Demokratiiie

Den Artikel gibt es hier als PDF: Panorama_#3_2024

 

wamiki-Hitliste

Was singt ihr so zum Heftthema?
Wutboy? Hurra, die Welt geht unter?
Dein ist mein ganzes Herz? Oder?

Die wamiki-Hitliste gibt es hier:

Demokratie im Kita-Alltag

Verschiedene Forschungsprojekte haben gezeigt: Kinder können Demokratie! Sie möchten mitreden, mitbestimmen und sich engagieren, wenn es darum geht, Verantwortung fürein­ander zu übernehmen. Wie Beteiligung von Kindern konkret aus­sehen kann, zeigen Beispiele aus der Praxis. Damit aber demokratische Prozesse in der Kita gelingen, müssen sie gelebt werden: Vom Träger, den pädagogischen Fachkräften, den Familien und Kindern … Wer sich über Kompetenz­netzwerke, aktuelle Projekte und ­Materialien informieren möchte, findet diese u. a. auf dem Frühe-Chancen-Portal des BMFSFJ:

Laura Lundy: Partizipation radikal

Partizipation aus menschenrechtlicher Perspektive ist mit einem radikalen Anspruch verknüpft, der in Artikel 12 der UN-Kinderrechtskonvention formuliert ist: Jedes einzelne Kind hat das Recht, seine Meinung in allen es berührenden Angelegenheiten frei zu äußern, und es hat den berechtigten Anspruch darauf, dass seiner Meinung gebührendes Gewicht gegeben wird, angemessen und entsprechend des Alters und der Reife des Kindes.

 

Die Kinderrechtsprofessorin Laura Lundy hat ein Modell entwickelt, wie dieser umfassende Rechtsanspruch zu verwirklichen sei. Sie sagt, „die Stimmen der Kinder hören ist nicht genug!“ Sie brauchen: Gelegenheiten, um ihre Meinungen zu äußern; Unterstützung dabei, ihre Meinungen zum Ausdruck zu bringen; Gehör von den relevanten Entscheidungsträger*innen und Transparenz über ihren Einfluss auf Entscheidungen.

Was schränkt Beteiligung ein?
Was kennzeichnet Beispiele ermutigender Beteiligungspraxis?
Mit vorläufigen Antworten regen „Kinderwelten“ Kitaleitungen, Fachberater* innen und Trägervertreter*innen an, die Beteiligung von Kindern in den Einrichtungen diskriminierungskritisch auszurichten.

Foto: Miss X, photocase

Die Kita als weltoffenes Dorf

Die Kita als eine Art weltoffenes Dorf zu sehen, das war zunächst ein spielerischer Einfall. Dann ein Gedankenspiel mit weitreichenden Folgen. Seit mehr als sieben Jahren ermöglicht es Kitateams, sich in einer zusammenhängenden Bilderlandschaft zu bewegen und dadurch die Verbindungen zwischen allen Kitathemen erkennbar und praktisch nutzbar zu machen. Mittlerweile wurde Kita als weltoffenes Dorf zu einem facettenreichen Entwicklungskonzept, das sich ständig erweitert. Es lädt dazu ein, das pädagogische Labyrinth zu verlassen. Es verlockt mit seinem Reichtum an Metaphern, mit zahlreichen Methoden und kreativen Praxisanregungen für alle am Kitaleben Beteiligten. Das systemische und spielerische ­Herangehen tut den Beteiligten gut, wirkt ordnend. Es passt zu unterschiedlichsten pädagogischen An­sätzen und ermutigt Teams, ihren eigenen Entwicklungsbedürfnissen zu folgen. Das Buch macht es leicht, Kita als Ganzes zu sehen, ihre Komplexität entspannt wahrzunehmen und Kitaqualität nachhaltig weiterzuentwickeln – mit ebenso viel Ernsthaftigkeit wie Humor.

 

 

 

 

 

 

 

 

Wenn du Nein sagst, stirbt ein Kaninchen!

 

 

 

 

„Von zu viel Fernsehen kriegst du eckige Augen“, „Iss auf. Sonst scheint morgen nicht die Sonne.“ – Mit so einem Quatsch drohen Erwachsene Kindern. Immer noch. Höchste Zeit, den Erwachsenen mal ordentlich zurückzudrohen! Und zwar unverschämt und effektiv. Dieses Buch zeigt dir, wie.

 

Die 5 Freiheiten nach Virginia Satir*

1

Die Freiheit zu sehen und zu hören was im Moment wirklich da ist, anstatt was sein sollte, gewesen ist oder erst sein wird.

2

Die Freiheit das auszusprechen, was ich wirklich fühle und denke, und nicht das, was von mir erwartet wird.

3

Die Freiheit zu meinen Gefühlen zu stehen, und nicht etwas anderes vorzutäuschen.

4

Die Freiheit um das zu bitten, was ich brauche, anstatt immer erst auf Erlaubnis zu warten.

5

Die Freiheit in eigener Verantwortung Risiken einzugehen, anstatt immer nur auf Nummer sicher zu gehen und nichts Neues zu wagen.

Das Wesen der Demokratie –

Eine Wort- und Bildklauberei

Hier gibt es den Wortklauber als PDF: Wortklauber_Gedicht_#3_2024

Vom „Wesen der Demokratie“ liest man oft.
Aber wie sieht es eigentlich aus, das „Wesen der Demokratie“?

Ein Blick auf die Google-Bildersuche zu Begriffen wie „Demokratie + Kita“ oder „+ Schule“ liefert interessante Hinweise. Die Fotos zeigen meist Pädagog*innenhände, die kreidestaubig das Wort „Demokratie“ an die Tafel schreiben, oder Schüler­hände, die sich mit ausgestrecktem Zeigefinger in die Höhe recken. Demokratie scheint also zu bedeuten: vor der Tafel stehen, etwas sagen wollen – und darauf warten müssen, bis man dran ist. Wer quatscht, ohne aufgerufen zu sein, hat in dieser „Demokratie“ offenbar schlechte Karten. Demokratie heißt: Es gibt Regeln – und wenn du dich nicht daran hältst, Pech gehabt!

Auch die Cover von Büchern oder PDFs zum Thema Demokratie sprechen Bände. Auf den Titelseiten sieht man Kinder, die mit Modera­tionskarten oder überdimensionalen Puzzleteilen hantieren. Die Farben sind matt – als wolle man betonen: Demokratie ist wichtig, aber auch so spannend wie die Lektüre der GEW-Zeitung oder von Frank-Walter Steinmeiers neuestem Buch im Urlaub.

Sprachlich ist Demokratie oft eine Zumutung. Sie produziert endlose Phrasen. Geh mal in eine Buchhandlung und schau dir die Titel zu „Demokratie & Bildung“ an: „Partizipation in Praxisprojekten“. Das Spannendste daran ist, sich nicht beim Aussprechen dieses Zungenbrechers zu verhaspeln – Praxitipation in Partyprojekten?

In Teamsitzungen versuchen Kita- und Schulteams oft, das nebulöse Thema „Demokratie“ in Wortwolken zu packen. Dann steht das „T“ vom waagerecht geschriebenen „Partizipation“ gerne für „Teilhabe“ – was leider nur die wortwörtliche Übersetzung ist. In Texten reiht man möglichst viele „Mitbestimmungs“-Wörter aneinander, um bedeutungsschwer zu wirken: „Wir sind für Mitwirkung UND Mitbestimmung“, „Wir setzen auf Beteiligung, Mitgestaltung und Partizipation“. Klingt wichtig, aber bleibt bedeutungsleer.

Foto: David-W-, photocase

Apropos Partizipation: Ist unstrittig, dass es ein Nomen ist? Ja. Umso erstaunlicher, dass unzählige Kitas auf ihren Homepages stolz verkünden: „Bei uns wird Partizipation großgeschrieben!“ Kein Bäcker würde sagen: „Brot wird bei uns großgeschrieben.“ Aber in der Pädagogik lieben wir es, alltägliche Handlungen in bedeutungsvolle Akte zu verwandeln.

Und wann erlebt man nun das „Wesen der Demokratie“? Blättert man durch Partizipations-PDFs, fällt auf, dass Kinder oft nur dann befragt werden, wenn es um Verhaltensprobleme geht. Kinderkonferenzen scheinen vor allem dafür da zu sein, dass Kinder ihre Konflikte selbst klären. Immer wieder werden „Regeln gemeinsam festgelegt“ – und dennoch kommen in fast allen Kindergärten dieselben Sätze heraus: „Nicht schubsen.“ Bei Erwachsenen regeln solche Fragen eher Gerichte, nicht Parlamente.

Das „Wesen der Demokratie“ hat offenbar ein Imageproblem: staubig, blass und langwierig zu erreichen. Täglich, so heißt es in den Handreichungen, müsse man Demokratie üben, üben, üben – wie das Geigenspiel. In Sesamstraßen-Kategorien gedacht, ist Demokratie zu 100% Bert. Kein Wunder, dass sich manche dann nach den chaotischen Ernies oder dem Krümelmonster sehnen, die fröhlich ihren eigenen Vorteil im Blick haben.

Gibt es Alternativen? Oh ja! Man muss Demokratie so leben, wie sie eigentlich ist: als das Zusammen­treffen völlig unterschiedlicher Bedürfnisse, verrückter Ideen und sowohl laut geäußerter als auch schüchterner Vorschläge. Was viele der trockenen Bücher über­sehen: Demokratie kann lustig, utopisch und regelrecht spannend sein. Während das Gegenmodell – Autokratie oder „Pädagogokratie“ (Ich bestimme für euch) – sich verdammt langweilig anfühlt, wenn man nicht gerade die Person ist, deren Ideen umgesetzt werden.

„Ich habe eine verrückte Idee, du auch, und du bist total dagegen … Lass uns ausprobieren, was draus wird!“ Demokratie kann richtig spannend sein, wenn man sie nicht nur übt, weil man muss.

Die Lüge von der „Schnüffel-Fibel“

"Das Mädchen trägt Kleider und Zöpfe"

Eine staatliche geförderte Broschüre soll Kitas dazu aufrufen, das Privatleben von Eltern auszuschnüffeln. Wenn Mädchen „Kleider und Zöpfe“ tragen, sei das ein Zeichen für ein „völkisches Elternhaus“.
So behaupten es „Bild“ und „B.Z.“, doch das stimmt nicht. „KEIN WITZ!“, schreibt „Bild“. Und tatsächlich ist das, was sie da über eine vermeintliche „Schnüffel-Fibel“ der Amadeu-Antonio-Stiftung aufgeschrieben hat, kein Witz, sondern eine Lüge. In der Broschüre „Ene, mene, muh – und raus bist du! Ungleichwertigkeit und frühkindliche Erziehung“ wird laut „Bild“ „an Fallbeispielen erklärt, wie man vermeintlich rechtslastige Elternhäuser erkennt“. Ein Kommentar von Stefan Niggemeier.

Zum Kommentar von Stefan Niggemeier.

Einen guten Überblick über den Verlauf der Kampagne gegen die Kita-Broschüre erhaltet Ihr bei BELLTOWER

Demokratie – jein danke!

Ich begann mein Lehramtsstudium hauptsächlich, weil ich als Lehrer etwas anders machen wollte. Ich wusste nicht so genau was, aber irgendetwas musste wohl in meiner Schulzeit gründlich schief gelaufen sein. Ich hätte ja vielleicht ADHS gehabt, aber das gab’s damals noch nicht, wir mussten ja mit so wenig auskommen. Ein kleiner Teil von mir wusste zwar noch, dass ich nicht so falsch sein konnte, wie mir die Schule immer weismachen wollte, aber ein größerer Teil fühlte sich immer unwohl in meiner Haut.

Meine Dozenten bemängelten dann in meinen Studienpraktika meine „kumpelhafte“ Haltung den Kindern gegenüber. Ich wollte ihnen damit zeigen, dass ich auf ihrer Seite stehe. Meine naive Theorie war, dass man nur netter zu den Kindern sein müsste, dann würden sie sich auch schon nach Lehrerwunsch verhalten. Da hielt ich Schule noch für etwas grundsätzlich Wünschenswertes. Das änderte sich dann, als ich Literatur zu anarchistischen Schulversuchen der Vergangenheit in die Hände bekam. Auch die Entschulungsdiskussion der 70er und 80er lebte ich mit Ivan Illich und Everett Reimer in abgegriffenen rororo- Bänden noch einmal nach. Ich lernte eine ganze Reihe Freier Schulen kennen und schloss mit mir folgenden Kompromiss: Wenn schon Schule, dann mit ganz viel Freiheit und Gleichberechtigung, eben liberté und egalité und über kurz oder lang würde sich dann auch die fraternité über einer Tasse Kamillenté einstellen.

An meiner ersten Stelle – einer freier Schule im Aufbau – hatte ich schon ein wenig Gelegenheit, meine neuen Ideen einzubringen. Und ich konnte mich prima gegen meine Kollegen abgrenzen, diese bourgeouisen Reaktionäre! Als die Kinder dann mal im von mir installierten Kinderrat vorhatten, Verstöße durch eine Art Prangersystem im Käfig zu ahnden, musste ich leider eingreifen. Bevor aber mein Weltbild wanken konnte, hatte ich natürlich schon eine Erklärung parat: Die armen Kinder waren natürlich durch ihre bisherige Schulkarriere – alle waren vorher schon auf anderen Schulen gewesen – verdorben. Die unnatürliche, patriarchale Erziehung der Eltern tat ihr Übriges. So dachte ich wirklich, wenn mir auch viele Denkstrukturen erst im Nachhinein bewusst wurden.

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Dann aber kam meine Chance: Nach dieser Stelle durfte ich eine Schule mitgründen und von Anfang an die Bedingungen schaffen, in der sich Kinder in Freiheit normalisieren. Ich musste nur die Ketten der kapitalistischen Verwertungsmaschine von ihnen nehmen und sie würden lernen und sich vertragen und eine neue Rasse von Homo sapiens sapiens sapiens bilden. Nietzsches Übermensch schien zum Greifen nah. Während ich natürlich ein wenig übertreibe, war ich doch wirklich überzeugt, dass Demokratie der entscheidende Faktor des Bildungserfolges dieser Kinder war. Zum Glück ist Realität die härteste Wand, gegen die man laufen kann. Die Kinder erzogen mich wirklich prima. Ich weiß nicht, welche Maßeinheit für den Verschleiß von Nerven angewandt wird, aber ich habe ordentlich Federn gelassen.

Eine Weile nach meinem Ausscheiden aus der Schule begann es dann aber auch mir zu dämmern, was Jesper Juul so treffend in seinen Büchern schreibt: Demokratie beschreibt eine Methodensammlung zur Entscheidungsfindung, nicht mehr und nicht weniger. Sie ist als Bezugssystem zwischen Menschen ungeeignet. Man kann keine demokratische Beziehung zueinander haben. Beziehungen können gut sein oder schlecht, liebevoll oder kalt, zärtlich oder grob.

In der Beziehung liegt der Gestaltungsspielraum des Pädagogen. Aber einfach netter, so wie ich mal vor Jahren dachte, reicht einfach nicht. Man muss umfassend und bewusst eine Beziehung aufbauen, die das Kind genau in seiner Bedürfnislage sieht und unterstützt. Das kann auch bedeuten, dass man gar nicht nett ist und deutliche Worte finden muss, wenn ein Kind Orientierung sucht. Für mich war gerade das sehr schwer, da ich oft Schelte von meinen Lehrern aushalten musste. Es hat mich viel Arbeit an mir gekostet, zu verstehen, dass man sich persönlich abgrenzen kann, ohne einen anderen zu begrenzen.

Zu guter Letzt will ich aber doch noch der Demokratie eine Lanze brechen. Wenn man einmal den Boden der Beziehung vorbereitet hat und der gegenseitige Respekt gegeben ist, dann ist Demokratie das schönste Sahnehäubchen, dass man sich auf seinen Schwarzwaldbecher tun kann. Und je direkter sie ist, desto mehr Kirschen kommen noch drauf. Und die Schokostreusel der Herrschaftsfreiheit erst… mmmh! Guten Appetit!

Foto: Lena Grüber