Mein Buch

Das Sprachbildungsbuch für Kinder

 

Bilderbücher, die ihre Adressaten aus der Rezeptionshaltung heraus­locken und zur aktiven Gestaltung motivieren wollen, haben es auf dem Buchmarkt traditionell schwer. Sie werden oft in die Sach- und Spielbuchecke gedrängt. Einen ähnlich schweren Stand haben Bilderbücher, deren Illustrationen von Kindern und nicht von professionellen Illustratoren angefertigt werden; auch sie sind auf dem Markt nicht nachgefragt, wie zahlreiche Versuche belegen. Mit diesen beiden Hypotheken geht Mein Buch an den Start, ein Projekt, das in der grund_schule der künste an der Universität der Künste Berlin in Kooperation mit wamiki entwickelt wurde. Es geht um einen offenen, kreativen Umgang mit Sprache und Bildern, mit Buchstaben, Wörtern und Bildzeichen. Es geht um Zugänge zur Bildung durch eigene Erfahrungen mit dem Erzählen von Geschichten.

 

Was zunächst nach einem Lernlesebuch für die Grundschule klingt, ist tatsächlich etwas grundlegend Anderes. Das wird schon am Design deutlich: Man öffnet nicht ein Buch, sondern eine Pappschachtel, in der drei Hefte sowie zwei dicke Buntstifte liegen, ergänzt durch einen Stapel leerer Buchseiten.

Heft 1 bietet Ansätze von Geschichten, überwiegend in Bildern erzählt, die Kinder angefertigt haben. Diese Geschichtsanfänge können weitererzählt oder umgedeutet werden, durch eigene Zeichnungen auf freien Heftseiten oder durch Hineinzeichnen in vorhandene Bilder. Die narrativen Vorgaben wechseln dabei in ihren ästhetischen Grundformen, in ihren Stimmungen und in ihrer Sinnlichkeit, so dass hier Erzählen in seinen vielfältigen Kommunikationsformen erfahrbar wird.

Auch Heft 2 führt den offenen, spielerischen Ansatz der Annäherung an Sprache fort. Das Wort Anfang mit seinen einzelnen Buchstaben wird nun zum Spiel- und Experimentierfeld, sowohl für die Macher als auch für die Nutzer. In lockerer Anlehnung an die bildhaften ABC-Bücher kann man sich in die fantasievolle Buchstaben-Welt durch Wort und Bild einklinken.

 

Das dritte Heft verdeutlicht noch einmal die Grundidee der Autor*innen, bildnerische Äußerungen von Kindern als Basis und Motivation für eigene, individuelle Erzählübungen zu nutzen. Auf ästhetisch ausgesprochen reizvollen und anregenden Bildflächen, die Kinder mit Hilfe von Zeichenmaschinen hergestellt haben, kann nun eine eigene längere Geschichte mit einem dramaturgischen Verlauf gezeichnet und geschrieben werden, ohne pädagogischen Zeigefinger oder einengende Vorgaben.

Die Intention des Projektteams, dass sich Zugänge zur (fremden) Sprache über das Erzählen mit seinen bildhaften und sprachlichen Mustern und Regeln, aber auch mit den Möglichkeiten individueller Ausdeutungen ergeben, wird in den drei Heften mit ihren aufeinander abgestimmten Materialien überzeugend umgesetzt.

 

Man versteht die Konzeption dieses ‚Buchs ‘ noch klarer, wenn man sich den kulturpolitischen Hintergrund vergegenwärtigt. Das Autorenteam hat sich zum Ziel gesetzt, mit Mein Buch all den Kindern eine Chance auf Teilhabe an der deutschen Sprache und damit an Bildung zu geben, die durch Migration, Flucht und soziale Ausgrenzung erschwerte Lernbe­dingungen vorfinden. Die Pappbox wurde bereits an viele Kinder in Berlin über die grund_schule der künste kostenlos verteilt. Mein Buch könnte Kindern auch an jedem anderen Ort eine solche Chance bieten, auch oder gerade jenseits der klassischen Lernorte.

Text: Jens Thiele
Fotos: Elisa Bauer

Das Kinderbuch der Woche: „Ellington“

Bücher für Kinder von null bis zu zwölf Jahren und für ihre Erwachsenen – von Gabriela Wenke empfohlen. Jeden Donnerstag bis zur Frankfurter Buchmesse 2019!

Was man liebt, muss man freilassen

 

Die Klavierlehrerin Frau Treuherz heißt, wie sie aussieht: treuherzig. Eines Tages begegnet ihr ein weißer Erpel, der sie Hilfe suchend anschaut, denn ihn erwartet nach dem Verkauf beim Geflügelhändler nichts anderes als ein Bratofen. Sie weiß sofort, dass der Erpel Ellington heißen muss, nach dem Jazzmusiker Duke Ellington. Sein Blick und der Name, den sie ihm gab, lassen ihr keine andere Wahl: Sie muss ihn kaufen.
Ihre kindlichen Klavierschüler sind besonders entzückt, als sie merken, dass Ellington musikalisch ist und zu allen Stücken tanzt, die mit Federvieh zu tun haben. Als die aufmüpfigen Zwillingsmädchen ihm das Lied aus „Peter und der Wolf“ vorspielen, in dem der Wolf eine Ente verschluckt, wird Ellington wütend. Er versteht die Musik also.
Zwar ist Ellington froh über seine Rettung, doch ihm fehlt die Freiheit. Schließlich nimmt Frau Treuherz ihn an die Leine und geht mit ihm in den Park, wo er sich in eine kleine braune Ente verliebt. Natürlich will er zu ihr, aber Frau Treuherz will ihn nicht an eine Ente und den See im Park verlieren. Sie sperrt ihn wieder in die Wohnung ein, woraufhin Ellington erst randaliert und dann in schwärzeste Trauer fällt.
Der erwachsene Klavierschüler Herr Straubinger, ermuntert durch den Lebensgeist, den Ellington Frau Treuherz eingehaucht hat, verliebt sich ein bisschen in die Klavierlehrerin und bringt ihr ein Ständchen. Als er „Ich wollt ich wär ein Huhn“ singt, stimmt sie ein, tanzt mit ihm, und da mischt plötzlich auch Ellington wieder mit. Das rührt Frau Treuherz so, dass sie den Enterich freilassen kann. „Ellington lächelte, so gut ein Enterich eben lächeln kann“, und Herr Straubinger geht mit zum See, um nicht zu verpassen, wie Ellington mit seinem Ententanz das Herz der Angebeteten erobert.
Schlussbild: Herr Straubinger und Frau Treuherz sitzen in einem Tretboot, dem Ellington, die kleine braune Ente und einer Schar gelb-brauner Küken folgen. Happy End.
Die Geschichte darüber, dass man aus Liebe oder Bewunderung niemandem die Freiheit rauben darf, ist ein Klassiker. Dass es diesmal um eine treuherzige Klavierlehrerin und einen Erpel geht, lässt Erwachsene zwar schmunzeln, aber die Botschaft, von Marlies Bardeli poetisch vermittelt, kommt trotzdem an. Der von mir bewunderten belgischen Illustratorin Ingrid Godon gelingt es mit wenigen gut gesetzten Strichen und sanften Farben, Gefühle, Stimmungen und Charaktere der Menschen und Tiere hinreißend und komisch zu Papier zu bringen. Selten hat jemand eine Ente so überzeugend zum Leben erweckt und tanzen lassen wie Ingrid Godon den Ellington. Ein herausragend schönes Bilderbuch, an dem Kinder ab vier Jahren ihren Spaß haben werden. Selbst jüngere werden dem Treiben des musikalischen Enterichs vergnügt folgen.
Gabriela Wenke

Das Kinderbuch der Woche: „Das Kleine“

Bücher für Kinder von null bis zu zwölf Jahren und für ihre Erwachsenen – von Gabriela Wenke empfohlen. Ab heute 52 Mal.

Während in Frankfurt am Main die Buchmesse stattfindet, stellen wamiki und Gabriela Wenke das „Kinderbuch der Woche“ vor: Es ist ein herausragendes Bilderbuch aus dem österreichischen Verlag Jungbrunnen, der es immer wieder wagt, Bücher zu veröffentlichen, die nicht den Mainstream bedienen. Das „Buch der Woche“ heißt „ Das Kleine“, illustriert von der Argentinierin Isol, und manche Erwachsene mögen rätseln, für welches Alter es gedacht ist. Der Verlag sagt: ab 4 Jahren.
Immer, wenn Bilderbücher auch Erwachsene entzücken, weil Strichführung wie Text begeistern, taucht die Frage auf: Ob das Kindern gefällt? Seit Jahrzehnten antwortet Gabriela Wenke: Ja!

Natürlich muss so ein Buch nicht allen Kindern gefallen. Und nicht allen Erwachsenen. Ganz davon abgesehen, dass Erwachsene und Kinder nicht unbedingt das Gleiche berührt, denn: Jeder Mensch – wie alt oder jung er auch sei – hat seine eigene Lesart. Aber die Ankunft eines Kindes in einer Familie, in der man es so freudig und voller Neugier willkommen heißt wie in „Klein“, dieses Wunder berührt tatsächlich alle.
Überzeugen Sie sich – Sie finden unstenstehend die Rezension und übrigens auch in der aktuellen Ausgabe von wamiki (4/2018). Das Buch gibt es in Ihrer Buchhandlung. Oder man bestellt es dort für Sie.
Zurück zum „Buch der Woche“: Meist wird es sich um Neuerscheinungen handeln. Aber manchmal lohnt auch der Rückgriff auf vergangene Jahre, findet Gabriela Wenke, die das jeweilige Buch auswählt. Sie war Mitglied in zahlreichen Jurys und entscheidet nun allein. Das traut sie sich zu, weil sie viel Erfahrung mit Kinderliteratur hat. Urteilen Sie in den nächsten zwölf Monaten selbst, ob Sie – und die Kinder – mit Gabriela Wenkes Empfehlungen zufrieden sind.
Die wamikis und Gabriela Wenke sind gespannt auf Ihre Reaktionen und freuen sich, wenn Sie die Bücher mögen.

Und hier Gabrielas erstes Buch der Woche:

Vom Auf- und In- die-Welt-Kommen

Bilderbuch

Wenn eine Ausnahmekünstlerin wie ISOL ein Buch über die Ankunft eines Kindes in der Welt malt und schreibt, dann wird das kein Babybuch. Es erzählt vom Anfang eines Menschen und zeigt völlig kitschfrei, wie ein „Kleines“ vom Himmel fällt. Mama und Papa haben alle Hände voll zu tun, um es nicht fallenzulassen. Es schreit, und das ist gut so, damit alle merken: Es ist da. Alle staunen, als wäre es das erste seiner Art: so winzig, so perfekt, so geheimnisvoll, wie es da durch die Luft zu schwimmen scheint.

Von der ersten Zeit eines solchen „Kleinen“ wird so berichtet, dass kleine und große Leser sich zu erinnern scheinen, wie das war, in die Welt zu kommen. Mit sanfter Ironie und herzlichem Humor überlegt ISOL, ob das „Kleine“ am Anfang seiner Reise wusste, wohin es wollte: Wir sehen, wie es an einem Steuerrad im Bauch der Mutter sein Ziel avisiert.

Doch die Erinnerungen an das Vorher sind aufgehoben, als das „Kleine“ ankommt. Wir erfahren, wie es die Welt sieht und wie die Welt es sieht. Zum Beispiel hat es wunderbarerweise zwei Zipfel an den Seiten des Kopfes – wie Antennen, die Geräusche transportieren. Das ist ebenso aufregend wie das Trinken und Pinkeln, das Schauen und Rülpsen, das Kotzen und die Kackfee, vielleicht eine Schwester der Zahnfee.

Das eine „Kleine“ bleibt nicht allein – es gibt viele „Kleine“. Sie sind unterschiedlich, bringen andere zum Lächeln und weinen mit, wenn andere weinen. Man kann ihnen nichts vormachen. Sie bekommen unendlich viel mehr von ihrer Umgebung mit, als die „Großen“ merken.

Das Buch ist eine Liebeserklärung an das „Kleine“ und dadurch auch an die Menschen, die sich aufmerksam auf es einlassen und ihr „inneres Kind“ wiederentdecken. Dieses „Kleine“ in jedem Erwachsenen – dargestellt durch blaugestrichelte Figuren –, macht es den neuen „Kleinen“ leichter, sich in der Welt wohlzufühlen.

ISOL kann auch bittere Geschichten erzählen. Aber in diesem Buch, das man allen werdenden Eltern überreichen sollte, feiert sie auf feine und sensible Weise das Wunder, das jedes Kind ist, und ist überzeugt, dass die „Großen“ noch Erinnerungen an das Kleinsein haben. Kindern sagt das Buch: Auch du bist so ein Wunder, das auf diesem Planeten landete. Auch du wirst gebraucht und geliebt.

In einfacher Sprache, mit kurzen Sätzen erzählt ISOL von alltäglichen Beobachtungen. Krakellinien mit gedoppelten Umrissen geben den Bildern etwas zart Zittriges. Die wenigen Farben auf einem Packpapier-Hintergrund verleihen den Aussagen hohe Emotionalität.

Da das Titelbild das kühlste Bild von allen ist, sollte man das Buch unbedingt aufschlagen. Lässt man sich von den anrührenden Szenen führen, wird man feststellen: Das ist große, originelle Bilderbuchkunst.

Forschen, Bauen, Staunen von A bis Z

Die Reihe gehört zu den schönsten deutschen Büchern. Diese Entscheidung war einstimmig, eindeutig, einzigartig: „Da saßen intellektuelle, erwachsene Menschen über kleinen, auf den ersten Blick eher nicht ins Auge stechenden Büchlein und hatten dieses Strahlen in den Augen, das bei vielen Menschen im Prozess des Erwachsenwerdens verloren geht. Sie zeigten sich kleine, im Alltag erlebbare Experimente und diejenigen, die keine Kinder, Neffen oder Nichten haben, wünschten sich welche.

Sie sprachen davon, wie schön es wäre, wenn Schulbücher diesen Geist atmeten und wie souverän sich diese kleinen, alphabetisch „durchgezählten” Bändchen neben Apps und Youtube einen Weg ins Herz der kleinen Forscherinnen und Forscher, Entdeckerinnen und Entdecker bahnen. Sie entschieden, den Preis der „Stiftung Buchkunst“ für Bücher zu vergeben, die keinerlei bibliophile Assoziation wecken und gerade damit junge Freunde fürs Buch gewinnen: Die Reihe „Forschen, Bauen, Staunen von A bis Z.”, so Karin Schmidt-Friedrichs im Vorwort zu „Die schönsten deutschen Bücher“.

Mal ehrlich: Wie viel von dem Schabernack, den Tricks und den Lernspielen aus den Freizeitvertreibbüchern von damals haben wir tatsächlich nachgemacht? Die 26 Forschen-Bauen-Staunen-Hefte mit Anleitungen zu Stichworten von A bis Z provozieren geradezu den Nachholbedarf bei Erwachsenen, auch wenn freilich die Kinder angesprochen sind. Eine enorme Palette an Themen reizen zum Mittun, Basteln und Gestalten. Das jeweilige Phänomen, das Bastel- oder Trickergebnis wird als Frage, Kommentar und großes Bild vorgestellt, gefolgt von Materialliste und Schritt-für-Schritt-Anleitung. Die Attraktivität liegt in dem Unmittelbaren der Fotografien, der Fotosequenzen, weil die Fotos das direkte Geschehen zeigen. Es sieht alles so leicht und heiter aus und täuscht über die Komplexität der redaktionellen und fotografischen Konzeption und Durchführung hinweg. Eine für diese Reihe entworfene Schrift, eine Art handgeletterter Druckbuchstaben, hat eben beides: die improvisierte Anmutung des Handgeschriebenen und die prima Lesbarkeit einer Satzschrift. Das Projekt ist auch dem Spracherwerb selbst gewidmet. Die Texte trainieren Lesen und Rechtschreibung, ein Link zur Wörterfresser-App erweitert den Wortschatz. Womit fangen wir an? „Quatsch“ klingt sehr verlockend.

Machtspiele

Bilderbuch

„Hier kommt keiner durch!“ – Das Medium Buch wird Teil der Geschichte, die Mitte der Doppelseite zur unsichtbaren Grenze, die nicht überschritten werden darf. Ein Aufpasser hindert die immer bunter werdende Menge, von der linken auf die rechte Buchseite zu wechseln, die blütenweiß und leer bleibt. Den Grund für seine Aufgabe hinterfragt er nicht, er führt sie gewissenhaft aus, auch als er von den Menschen mit immer drängenderen Fragen nach dem Sinn des Ganzen konfrontiert wird. Schließlich löst sich ein Ball aus der Menge, hopst nach rechts, und da gibt es kein Halten mehr: Die ganze Schar stürmt hinterher.

Die konzeptionelle Idee dieses stringent strukturierten Bilderbuchs ist mit einfachen bildnerischen Mitteln umgesetzt. Die Filzstiftzeichnungen geben ihm eine aus dem Rahmen fallende Ästhetik. Text gibt es in diesem Buch kaum; das wenige, das gesprochen wird, steht in farbigen Sprechblasen. Dafür verstecken sich in dem Gewimmel umso mehr Erzählanlässe. Denn das, was auf den ersten Blick ungeordnet wirkt, folgt einer eigenen Logik. Jede der 62 Figuren erhält einen eigenen Charakter und erzählt eine eigene Geschichte. Das Thema des Buches, der Umgang mit Autoritäten, ist universell und umfasst das Verhalten auf dem Schulhof ebenso wie politische Dimensionen. Diese Zusammenhänge greift das Buch auf witzige und ungewöhnliche Weise auf. Ausgezeichnet mit dem Deutschen Kinder-und Jugendliteraturpreis 2017.

Versteckspiele

Bilderbuch

„Hast du meine Schwester gesehn? Sie ist größer als ich. Und sie hat blaue Augen.“ Ein kleiner Junge sucht seine große Schwester. Er weiß genau, wie sie aussieht und was sie anhat. Er nimmt uns mit auf seine Suche und fragt jeden, der ihm begegnet. Aber halt! Ist das wirklich ein Hund hinter dieser Mauer dort? Oder etwa ein grüner Drache? Hinter jeder Seite dieses Buches verbirgt sich etwas ganz Anderes, als wir zunächst zu sehen glauben. Schließlich findet der kleine Junge seine Schwester, aber nur mit der Hilfe des Betrachters!

Es ist eine Suche zwischen Ernst und Spiel, zwischen dem Alltag im Leben eines kleinen Kindes und dem Theaterspiel größerer Kinder. Suchen, Finden und Entdecken werden auf drei Ebenen initiiert und angeregt. Auf der Ebene des Theaterspiels größerer Kinder für Kleine, auf der Ebene des frühen Versteckspiels kleiner Kinder und auf der Ebene des Formenspiels. Ein Klappbilderbuch voller Überraschungen, mit farbenfrohen, expressiven Bildern von Joke van Leeuwen.

Vom Wolf, der keine Kreide frisst

Bilderbuch

Der Wolf gibt sich große Mühe, sich als Ziegenmutter zu verkleiden, und ist so überzeugt, die Geißlein werden ihm keinen Widerstand entgegensetzen, dass er nicht mal Kreide frisst. Er stößt die Tür auf, brüllt los, stürzt aber über Bälle, Schirme und alles, was zu dem Chaos im Hause der sieben Geißlein gehört. Ein schönes Suchbild: Wo stecken die Geißlein? Auf der Lampe, unterm Grün der Zimmerlinde…

Der Wolf beschließt, erst mal das Zimmer aufzuräumen, damit die Tierchen keine Verstecke mehr haben. Außerdem gehen ihm Unordnung und Dreck auf die Nerven. Inzwischen verziehen sich die Geißlein in die noch chaotischere Küche. Wieder ein Suchbild!

Als das Erdgeschoss aufgeräumt ist, geht es im ersten Stock und unterm Dach weiter. Der Wolf putzt und räumt, um freien Blick auf seine Beute zu bekommen. Endlich hat er alle Geißlein vor sich. Unbeeindruckt hören sie zu, wie er über den Saustall schimpft. Da öffnet sich die Haustür, und Mutter Ziege, begleitet von ihren Nachbarn, den Schweinen, tritt herein, überragt den Wolf bei weitem und borgt ihn den Schweinen. Als Putzhilfe.

Sebastian Meschenmosers buntes Geißlein-Gewusel sprudelt von originellen Ideen und Lebensfreude nur so über. Ein Riesenspaß voller Hintersinn.

Wenn Papa im Gefängnis ist

Bilderbuch und Sachbuch

An Tagen, an denen der Vater Omas Haselnussparfüm benutzt, mag der Junge ihn lieber, denn das Minzparfüm erinnert ihn an den Geruch im Schulklo. Aber Papa lacht und sagt, wenn er das Haselnussparfüm nehme, würden sich die Eichhörnchen auf ihn stürzen. Lacht der Vater so, wird dem Jungen warm im Bauch.

Das Gesicht mit dem strahlenden Lachen füllt die ganze Seite des großformatigen Buches, in dem es nur wenige Farben gibt: Pappbraun, graue Schattierungen, schwarze Kohlestriche und Weiß. Ganz anders wirkt der Vater auf der nächsten Seite: Der Junge erinnert sich, wie es war, als er Papa die Zigaretten wegnahm, damit der nicht mehr raucht. Zwei Porträts, zwei Seiten einer Medaille.Auf dem Schulhof ist der Junge oft allein. Er weiß nicht, ob und wie er sagen soll, wo sein Vater ist: im Gefängnis. Nur eine Stunde haben der Junge und seine Mutter mit ihm, wenn sie ihn besuchen. Schließlich nennt der Junge ihn Wolkenbildhauer, Maulwurfsbändiger und Nebelfabrikant, denn er ist verantwortlich für den Nebel der Enttäuschung in Mamas Augen. Dafür hasst der Junge ihn. Aber er weiß: Das ist sein einziger Papa.

Jedes der meisterhaft gezeichneten Bilder fängt ein Stück der Geschichte dieser kleinen Familie ein: der Vater im Gefängnis, die Enttäuschung der Mutter, Liebe und Zorn des Jungen, der keine Ahnung hat, was er den anderen Kindern sagen soll. Indem ZAÜ den Vater lebendig und voller Gefühle zeichnet, vermittelt er seine Wahrheit dieser Geschichte: Ein Mann, der seinen Sohn liebt, und ein Junge, der ihn trotz allem vermisst.

 

Die Wahrheit über Armut in einem reichen Land

Kinderbuch

Die Autorin und Illustratorin Jutta Bauer hat Schülerfragen zum Thema „Armut“ gesammelt, die betroffene Erwachsene und Jugendliche beantworten. Schwerer war es, Reiche zum Reden zu bringen, denn die „sprechen nicht gern über Geld“, erläutert sie im Vorwort. Doch ein paar Reiche haben es getan.

Das Buch entstand in Hamburg, und die Armen, mit denen Jutta Bauer sprach, traf sie bei Organisationen, die arbeits- oder obdachlosen Erwachsenen, Kindern und Jugendlichen helfen, zum Beispiel „Café mit Herz“, „Hinz & Kunz“ oder „KIDs“. Aber vieles, was sie in Hamburg fand, gibt es so oder ähnlich auch in anderen großen Städten.

Fakten ergänzen die Geschichten und Antworten: Wie viel Prozent Kinder gelten in der BRD 2015 als arm? 19,07 Prozent! Und der Prozentsatz steigt…

Die Fragen der Schüler beziehen sich jedoch nicht nur auf Daten und Fakten, sondern auch auf die Gefühle der Betroffenen, auf ihre Erwartungen, Freuden und alltäglichen Probleme: „Wo gehen Sie duschen?“

Das ist nicht wahr!

Bilderbuch

Auf dem Buch ist ein gelber Würfel zu sehen. „Das ist ein Ball“, steht daneben. „Das ist ein Fahrrad“ steht links auf einer Seite, und rechts sehen wir ein Auto. Als hätten wir Einspruch erhoben, lesen wir: „Guck dir die Räder an. Das ist auf jeden Fall ein Fahrrad.“ Niemals ist der Widerspruch eine Richtigstellung, sondern von Seite zu Seite werden die Behauptungen absurder.

Für dieses Buch braucht man Humor und die Fähigkeit, zu benennen, was man tatsächlich auf den Bildern sieht. Kind und Vorleser können es witzig finden, dass eine Prinzessin als Monster bezeichnet wird, ein Monster als Prinzessin und dass am Ende des Buches steht: „Das ist nicht das Ende von diesem Buch!“

Manche Menschen haben keine Freude an solchem Quatsch. Das kann man nur akzeptieren und still vor sich hin kichern.

 

Mikas Himmel

Bilderbuch

Der dunkle Hund Mika, der uns auf dem Titelblatt so treuherzig anschaut, ist tot. Wir sehen Hund und Körbchen, eine Kreidezeichnung auf mattem Schwarz – wie auf einer alten Schultafel. Dieses Schwarz bekommt farbige Ecken, die von Doppelseite zu Doppelseite größer werden und dem Schwarz langsam den Umriss eines Hundes geben. In den farbigen Rändern tauchen mehr und mehr Erinnerungen an ein Hundeleben auf: erst nur Stöckchen, dann ein im Regen tanzender Hund, einmal gar mit Flügeln.

In knappen Sätzen kommt der kleine Bruder zu Wort, der fragt, wie es für Mika im Himmel denn sein wird und ob der Hund auf den Wolken laufen kann. Keine Ahnung.

Am nächsten Morgen hört der kleine Bruder Gebell, und dann hören es alle: Gebell aus dem strahlend blauen Himmel. Und auf den weißen Wölkchen spielt ein glücklicher Hund.

Lakonisch, dicht und sehr berührend wird der kleine Bruder mit dem unfassbaren Sterben Mikas in wenigen Worten und Bildern konfrontiert: erst geheimnisvoll düster, dann immer fröhlicher greifen die Zeichnungen die Erinnerung an Mika auf. Ob es im Hundehimmel wirklich so zugeht – wir wissen es nicht. Aber glauben wollen wir es schon.

Ein zauberhaftes Bilderbuch von zwei großen Künstlerinnen, den Niederländerinnen Bibi Dumon Tak und Annemarie van Haeringen. Beide überraschen mit immer neuen Ideen und Formen.

 

Ich war’s nicht!

Kinderbuch

Robinhund ist ein lebhaftes Kind. Er hat im Kindergarten eine Freundin, Fritzi, die gern wild mit ihm spielt. Wenn er sie auf der Schaukel so doll anschubst, dass sie im hohen Bogen gegen Onno fliegt, ist er schuld. Die Kinder, ihre Erzieherin Hedda und die Leiterin sehen ihn nur als Störenfried. Schließlich reicht es Robinhund. Er haut ab und versteckt sich. Aber sein großer Bruder findet ihn, und sie gehen zusammen nach Hause.

Dieser große Bruder ist der verständnisvolle Freund, den sich wohl jedes Kind wünscht. Er versteht, dass das umgefallene Glas, der Flug von der Schaukel und andere Missgeschicke keine Absicht waren, ist stark wie ein Vater und damit für Robinhund ein Fels in der Brandung.

Kleine Skizzen auf dem Vorsatzblatt stimmen darauf ein, dass die beiden Jungen eine ganz besondere Beziehung haben: Sie spielen zusammen, fahren Schlitten und schlafen in einem Bett. Mit diesem großen Bruder kann Robinhund nichts passieren, und er versteht nicht, was er im Kindergarten überhaupt soll. Ohne die freche Fritzi wäre er dort unter kindlichen Bedenkenträgern allein.

Eine wunderbare Geschichte, besonders für Kinder, die Farbe ins Leben bringen, denen dabei auch mal was schiefgeht und die keinen großen Bruder haben.