Redest du noch oder schwätzt du schon?

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Gibt´s in diesem Heft einen Wortklauber zum Thema Sprache? Selbstredend, sagt der Autor, lächelt vielsagend und hämmert auf die Tasten ein, denen seine Worte entspringen. Denn: Was ist schöner, als wortreich über Wörter zu reden, zu referieren, zu parlieren und zu kommunizieren, zu salbadern und nach Herzenslust zu fabulieren, zu plaudern, zu labern, zu babbeln und zu schwätzen? Obwohl die vielen Wörter eigentlich nur eins bezeichnen, nämlich das Formen von Lauten in der Stimmritze höherer Lebewesen, steckt doch jeweils eine hintergründige Bedeutung darin. Je nachdem, was ich sage, halte ich Reden oder erzähle Märchen.

Das mit dem Sprechen ist wie das mit Sex, Essen, Schlafen und anderen Primärfunktionen des Menschen: Alle tun es. Gerade deswegen reizt es uns, anderen Leuten zu unterstellen, sie täten auf unedle oder sinnlose Art, was wir so weise wie entschlossen verrichten. Ein Blick in alte Wörterbücher – etwa das Standardwerk der Gebrüder Grimm aus der Mitte des 19. Jahrhunderts – zeigt, dass unnützes Reden vor allem Frauen angelastet wurde: Geborene „Plaudertaschen“ und „Schwatztanten“ vergeudeten wertvolle Zeit für Klatsch, Ratsch und Tratsch. Schüler „schwatzen“ und „schwätzen“, statt sich mit klugen Gedanken in den Unterricht einzubringen. Was tut der Mann im Grimm-Buch? Er schweigt, weil das im Gegensatz zum zweitplatzierten Reden Gold ist. Selbst Herr von Goethe, durchaus ein beredsamer Mann, forderte eines Tages ungeduldig: „Der Worte sind genug gewechselt…“

Natürlich, es gibt auch Männer, die in den vergangenen Zeiten „schwatzten“: Demokraten, die im Parlament lange redeten, statt Entscheidungen zu treffen. „Wenn man das Volk gewähren ließe“, behauptete Kaiser Wilhelm, „so würde es die Schwatzbude im Reichstag schließen.“ Wie das Volk diese Maßnahme hätte treffen können, ohne sich – wenigstens kurz – darüber abzusprechen, ließ er offen.

Dem ohnehin als maulfaul geltenden Norddeutschen ist es vermutlich zuzuschreiben, dass das Wort „schwätzen“ als Verunglimpfung gilt. Badener, Württemberger, Pfälzerinnen, Moselfranken und Saarländerinnen benutzen es bekanntlich ganz neutral für sprechen. Und im Luxemburgischen heißt es sogar hochsprachlich „Ech schwätze Letzebuergisch“, wenn sprechen gemeint ist. Aber was sagt man in diesen Gegenden zum „wertlosen“ schwätzen? Babbeln, was die Hessen wiederum ganz wertfrei für das Sprechen verwenden. Radikaler als diese Schwatz-Verschiebung ist wohl nur die Bezeichnung slawischer Völker für Deutsche. Während wir die „Niemecki“ sind, also die „Nicht-Sprecher“, entstammt die Selbstbezeichnung der Slawen dem „Slowa“, das „Wort“ bedeutet. Ob das im Sinne von „Schweigen ist Gold“ gemeint ist?

Egal. Denn längst hat sich der Wind gedreht. In unserer Zeit wird mehr geredet als gehandelt – vielleicht, weil mit den Händen immer weniger zu tun ist. Demzufolge hat ein Wort sich in die vorderste Liga durchgewurstelt, das früher etwas ganz anderes meinte: die Kommunikation. Kommunizieren heißt verbinden. Wurde wer aus einem Verband – zum Beispiel dem guter Katholiken – ausgeschlossen, weil er gegen ein Schweigegelübde verstieß, war er exkommuniziert.

Heute kommunizieren wir, was das Zeug hält, und glauben, dass alltägliche Dinge wertvoller oder moderner werden, wenn wir sie mit abstrahierenden Fachwörtern oder Anglizismen versehen. Deswegen sagen wir „kommunizieren“, wenn wir uns „Feedback“ geben. Schreiben wir jemandem eine Nachricht, ist das ein „Posting“. Oder der Versuch, unserem Geschreibsel eine Bedeutung zu verleihen, die es gar nicht verdient?

Ist es sinnvoll, über den Sinn von Reden, Schwätzen und Schweigen nachzudenken? Die gute alte Bibel beantwortet nicht nur in Bezug auf die Entstehung der Sprache die Frage nach Huhn oder Ei überraschend deutlich: „Am Anfang war das Wort.“ Sie stellt auch klar: „Ein jegliches hat seine Zeit, und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde: Schweigen hat seine Zeit, Reden hat seine Zeit…“

Da nickt der Mafiaboss maliziös: „Sehe ich auch so, Signore. Meine Klienten muss ich erst zum Reden bringen. Und dann zum Schweigen.“

Foto: Uli Malende

Michael Fink ist Autor und Fortbildner.

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