Interview mit der Regisseurin Heide Breitel

heide breitel

Der Dokumentarfilm „Pina schaukelt. Was kleine Kinder brauchen“ (Deutschland 2016) beobachtet junge Kinder ab zehn Monaten auf Augenhöhe in ihrem Alltag in der Kinderkrippe und begleitet sie, bis sie 2 ½ Jahre alt sind. Der Film zeigt die unerschöpfliche Lernfähigkeit, Entdeckerfreude und Gestaltungslust, mit der Kleinst-und Kleinkinder die Welt erobern. – Einfühlsam begleitet von Erziehern und Erzieherinnen, die die Kunst des pädagogischen Ping-Pong-Spieles beherrschen, die die Kinder herausfordern, zugewandt und aufmerksam sind.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, einen Dokumentarfilm über Kleinkinder zu machen? Gab es einen Auslöser?

Seit dem 8. August 2013 besteht nach dem Krippenkinderförderungsgesetz bundesweit ein Rechtsanspruch auf einen Krippenplatz für alle unter Dreijährigen. Es wurde viel darüber berichtet, wie das organisatorisch zu schaffen sei. Aber wie der Tagesablauf für die Kinder aussehen soll, was sie wirklich brauchen, um wachsen zu können an Körper, Geist und Seele, ist in der Diskussion untergegangen. 2012 habe ich den Film SCHLÜSSEL ZUM LEBEN in einer Kinderkrippe in Frankfurt am Main gedreht. Seitdem war es mein Wunsch, Kinder beim Wachsen länger zu beobachten.

Einen Kindergarten zu finden, der bereit ist, sich über einen längeren Zeitraum bei der Arbeit filmen zu lassen, war sicher nicht einfach. Wie haben Sie die Kita gefunden?

Bei meiner Recherche habe ich viele Einrichtungen besucht, staatliche, kirchliche, auch privat geführte Kindergärten. Dabei habe ich den INA KINDER.GARTEN in der Dresdener Straße in Berlin kennengelernt. Diese Kita ist 1986 aus einem umgebauten Parkhaus entstanden, deshalb gibt es dort sehr viel Platz für die Kinder. Die INA KINDER.GÄRTEN arbeiten nach dem Situationsansatz: was für die Kinder in diesem Moment gerade wichtig ist, wird aufgenommen, mit den Kindern bearbeitet und weitergeführt. Bei den Kleinkindern stehen Liebe und Wärme im Vordergrund, dass sie z.B. auf den Arm genommen werden wollen, wenn sie Trost und Schutz brauchen. In der Nestgruppe für Kinder unter drei Jahren fangen drei Erzieher_innen mit nur sechs bis acht Kindern an, die zwischen neun und elf Monate alt sind. Die Gruppe wächst im Laufe der Zeit und es kommen Kinder dazu, bis sie drei Jahre alt sind. Wir haben im Dezember 2013 mit acht Kindern in der Nestgruppe angefangen zu drehen.

Wie haben Sie sich mit den Eltern abgestimmt? Waren immer alle einverstanden mit den Dreharbeiten?

Das Einverständnis von Eltern kleiner Kinder zu bekommen, setzt großes Vertrauen voraus. 2002 habe ich ICH KANN DAS SCHON gedreht, ein Dokumentarfilm mit kleinen Kindern, die Down-Syndrom haben und 2005 war ich in der FERDINAND-FREILIGRATH-SCHULE für meinen Film AUS ERFAHRUNG KLUG. Mit diesen beiden Filmen habe ich mich den Eltern vorgestellt, damit sie sehen können, wie ich arbeite. Auf einem Elternabend habe ich viele Fragen beantwortet. Es gab auch Ablehnung. Aber in der Gruppe der ganz Kleinen haben die Eltern schließlich zugestimmt. Ich wurde sehr genau befragt, weil befürchtet wurde, dass ich mich auf Kosten der Kinder profilieren will. Nachdem die Eltern meine Filme gesehen hatten und nach einem weiteren Gespräch, waren dann alle einverstanden, auch dass ich zwei Jungen und zwei Mädchen auswählen wollte, damit die Zuschauer die Kinder im Film wiedererkennen können.

Wie haben sich die Erzieher_innen auf die Dreharbeiten vorbereitet?

Vor den Dreharbeiten habe ich die Nestgruppe immer wieder besucht. Einerseits wollte ich mich mit den Kleinen vertraut machen, andererseits um mich mit den Erzieher_innen abzustimmen. Bis zum zweiten Lebensjahr entwickeln sich die Kinder in Riesenschritten. Das wollten wir auf keinen Fall verpassen. Als wir anfingen, krabbelten sie noch, dann ziehen sie sich hoch, kommen auf die Füße, wagen die ersten Schritte und Lautieren, bis sie Ein-Wort-Sätze bilden und allmählich zur Sprache kommen. In dieser rasanten Zeit haben wir monatlich gedreht. Danach sind wir seltener gekommen und der Film endet, als die Kinder ca. 2 ½ Jahre alt waren und sich als ICH wahrnehmen konnten. Mir war es wichtig, den ganz normalen Alltag zu dokumentieren, die Kinder verbringen ja oft den ganzen Tag in der Kita. An die Erzieher_innen hatten wir keine besondere Wünsche: was an diesem Tag passierte, haben wir gedreht. So gesehen arbeiten wir auch mit dem Situationsansatz.

Wie haben Sie Ihr Aufnahme-Team gefunden?

Mit den Kollegen_innen habe ich schon oft zusammengearbeitet. Wir kennen uns lange und ich habe absolutes Vertrauen, dass sie den Tag mit Kamera (Thomas Ladenburger und Ralph Netzer) und Ton (Lilly Grote) so intensiv begleiten, wie es für die dokumentarische Arbeit erforderlich ist. Alle hoch-professionell und alle auch sehr umsichtig mit den Kleinen. Die Kamera musste sich fast immer auf dem Fußboden entlang bewegen, weil wir die Kinder gerne auf Augenhöhe sehen und nicht auf sie herabblicken wollten. Das war für das Team nicht immer leicht, hat aber super funktioniert. Der kleine Luc war beim ersten Drehtag so neugierig, dass er am liebsten ganz in die Kamera hineingekrochen wäre. Beim zweiten Dreh hatten wir eine weitere Kamera dabei, die das Team filmte. Jury ist auf der Rutsche und schaut mit großen Augen in die Kamera, will genau herausfinden, was da drin ist. Das konnte ich mit den Bildern der zweiten Kamera zeigen. Lilly Grote hat sich besonders gefreut, wenn wir bei den Kleinen waren und sagte immer: „So waren wir auch alle mal.“

Die Dreharbeiten waren vermutlich voller Überraschungen, weil Sie vorher nie wissen konnten, was sie erwartet.

Stimmt. Wenn sie noch ganz klein sind, schließen Kinder schon Freundschaften. Ein Beispiel: Luc hat ein schlafendes Kind im Körbchen geschaukelt und man sieht, dass er nach oben schaut. Die Kamera folgt seinem Blick und wir sehen, wie Juri zur Tür reinkommt, die Arme hochreißt, sich freut und lacht. Beide gehen aufeinander zu und geben sich ein Küsschen. Es ist immer ein Geschenk, wenn die Kamera genau in diesem Augenblick da ist, wo sich so eine kleine Szene ereignet. Sie ist eine meiner Lieblingsszenen im Film. Inszenieren kann man nicht mit kleinen Kindern. Aber der Dokumentarfilm kann zeigen, was sie gerade tun, worüber sie sich freuen, auch worüber sie traurig sind, wenn man sich ganz einlässt und jede Sekunde nah bei den Kindern bleibt und hinschaut.

Gab es auch Zeiten, in denen die Arbeit schwierig war?

Im Team gab es keine Schwierigkeiten, alle haben sich immer gefreut, die Kinder wiederzusehen. Für die Erzieher_innen war es schwerer, weil die Dreharbeiten doch ein Eingriff in ihre Arbeit waren. Auch sind sie es nicht gewohnt, vor der Kamera wie Schauspieler_innen ganz natürlich zu bleiben. Als wir uns länger kannten, war das aber nicht mehr so ein Problem. Ich habe immer nachgefragt, an welchen Tagen wir kommen können, damit “unsere vier Kinder“ nicht gerade krank sind oder im Urlaub. Zwischendurch habe ich sie besucht, mit ihnen gespielt und gesungen, damit das Vertrauen zwischen den Drehphasen nicht verloren geht. Ich bin den Erzieher_innen sehr dankbar, dass sie das durchgestanden haben mit uns, weil das schon eine Doppelbelastung gewesen ist. Aber im Nachhinein sind wir alle gemeinsam froh, dass wir das geschafft haben.

Die Musik im Film trägt viel zur Stimmung bei. Wie ist der Soundtrack entstanden?

Mit dem Komponisten Andreas Wolter habe ich besonderes Glück. Er hat schon für drei meiner Filme die Musik gemacht. Wir haben gemeinsam überlegt, wie wir es hinbekommen, dass die Aufmerksamkeit des Zuschauers in dem Gewusel der vielen Kinder bei unseren vier Kindern bleibt. Also hatten wir die Idee, dass die Musik einen zweiten Erzählstrang bildet. Wir haben den vier Kindern Instrumente zugeordnet: Pina bekam die Flöte, Juri, dem Babyalter fast schon entwachsen, das Fagott, Luc die Klarinette und Charlotte die Geige. So kann man jetzt die Kinder auch an der Musik wiedererkennen.

Interview: Hanna Hechel

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