetzes“ ist „überweisen“ jedoch nur eine Umschreibung. Hier überlässt der Bund den Ländern einen größeren Teil der Einnahmen aus der Umsatzsteuer. So erhalten die Länder ein Teil des Geldes, das dem Bund zugestanden hätte.

Eine solche Umschichtung der Umsatzsteuer darf aber nicht per se an Investitionen in die Bildung geknüpft sein: Daher will der Bund mit jedem Bundesland einen separaten Vertrag über die Verwendung der zusätzlichen Mittel schließen. Aber diese Verträge sind wenig mehr, als Feigenblätter. Denn wenn die Länder sich sodann nicht an die Absprachen der Verträge halten, gibt es keinerlei Sanktionsmöglichkeiten des Bundes. Denn die Mittel aus der Umsatzsteuer dürfen eben nicht zweckgebunden sein. Versuchte der Bund über Sanktionen eine bestimmte Verwendung des Umsatzsteuereinkommens der Länder zu erzwingen, so wären dies „goldene Zügel“, mit denen der Bund die Länder an die Kandare nähme. Und das wäre grundgesetzwidrig.

Um der (ungebundenen) Umsatzsteuerumlage dennoch den Anstrich der Seriosität zu verleihen, sollen also nach dem Willen der Bundesregierung Verträge zwischen Bund und Ländern die Kriterien der Mittelverwendung festlegen. Und zwar ohne jedwede Sanktionsmöglichkeit des Bundes. Grundlage für die Kriterien der Mittelverwendung in den Bund-Länder-Verträgen sind die Handlungsfelder, der „Instrumentenkasten“, des Bundesgesetzes. In diese Handlungsfelder zur Qualitätsverbesserung sollen die Länder das zusätzliche Geld des Bundes investieren.

Und hier findet sich deutlich die Handschrift von Frau Giffey wieder; leider, muss man sagen.

Warum?

Erstens: Frau Giffey hat sich in den Verhandlungen mit den Ländern über die Ausgestaltung der Handlungsfelder, in die die Länder die zusätzlichen Bundesmittel investieren können, ein Trojanisches Pferd in ihren Gesetzentwurf schreiben lassen: die pauschale Beitragsfreiheit.

Vorneweg: Eine soziale Staffelung der Beiträge ist ausdrücklich zu begrüßen und zwar nicht nur für Eltern im Sozialbezug, sondern insbesondere auch für Alleinerziehende und Eltern, für die der Kitabeitrag trotz Berufstätigkeit eine große Belastung darstellt. Kurz: Der Kitabesuch darf nicht am Geldbeutel der Eltern scheitern.

Dass die Länder auf die Beitragsbefreiung für alle als Teil des Instrumentenkastens drängten, ist vor dem Hintergrund teurer Wahlkampfversprechen grundsätzlich nachzuvollziehen, wenngleich man auch diese Intention kritisch hinterfragen muss. Festzustellen ist, dass die Länder sich am Ende durchgesetzt haben. Mehr Geld vom Bund, ohne Auflagen, aber mit dem Feigenblatt der pauschalen Beitragsfreiheit als Teil der Handlungsfelder ist für sie ein Geschenk.

Dieses Ländergeschenk ist aber eben auch schlechte Bundespolitik. Denn wenn es einen verlässlichen finanziellen Ausgleich des Bundes in Milliardenhöhe geben soll, dann muss die Bundesebene auch ein berechtigtes Interesse daran haben, dass die Finanzmittel nachvollziehbar in den dringend benötigten, tatsächlichen Qualitätsausbau fließen – und nicht, wie nun geschehen, ein Großteil der Mittel in der Refinanzierung von Wahlgeschenken versickert.

Denn angesichts des eklatanten Nachholbedarfs bei verbesserten Rahmenbedingungen für Fachkräfte, dem Betreuungsschlüssel, der Sprachförderung, der Entlastung der Kita-Leitungen und des baulichen Investitionsbedarfs für ein gutes Betreuungs- und Arbeitsumfeld in den Kitas ist eine pauschale Beitragsfreiheit zum jetzigen Zeitpunkt kontraproduktiv.

So sollen beispielsweise nach dem Willen der Rot-Schwarzen Landesregierung in Niedersachsen über 80 Prozent der vom Bund für den Qualitätsausbau vorgesehenen Finanzmittel in die Refinanzierung der pauschalen Beitragsfreiheit fließen. Dementsprechend niedrig sind die noch übrigbleibenden Mittel für tatsächliche Qualitätsinvestitionen.

Doch damit nicht genug. Durch dieses Vorgehen geraten die Kommunen sogar doppelt finanziell unter Druck: Denn die Ausgleichzahlungen der Länder reichen oftmals nicht aus, um die durch die pauschale Beitragsfreiheit gerissenen Haushaltslöcher zu stopfen. Eine Kommune, der die Elternbeiträge wegbrechen, fehlt das Geld an allen anderen Ecken und Enden. Die Folge: Die Kommunen müssen zusätzlich eigene Mittel für die Finanzierung der pauschalen Beitragsfreiheit aufwenden, die dann für bessere Rahmenbedingungen in der Bildung vor Ort fehlen.

Und was geschieht erst, wenn die Bundesmittel ab 2023 wieder wegfallen sollten? Kürzen die Länder dann ihre Ausgaben oder führen sie die Elternbeiträge wieder ein?

Zweitens: Selbst die Bundesländer, die die Mittel des Kita-Gesetzes nicht für die pauschale Beitragsfreiheit ausgeben, haben keinen verlässlichen Anreiz, keine Planungssicherheit, um in die wertvollste aller Qualitätsmerkmale zu investieren: gut ausgebildete und bezahlte Fachkräfte. Denn Personalkosten sind Langzeitverpflichtungen. Aber wer investiert in mehr Fachkräfte, wenn nur Geld für die nächsten vier Jahre zur Verfügung steht? Kaum jemand.

Drittens: Selbst die Möglichkeit, in den Bund-Länder-Verträgen zumindest wirkungsvolle Kontrollmechanismen über den Fortschritt bei der Qualitätsentwicklung zu vereinbaren, ist verbaut. Ministerin Giffey hat sich eine Frist bis zum 1. August 2019 gesetzt. Bis dahin müssen mit allen 16 Ländern entsprechende Verträge geschlossen sein. Geschieht dies nicht, können selbst diese Feigenblätter der Kontrolle nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Länder im Einsatz der zusätzlichen Mittel ungebunden sind. Das ist ein gehöriges Pfund, mit dem die Länder in den Vertragsverhandlungen wuchern können.

An dieser Stelle noch einmal zur Erinnerung: Der Dreiklang aus verlässlicher finanzieller Unterstützung des Bundes im Gegenzug für überprüfbare Investitionen der Länder in vorher festgelegte Qualitätsfelder sollte die Basis für dauerhafte und zielgerichtete Verbesserungen der Kita-Qualität sein.

Dies umzusetzen und in einem Konsens zu vereinen, hat Bundesministerin Giffey nicht geschafft.

Was am Ende bleibt ist das Bild einer Ministerin, die ihr Gesicht wahren musste. Dass die Union dem Gesetzentwurf zustimmte, war einzig und allein dem Koalitionsfrieden geschuldet – um die Qualität der Kitas ging es längst nicht mehr. Das wurde von Seiten der Union nicht nur in den Plenardebatten deutlich. Da hilft es auch nicht, wenn der Gesetzentwurf in einer hübschen, wohligen Verpackung steckt („Gute-Kita-Gesetz“), in der Hoffnung, dass die Öffentlichkeit denkt, alles sei Gold, was glänzt. Mitnichten.

Denn das Gesetz heißt offiziell Kita-Qualitäts- und Teilhabeverbesserungsgesetz. Das ist zwar kein wohliger Name, aber er macht unmissverständlich klar, worum es eigentlich gehen sollte: Qualitäts- und Teilhabeverbesserungen. Nicht pauschale Beitragsfreiheit im ersten Schritt. Nicht Gelder ohne Vorgaben und mit der Gießkanne für die Länder.

Wie also hätte ein gutes Kita-Qualitäts- und Teilhabeverbesserungsgesetz ausgesehen?

Die pauschale Beitragsfreiheit wäre nicht Bestandteil. Wohlgemerkt: die pauschale Beitragsfreiheit. Denn wenn die Beiträge zu einem Hindernis werden, die Kinderbetreuung überhaupt in Anspruch zu nehmen, ist die Befreiung von Beiträgen in diesen Fällen tatsächlich auch eine Qualitätsverbesserung. Ein wirklich gutes Kita-Gesetz hätte den Einsatz von Bundesmitteln also auf die Gegenfinanzierung einer fairen Sozialstaffel bei den Beiträgen beschränkt – im Interesse der Eltern und Kommunen.

Auch die Kontrolle der Mittelverwendung durch die Länder hätte mit einer wissenschaftlich fundierten Ausgestaltung der Handlungsfelder sichergestellt werden können: Wenn zum Beispiel klare, wissenschaftlich fundierte Zielkorridore für den Fachkraft-Kind-Schlüssel vorgegeben wären, dann ließen sich die Fortschritte in den Ländern auch tatsächlich und objektiv bewerten. Zum Vergleich: Im Gesetz von Ministerin Giffey heißt es lediglich, ein „guter“ Fachkraft-Kind-Schlüssel solle erreicht werden. Wie dehnbar der Begriff „gut“ ist, verdeutlicht sich so nicht nur beim Namen des sogenannten „Gute-Kita-Gesetzes“.

Zu guter Letzt der wohl problematischste Punkt: die fehlende Verstetigung, die fehlende verlässliche finanzielle Beteiligung des Bundes, die auch Personalausgaben nachhaltig ermöglichen würde.

An diesem Punkt ist die Haltung der Freien Demokraten klar: Wir brauchen endlich die Reform des Bildungsföderalismus! Wir können nicht für jedes Gesetz, für jedes Programm erneut zwischen Bund und Ländern ringen. Und für mich und meine Fraktion ist klar: Kitas leisten mehr als bloße Betreuung; Bildung beginnt in der Kita! Wir brauchen verlässliche Rahmenbedingungen, die es dem Bund erlauben, strukturell in Bildung zu investieren.

Um den Irrsinn des sogenannten „Gute-Kita-Gesetzes“ nicht zu wiederholen, sind diese Rahmenbedingungen unabdingbar. Investitionen in die Zukunft der Bildung, in die Zukunft unserer Kinder, dürfen nicht vom (fehlenden) Verhandlungsgeschick einer Bundesministerin und den Wahlkämpfen in den Ländern abhängen.

Das ist unverantwortlich, unverständlich und zukunftsvergessen.

Denn weltbeste Bildung ist die beste Chancengleichheit – und zwar für alle!

Text: Matthias Seestern-Pauly

Verhaltens­auffällig

Gerlinde Lill versenkt pädagogische Begriffe.

Aha, da haben wir wieder ein verhaltensauffälliges Kind. Wodurch fällt es auf?

Es rennt und hampelt, sitzt nie still, ist hyperaktiv. Es haut andere Kinder, schubst und beißt, ist aggressiv. Es will immer Bestimmer sein. Es kann sich nicht konzentrieren. Es will beim Morgenkreis nicht mitmachen, sondern immer nur bauen, Fußball spielen oder… Es fordert ständige Beachtung, ist distanzlos. Es spielt den Kasper, will

immer im Mittelpunkt stehen.

Zunächst einmal: Der Begriff „verhaltensauffällig“ trifft zu. Das Kind fällt durch sein Verhalten auf. Es fällt in irgendeiner Weise aus dem Rahmen, verhält sich anders als gewohnt oder üblich.

Für sich genommen wäre das ja kein Makel. Anders zu sein als andere, etwas Besonderes zu tun oder aufzufallen, das könnte ja auch zur Konsequenz haben, besonders beachtet und anerkannt zu werden. Doch diesen Klang hat der Begriff „verhaltensauffällig“ eher nicht. Wenn ein Kind als „auffällig“ bezeichnet wird, dann meint das fast immer: Es ist „gestört“.

Ob es wirklich gestört ist oder eher gestört wird – dieser Frage wird selten weiter nachgegangen. Abweichendes Verhalten stört und soll abgestellt werden. Deshalb sucht man schnell nach Ursachen. Am Liebsten in der Familie.

Typische Erklärungsmuster:

• Die Eltern setzen keine Grenzen.

• Die Eltern erwarten zu viel und setzen ihr Kind unter Leistungsdruck.

• Die Eltern sind extrem ängstlich.

• Die Eltern trennen sich gerade.

• Die Eltern kümmern sich vorwiegend um das jüngere Geschwisterkind.

• Die Eltern haben kein Interesse an ihrem Kind und parken es vorm Fernseher. Es bleibt zu lange in der Kita, ist morgens das erste und abends das letzte Kind. Es wird mit Konsum überschüttet, aber Zuwendung ist Mangelware.

• Die Mutter ist völlig überfordert.

• Die Mutter ist alleinerziehend.

• Die häuslichen Verhältnisse sind beengt, von Gewalt geprägt oder…

• Kein Wunder, wenn das Kind verhaltensauffällig ist.

Der Druck nimmt zu

Solchen Aussagen liegen häufig Vorstellungen über Familie und „richtiges“ Elternverhalten zugrunde, die sich am idyllischen Bild der traditionellen mittelständischen Kleinfamilie orientieren. Diesem Bild entsprechen immer weniger Familien.

Die Frage nach der Lebenssituation des Kindes in seiner Familie, nach der Situation der Familie überhaupt ist zweifellos wichtig. Doch reicht es, die häuslichen Bedingungen unter die Lupe zu nehmen, um das Verhalten von Kindern zu entschlüsseln? Wohl kaum.

Übliche Konsequenzen:

Das Kind wird ermahnt, reglementiert, manipuliert, „sanft“ gezwungen, ruhig gestellt, bestraft, abgesondert … Dauerkonflikte und Dauerbelastungen bleiben in aller Regel erhalten.

Eltern werden zum Gespräch gebeten. Es wird ihnen ein Besuch beim Therapeuten, beim Kinderarzt oder bei der Familienberatung empfohlen. Sie bekommen ein schlechtes Gewissen, weil ihr Kind nicht so funktioniert, wie es soll. Sie machen sich Sorgen, geraten unter Druck und erhöhen den Druck auf das Kind.

Häufige Vermutung:

ADHS. Erleichterung, wenn das bestätigt und mit Pillen behandelt wird. Jetzt weiß man endlich, was mit dem Kind ist. Es ist krank.

Akzeptanz von Differenz? Fehlanzeige

Auffallend bei den üblichen Beschreibungen und Interpretationen: Vor allem Jungen bekommen den Stempel „verhaltensauffällig“. Ihre ausladenden Spiele, ihre lautstarke Präsenz, ihr Übermut, ihre Lust am Kräfte-Messen und ihre überhaupt schwer zu bändigenden Kräfte sind für viele Frauen befremdlich. Männern hingegen fällt das weniger unangenehm auf, denn sie erinnern sich…

Auffallend ist auch: Lautstärke und Bewegungsfreude sind eher ein Grund für pädagogische Besorgnis als leises Elend. Das fällt weniger auf.

Und daran fällt auf: Nicht die Not eines Kindes steht im Zentrum der Aufmerksamkeit. Nicht das Problem, das es hat, führt zu weiteren Überlegungen, sondern das Problem, das es macht. Erwachsene machen sich vor allem dann Sorgen, wenn ein Kind von der Norm abweicht, wenn womöglich „etwas nicht stimmt“ und deshalb besondere Förderung notwendig wird.

Übrigens: Auch Erwachsene, die aus dem Rahmen fallen, bekommen schnell einen Stempel verpasst. Die Bereitschaft zur Akzeptanz von Differenz ist trotz wachsender Individualisierung und Vielfalt von Lebensformen noch immer nicht sehr ausgeprägt. Warum sollte das in der Kita anders sein? Sollte es? Es sollte.

Was ist unser Part?

Professionelle Pädagoginnen und Berater sind sich meistens einig. Selten kommen Zweifel auf. Doch vermeintliche Gewissheiten in Frage zu stellen ist ein Schlüssel zum Verstehen. Ein weiterer Schlüssel liegt darin, in Beziehung zum Kind zu gehen und ein dritter in der kritischen Frage nach der eigenen Wahrnehmung und Interpretation.

Wenn wir Kinder wirklich in ihrer Entwicklung unterstützen wollen, müssen wir uns auf sie einlassen, genau hinschauen, zuhören und nachfragen. Wir müssen ihre Verhaltensweisen als das sehen, was sie sind: ihre individuellen Antworten auf die Umstände ihres Lebens. Wir müssen ihre Signale zu verstehen suchen, um angemessen reagieren zu können.

Wir dürfen den Blick dabei nicht allein auf das Kind und sein familiäres Umfeld richten, sondern auch und vor allem auf seine Situation und die Bedingungen in der Kita:

• Wo ist die Not des Kindes? Was bewegt das Kind? Welche Gefühle können wir erkennen?

• Fühlt es sich eventuell in seinem Tun gestört? Kann es seine Spiele oder Forschungen in Ruhe zu Ende führen? Findet es die Dinge vor, die es interessieren? Findet es genügend Herausforderungen in der Kita, die seine Neugier befriedigen oder wecken?

• Anders geschaut: Was ist an diesem Kind besonders liebenswert? Durch welche Fähigkeiten und Interessen fällt es besonders auf? Und: Was ist mein Anteil daran, dass die Beziehung zu diesem Kind schwierig ist? Was stört mich? Zugespitzt: Wo liegen meine, unsere Verhaltensalternativen?

Die meisten Kinder verbringen einen großen Teil ihres wachen Lebens in der Kita. Hier machen sie Erfahrungen mit Beziehungen und Strukturen. Hier erleben sie Achtung und Beachtung ihrer Besonderheit – oder auch nicht. Hier machen sie prägende Erfahrungen, die für ihr Selbstbild von Bedeutung sind.

Die Frage ist also vor allem: Was ist unser Part? Was können wir dazu beitragen, dass sich jedes Kind gesehen und geachtet fühlt – so, wie es ist, und nicht so, wie es sein soll, aber leider, leider noch immer nicht ist. Was können wir tun, um bedenkliche Entwicklungen zu erkennen? Wir müssen uns ernsthaft damit auseinandersetzen, wie Kindern geholfen werden kann, die unglücklich sind, desinteressiert wirken, ständig in Konflikte geraten, ausgegrenzt werden oder deren Entwicklung stagniert. Und was ist noch bedenklich? Wenn ein Kind den Stempel „verhaltensauffällig“ bekommt. Das hilft ihm nicht, es schadet nur. Deshalb lassen Sie uns den Begriff mitsamt der daran hängenden Scheingewissheit an einen dicken Stein binden und über Bord werfen. Platsch.

 

Neu bei wamiki:

Begriffe versenken

Bezugskinder, Elternarbeit, Haltungs­änderung, Wachkinder….
Was sprichst Du? Was willst Du damit sagen?
Welchen Wörtern gehst Du auf den Leim?

Begriffe versenken. Was ist das für ein Spiel?
In unserer pädagogischen Alltagssprache benutzen wir häufig Begriffe, die nicht mehr auf der Höhe der Zeit sind. Oft sind sie auch nicht auf der Höhe dessen, was wir tatsächlich tun. Lassen wir uns auf den Gedanken ein, die Gewohnheitswörter der pädagogischen Szene auf ihren Gehalt zu überprüfen, kommen wir gar nicht mehr aus dem Versenken und Waschen heraus. Denn in den meisten Begriffen steckt ein längst überholtes Rollen- und Berufsbild. Kein Wunder, Sprache verändert sich. Aber nur allmählich. Der erste Schritt ist, das Unsichtbare sichtbar zu machen. Dazu sollen die in diesem Buch gesammelten Beispiele dienen. Gespielt wird mit 37 pädagogischen Unwörtern von A wie Abholen über E wie Elternarbeit, H wie Haltungsänderung bis Z wie Zielvereinbarungen.

„Ich ging
den Worten auf
den Leim.“

Peter Maiwald

 

Halleluja!

Mit Ozobots, Ultimaker und Littlebits besser scheitern? Digitale Technik entfaltet eine ungebrochene Anziehungskraft, eine Mischung aus Faszination und Schrecken. Ein Sog, unaufhaltsam der Zukunft entgegen, dem man sich kaum entziehen kann, wenn man in europäischen Bildungseinrichtungen arbeitet. Ich habe gegen mehr Roboter, 3D-Drucker und Computer im Kindergartenalltag nichts einzuwenden. Im Gegenteil. Ich bin aber mittlerweile…

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Ein musikalisches Kita-ABC

Seid Ihr auf der Suche nach originellen Musik-Ideen für die Kita, nach schwungvollen Möglich­keiten, Musik und Spiel zu verbinden? Kein Problem! Von A wie „Alle summen ihren schönsten Ton“ bis Z wie „Zippel-Zappel-Tanz“ hält das musikalische Kita-ABC jede Menge Ideen bereit: von der Gestaltung kleiner Musik-Momente bis zum bühnenreifen Auftritt. Zu jedem Buchstaben des ABC…

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Freispiel

Über Sinn und Unsinn pädagogischer Gewohnheitswörter

Schauen wir uns den Tagesablauf in Kita und Grundschule an, dann finden wir einen Wechsel von gelenkten Zeiten und sogenanntem Freispiel. Die eine Zeit – von Erwachsenen vorgeplant – gilt gemeinhin als pädagogische Zeit. Die andere trägt den Charakter von Erholungspausen oder Übergangszeiten. Steckt dahinter nicht ein völlig verdrehter Begriff von Freiheit und Spiel?

Freispiel – sozusagen ein weißer Schimmel?

Der Wortteil „frei“ im Begriff „Freispiel“ legt verschiedene Assoziationen nahe: Freiheit – freie Wahl – freie Zeit – frei von der Dominanz Erwachsener – Unabhängigkeit – unbeobachtet sein…

Bei „Spiel“ fällt uns sofort ein: Lust – Vergnügen – Leichtigkeit – Ungezwungenheit – eigene Impulse – der Mensch ist nur Mensch, wenn er spielt – spielerisches Aneignen von Welt – Spiel ist Lebenstraining… Unwillkürlich denke ich bei freiem Spiel an den Gegensatz zu unfreiem. Gibt es das? Natürlich. Es gibt ja sogar den Begriff des gelenkten Spiels. Aber ist gelenkt zugleich unfrei und unfroh? Oh je, jetzt wird es philosophisch! Sowohl der Freiheitsbegriff als auch der Begriff des Spiels haben tiefere Dimensionen zu bieten. Zu tief für diesen Beitrag. Aber vielleicht nicht zu tief, um „Freispiel“ zu versenken.

Was heißt „frei“?

Gehen wir die Sache doch mal pragmatisch an. „Freispiel“ bezeichnet diejenigen Zeiten, in denen Kinder wählen können, was sie spielen wollen. Wo sie dies tun, das ist zumeist schon wieder vorgegeben: entweder alle drinnen oder alle draußen, schlimmstenfalls alle in einem Raum… Die Wahl der Spielpartner ist durch begrenzte Räume und Gruppenschranken ebenfalls eingeschränkt. Und selbst dort, wo Spielorte und Spielpartner frei gewählt werden dürfen, gibt es oft starre Regeln: Nur fünf Kinder zugleich in diesem Raum.

Wie realitätsnah ist also der Begriff? Was meint „frei“ heute? Wenn ich an meine eigene Kindheit denke, in der wir vor und außerhalb der Schule unsere Spiele und Beziehungen wirklich frei von erwachsener Einmischung gestalten konnten, dann trifft der Begriff eher zu. Allerdings kannte ihn damals niemand. Spiel war immer frei. Natürlich gab es Vorgaben: „Wenn die Lichter angehen, kommst du nach Hause.“ Oder: „Ihr spielt nicht in den Ruinen.“ Aber niemand wäre auf die Idee gekommen, uns vorzuschreiben, was, wie und mit wem wir spielen. Wer da war, war da. Die Regeln des Zusammenspiels bestimmten wir selbst und haben uns im wahrsten Sinne des Wortes zusammengerauft. Es gab „Chefchen“ und Außenseiter. Was gespielt wurde und wer mitspielen durfte, das wurde immer wieder neu ausgehandelt. Zwar trugen wir manche Blessuren davon, aber das wunderbare Gefühl von Freiheit kann ich noch heute spüren.

Und unsere Kita-Kinder? Die Freiheit der Wahl hat ihre Grenzen in der Welt, die wir den Kindern bieten. Ist diese Welt sehr stark begrenzt, sind es auch die Spiel- und Freiheitsräume – und das bedeutet: die Erfahrungs- und Handlungsmöglichkeiten. Dramatischer als gegebene Begrenzungen erscheint mir aber der grundsätzliche Irrtum, selbstbestimmte und spielerisch genutzte Zeit für nicht so bedeutsam zu halten wie pädagogisch gelenkte Zeit. Denn Bildung findet immer statt und – von Pädagogen unbemerkt – mindestens so nachhaltig im freien Spiel wie im gemeinsamen und geplanten Tun.

Fragen ohne Antworten

Was macht es uns Erwachsenen so schwer, die (Frei-)Räume der Kinder auszudehnen? Was hindert uns, ihren Impulsen „Futter“ zu geben, ohne sie zu dominieren? Was befürchten wir, wenn Kinder tun, was für sie von Bedeutung ist? Warum fällt es uns so schwer, die spielerischen Lernprozesse der Kinder wahrzunehmen und nicht zu unterbrechen? Warum sehen wir nicht die Ernsthaftigkeit in ihrem Spiel? Warum erkennen wir nicht, welche Potenziale sich im Spiel entfalten?

Haben wir Angst vor der ungezügelten Lebensfreude der Kinder? Misstrauen wir dem wilden Spiel der Kräfte? Sind wir gar neidisch? Befürchten wir, die Kinder könnten das Leben für ein Wunschkonzert halten und später böse erwachen? Treibt uns die Sorge um, dass sich bestimmte Fähigkeiten – Schere oder Stift halten zum Beispiel – nicht entwickeln? Fürchten wir uns davor, mehr und mehr überflüssig zu werden? Oder können wir einfach nicht mehr nachvollziehen, was bei den Kindern passiert, weil wir aus dem Stadium heraus sind, in dem Realität und Fantasie verschmelzen? Bedeutet, erwachsen zu werden, beides zu trennen?

Und halten wir es für einen päda­gogisch wertvollen Beitrag zur Entwicklung von Kindern, die Zeit zu be­schränken, in der sie die Realität nach eigenen Ideen fantastisch verwandeln?

Viele offene Fragen und keine Antworten. Aber das macht nichts. So viel können wir uns doch immerhin vornehmen: Wir sollten locker­er werden, gelassener und aufmerksamer. Versenken wir das Freispiel samt seinem Gegenüber und fischen wir stattdessen nach mehr Freiheit und Spiel für Kinder und für uns.

Wahrheitslügen. Ein persönlicher Blick zurück

„Ehrlich währt am Längsten.“ „Lügen haben kurze Beine.“ „Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, und wenn er auch die Wahrheit spricht.“ „Der liebe Gott sieht alles.“ Sind Sie auch mit solchen Sprüchen aufgewachsen? Wahrscheinlich. Denn ob mit oder ohne Verweis auf Gott – gegenüber Eltern galt die eiserne Regel: Sag die Wahrheit! Schon Verschweigen…

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Neues Positionspapier – Willkommen Konkret

In Willkommen KONKRET – dem Berliner Bündnis für Kinder geflüchteter Familien, arbeiten seit Anfang 2015 Menschen aus der frühpädagogischen Praxis und Theorie, aus Verwaltung, Beratung, Therapie, Fort- und Weiterbildung sowie weiteren Arbeitsfeldern zusammen.

Alle Beteiligten setzen sich dafür ein, dass Kinder geflüchteter Familien Zugang zu Bildung, Erziehung und Betreuung erhalten. Wie den schon immer in Berlin lebenden Kindern sollen ihnen die gleiche Aufmerksamkeit, Fürsorge und die gleichen Leistungen zukommen.

Begonnen hatte das Bündnis Willkommen KONKRET vor allem mit der Fürsorge für sehr junge Kinder, seit dem Sommer 2017 kümmern sich alle Beteiligten auch um etwas ältere Kinder bis etwa zum Ende des Grundschulalters.

Es geht um die Unterstützung pädagogischer Fachkräfte, um Vernetzung, Weiterbildung aber auch um deutliche Formulierung politischer Forderungen. 2015 und in diesem Jahr gab es dazu Fachtage.

Soeben wurde ein aktuelles Positionspapier verabschiedet, das wamiki unterstützt und deshalb auch gern verbreitet. Interessierte können es sich hier im PDF-Format herunterladen.

Download: Handout Positionspapier Willkommen Konkret

Weitere Informationen zum Bündnis findet Ihr auf: www.willkommen-konkret.de

„Wir lieben Kinder und Familien!“

Ein Besuch auf den Seiten des Kinder- und Jugendmarketings

Viele Pädagogen sehnen sich danach, Kinder zu prägen, und hoffen im Stillen, lebenslang in Erinnerung zu bleiben. Das können andere Leute viel besser – die Kinder- und Jugendmarketingprofis nämlich. Sie bestimmen, so meine These, die Entwicklung von Kindern stärker mit, als es uns Pädagogen und Eltern bewusst ist. Gut, dass sie im Netz freimütig – und nur an manchen Stellen ein wenig verhalten – berichten, wie sie das tun. Solche Netzfunde habe ich gesammelt und geordnet, auf dass die Leserschaft sich ein Bild mache: Wie und wo spricht das Kindermarketing Kinder an?


Wann sollte ich mit dem Kindermarketing beginnen? So früh wie möglich: „Je früher Marketingpräferenzen entstehen, desto stabiler und länger wird die Beziehung zu einer Marke oder einem Produkt anhalten.“ Ok.
Wie komme ich an kleine Kinder heran, um ihnen Markenprodukte und deren Vorteile zu präsentieren? Ich mache „Werbung in Kindergärten – denn die Kleinen entscheiden mit. Sie haben Mitspracherecht beim Kauf von Produkten und Lebensmitteln im Supermarkt, bei der Auswahl von Einrichtungsgegenständen oder der eigenen Kleidung.“ Ach so, ich kann in der Kita Produkte vorstellen, die zu kaufen Kinder dann ihre Eltern zwingen? Na klar, denn: „Schon längst sind Kinder die heimlichen Oberhäupter in ihren Familien und bestimmen, wo es lang geht!“

Aber wie werbe ich im Kindergarten? „Ob Malbücher, Zahnbürsten, Comics oder Backzutaten: Kindergartenmarketing mit edukativem Charakter lässt sich bestens in den Kindergartenalltag integrieren.“ Wie bitte? Edukative Backzutaten? Macht Dr. Oetker neuerdings Zupfkuchen-Projekte? Wahrscheinlich, denn er weiß, Kinder „sind besonders empfänglich für Informationen und Inhalte, die in spannende und aufregende Aufgaben und Aktionen eingearbeitet sind“. Aber immer schön aufpassen: „Durch die Organisation und Betreuung von projektbezogenen Erlebnistagen erreichen wir die junge Zielgruppe überzeugend, ohne einen werblichen Eindruck zu hinterlassen.“

Checken denn die pädagogischen Fachkräfte nichts? „Erzieher, die zwar pädagogisches, nicht aber betriebswirtschaftliches und organisationsgesteuertes Knowhow besitzen, unterstützen wir durch die Einführung von medialen Partnerschaften.“ Aha, verstehe: Du zwar lieb, aber nix gutes Projekt hinkrieg. Wir von Puddingfabrik dir helfen: „Gemeinsam entwickeln wir Informations- und Aufklärungsplakate für Eltern und beraten sie bei der Organisation von internen und externen Veranstaltungen in ihrem Kindergarten oder der Kindertagesstätte.“ Vielleicht so: Liebe Eltern, herzlich willkommen zum Elternabend powered by Kaufhalle, hier in unserem gemütlichen Zewawischundweg-Raum!

Na gut, in der Kita mag das klappen – schon angesichts des Personalmangels. Aber in der altehrwürdigen Schule ist das unmöglich, oder? Denkste! „Werbung an Grundschulen ist möglich, wenn man die gesetzlichen Rahmenbedingungen berücksichtigt und vor allem immer den pädagogischen Nutzwert für die Schülerinnen und Schüler im Auge behält.“ Außerdem: „Mittlerweile verfügen selbst junge Schüler zwischen 6 und 7 Jahren immer noch über mehrere hundert Euro Sparvermögen.“ Allein an der Grundschule gibt es laut Agenturseite 2 708 752 potenzielle Sparbuchbesitzer.
Und worin besteht der besagte pädagogische Nutzwert? Zum Beispiel in fix und fertig gelieferten Unterrichtseinheiten, die „Lehrer/innen entlasten und bereichern mit lehrplankonformem, hochwertigem Unterrichtsmaterial zum Thema Hör- und Sprachkompetenz“. Worum geht es genau? Zum Beispiel darum, „das Image der Serie ‚Fünf Freunde‘ und die Stärken des ‚Kulturguts‘ Hörspiel als edukatives Instrument in den Fokus zu rücken“. Pfiffige Idee, wenn auch etwas abgehoben formuliert. Überzeugender wirkt: Kinder, heute möchte ich mit euch das Kulturgut Paprika-Chips mit drei tollen Geschmäckern besprechen. Jemand Bock auf Pombär?

Auch außerhalb des Unterrichts ist die Zielgruppe Kind gut erreichbar. „Grundschüler lieben bunte Farben, tolle Muster und lustige Testimonials.“ Hä? Was ist das denn? Egal, weiter: „Nutzen Sie dieses Wissen und versuchen Sie, kreativ zu sein. Malhefte bieten sich in Grundschulen besonders an, da eine Interaktion erfolgt, das Produkt mit nach Hause genommen wird und die Schüler sich über einen längeren Zeitraum damit beschäftigen.“ Klingt klebrig. Gut, dass die gleiche Agentur zwei Absätze zuvor erklärte: „Es wäre moralisch also kaum zu vertreten, diesen Kindern auch noch Produkte anpreisen zu wollen. Tipp: Versuchen Sie den Weg lieber direkt über die Eltern als Influencer.“

Und wie kommt man an die werte Elternschaft heran? Zum Beispiel durch Veranstaltungen wie „Schulrocktour, Wissensquiz oder eine Roadshow“. Da bleibt nicht nur bei den Kids was hängen: „Ihre Werbebotschaft wird dank unserer maßgeschneiderten Konzeption spielerisch von den Schülern aufgenommen. Event und Botschaft bleiben fest und positiv im Gedächtnis verankert“, auch bei den Erwachsenen: „Hier wird Kindern etwas geboten, und Eltern erfahren sogar eine Entlastung. So können sich Unternehmen über die Wertschätzung der Kinder positiv bei den Eltern präsentieren und emotionale Verbindungen auch in ansonsten sehr sachlichen Umfeldern aufbauen.“ Donnerlittchen!

Aber womit kriegt man die Eltern am besten? Zunächst, indem man sie anflirtet: „Wir lieben Kinder und Familien!“ Das wirkt wie Balsam auf die Seelen von Muttis und Vatis, „verächtlich Helikopter-Eltern“ genannt, weil sie sich so intensiv bemühen, „ihren Kindern einen guten Start ins Leben zu ermöglichen. Sie sind stolz auf ihre Kinder, manchmal aber auch unsicher in Erziehungsfragen und durch Beruf und Familie stark belastet.“ Gerade darum „freuen sich die meisten Eltern, wenn ihren Kindern Wertschätzung entgegengebracht wird, zum Beispiel durch ein kleines Geschenk, durch Aktionen und Kinder- oder Familien-Events, Sponsoring von Schul- oder Vereinsaktivitäten oder ähnliches.“ Zusätzlich brauchen sie Beratung – durch die lieben Kleinen selbst. „Insbesondere in Technik- und Modefragen sind sie ihren Eltern oft voraus und werden als Berater geschätzt.“ Gut, dass das Marketing diese Nachwuchsberater vorab schult.

Das hört auch nicht auf, wenn die Kinder groß werden – ganz im Gegenteil: „Die Jugendphase dehnt sich nach vorn und hinten aus, Grundschulkinder wie auch Erwachsene orientieren sich an den Teenagern und Young Adults, die in so vielen Bereichen voraus sind, neue Technologien scheinbar spielerisch beherrschen, Geschmack und Stil nicht nur ihrer Generation, sondern der gesamten Gesellschaft prägen.“ Oder, ein Fingerzeig für CDU-Innenminister: „Jugendlichkeit hat sich von der Zwischenphase zur Leitkultur der Gesellschaft entwickelt.“
Was gehört zur Jugendlichkeit? Zum Beispiel gute Freunde, deren Namen ältere Herrschaften zusammenzucken lässt: die Influencer. „Mit YouTube ziehen diese Influencer nun auch direkt in die Zimmer der Jugendlichen ein.“
Was machen sie da? „Insbesondere für junge Nutzer bringen Influencer neben Authentizität und Glaubwürdigkeit viel Inspiration für neue Marken und Produkte in den Werbemix.“ Das geht so: „Mit sehr durchdachten und klugen Kampagnen und Themen schaffen es Unternehmen, Jugendliche für ihre Produkte zu begeistern. Dabei dienen Produkt-Tests oder das sogenannte Product-Placement als wichtige Hilfsmittel. Jugendliche werden gezielt mit Informationen zu den Produkten versorgt und erkennen diese Werbung manchmal nicht.“
Ist das nicht verboten? Ja, das wissen die Profis natürlich und warnen deshalb: „Schleichwerbung ist ein großes Problem in den digitalen Medien und wird von seriösen Agenturen auch nicht eingesetzt.“ Viel wichtiger ist nämlich Folgendes: „Die Nutzer schätzen vor allem das Gefühl, durch Influencer persönlich angesprochen zu werden (29 Prozent). Ferner wurden die überzeugenden Erklärungen der Vor- und Nachteile (28 Prozent) genannt sowie, durch ihre Empfehlungen leichter entscheiden zu können (28 Prozent).“

Wehe mir, seufzt da der Oldie, der sich Sneaker und HotPants mühsam über den welken Leib zerrt, weil er auch zur Leitkultur gehören möchte: Nimmt mich das Marketing überhaupt noch wahr?
Keine Angst, es hat sogar einen schönen Namen parat: „Als ‚Silver Ager‘ oder ‚Grampies‘ (growing retired active moneyed people in an excellent state) wurde die Generation 50+“ vor rund zehn Jahren als neue Zielgruppe der Werbetreibenden identifiziert. Sie gilt als „einkommensstark und markenaffin, konsum- und lebenserfahren.“ Na, bitte!
„Für das Kinder- und Familienmarketing sind die über 50-Jährigen noch aus einem anderen Grund relevant.“ Sie sind nämlich „Schenker“, „Ermöglicher“ oder „Verwöhner“. Und: „Für die Großeltern bedeuten Kinder nicht Alltag, sondern Auszeit. In dieser Auszeit schaffen sie eine eigene Welt mit kleinen und großen Geschenken. Das Beste ist für sie gerade gut genug, gerne darf dann preislich upgegradet werden.“ „Preislich upgraden“ – das ist reine Werbepoesie!

Was sagen eigentlich die Kinder dazu? Geben wir Oskar, 12 Jahre, das Wort, der als Berater-Kid in der Imagebroschüre einer Marketingfirma zitiert wird: „Aber in der Werbung sieht man immer die neuesten Sachen, die man vorher noch nicht kannte, und man wird echt gut informiert. Das ist ein bisschen so wie Nachrichten. Dann weiß ich, was es in der Kinderwelt Neues gibt. Und es ist gut, wenn man was Neues entdeckt, dann kann man sich freuen und hoffen, dass man genug Geld hat.“
Danke, Oskar. Das war ein schönes Schlusswort.

Anmerkung:
Alle in Anführungszeichen gesetzten Sätze und Satzteile sind Webseiten von Kinder- und Jugendmarketingagenturen entnommen. (Micha Fink)

Geständnisse eines Zuckerzogenen

Ich bin mit dem Zeug groß geworden. Eine der frühesten Babygeschichten, die es über mich gibt, handelt davon, dass ich, weil mir ein Riegel Kinderschokolade im Rachen stecken blieb, unseren Planeten fast verlassen hätte. Immerhin mit einer extra Portion Milch. An diesen Slogan glaubt meine Tante heute noch und schenkt unserer Tochter regelmäßig Zehnermagazine dieser…

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Aufruf von 130 Wissenschaft­ler_innen

Qualitätsstandards in der frühen Erziehung, Bildung und Betreuung jetzt angleichen, dauerhaft verbessern und finanziell sichern

Die Forschung zu frühkindlicher Entwicklung und institutioneller Bildung, Erziehung und Betreuung liefert eindeutige Belege: Investitionen in strukturelle Rahmenbedingungen der Kindertagesbetreuung führen zu einer verbesserten pädagogischen Qualität und wirken sich förderlich auf kindliche Bildungs- und Entwicklungsverläufe aus. Dieses Wissen ist empirisch abgesichert und gut dokumentiert – jetzt muss es genutzt werden! Die Verantwortung dafür, WIE dies geschieht, liegt nach wie vor in den Bundesländern, bei den Kommunen und Trägern. Dafür, DASS diese Erkenntnisse umgesetzt werden, bedarf es jedoch enormer Ressourcen mit Unterstützung des Bundes. Um allen Kindern unabhängig von Herkunft und Wohnort gleiche Chancen zu ermöglichen, muss jede künftige Bundesregierung sicherstellen, dass auch in finanzschwachen Regionen ein bedarfsgerechter quantitativer und qualitativer Ausbau von Kindertageseinrichtungen und der Kindertagespflege ermöglicht wird. Es sollte dabei sichergestellt werden, dass die Mittel tatsächlich in der Kindertagesbetreuung und bei den Kindern ankommen. Bund und Länder haben sich in einem gemeinsam gestalteten Prozess bereits auf Eckpunkte für ein Qualitätsentwicklungsgesetz verständigt. Die unterzeichnenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler begründen den hierin ausgedrückten Willen der Politik, für alle Kinder in Deutschland auf vergleichbare Rahmenbedingungen in frühpädagogischen Institutionen hinzuarbeiten und so das

Postulat der Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse einzulösen. Sie unterstützen ausdrücklich die im Beschluss vom 18./19. Mai 20171 niedergelegte Absicht der Jugend- und Familienministerkonferenz (JFMK), die Erarbeitung eines solchen Gesetzes voran zu treiben.

Wir fordern die politisch Verantwortlichen daher auf:

(1) den Beschluss der JFMK unmittelbar nach Beginn der nächsten Legislaturperiode des Bundestags in ein Gesetzgebungsverfahren einmünden zu lassen

(2) die in Aussicht gestellte Mitfinanzierung des Bundes strukturell abzusichern, zügig zu realisieren und regelmäßig Bericht über quantitative und qualitative Aspekte des Qualitätsentwicklungsprozesses – auch unter vergleichender Perspektive – zu erstatten

(3) den Prozess der Aushandlung von Qualitätsentwicklungszielen in den Ländern unmittelbar zu beginnen, diesen partizipativ und transparent zu gestalten und seinen Fortschritt über konkret formulierte Meilensteine sicht- und überprüfbar zu machen

(4) die abzuschließenden länderspezifischen Zielvereinbarungen gemäß der neun formulierten Handlungsfelder im Beschluss der JFMK – z. B. zum Personaleinsatz oder zu Leitungstätigkeiten – grundsätzlich an empirisch abgesicherten Standards und wissenschaftlichen Erkenntnissen2 zu orientieren

(5) das bisherige Finanzierungsvolumen bzw. den erreichten Stand der Investitionen in Qualität und Qualitätsentwicklung in den Ländern unter keinen Umständen zurückzufahren, sondern zusätzliche Mittel für weitere Qualitätsverbesserungen zu verwenden

(6) die produktive Zusammenarbeit mit Wissenschaft und Forschung weiterhin zu suchen, um den Qualitätsprozess kritisch-konstruktiv begleiten zu lassen und dessen Ergebnisse und Effekte empirisch zu analysieren.

 

Initiatorinnen:
1. Prof. Dr. Susanne Viernickel (Universität Leipzig)

2. Prof. Dr. Irene Dittrich (Studiengang Kindheits­pädagogik)

3. Prof. Dr. Rahel Dreyer (Bundesarbeitsgemeinschaft Bildung und Erziehung in der Kindheit e. V.)

 

Foto: chrisko82,  photocase.de