Mit halber ­Fachkraft voraus:

Neue Wege gegen Personalmangel

Vitamin-C-Mangel, Heißmangel, mangelhaft. Wörter mit der Buchstabenfolge „mangel“ sorgten schon immer für Angst und Schrecken. Jetzt hat sich der Fachkräftemangel wie ein Schatten über unsere sonnige Kitawelt gelegt, und Experten fragen sich, wie es plötzlich dazu kommen konnte. Wurden als Kinder getarnte feindliche Agenten in unsere Kitas geschleust, um durch explodierende Gruppengrößen für Chaos zu sorgen? Haben Ideologen unseren Frauen ausgeredet, in Jobs zu arbeiten, in denen man knappe Gehälter durch üppiges freiwilliges Engagement kompensieren kann? Egal, jetzt ist das Kind in den – wegen Fachkräftemangel schlecht beaufsichtigten – Brunnen gefallen und kann auch nicht mehr herausgeholt werden. Also zählen technologieoffene Lösungen wie die folgenden aus verschiedenen deutschen Bundesländern.

Hier gibt es den Artikel als PDF: Fachkraft Satire_#4_2023

 

Auf Erziehungstour durchs Erzgebirge

Im überalterten und dünn besiedelten Landkreis Ohrenhau kann man auf erprobte Lösungen aus der Seniorenbetreuung zurückgreifen: „Dybisch füo ünzre Reckjön…“
– Moment, schnell den Google-Dialect-Translater anstellen – „… sind ja diese Mini-Autos vom Pflegedienst, die oft für die letzte Bewegung über Land und von Omi zu Opi sausen. Wir haben das Prinzip erweitert und sogenannte Kinderbetreuungsstützpunkte eingerichtet. Hier werden jeweils drei bis vier Kinder gesammelt, die dann mehrmals täglich vom Pflegedienst besucht werden. Manche Leistungen wie Apetito-Happen erwärmen oder kämmen ähneln den in der Altenpflege üblichen; dazu kommen neue Zusatzaufgaben wie drei Minuten Morgenkreisgespräch pro Kind und zweieinhalb Minuten Feinmotorik-Training…“

Aber reichen denn dreimal fünf Minuten Betreuungszeit für ein Kind? „Für die Durchschnittskinder schon. Kinder mit höherem Bedarf, etwa wegen schwierigem Sozialverhalten, können bis zu sechs Besuche a 10 Minuten pro Tag bekommen. Das ist fast mehr Aufmerksamkeit als in der klassischen Kita! Voraussetzung ist natürlich der ermittelte Bedarf. Wir sprechen da von den Kategorien Flegelstufe I und II…“

Moni oder Tonie?

Vanessa kommt heute nicht? Was früher für Eltern­panik und verunsicherte Kinder gesorgt hätte, wird heute in der Kita Okapigehege in Berlin-Hopsenrade souverän bewältigt: dank des Konzeptes der KI-Ki-Ta. Natürlich steht das erste KI für künstliche Intelligenz. Die Kita, Fan der Tonie-Box1, ließ für alle Kolleginnen Toniebox-­Figuren herstellen. Fehlt eine Kollegin, wird die entsprechende Figur auf die Tonieboxen der Kita gesteckt und übernimmt nun akustisch deren Aufgaben. Zwar konnte anfangs nur die für den Hortbereich zuständige Hildegard glaubwürdig ersetzt werden, deren Satzrepertoire im Wesentlichen aus „Jeh da ma’ fix runta“ und „Mütze uff, aba dalli“ bestand. Doch heute arbeitet man mit ChatGPT, was schon nach dem ersten Elterngespräch mit der Toniebox-Figur von Sonja für Begeisterung sorgt: „Im Prinzip waren es nur Floskeln – aber wunderbar beruhigend…“

Personalersatz mit Herz und Schnauze

Digitale Erzieherinnen? Nichts für uns, findet Steffi Stremel aus dem Jugendamt Warmemüde: „Kinder brauchen Erzieherinnen aus Fleisch und Blut!“ Begeistert berichtet sie vom Visionsworkshop der Gemeinde, bei dem die Teilnehmenden sich nicht von den schlechten Bedingungen herunterziehen lassen, sondern sich erst mal auf ein Bild ihrer idealen Kita-Fachkraft einigen sollten. Bald war klar: „Ein Freund für die Kinder soll sie sein, trotzdem natürliche Autorität haben, gut ausgebildet, dem Arbeitgeber treu und in hohem Maße einsatzbereit sein.“ Sofort war klar: Freie Erzieherstellen werden ab sofort durch Hunde besetzt, natürlich mit Hundeschulausbildung. „Sie können sich nicht vorstellen, wie das flutscht“, strahlt Steffi Stremel. „Wenn Erzieherin Gabi beim Morgenkreis was vorsingt und die Kinder reinquatschen, dann knurrt Kollege Bello kurz, und schon sind alle mucksmäus­chenstill. Corona hatte für einen Mangel an Personal und gleichzeitig für einen Überschuss an Haustieren gesorgt. Warum nicht eins und eins zusammenzählen?“

 

Zoom für alle!

Auch Fachberaterin Margot Ahlers vom Kreisjugendamt Vorderwülbekke versucht, aus der Pandemie positive Lehren im Sinne guter Personalbesetzung zu ziehen. Insbesondere „dieses Zoomen“ hat es ihr angetan. Auf einer riesigen Monitorwand zeigt sie, wie das Anti-Personalmangel-Konzept des Kreises aussieht: „Von diesem ehemaligen Isolationsraum der Kita Zwergplaneten aus kann sich unsere Zoom-Erzieherin Bärbel bei Bedarf in bis zu 32 von Personalausfall betroffene Kitagruppen zuschalten, um für fachgerechte Beaufsichtigung zu sorgen. Hallo, Bärbel!“ Etwas ruckelnd grüßt die Erzieherin mit einem herzlichen „Ha-a-lllooo!“ zurück.

Aus Gründen der Wirtschaftlichkeit, so Margot Ahlers, sei es durchaus sinnvoll, die Kinder wieder – wie bei Corona hervorragend eingeübt – in klassischen Gruppenräumen zu versammeln. Zweitens sorge es natürlich für die Entlastung der am Bildschirm agierenden Erzieherin, wenn sie nicht 32 unterschiedliche Aktionen animieren müsse. „Um die Bildschirm-Kollegin nicht durch Überlastung auch noch zu verlieren, gibt es ein nach wissenschaftlichen Kriterien optimal ausgewähltes Standard­angebot für alle 32 Bildschirmgruppen. Heute ist das zum Beispiel, Bärbel, helfen Sie mir auf die Sprünge…“

„Sommerliches Bügelperlenbasteln!“

Schlafwache statt Strafsache

„Keine Lust auf Kita? Viele Menschen…“, erklärt Dr. Gneißlhofer vom Bayerischen Bildungsministerium gesten­reich, „… würden sofort im Kindergarten anfangen, wenn es diese hohen, allzu hohen bürokratischen Hürden nicht gäbe. Muss man zum Beispiel wirklich Kindheitspädagogik studiert haben oder eine Fachausbildung zur Erzieherin machen, um Kinder betreuen zu können? Meine Frau zum Beispiel hat unsere Großen auch ohne Ausbildung hervorragend erzogen, unseren – na, wie heißt er noch…“ Nach kurzem Stottern kommt Gneißlhofer wieder auf den Punkt und stellt sein Ausbildungskonzept vor, die sogenannte 22-Stunden-Umschulung zum Erzieherhelfer-Ersatzhelfer mit Kinderpflegerinnen-Unterstützungs-Hilfsfunktion. Weil der reguläre Arbeitsmarkt auch dafür wenig Kapazitäten bietet, hat das Land eine neue Quelle erschlossen, die der verurteilten Straftäter. Das Konzept setze, so Gneißlhofer, an persönlichen Vorerfahrungen und Kompetenzen an, die der Umzuschulende mitbringt: „Ronny zum Beispiel ist ein verurteilter Stalker – ideal geeignet für die lückenlose Beaufsichtigung und detaillierte Beobachtung von Kindern. Und wer wie Eberhard Menschen zu illegalem Glücksspiel verleiten kann, hat doch das ideale Knowhow, um Kinder für das Halmaspiel zu begeistern, oder?“ Besonders freue er sich auf die bald in großen Mengen verurteilten Mitglieder der letzten Generation, denn „wer sich mit dem Kleben auskennt, ist am Basteltisch gerade recht“.

Foto: Susann Städter / Photocase

Was Männer und Frauen über Männer und Frauen wissen

Hier gibt es den Artikel als PDF: WasMännerundFrauen_#3_2022

Männer und Frauen unterscheiden sich grundlegend voneinander, schon beim Essen: Durchschnittlich grillen Männer viel häufiger, vor allem Schweinefleisch. Wohingegen Frauen prozentual mehr Huhn- und Putenfleisch verwenden, denn im Vergleich zu Schweine- und Rindfleisch, dem roten Fleisch, ist Geflügel quasi weiblich – frag nicht, wieso. Männer lieben Steaks außen schwarzgebrannt, innen hingegen blutig rosa, obwohl das ja eine Mädchenfarbe ist.

Zwar grillen Frauen Fleisch auch, aber nicht auf dem offenen Grill, sondern in der Pfanne. Weil sie sich Gefäßen wie der Bratpfanne instinktiv nahe fühlen, denn Frauen sind ja auch Gefäße für ihre Kinder. Männer sind keine Gefäße, sondern lassen sich von innen ausformen, wie man an Mallorcas Ballermann lesen kann: „Bier formte diesen wunderbaren Körper.“

Da Männern Gefäße fremd sind, verstopfen sie die Gefäße ihrer Körper gerne durch den dazu geeigneten Konsum von schwarzem Grillfleisch und Bier.

Männer lieben Autos und andere Maschinen. Frauen bevorzugen weiche Dinge wie Wolle und Seide, also Naturmaterialien. Trotzdem lieben Frauen Nähmaschinen, um weiche Stoffe zusammenzufügen. Mähmaschinen hingegen sind Lieblinge der Männer, die das weiche Geflecht des langen Rasens – ein echtes Naturmaterial! – damit wieder trennen. Denn Männer trennen furchtbar gerne: Berufsleben von Familie, Lewandowski vom Ball, Gattin von Geliebter.

Frauen lieben das Verbindende. Deswegen organisieren sie sich in Verbänden, verbinden als Krankenschwestern Wunden oder verwenden unendlich viele Bindewörter, auf Latein: Konjunktionen. Ihren wichtigsten Hygieneartikel nennen sie Binde. Nur die Binde, hinter die man sich einen kippt, ist männlich besetzt. Und die Bünde, in denen sich Männer zusammenschließen, vom Männerbund bis zur Bundeswehr.

Was dem Mann das Schlachtfeld, war der Frau einst das Feld der Frühpädagogik, aber dort dringen allmählich mehr Männer ein. Zum Glück mit klaren Unterscheidungsmerkmalen: Die Frau bevorzugt möglichst kleine, der Mann jedoch möglichst große Kinder. Idealerweise erzieht und betreut die Frau hingebungsvoll Krippenkinder, während der Mann als gestrenger Studienrat ältere Semester schult. Dafür gibt es biologische Ursachen, denn Männer haben tiefe, auf kleine Kinder bedrohlich wirkende Stimmen. Während die flötende Stimme der Frau Sanft- oder Anmut verströmt, vermittelt das tiefe Organ des Mannes Autorität. Wollen Frauen Autorität verströmen, müssen sie statt eines Machtwortes moralisierende Reden schwingen. Aber hilft das? Vielleicht bei Mädchen…

Während Mädchen als kooperativer gelten, und genau deswegen auch als zickig – frag bitte nicht, wie das zusammenpasst –, leben Jungs Konflikte direkt und körperlich aus. Obwohl Mädchen beziehungsweise Frauen eigentlich körperlicher sind, während Männer und Jungs ihre Körper nicht so spüren – ja, es ist wahnsinnig kompliziert! Jungs bekriegen sich ständig, sind oft bockig und müssen sich die Hörner abstoßen wie Ziegenböcke. Anders die Mädchen, die sich in sogenannten Zickenkriegen nur streiten.

Beträchtlich unterscheiden sich Jungs und Mädchen im Spielverhalten. Jungen machen ganztägig brumm, brumm mit den Lippen, weil sie sich für imaginäre Autos halten. Wenn sie nicht schießen: Piu, piu! Mädchen hingegen flüstern leise, aber ausdrucksvoll mit einer imaginären Prinzessin-Freundin. Während sie diese Passion gerne im tüllverhängten Rollenspielraum ausleben, bevorzugen Jungs den kahlen Bauraum mit seinen harten Hölzern. Verkleiden sich Jungs dennoch mal, dann als waffenstarrende Cowboys, während Mädchen die Rolle der leidenden Indianerin bevorzugten, bis ihre erwachsenen Geschlechtsgenossinnen ihnen das zur Vermeidung kultureller Aneignung verboten: Frauen reagieren beim Thema Antidiskriminierung gerne über.

Große Unterschiede zwischen Männern und Frauen zeigen sich am Arbeitsplatz. Männer führen Revierkämpfe, um das Alphatier unter sich zu ermitteln. Frauen begegnen sie mit dem berüchtigten Gockelgehabe: Wer kriegt sie (rum)? Klar, dass es in dieser Atmosphäre immer wieder zu Konflikten kommt.

Die Welt wäre eine andere, hätten Frauen die alleinige Macht. Das zeigt der Kindergarten, eine der Oasen rein weiblicher Hierarchien: Hier fallen Konflikte praktisch aus, denn Frauen lieben Harmonie. Es sei denn, eine Dame hält sich nicht an die ungeschriebenen Regeln, dass Frauen nicht miteinander konkurrieren und keine Alphatiere akzeptieren. Aber wenn plötzlich ein Mann auftaucht, klimpern die Wimpern und wackeln die Popos: Wer kriegt ihn (rum)?

Warum werden Jungs zu Jungs und Mädchen zu Mädchen? Die einen sagen: Allein durch Erziehung, weil Jungs zu wenig Grenzen gesetzt werden und Mädchen zur Zurückhaltung gemahnt werden. Anderen glauben: Die Evolution ist schuld, dieses tierhafte Hauen und Stechen, bis der Stärkere siegt und der Schwächere den Schwanz einzieht. Kurz: Die einen verdächtigen die raue, archaische ­Männerwelt der Natur, die anderen die als weiblich geltende Domäne der Erziehung. Da hilft nur das dritte Geschlecht.

Die schönsten Wildpflanzen im Kinder-Garten

Wer wärst du, wenn du eine Pflanze wärst? Keine Ahnung, blöde Frage. Denkst du an deine Kolleg:innen, ist sie vielleicht leichter zu beantworten, denn wer hat die folgenden Damen und Herren nicht im Team?

Hier gibt es den Artikel als PDF: Die schoensten Wildpflanzen_#2_2022

Kriechender Günsel

Gestern forderte er noch den Anruf der Zeitung und den Abruf der Leitung sowie eine teaminterne Weltrevolution. Heute ist der kriechenden Günsel deutlich stiller, denn er sitzt beim Teammeeting direkt neben dem Trägervertreter und nickt bei jeder Wortmeldung seines Sitznachbarn eifrig.

 

Miesmäulchen

Es gibt nichts Schöneres, als den Tag mit albernen, spielfreudigen und kreativen Kindern zu verbringen und mit tollen Kolleg:innen Projekte für sie auszudenken. Das dachtest du, bis das Miesmäulchen dir wortreich vermittelte, dass jeder Tag im Leben einer Pädagog:in dich aussaugt, wegwirft und frisst.

 

Weißer Riesenzierlauch

Ja, die neue Kollegin ist gegenüber Kindern noch recht distanziert. Vielleicht will sie ihre cremeweiße Bluse und die kunstvollen Nägel vor den kleinen Schmutzfinken schützen. Dafür steht sie in anderen Momenten im Mittelpunkt – zum Beispiel beim Teamfoto.

 

Gemeine Zaunwinde

Wer geht heute in den Garten? Keine Frage. Die Gemeine Zaunwinde hat bereits ihren sonnigen Platz eingenommen und lehnt sich zurück, um dem Treiben der Kinder an der Schaukel aus sicherer Distanz zuzusehen.

 

Mädchenauge

Stecken wir heute Perlenkrokodile? Oder malen wir Prinzessinnen aus? Braucht der Rollenspielraum noch zusätzliche Kosmetikspiegel und Mini-Bügelbretter? Das Mädchenauge wacht darüber, dass Kinder täglich erfahren, was Frausein einmal ausmachte.

 

Herbstzeitlose

Der Winter war trübe und stressig. Der Frühling war wahnsinnig vollgestopft – schon wegen Ostern und dem Muttertag. Im Sommer kommt man sowieso zu nichts.
Und im Herbst eskaliert die Zeitknappheit wegen Erntedank ganz und gar, beklagt die Herbstzeitlose.

 

Blutweiderich

Aua, Fränzchen hat sich geschnitten!
Gut, dass der Blutweiderich immer zur Stelle ist, um Pflaster, Kühlkissen, Notfalltropfen & Co. einzusetzen. Hoffentlich übertreibt er es nicht…

 

Zaubernuss

Endlich ein Mann in Team! Und dann noch einer, der musikalisch, sportlich und handwerklich hochbegabt ist! Oder zumindest so tut. Die Zaubernuss könnte ein Glücksgriff sein, wenn sie sich nach dem Öffnen nicht als hohl entpuppte…

 

Tränendes Herz

Diese wahnsinnig niedlichen Krippenkinder! Dieses mit wenigen Strichen angefertigte Gemälde „Für die beste Erzieherin“! Dieses dankbare Wellness-Paket-Geschenk der Elterngruppe! Das Tränende Herz gleicht einem perfekten Risotto: ständig gerührt.

Flatterbinse

Ob sie morgen kommt, die Flatterbinse? Und wie lange dauert es wohl bis zur nächsten Krankschreibung, weil sie es „am Wochenende übertrieben“ hat?

 

Pfaffenhütchen

Krippenkinder, faltet die Händchen. Und sprecht dem Pfaffenhütchen nach, was es auf der Fortbildung gelernt hat. Verstehen müsst ihr das nicht, aber das Jesulein legst du sofort in die Krippe zurück, Jeremias!

 

Hartriegel

Man habe sich nicht umsonst auf klare Regeln geeinigt, und dazu gehöre eben auch, dass es Konsequenzen gebe, findet der Hartriegel und schaut alle Weicheier im Team böse an.

 

Langblättriger Ehrenpreis

Einst war er als „Nachhaltigkeitspreis der Kreissparkasse Elmshorn“ vergeben worden. Seitdem wurde der Langblättrige Ehrenpreis als Wanderpokal von Team zu Team gereicht, bis er schließlich das Rentenalter erreichte und nun im Keller des Familienzentrums Paderborn ausruhen darf.

 

Breitwegerich

Wenig Raum im Team für eigene Ideen, weil der Breitwegerich sehr viel Platz für sein Ego braucht. Gut, dass der Spitzwegerich ab und zu stichelt. Aber durchsetzen konnte er sich leider noch nicht.

 

Klatschmohn

„Hast du schon gehört? Der Vater von Lukas ist seit letzter Woche auch der Beischläfer von Nora, der Mutter von Mira und Sara, obwohl Sara nicht wirklich die Tochter von Nora ist, sondern die von Vera.“ So versorgt der Klatschmohn alle Eltern und das Team mit seinen Annahmen – auf Wunsch sogar mit erklärenden Pfeildiagrammen. Glaubt ihm eigentlich jemand?

 

Schlafmohn

Schwungvoll ist er nicht. Seine Reaktionszeit? Nicht messbar. Spannend vorlesen kann er auch nicht. Aber der Schlafmohn kann selbst hyperaktive Kinder in den Mittagsschlaf versenken, wenn er seine Stimme erhebt. Oder besser: senkt.

 

Eisenhut

Aha, die zahlreichen Plastiksaurier im Bauraum sind der ultimative Beweis, dass wir von Echsen unterwandert wurden, die ihre mit Nano-Partikeln beschichteten Eier in Form von Ebli in Kindermägen deponieren. Gut, dass wenigsten der Eisenhut im Team – er lässt nämlich weniger Gedankenumlenkstrahlen durch als Aluhüte – wirklich Bescheid weiß.

 

Foto: Avinash Kumar / unsplash

Der Baum als dritter Erzieher

Hier gibt es den Artikel als PDF: Der Baum als 3. Erzieher_#2_2022

Kinder brauchen Freibäume, um selbstbestimmt Tätigkeiten und Spielpartner auszuwählen. Wir stellen ihnen anregungsreiche Funktionsbäume zu Verfügung, die nach dem Grundsatz „Bäume bilden“ hohen Aufforderungscharakter tragen, durch ansprechende Gestaltung zum Verweilen einladen, aber als passive Erzieher Grenzen setzen, was den Kindern gut tut. Alle Bäumlichkeiten haben eine alters- und entwicklungsentsprechende, lernanregende Ausstattung, die die Kinder motiviert, sie täglich, unterschiedlichen Themenschwerpunkten entsprechend, frei zu wählen.

Einer der wichtigsten Funktionsbäume ist der Konstruktionsbaum. Er bietet zahlreiche Materialien wie größere Äste und kleinere Zweige an, die er zu herausfordernden Konstruktionen verbindet. Besonders beliebt ist der Kreativbaum, unter dem Blätter in ganz verschiedenen Formaten bereitliegen und die Kinder zu kreativen Tätigkeiten ermuntern. Der Bewegungsbaum hingegen bietet Kindern mit seiner Kletterecke, dem breiten Stamm und den Sprossenästen Möglichkeiten, ihre Beweglichkeit zu testen und zu schulen. Darüber hinaus verfügt der Bewegungsbaum über ein starkes Wurzelwerk, auf dem Kinder balancieren und ihr tägliches Anti-Stolper-Training absolvieren können – frei nach dem Motto: „Kinder brauchen Wurzeln“. Am Gesellschaftsspielbaum liegen diverse Rinden-Puzzles bereit. Und unser Ruhebaum mit seinem dichten, herabhängenden Blattwerk bietet uns allen – Kindern wie Erwachsenen – einen Ort der Entspannung. Unser Lesebaum folgt dem Motto „Buche statt Buch“, weil Kinder erst in der Schule lesen lernen. Außerdem gibt es noch die Erwachsenen vorbehaltenen Bäume: den Teambaum mit seinen Hängematten, den Bürobaum und einen zum Glück großen Abstellbaum. Für sensible Elterngespräche gibt es einen ruhigen Besprechungsast, garantiert nicht angesägt.

 

Damit alle Bäume immer ansprechend und gepflegt aussehen, hat jeder Baum eine Baumverantwortliche, die in jeder Jahreszeit konsequent auf die Verwendung natürlicher Materialien achtet. Deshalb sind alle Bäume aus nachwachsendem Holz gestaltet.

Damit die Kinder den Jahreskreis erleben, passen wir die Gestaltung der Bäume den Jahreszeiten durch hellgrünes, tiefgrünes, gelbes oder rotes Blattwerk in unterschiedlichen Formen an. In den Wintermonaten findet unser Projekt „Laubwerkfreie Zeit“ statt, damit die Bäume mal verschnaufen können.

Das Märchen von der Chancen­gleichheit im ­Bildungssystem

Es waren einmal zwei Kindertagesstätten am Rande einer großen Stadt – der „Kindergarten Goldfasan“ und die „Kommunale Kindertagesstätte Kirchenmäuse Römisch Zwei“. Der Kindergarten „Goldfasan“ befand sich in Trägerschaft einer unermesslich reichen Fee. Die Kita „Kirchenmäuse“ unterstand einer armen Fee, die ihre Kinder nichtsdestotrotz genauso lieb hatte. Weiter lesen

Total lost

Eine Online-Fortbildung in drei Akten

Hier gibts den Artikel als PDF: TotalLost_Satire_#3_2021

 

 

1. Akt: Der Seminarstart

Iphone 2 (ohne Bild):

Hallooo? Hallooo?

Der Herr Referent:

Ja, ähem, sind schon alle da? Also, es ist jetzt quasi Neun… Oder konkret viertel nach. Ich begrüße Sie oder besser euch zu diesem Seminar und freue mich, dass doch immerhin fünf von zehn Teilnehmer-Innen da sind und die anderen bestimmt noch dazu stoßen werden…

Die schöne Kira (blickt von schräg oben auf ihre Kamera. Sieht ihr grotesk das Bild dominierende Doppelkinn, erschrickt und positioniert ihr Handy neu, sodass sie nun vorteilhaft von schräg unten in die Kamera blickt, allerdings mit ausgestrecktem Arm)

Vanessa Krüger (tippt mit verstohlenem Gesichtsausdruck im Chat)

Der Herr Referent:

Ähem, Vanessa ist richtig, oder? Also wenn du wirklich um 12.15 Uhr zur Hautarzt-Akutsprechstunde musst, dann geh halt in der Frühstückspause. Man darf diese Pilz-Sachen nicht unterschätzen… Äh, oder war das jetzt intern?

Herta Knäbler (mit kräftiger Altstimme):

Gudde Moie! Isch bin es, Herdda, un des is fer misch es erschde Mol mit dem Onlein. Isch hoff, isch krieg des alles gutt hin und drigg net irschendwo uff de verkehrde Knobb druff.

Der Herr Referent:

Hallo, Manf… Äh, Herta, darf ich erst mal deinen Namen ändern – zack, zack… Äh, hörst du uns noch? Wir sehen plötzlich nur schwarz in deinem Fenster. Wenn du uns noch hörst, drück doch bitte unten links auf „Video starten“, dann müsstest du automatisch…

Herta Knäbler (aus dem Off, sehr laut):

Audomaddisch, herrje! Des is net meins, des Onlein! Ei, jetzt is do nunnoch des Fenschder, wo mer in den Indernet reischreiwe muss, au weia!

Vera und Nora (leider aufgrund erheblicher Nebengeräusche kaum hörbar):

Wir woll… – RSSSCH – nicht rummeckern! Aber wie kommt es… – DSZZZZZZZ, KNÄRZ – wir eine halbe Stunde im Wartebereich vergessen werden, ohne dass… – RRRRSCHT, SCHSCHSCHT…

2. Akt: Eine Stunde später, nach der ersten Arbeitsphase in den Breakout-Rooms

Der Herr Referent:

Danke, Annika, für deine flotte Vorstellung eurer Gruppenergebnisse. Trotz eines technischen Problems haben wir das Wesentliche, ähem, glaub ich, herausgehört. Wer macht weiter? Ah, Herta meldet sich. Bitte, Herta!

Herta Knäbler:

Der Herr Referent:

Einen Moment, Herta, halt. Vergiss bitte nicht, das Mikro einzuschalten.

Herta Knäbler (gestikulierend):

…! … … … …? …!?

Der Herr Referent (wie alle anderen winkend):

Wir hören nichts, wir hööö… Hörst du uns? Du musst das Mikrofon aktivieren! Links unten oder von hier aus rechts unten.

Herta Knäbler (nickt hektisch, sucht durch den Weitsichtigkeits-Bereich ihrer dicken Brille ergebnislos den Bildschirm ab, verschwindet seufzend aus dem Bild. Ihr Kamerafenster zeigt fortan ein behagliches, ländlich-rustikales Wohnzimmer mit Blumenfenster)

Die schöne Kira (erst selbstvergessen die Lippen zum Duckface schürzend, dann erwachend): Äh, sorry, bin ich dran? Also ich bin die Kira aus em Kinnergadde in Maudach…

Vanessa Kröger (lautstark, vom Bildschirm abgewandt):

NEIN, DIE MAMA HAT KEINE ZEIT FÜR DICH! Entschuldigung, mein Sohn hat Homeschooling, der ist leider schon 14. JEROME, DU FÄNGST SOFORT MIT MATHE AN!

Vera und Nora (mit roten Gesichtern gegen das Rauschen anschreiend):

Egal, ob jetzt abst – RRRRRRTTTTTT – nicht! Uns einfach im Breakout-Room zu vergessen, das geht gar nicht! Da möchten wir uns beschw… – KRKKKK, SCHSCHRRRRRRTTTT…

Zoom (aufploppend):

Ihre Internetverbindung ist instabil. Versuchen Sie, Ihren Computer oder Ihr mobiles Gerät näher an den WLAN-Router oder Zugangspunkt zu Hause oder im Büro zu bringen.

Iphone 2 (bei schwarzem Bildschirm):

Hallooo? Hört man mich?

Herta Knäbler (erscheint wieder auf dem Bildschirm, nun jedoch in Form eines älteren Herrn in Freizeitbekleidung aus Ballonseide, dessen rundliches Gesicht bald den kompletten Bildschirm einnimmt, bis nur noch seine buschige, weißgraue Braue zu sehen ist. Unterdrücktes Ächzen):

Ja, unn wo habbe mer jetze des verdammdi Kneppsche fers Miggro?

Die schöne Kira (blickt verliebt in die Kamera beziehungsweise auf ihr Zoom-Bild, versucht durch Einziehen der Backen ihrer Wangenpartie und dem Mund eine sinnliche Form zu verleihen)

Lucas Stuber (starrt auf den Bildschirm, sendet plötzlich unverkennbare Computerspiel-Schießgeräusche und erschrickt):

Oh, sorry! Da muss mein Computer irgendwie… Also, ich bin voll konzentriert, von mir aus kann es weitergehen…

 

3. Akt:
Nach der Freigabe der Powerpoint-Präsentation „Partizipative Interventionen von Korrelationen zwischen motivationalen Ressourcen und metakognitiven Ko-Kompetenzen“

Katze von Vanessa (streift gefährlich nahe an der Kamera vorbei. Das Bild ruckelt, rasant fährt die Kamera auf den Fußboden zu. Es knallt.
Das Bild verlischt.)

Vera und Nora:

… keiner, dass das absichtlich passiert. Aber es ist schon merkwürdig, dass immer, wenn wir hier etwas sagen, die Verbin… – KRRRRKKKK, GRZRZRZSÜÜÜÜT!

Der Herr Referent (betont optimistisch):

KRKKS – möchte ich angesichts der fortgeKRKtennen Zeit ein Resümee …en. Aus meiner Sicht haben wir alle Sem-KRK-iele erreicht, sodass wir den Tag an diesem Punk … nden können. Einen schö-ö-ö-… eierabend.

Alle (geben Smiley- und Handhebeicons ein, wedeln mit den Händen und verlassen danach die Sitzung)

 

Nachspiel

Frau B. Hölzendorffer (beleidigt auf die vielen schwarzen Fenster starrend):

So, jetzt hat es zwei Neustarts gebraucht, um an Ihrer Sitzung teilzunehmen. Sie haben ja hoffentlich nicht ohne mich begonnen?

Iphone 2 (ohne Bild):

Hallooo? Hallooo? Wer iiist da

 

Text: Micha Fink und Katharina Ochsenhirt

Foto: https://blog.zoom.us/

I-ah!

Der Phrasen-Song: Konstruktive Konfliktbewältigung mit Kuckuck und Esel

Hier gibts den Artikel als PDF: i-ah_#1_2021

Psst, seid mal leise, da will wer was singen!

Tante Hilde singt ein Lied vor, und Gabriele Göntermann-Schlutzke, diplomierte Fachberaterin und Fachartikel-Fachautorin, ergänzt fachlich. Die beiden Damen, die gleich den Morgenkreisteppich der Zwergbananengruppe rocken werden, sind total verschieden, aber – wie eine der beiden sagen würde – trotz oder gerade wegen ihrer Heterogenität eine willkommene Berei…

Mist, ich muss aufhören, es geht gleich los. Die beiden singen einen Song, halb klassisch und halb in feinstem Fachbuchpädagogisch.

 

„Der Kuckuck und der Esel, die hatten…“

„… weil Konflikte im Alltag als Moment des gegenseitigen Aushandelns von Bedürfnissen Teil der Lebenswirklichkeit von Kuckuck und Esel, im Folgenden KuE, sind, eine mit sprachlichen Mitteln ausgetragene Auseinandersetzung…“

 

„… wer wohl am…“

„… beziehungsweise innerhalb der Zweiergruppe in der Qualitätsdimension ‚Gesang ‘ bei einer Evaluation höhere Zustimmungswerte auf die Frage ‚Empfinden Sie unseren Gesang als sehr, mäßig, teilweise, wenig oder gar nicht ansprechend?‘ erreichen würde…“

 

„… zur schönen Mai-….“

„… zu einer Jahreszeit, die vielfältige Anlässe bietet, das Wachsen und Gedeihen von Pflanzen in unterschiedlichen Bildungs- und Erfahrungsangeboten zu thematisieren, um den Kindern die eigenen Wachstumsprozesse einschließlich der damit einhergehenden körperlichen Veränderungsprozesse erleb- und erfahrbar zu machen…“

 

„… der Kuckuck sprach: Das ka-…“

„… beziehungsweise: Ich verfüge über die Kompetenz des Gesangs und erfahre eines hohes Maß an Selbstwirksamkeit beim gesanglichen Ausdruck…“

 

„… und fing gleich an zu schrei-…“

„… durch nicht-sprachliche Lautäußerungen seine geringe Frustrationstoleranz und das eventuelle Vorliegen einer Selbstregulationsstörung zu offenbaren…“

 

„… ich aber kann…“

„… treffender gesagt: Ich möchte mich – typisch für KuE in der Gruppe – spielerisch mit einem anderen Esel oder Kuckuck im musikalischen Wettstreit messen…“

 

„…fiel gleich der Esel aahaa-hein, fiel gleich der Esel ein. Das klang so…“

„… sofern hier trotz des bewussten Verzichts auf eine Bewertung vonseiten der Erwachsenen eine wertschätzende Beschreibung des Gehörten angebracht ist…“

 

„… schön und lieb-…“

„… vor allem eröffnet der Gesang einen Zugang zu unterschiedlichen Ausdrucksformen der Gedanken und Emotionen, ermöglicht ästhetisch-klangliche Erfahrungen und damit einen ganz eigenen Zugang zur Welt. Zusätzlich zu ihrem ureigenen ästhetischen Selbstwert kann der Umgang mit Musik die gesamte Persönlichkeit der EuK stärken…“

 

„… von fern und auch von nah…“

„… also sowohl innerhalb der anregenden Umgebung im Innenbereich als auch im durch vielfältig strukturierte Orte zum Erfahren, Erleben und gemeinsamen Agieren einladenden Außengelände. Um hier anzuschließen: So entwickelt sich gemäß dem Grundgedanken der Ko-Konstruktion ein partizipativer und kreativer musikalischer Prozess, nach eigenen musikalischen Vorstellungen, in den jeder seine individuellen Stärken, Vorlieben, Eigenheiten und Charaktereigenschaften einbringen kann. Und um der Praxis das letzte Wort zu geben…“

„i-ah!“

Der Tag, an dem Mutti zurückkam

Hier gibts den Artikel als PDF: Satire_Mutti_#6_2020

Es war eigentlich ein ganz normaler Donnerstag. In den Schulen zankten sich die Kinder vor und mit den Lehrern. In der WhatsApp-Gruppe der Erdmänncheneltern zerriss man sich das Maul über die Gel-Nägel der neuen Kollegin Yasemin. Im REWE versuchte man geschickt, seine Waren auf das Band der neu eröffneten Kasse zu legen, ohne jemandem zu nahe zu kommen. Im Bundestag predigte der Abgeordnete Curio über den Zusammenhang zwischen Corona, Migration und Mannhaftigkeit. Und im Leserforum der Hessischen Allgemeinen Nachrichten beschimpften sich Gegner und Befürworter der Sanierung des Abwasserkanals in Hessisch Oldendorf erbittert. Doch dann, etwa gegen halb Elf, machte ein federleichtes Gerücht die Runde, aus dem bald panische Gewissheit wurde, bestehend aus jenen zwei Worten, die in jedem Klassenraum kurz vor Ende der Fünf-Minuten-Pause mit Lehrerwechsel zu hören sind: „Sie kommt!“

Mutti erschien. Packte den ersten – vielleicht einen von zwei Streithähnen – sanft, aber sicher an der Schulter. Machte ein Gesicht, das keinen Widerspruch duldete, und sprach: „Ich will nicht wissen, wer anfing. Ich will, dass ihr aufhört.“ Sah uns zu, bis wir alle Waren zurück in den Korb gelegt hatten, denn: Man drängelt nicht vor. Und entschied: „So, jetzt könnt ihr weitermachen.“

Mit Mutti war überall zu rechnen. Diktator Abrumski aus irgendeinem schwer zu merkenden Nachbarland wirkte plötzlich ganz kleinlaut, als Mutti ihm sagte: „Du weißt selbst, was du verkehrt gemacht hast, Freundchen!“ Expräsident T. sah mit waidwunden Augen zu Boden, weil Mutti die Sache mit dem schlechten Verlierer beinahe noch ein zweites Mal erklären musste – und das will man doch nicht. Abgeordneter Curio aber spürte entgeistert, wie Mutti ihm vor dem Hohen Haus am Rednerpult mit ihrem riesigen, nach uralter Spucke riechenden Taschentuch einen vergessenen Ei-Rest aus dem Mundwinkel entfernte: „So geht man aber nicht vor die Leute, mein Junge!“

Der Verkehr stockte, weil plötzlich alle bang auf die Temposchilder achtgaben. SUV-Fahrerin Martina verschlug es die Sprache, als Mutti sie fragte, was sie mit so einem Angeber-Auto wolle und woher sie denn überhaupt das ganze Geld dafür habe? Studienrat Raimund versprach stotternd, seinen Unterricht fortan besser vorzubereiten. „Bei den Hausaufgaben warst du früher auch immer so schlampig, mein Freund!“ Und im ICE klappte Mutti, resolut durch die Reihen schreitend, alle Laptop­deckel zu: „So, meine Lieben, genug in die Kästen geguckt! Wir spielen jetzt Halma, macht jeder mit?“

Natürlich versuchte mancher, Mutti zu entkommen – vergebens. Wenn Mutti allgemeine Schlafenszeit ausgerufen hatte und man trotzdem noch durch die dunklen Straßen zum Spätkauf hastete, fragte sie tückisch, wo man denn hinwolle und ob man nicht schlafen könne. In den Kantinen, in Gaststätten und selbst in den vornehmsten Restaurants konnte es passieren, dass der Kellner beim Abräumen unterbrochen wurde: „Stopp! Ich sehe gerade: Da liegt noch Kalbsbries. Barbara, wenigstens ein Kostehäppchen probierst du. Und dann noch eins… Bis dein Tellerchen blank ist.“ Dazu riss Mutti Augen und Mund auf, als wolle sie Barbara verschlucken.

Am ärgsten war es, wenn Mutti sich für jemanden einsetzte. „Sofort entschuldigst du dich, dass du Cemile diskriminiert hast!“ fuhr sie den Jung-Nazi Kai-Uwe an. Und weil er allzu leise sprach, ertönte ein aufmunterndes „Ich höre nichts!“ Ja, Mutti hatte viele Kinder, die sich bei­einander entschuldigen mussten. „Es tut mir leid, dass meine Beiträge im Leserforum immer wieder so unfreundlich klangen, ich bin eigentlich ein ganz Netter“, diktierte sie und befahl: „Das schreibst du jetzt – und zwar sofort!“ Zum Schluss ermahnte sie uns alle: „Und jetzt vertragt ihr euch!“ Wir nickten und sahen zu Boden, aber sogleich hieß es: „Seht euch an! Gebt euch die Hand!“

Manch einer versuchte, aufzubegehren, und zeterte: „Ich bin groß! Ich habe erfolgreich mehrere Pubertäten absolviert! Ich kann allein auf mich aufpassen!“ Dann fragte Mutti nur süffisant: „So?“ Da fiel das Großmaul in sich zusammen und schämte sich für seine unbedachten Worte.

Später tauchte auch Vati auf, sozusagen als zweite, deutlich flachere Welle. Er wiederholte, was Mutti angeordnet oder befohlen hatte, und wir ließen ihn gewähren. Denn wir wussten längst: Jederzeit kann Mutti zurückkommen. Und sie sieht uns zu, von wo auch immer…

 

Das Lied von der Ausnahme

Hier gibts den Artikel als PDF: Das Lied von der Ausnahme_#5_2020

Der kleine Fritz aus Trusetal

verschmähte einst beim Mittagsmahl

im Eintopf alle Möhren.

Der Rest der Elefantengruppe

löffelte eifrig seine Suppe,

ließ sich davon nicht stören.

Doch die Erzieher krähten:

„Ja, wenn das alle täten?“

 

Die Annabell aus Haselünne

sprach ernst: „Ich bleib heut lieber drünne.“

Zur schönsten Rausgehzeit!

„Ich glaube wohl, ich hör nicht recht“,

sprach schwer erzürnt Frau Lieberknecht:

„Mein Fräulein, tut mir leid!

Denn wenn das alle machten,

wer wär dann noch im Gachten?“

 

Die Karolin aus Lüntenbeck,

die lief auf Socken ziemlich keck

durch’s Außenspielgelände.

Die andren Kinder dachten sich:

Das wäre höchstens was für mich,

wenn mir ein Schuh verschwände.

Doch die Erzieher bellten:

„Soll jeder sich erkälten?“

 

Der Adalbert aus Bacharach

verkündete: „Ich bleibe wach,

statt mittags stets zu schlafen.“

Doch Dörte knurrte: „Sei jetzt brav,

und mache deinen Mittagsschlaf.

Zwar will ich ungern strafen,

doch weiß ich, wohin’s führte,

wenn ich’s erlauben würde:

Am Ende wär ganz Bacharach

mittags ständig wach!“

 

Ein Praktikant in Byhleguhre

sprach zu den Kindern: „Hier im Flure

bau’n wir ein Haus aus Pappen.“

Die Kinder waren fix dabei.

„Momentchen“, sagte Hauswart Frey,

„det dürfte so nich klappen.

Wat, wenn sich jeda traute

und auf dem Fluchtweg baute?“

 

Die Isabel aus Iserlohn,

saß in der Schule manchmal schon

ganz gerne unterm Tisch.

Die andren Kinder riefen: „Cool!“

Und saßen lieber auf dem Stuhl.

Frau Nolte sprach: „So nich!“

Und murmelte, dass Inklusion

auch Grenzen hat in Iserlohn.

 

 

Dem Kinderhaus in Mechernich

gönnte man einen Neuanstrich.

Ausschließlich in Pastell.

Die Meisengruppe sagte sich:

„Das ist uns viel zu puschelig.

Wir hätten’s lieber grell.“

Der Bürgermeister sprach: „Ihr spinnt!

Auch eure Räume werden mint.

Setz ich jetzt keinen Riegel vor,

würd unsere Welt multi-color!“

 

Die Cosima aus Santewitt,

die brachte in die Kita mit

zwei eigne Teddybären.

Sprach Kerstin: „Was, wenn jeder käme,

und sich sein Kuscheltier mitnähme?

Da müssen wir uns wehren.

Wenn wir nicht konfiszieren,

ersticken wir in Tieren!“

 

Foto: Miss X, Photocase

Auf Datenschutzjagd nach DSGVO

Ganz Deutschland hat ein bisschen Bammel, seit die neue DSGVO erlassen wurde. Also, die Datenschutz-Grundverordnung. Besonders im Kindergarten macht sich Angst breit, denn wo viele Menschen sind, sind leider auch deren Daten. Gut, dass es Kindergärten wie die „Dallgower Datenzwerge“ gibt, die rechtzeitig Vorsichtsmaßnahmen ergriffen und sich jetzt sogar „Haus der gesicherten Daten“ nennen dürfen. Grund genug, die rührige Leiterin des Hauses, Frau Danuta Dathe, zu Wort kommen zu lassen. Bitte, Frau Dathe, berichten Sie über Ihren Weg ins DSGVO-Glück!

Der Artikel als PDF zum Herunterladen: Datenschutzsatire_#3_2020

„Guten Tag, Herr Redakteur! Gerne erzähle ich Ihnen, wie wir das mit dem Datenschutz praktizieren. Eine Kita-Führung kommt natürlich nicht in Frage, aber hier im Vorraum steht es sich ja gut. Leider kann ich ihnen auch keine Bilder der Räume zeigen, denn da wären Kinder drauf oder deren persönliche Sachen. Oder per Kunsturheberrecht geschützte Bauwerke. Und fragen Sie mich nicht nach Details! Stellen Sie sich einfach vor, wie es bei uns aussieht, aber bitte nicht zu konkret. Wer weiß denn, ob diese Bildrechte nicht auch für Vorstellungsbilder gelten …

Ein stressiger Schritt auf unserem Weg zur datenschutzgerechten Pädagogik war natürlich die Sache mit den Portfolios. Herrje, was da an persönlichen Daten über jedes Kind zusammenkommt! Wir hatten zunächst nur bei Fotos, auf denen andere Kinder sind, deren Gesichter geschwärzt. Das sah aber doof aus – lauter geschwärzte Kinder neben dem einen ungeschwärzten Portfolio-­Besitzer! Also haben wir das Portfolio-Kind gleich mitgeschwärzt. Beziehungsweise für die People-of-colour-Kinder geweißt, das wäre ja sonst unfair.

Dann mussten wir aber noch die Lernbeweise im Portfolio verändern, weil die viel zu viele datenschutzrelevante Infos über jedes Kind enthalten. Nicht auszudenken, wenn jemand erfährt, dass Kind X am soundsovielten irgendeine Kompetenz erworben hat! Also haben wir auch das Datum geschwärzt und die Kompetenz so abstrakt formuliert, dass keine Rückschlüsse auf die Person möglich sind. Schauen Sie, so sieht das dann aus. Ich lese es mal vor: ‚Lernbeweis 3-17, erbracht Mitte 2018. Kind A kann jetzt R. Herzlichen Glückwunsch und weiter so!‘

Nicht so einfach war die Sache mit den Gruppenfotos. Da geht es ja auch um Emotionales! Deshalb fanden unsere Muttis und Vatis diese schwarzen Balken vor den Augen der anderen Kinder aus der Gruppe doch zu düster. Sandy, unser Teamküken, hatte dann die rettende Idee: Warum nicht einfach die Kinder auf dem Bild durch genauso niedlich guckende Kuscheltiere ersetzen? Sehen Sie mal, hier ist die Igelbabygruppe. Schauen die nicht niedlich? Ich bin übrigens der rosafarbene Plüschhahn. Süß, oder?

Mit unseren Foto-Regeln war es natürlich nicht getan, Datenschutz steckt ja überall drin. Unsere Kita hat nämlich – leider, sage ich aus heutiger Sicht – solche Riesenfenster. Da kann jeder Krethi und Plethi reinschauen. Und wer weiß schon, wer das tut und warum? Also haben wir beschlossen, die Fenster mit Folie zu verkleben, um die Kinder zu schützen. Das funktioniert auch andersrum: Die Kinder können die Leute draußen nicht anstarren oder gar knipsen. Zum Verkleben haben wir übrigens Milchglasfolie genommen, obwohl Hannelo… äh, eine Kollegin, gleich krähte: ‚Das kann ich doch alles mit meinen alten Window Colours zumalen, da gibt’s sooo schöne großflächige Motive!‘ Aber das Milchglas sieht einfach cooler aus und hat den Vorteil, dass sich die Kinder beim Rausgucken gleich an eine verpixelte Welt gewöhnen. Christian – der Kindername ist natürlich geändert – sagte gestern: ‚Die Häuser draußen sehen jetzt genauso aus wie unser Haus bei Google Maps!‘ Und Liese fand, dass bei ihrer Oma, wenn sie nach dem Bringen von draußen reinzugucken versucht, gar keine Falten mehr zu sehen sind. ‚Wie bei Instagram ‘, freute sie sich.

Als wir dachten, das Wichtigste geschafft zu haben, fiel unserm Praktikanten zum Glück noch eine superwichtige Sache ein: ‚Hey, was ist mit den Ausflügen? Da kann doch jeder die Steppkes sehen, sich die Gesichter einprägen und sie später aus dem Kopf nachmalen?‘ Gut, dass es im Mäcgeiz gerade diese schwarzen Schlafbrillen gab. Wir haben gleich vier Zehnerpacks gekauft. Seitdem sind die Ausflüge nicht nur viel DSGVO-gerechter, sondern auch ruhiger. Und weil immer mal jemand stolpert, nehmen die Kinder das Anfassen in Zweiergruppen endlich ernst.

Dann fiel uns plötzlich die Sache mit den Geburtstagen auf. Geburtstag feiern ist toll, vor allem für das betroffene Kind.Was nicht so toll ist: Alle Kinder in der Gruppe kriegen dabei ausgesprochen sensible Daten mit, und manche merken sie sich ewig. Ich weiß zum Beispiel den Geburtstag von Ilse Linnekogel, meine Banknach­barin in der dritten, immer noch. Ach, Gottchen! Bitte vergessen Sie den Namen gleich wieder. Man hat ja heute ratzfatz eine Anzeige wegen Datenverraten an der Backe.

Zurück zum Thema: Wir haben dann jedem Kind einen neuen, neutralen Geburtstagstermin zugewiesen. Ist erstens einfacher, weil man die Feiern besser mit den anderen Kitaterminen abstimmen kann. Zweitens hat jedes Kind reihum mal im Sommer Geburtstag.

Kurz bevor wir uns zum Wettbewerb ‚Datenschutzgerechteste Kita Deutschlands ‘ angemeldet hatten, war Irene noch eingefallen, an die Namensanonymisierung zu denken. Offen gestanden war es auch bei uns üblich, die Eltern mal mit Vor-, mal mit Nachnamen anzusprechen und auch die Namen der Kinder ganz unbefangen zu erwähnen. Da konnten Mithörer sofort zwei und zwei zusammenzählen und hatten den kompletten Datensatz gehackt! Seit uns das klargeworden ist, sprechen wir die Eltern nur mit ‚Liebe Mutter ‘, ‚Lieber Vater ‘ oder bei Bedarf mit ‚Liebes Diverses ‘ an. Zu uns sagen sie weiterhin: ‚He, Sie da!‘

Die Kinder sprechen wir natürlich erst recht nicht mit Namen an, weil ja sonst alle in der Gruppe automatisch jeden Namen lernen. Wir verwenden konsequent Kosenamen. Das klappt gut. Wenn niemand in der Gruppe Malte als Malte kennt, aber alle als „Unser Kamuffelchen“, ist Datenmissbrauch kaum mehr möglich. Zumal wir ab dem nächsten Monat vorhaben, die Namen regelmäßig rotieren zu lassen.“

Ich bin beeindruckt und möchte mich verabschieden: „Vielen Dank, liebe Frau Dat… äh?“

„N. N. Oder bloß N., wir sind ja beim Du“, antwortet die Leiterin charmant.

 

Fotos: Lena Grüber

Der Rechtsruck bei den ­Braunbären

„Ich finde schlümm…“, sagt John, „dass die Schüldkrötenkinder einfach zu uns rüberkommen und unsere Spielsachen wegnehmen. Das dürfen die nicht!“ Erzieherin Sarah erklärt geduldig, dass der Kindergarten nun schon eine Weile offen arbeitet, weshalb alle Kinder aus allen Stammgruppen außerhalb der Morgenkreiszeit in alle Räume dürfen. Davon profitieren auch die Braunbären und können bei den Schild…

„Die kommen aber nur zu uns“, ereifert sich Joscha, „weil wir das schönste Spielzeug haben!“

„Wir könnten denen was abgeben“, schlägt Cora vor. Als die anderen die Augen verdrehen, greift der kleine Kurt vermittelnd ein: „Ich finde gut, dass andere Kinder zu uns dürfen. Aber nicht die Schildkröten! Da sind richtig böse dabei! Eine große Kröte klaut sogar Sachen aus unseren Garderobenfächern!“

„Hey, stoppi!“ ruft Sarah. „Selbst wenn das stimmen sollte – dann sind doch längst nicht alle Schildkrötengruppenkinder Diebe.“

„Aber fülleicht fast alle“, jammert John.

„Kinder, wenn die Schildkröten nicht mehr zu uns dürften“, simuliert Sarah Nachdenklichkeit, „dürften wir noch in den Schildkrötenraum?“

„Iiih, keiner will zu denen! Die haben sooo doofes Spielzeug!“ krakeelen die Braunbären.

„Heute muss ich was ganz Schlümmes erzählen“, berichtet John anderntags bei der Braunbären-Kinderkonferenz. „Einer aus der Krötengruppe hat Baby Anna voll fies geschubst. Jetzt kommt die nie mehr in die Kita! Die ist verletzt!“

„Schubsen darf keiner, weder ihr noch die Schild…“, will Sarah intervenieren, aber die Kinder sind nicht zu bremsen: „Alle Kröten sind Klopper!“ „Die können richtig zwicken, Sarah! So!“

„Aua, Malte, das tut weh!“

„Frau Meister soll die alle aus dem Kindergarten rausschmeißen“, schluchzt Annika hemmungslos.

„Macht doch eine Demo“, schlägt Sarah vor. „Für friedliches Miteinander!“

Die Kinder sind begeistert und skandieren lautstark: „Bärenraum für Braunbären, Krötengruppe raus!“ Jemand malt eine Schildkröte auf eine Pappe, streicht sie schwungvoll durch, und das Demo-Poster wird im Triumph durch den Raum getragen. Ein Heidenspaß! Nur Sarah bekommt Hektikflecken.

Derweil widmen sich ein paar Demo-Teilnehmer schon den Details. „Die Kröten sehen hässlich aus“, findet Lara. „Eine heißt Babett und ist fett, sooo fett!“ Mit beiden Händen deutet Lara einen riesigen Bauchumfang an.

„Das sagt man aber nicht!“ ruft Sarah tadelnd.

„Soll ich etwa sagen, die ist sooo dünn?“ kontert Lara und markiert einen Strich. „Soll ich etwa lügen?“

„Man darf nicht Kaka und Pipi sagen, nicht Fett-Babett und Scheiß-Krötengruppe!“ empört sich Malte. „Darf man nur sagen, was die Azia erlauben?“

„Wir müssen ganz klar dagegen steuern. Das geht ja gaaar nicht!“ verkündet Ilona Meister, die Leiterin, bei der Teambesprechung, und Sarah verspricht sofort: „Morgen oder spätestens übermorgen rede ich Klartext mit den Kindern, ein richtiges Donnerwetter. Danach holen wir die Schildkrötengruppe rüber, feiern ein Jeder-ist-hier-willkommen-Fest und überreichen allen Schildkröten selbstgemachte Freundschaftsbändchen.“

„Realistisch bleiben, Sarah“, mahnt die Leiterin. „Ein kleines Dönnerchen tut es auch. Und um den Druck aus der Sache zu nehmen, sollten wir die offenen Zeiten etwas verkürzen. Wir könnten zum Beispiel festlegen, dass die Gruppen während des Angebots und des Morgenkreises unter sich sind. Mittags und beim Ruhen sind sie es ja ohnehin. Früh- und Spätdienst lassen sich auch gruppenweise gut organisieren. Während der Freispielzeit bleibt zwar alles offen wie gehabt, aber es gibt die glasklare Regel, dass man vor Betreten des Raums fragen muss, ob die Nachbargruppe besucht werden will. Und natürlich müssen die Besucher, also zum Beispiel die Schildkröten, bei den Bären nachfragen, ob sie das Spielzeug benutzen dürfen – und welches. Denn die Braunbären haben in ihrem Heimatraum natürlich glasklar Vorrang. Wär das was?“

Sarah nickt erleichtert, und Ilona spricht das Schlusswort: „Wir schaffen das.“

 

Foto: Julia Kuzenkov/Unsplash