Bildung im Sinne der Nachhaltigkeit?

Wie das geht, zeigt der Children’s Park auf der Mailänder EXPO. Gestaltet nach den Richtlinien der Reggio-Pädagogik und unter Beteiligung von Kindern, hebt sich dieses Areal wohltuend vom EXPO-Betrieb ab, der nicht wie eine Leistungsschau der Nachhaltigkeit wirkt, sondern wie ein großer Ramschverkauf.

Expo Mailand 2015

„Den Planeten ernähren, Energie für das Leben“ lautet das Motto der Weltausstellung 2015. An Reggio Children erging der Auftrag, zu diesem Thema ein Areal für Kinder und Familien zu gestalten, den Children’s Park. Gleich zu Beginn fällt mir auf: Der Park liegt nicht etwa am Rande, sondern an einer der schönsten Stellen des EXPO-Geländes und hat deutlich mehr Platz bekommen als die Pavillons der Aussteller-Länder. Die Objekte und Installationen bieten den Jüngsten die Möglichkeit, die Themen der EXPO selbst zu erforschen. „Ring um den Planeten, Ring um die Zukunft“ heißt das Konzept. Eine Geste der Umarmung, die unsere Verantwortung für das Wohlergehen des Planeten Erde symbolisiert.

Kuratiert hat den Children’s Park Sabina Cantarelli. Sie will zeigen, dass die Erde allen Lebewesen gehört – Menschen, Pflanzen und Tieren –, die miteinander in Verbindung stehen und voneinander abhängig sind. Spielerisch sollen die Kinder das Thema „Nachhaltigkeit“ erforschen und auf ihre Weise verstehen können. Im Children’s Park tauchen sie in eine Natur- und Fantasy-Welt wie Alice ins Wunderland ein, während sie komplexe Zusammenhänge des Lebens auf unserem Planeten erkunden. Der Park ist so konzipiert, dass die Kinder gleichzeitig lernen und Spaß haben können. Er steckt voller Spiele und Aktivitäten, an denen die Kinder sich beteiligen können. Das regt sie an, zu kooperieren und Beziehungen zu knüpfen.

Das kulturelle und architektonische Konzept beruht auf den Grundsätzen der Reggio-Pädagogik. Es verknüpft Bildung, Kommunikation, Architektur und Service-Design. Dass auch Kinder Ideen einbringen konnten, die wirklich umgesetzt wurden, gefiel mir besonders, denn die jüngsten Mitmenschen werden bei uns in Österreich nicht wie in Reggio Emilia als gesellschaftlich gleichwertig wahrgenommen.  Eine Säule des Konzepts ist die Architektur, die als Kommunikationsmittel dient. Farben, Formen und Klänge werden zu Schlüsselelementen für kindliches Lernen und die Kommunikation.

 

„Ring around Noses“ heißt die erste Station. Man sieht Glocken, die mit Düften von Pflanzen versehen sind, kann daran riechen und zu erraten versuchen, was da duftet. Die Pflanzen – Kräuter, Gemüse, Obst – werden in Glashäusern präsentiert, komplettieren das Erlebnis und verbinden es mit der Reggio-Philosophie: Kinder sollen das, was sie ernährt, selbst anbauen, pflegen und ernten können.

Expo Mailand 2015

„Ring around Water“ thematisiert die Bedeutung des Wassers: Kinder fangen Wassertropfen und lassen sie in einen Container fallen, wodurch spektakuläre Effekte ausgelöst werden und Pflanzen wachsen. Die Installation „Mikro und Makro“ an der Station „Ring around Life“ lockt Kinder, ihr Gewicht mit dem anderer Lebewesen zu vergleichen, Gemeinsamkeiten und Unterschiede festzustellen. Und bei „Ring around Trees“ finden sie eine interaktive Installation, die ihnen zeigt, wie unterschiedlich schnell Kinder und Bäume wachsen. Dabei wird sinnfällig, dass ein Gleichgewicht nötig ist, um unsere Umwelt zu erhalten.

Bei „Ring around Energy“ werden Musik und eine Wasserfontäne über Pedal-Antriebe stationärer Fahrräder erzeugt – eine Reminiszenz an das Reggio Children-Projekt „1000 Fahrräder“ aus dem Jahr 2002, das am kindlichen „Ich kann schon Fahrrad fahren“ anknüpfte und Reggios Bevölkerung verführen wollte, vom Auto auf das Fahrrad umzusteigen.

Bei „Ring around the Future“ können Kinder Mitteilungen an die Welt, an Freunde oder die Familie schreiben, die in einer transparenten Kunststoff-Erdkugel in einem Wasserbecken schwimmen, herausgefischt und ausgetauscht werden. So entsteht ein Fluss von Botschaften und Interaktionen. Die Reise endet beim „Ring around Play“, einem Garten mit Riesen-Gemüse, das zum Beklettern und  Erforschen einlädt.

Zurück in Reggio Emilia, dem Ausgangspunkt meines Tagesausflugs zur EXPO 2015, nehme ich am Remida-Day teil. Ernährung ist das Thema. Gemeinsam wird gekocht, gegessen, Rezepte werden ausgetauscht. Regionales, Biologisches und Traditionelles bilden die Grundlage für das kulinarische Erlebnis, sinnlich erfahrbar in der Stadt und ohne Verzicht zu predigen. Alle waren auf den Beinen, vom Haubenkoch bis zum Kindergartenkind. Welch ein erfrischender Gegensatz zum Kommerz in den EXPO-Pavillons!

Fotos: Monika Seyrl

 

vertritt Österreich im internationalen Reggio-Children Netzwerk, ist Obfrau im Forum Reggio-Pädagogik Österreich und arbeitet als Erwachsenenbildnerin im Bereich Reggio Kreativ- und Kulturpädagogik.

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