Das Kinderbuch der Woche: Mädchen so und Jungen so

Bücher für Kinder von null bis zu zwölf Jahren und für ihre Erwachsenen – von Gabriela Wenke empfohlen. Jeden Donnerstag bis zur Frankfurter Buchmesse 2019!

Dieses Bilderbuch macht Spaß!

Der Ich-Erzähler hat nämlich nicht nur eine neue Freundin – Pina, das schönste und schlauste Mädchen im Kindergarten –, sondern auch eine neue Sicht auf die Welt. Die hat er von Pina, deren Eltern „verrückte Künstler“ und nicht immer da sind, um auf ihr Kind aufzupassen.

Die Mama des Ich-Erzählers findet Pina nicht verrückt, sondern forsch und wünschte sich ihren Sohn auch so. Aber dass er seine neuen Lieblingsfarben Rot, Pink, Violett und Rosa nun dauernd tragen muss, verursacht ihr Herzrasen.

Der Papa hingegen wirkt wie erlöst, weil die Farbenordnung – Mädchen so und Jungen so – aufgehoben ist, denn er leidet darunter, dass er jeden Tag in einem grauen Anzug zur Arbeit gehen muss, obwohl seine Lieblingsfarben Grün und Blau sind. Aber: Grün und Blau „trägt nur Kaspars Frau“, heißt es. Deshalb trägt der Papa bloß immer grüne und blaue Socken.

Doch die Änderung althergebrachter Regeln ist nicht leicht. So behauptet zum Beispiel Eddies Vater, dass Mädchen nicht Fußball spielen dürfen, dass Jungen, deren Lieblingsfarbe Rosa ist, schwul werden und dass deren Eltern dann schuld daran sind. Das bringt Mama so auf die Palme, dass ihr Sohn fürchtet: Gleich kriegt sie einen Herzinfarkt.

Natürlich weiß Pina, was schwul ist: Wenn Männer sich küssen. Papa küssen gehört nicht dazu. Also verschieben die Kinder die Entscheidung, ob sie schwul werden wollen, auf später und zeigen den Papas schon mal, dass man mit Mädchen wunderbar Fußball spielen kann und dass die Erzieherin einen ausgezeichneten Torwart abgibt.

Die federleicht erzählte Geschichte rückt – mit comichaften, sehr beweglichen Strichmännchen und skurrilen Ideen – die Ansichten einiger altmodischer Eltern zurecht. Wer will, kann die angerissenen Probleme natürlich mit den Kindern besprechen, doch in einer einigermaßen liberalen Umgebung auch darauf vertrauen, dass Kinder ansprechen, was sie wissen wollen, und spielen, was sie beschäftigt.

 

Das Kinderbuch der Woche: Alle behindert!

Und Du kommst auch drin vor!

Bücher für Kinder von null bis zu zwölf Jahren und für ihre Erwachsenen – von Gabriela Wenke empfohlen. Jeden Donnerstag bis zur Frankfurter Buchmesse 2019!

Dem Down Syndrom widmete der Verlag Klett Kinderbuch mit „Planet Willi“ schon ein Buch. Diesmal geht es um Kleinwüchsige, Menschen mit Muskelschwäche, Herzschwäche und Offenem Rücken. Doch mit „Angeber“ erweitern Autorin, Illustrator und Gestalter – Monika Osberghaus und Horst Klein – den Begriff der Behinderung oder Beeinträchtigung um ein paar Facetten, darunter „Mitläufer“, „Tussi“ und „Rüpel“. Dass auch „Hochbegabung“ Betroffene beeinträchtigen kann, „Schüchternheit“ und „Korpulenz“, spart die originelle und treffsichere Aufzählung nicht aus.

Für jede Beeinträchtigung wird ein bestimmtes Kind vorgestellt, aber die Antworten auf die gleichbleibenden Fragen weisen über den Einzelfall hinaus. Manches Mal werden sich Erwachsene und Kinder ertappt fühlen, wenn sie die Antworten auf die Frage „Was lasse ich lieber?“ lesen.

Jede Seite ist witzig gestaltet und steckt voller humorvoller Details: Spitz- und Schimpfnamen oder die Aufzählung all dessen, was einfach nur doof ist. Zum Beispiel, dass viele Sehende denken, Blinde könnten nicht gut hören oder sprechen.

Frech und respektlos, aber nicht verletzend, sondern „witzig, wild und voller Liebe“ – so beschreibt der Verlag das Buch. Allein oder mit anderen Menschen kann man sich lange damit beschäftigen. In Kindergruppen wird bestimmt darüber diskutiert, welche Beeinträchtigung jemand haben könnte – nach allgemeiner Einschätzung oder nach der eigenen. Am Ende können sich alle sagen: „Gut, dass wir darüber geredet haben.“ Vielleicht werden sie nun ein wenig sorgfältiger auf die eigenen Kriterien und die Befindlichkeit der Betroffenen achten. Und: Wer bei so vielen Denkanstößen nicht nachdenklich wird, darf sich das Buch noch einmal vorlesen lassen oder es selbst noch mal lesen.

Das Kinderbuch der Woche: Das ist ja ein Ding!

Bücher für Kinder von null bis zu zwölf Jahren und für ihre Erwachsenen – von Gabriela Wenke empfohlen. Jeden Donnerstag bis zur Frankfurter Buchmesse 2019!

 

Bilderbuch

Ein kleines Mädchen erkennt einen roten Schimmer auf dem Wasser, so klein wie ein Ball. Könnte das nicht die alleroberste Spitze eines Walfischs sein? Und schon schwimmt da ein riesiger Wal mit seinem Jungen im Fluss, an dessen Ufer viele Kinder und Erwachsene in einem Park spielen oder spazieren gehen.

Das kleine Mädchen trifft ein größeres, das die Sache mit dem Wal nicht glauben will und sicher ist: Es handelt sich um einen Hut, der alsbald zur Blüte wird, zur Feuerwehr, zum Musikantenhelm, zum Drachen – bis der rote Schimmer verschwindet, als der Fluss ins Meer mündet.

Die raffinierte Bildgeschichte zeigt im unteren Teil der Seiten, was sich von dem „roten Ding“ unter der Wasseroberfläche befindet: Das ist wirklich abenteuerlich und ganz unwahrscheinlich.

Auf jeder Doppelseite steht ein Vierzeiler, dessen letztes Wort fehlt. Man muss es beim Vorlesen erraten. Zwar muss man so unwahrscheinliche Sachen wie „Mars“ erraten, doch das ist ganz einfach. Im obersten Drittel der fein gezeichneten Bildgeschichte tauchen nämlich immer Hinweise auf, die dem zuhörenden und -schauenden Kind die Worte in den Mund legen: Zum Beispiel spielen Kinder, sie seien Außerirdische, kommen also vom Mars.

Der obere und der untere Teil der Bildgeschichte beziehen sich stets aufeinander, und das dritte Glied der Geschichte sind die Reime mit dem fehlenden Wort am Ende, das sich aus Bildern und Text so pfiffig von oben nach unten erschließt, dass sich die Assoziationen fast überschlagen. Allerdings muss man aufmerksam bleiben, die beiden Bildebenen und die witzigen Reime von Ebi Naumann im Kopf behalten. Wer nur flüchtig durch die Seiten blättert, dem entgeht der Witz der Geschichte.

Fantasie, Wort- und Bildwitz  machen aus „Das rote Ding“ eine humorvolle, intelligente Bilderbuchgeschichte, für deren Idee die Illustratorin Heike Herold 2016 zu Recht den Troisdorfer Bilderbuchpreis bekam. Damals lag die Geschichte als Projekt vor. Jetzt hat der Aladin Verlag sie als Buch herausgegeben – voller kluger und humorvoller Details, die kleine Kinder vielleicht noch nicht zu würdigen wissen. Dafür werden sie die vielen Bildhinweise gewiss schneller entdecken als der erwachsene Vorleser. Reimen können sie sowieso: Klar dass zu „hinterher“ nur „Feuerwehr“ passt!

Eine hinreißend erzählte Bildgeschichte, die man sich mehrmals zu Gemüte führen sollte!

 

 

 

 

Das Kinderbuch der Woche: Schwester werden

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Bilderbuch

Leni freut sich zwar, als der Bruder geboren wird, aber er ist enttäuschend klein. Sie fragt ihren – großen – Freund Schwein: „Wächst der noch, oder kann man den umtauschen?“ Das kluge Schwein weiß: „Der wächst, aber das dauert.“
In der Zwischenzeit haben Leni und Freund Schwein mit all den Spielsachen jede Menge Spaß. Grau sind in dieser bunten Welt nur die Sachen, die zum Baby gehören: Schnuller und Konsorten. Schwein hält Leni die Ohren zu, wenn der Kleine brüllt, und die Nase, wenn die Windeln gewechselt werden. Schwein tröstet sie, wenn alle Welt nur den Kleinen sehen will. Die Spiele von Leni werden immer wilder, fast verzweifelt, und schließlich landet sie mit verstauchtem Bein im Bett. Als sie da zur Ruhe kommt, bemerkt sie auf einmal, dass der kleine Bruder jauchzt und strampelt. Na, so was! „Das könnte ja doch etwas werden mit dir“, findet Leni nun.
Diese Geschichte setzt die vielfach preisgekrönte Helga Bansch in überzeugende Bilder um. Ganz eng mit dem aufrecht stehenden Schwein verbunden, schaut Leni ihm auf dem Titelbild misstrauisch über die Schulter. Das Baby kommt in dieser Eintracht nicht vor.
Wunderschöne rote Tulpen locken uns vom Vorsatzblatt in die Geschichte hinein. Leni führt offensichtlich ein buntes, fröhliches Leben mit all den fantastischen Spielsachen und dem übergroßen Freund Schwein – Beschützer, Berater und Spielgefährte. Ganz grau an den Rändern erahnt man die Eltern mit dem Baby und die Besucher, die alle nur zu ihm wollen. Einziger Trost im immer größeren Kummer ist das warme, weiche Schwein. Doch als Leni innehalten muss, bemerkt sie auf einmal, dass der Kleine auf sie reagiert. Schon schaut er nicht mehr grau aus, sondern strampelt babyrosa in seinem Bettchen.
Helga Bausch hat Leni viele Seiten mit Mimik, Gestik und Bewegung gewidmet, so dass das Mädchen und seine Gefühle uns immer näher kommen. Schließlich spiegelt sich ihre freundlich dem Baby zugewandte Miene sogar in den Reaktionen ihres sehr lebendigen Spielzeugs wider.
Eine anrührende „Große-Schwester-werden“-Geschichte von einer ganz besonderen Illustrationskünstlerin.

 

 

 

 

Das Kinderbuch der Woche: Ein Nachtspaziergang

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Bilderbuch

Mitten in der Nacht stehen sie auf und treten hinaus in die Dunkelheit: Vater, Mutter und zwei Kinder. Sie brechen zu einer Nachtwanderung auf, und der Vater mahnt zur Eile, damit sie nicht zu spät zu ihrer Verabredung kommen. Obwohl die gemalten Bilder Dunkelheit darstellen, kann man die Personen, die Gebäude und die Landschaft erkennen – als ob sich die Augen an die Dunkelheit gewöhnt hätten.

Während der langen Wanderung gibt es nur wenige Lichtquellen: anfangs Straßenlaternen, die Taschenlampe, mit der sie sich durchs Unterholz schlagen, der grandios gemalte Sternenhimmel und der Vollmond, der sich im See spiegelt.

Der letzte Teil der Strecke ist steil und steinig. Als sie oben ankommen, liegt das Gebirge unter ihnen, und hinter den Gebirgszügen steigt ihre Verabredung in den Himmel: die ersten Sonnenstrahlen. Auf der letzten Doppelseite strahlt eine weißglühende Sonne inmitten des gelben Tageslichts.

Dieser Nachtspaziergang mit seinen magisch schönen Bildern von Dunkelheit und aufsteigendem Licht verlockt, die nächste Nachtwanderung zu planen.

 

 

 

 

 

Das Kinderbuch der Woche: Endlich mal der Größte sein

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Bilderbuch

„Wir sind eigentlich Tiger“, sagt Mo. Max, der vielleicht ein Erdmännchen ist, stimmt ihm zu. Aber Wendelin, eigentlich eine Art Spitzmaus, sieht das anders, denn: Sie haben keine Streifen. Als er einen Moment nicht hinguckt, haben die beiden sich Streifen angemalt. Doch Wendelin, der Bedenkenträger, hat schon den nächsten Einwand: Sie können nicht brüllen wie Tiger. Dabei übersieht er den echten Tiger, der hinter ihm im Gras lauert.

Schon brüllen Mo und Max los wie die Tiger – und der echte ist ihnen gleich auf den Fersen. Sie retten sich auf einen Baum und trauen sich nicht mehr runter. Jetzt muss Maus Wendelin sie damit trösten, dass sie ganz tief drinnen eigentlich Elefanten sind. (Da fällt dem viel zu erwachsenen Betrachter ein, dass Elefanten nicht als Kletterexperten bekannt sind.) Mo und Max stellen dagegen richtig fest, dass sie nicht trompeten können. Kein Problem, das kann Wendelin Maus, und wie! Da reckt sich – ein Wunder – den dreien etwas Graues entgegen. Ein Rüssel. Gerettet! Und in mitten der Herde, auf dem Rücken eines Elefanten, erklärt Wendelin sie nun zu  Superelefanten. Ende gut, alles gut.

Eine witzige Geschichte über das Verwandeln beim Spielen.

 

 

 

Das Kinderbuch der Woche: Wer lebte in diesem Haus?

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Bilderbuch

Mitten im Wald entdecken zwei Kinder das alte, halb verfallene Haus. Über kaum sichtbare Pfade haben sie sich dorthin durchgekämpft, stehen nun davor und sehen das lange schon verlassene, verwunschene Gebäude. Sie steigen durch ein zerbrochenes Fenster und sehen, dass die früheren Bewohner alles so zurückgelassen hatten, als wären sie nur mal kurz hinaus gegangen. Aber das Haus ist kaputt. Bäume wachsen durch das Dach, Vögel nisten im Zimmer, die Tür ist pendelt zwischen offen und zu.

Vor den Augen der Kinder entstehen Bilder, in kräftigeren Farben gemalt als die Welt, die sie getupft und gestrichelt umgibt. Sie stellen sich die Bewohner vor: Wo mögen sie geblieben sein? Auf einer einsamen Insel als Schiffbrüchige? In Paris mit ihrer Staffelei?

Durch diese Vorstellungen angeregt, schaut man genauer hin: Warum glauben die Kinder, dass eine Frau Eichhörnchen malte, ein ehemaliger Seemann sehnsüchtig Ausschau nach dem Meer hielt, ein Mädchen zur Musik von Schallplatten tanzte? Man blättert zurück und entdeckt Schallplatten, die am Boden liegen, Bilder von Segelschiffen an der Wand, ein Buddelschiff und Bücher – Gegenstände, die zum Fantasieren darüber verführen, was in dem Haus geschah, warum seine Bewohner vor langer Zeit fortgingen und alles so zurückließen, als wären sie gerade zu einem Spaziergang aufgebrochen.

Liest man sich den Text einmal ganz bewusst laut vor, stellt man fest, dass der Illustrator seine eigene Geschichte zu dem rhythmischen, knappen Text erfunden hat. Als analysierender Erwachsener merkt man, dass das, was die  Bilder erzählen, Assoziationen zu einem Gedicht ohne Reime sind. Das hat etwas Magisches und ist ein Bilderbuch für Kinder, die Geheimnisse und Geschichten voller Fragen und Rätsel lieben.

 

 

Das Kinderbuch der Woche: Durch die Nacht ans Meer

Bücher für Kinder von null bis zu zwölf Jahren und für ihre Erwachsenen – von Gabriela Wenke empfohlen. Jeden Donnerstag bis zur Frankfurter Buchmesse 2019!

Bilderbuch

Eine Fahrt durch die Nacht ans Meer. Weil er das Auto fährt, muss der Vater wach bleiben. Jim soll schlafen, damit die Zeit schnell vergeht. Aber er wacht immer wieder auf.

Mit wenigen Strichen versetzt der Illustrator Jens Rassmus Vater und Sohn samt Auto in eine pastellfarbene Dämmerlandschaft. Über dem tiefblauen Sternenhimmel zieht ein Drittelmond seine Bahn. Die endlose Straße in der menschenleeren Landschaft erzeugt eine seltsame Atmosphäre von „Unterwegs-Sein“.

Taucht der Junge aus dem Schlaf auf, möchte er eine Geschichte hören, weil ihm so langweilig ist. Erst wehrt der Vater ab, dann erzählt er von einer kleinen Ziege, die mit einer alten Gans unterwegs ist und auch ans Meer will.

Die Geschichte der beiden Tiere ist in einem völlig anderen Stil gemalt, der wirkt, als hätten wir es mit altmodischen Gemälden zu tun. In einer grünblauen Auenlandschaft treiben Ziege und Gans auf einem großen Baumstamm im goldgelben Sonnenlicht einen Fluss hinab und dem Meer entgegen. Beschwörend betont der Vater, dass die beiden bequem reisen, dösen und schlafen. Tatsächlich wacht auch Jim erst nach einer Weile wieder auf und sagt, die beiden würden sich jetzt eine Stadt anschauen wollen.

Schließlich wird der Vater so müde, dass er auf einem Rastplatz anhalten muss. Dort warten Ziege und Gans schon darauf, ins Auto einsteigen zu dürfen. Während wir von oben auf den Parkplatz, den schlafenden Vater, seinen Sohn und die beiden fantastischen Reisegefährten schauen, weitet sich der Blick bis zum Meer, das hinter den nächsten Hügeln auf die Reisenden wartet.

Jens Rassmus lässt Vater und Sohn im Auto wie in einer Kapsel durch die Nacht fahren. Die Illustrationen öffnen sich zum tiefblauen Nachthimmel – ein Symbol für magische Welten, die man nicht nur sehen, sondern geradezu erschnuppern kann.

 

Lieblingslieder #Heft 3/2019

Manchmal singen wir ganz laut in der Redaktion vor uns hin – es gibt Lieder, die uns so begeistern, dass wir sie mit euch teilen wollen. Zum aktuellen Heft über Kreativität empfehlen wir von Herzen „Mine“, die in einem neuen Philosophie-Anfall alles um 90 Grad dreht – und damit auch all ihre Blickwinkel permanent verändert.

 

Das Kinderbuch der Woche: Verrückte Fakten über Pilze

Bücher für Kinder von null bis zu zwölf Jahren und für ihre Erwachsenen – von Gabriela Wenke empfohlen. Jeden Donnerstag bis zur Frankfurter Buchmesse 2019!

 

Sachbuch

Sachbücher für Kinder waren jahrzehntelang vorwiegend in langen Reihen auf dem Markt: von den Dinos bis zu den Römern, vom Haustier bis zu exotischen Wildtieren. Ganz selten ging es um Pflanzen und schon gar nicht um Pilze, die weder Pflanzen noch Tiere sind. Wenn überhaupt, dann tauchen Pilze in Bestimmungsbüchern auf, besonders unter den Gesichtspunkten der Essbarkeit oder des Schutzes vor Vergiftungen.

Das vorliegende Buch ist ein grafisches Kunstwerk und kommt ganz ohne Fotos aus. Die Illustrationen sind keine wissenschaftliche Zeichnungen, sondern verspielt und erzählerisch, denn sie sollen Spaß und neugierig machen. Natürlich gibt es ganze Seiten, die die enormen Unterschiede in realistischen Zeichnungen darstellen, und bei den Pilzen, die wir essen wollen, wird klar gesagt, dass man ohne ein Pilzbestimmungsbuch oder einen versierten Fachmenschen nicht auf Pilzsuche gehen sollte.

Interessant ist: Das Buch macht klar, dass das durchschnittliche Alltagswissen über Pilze nicht einmal die Spitze des Eisberges darstellt. Viele Menschen wissen nicht, dass Pilze weder Pflanzen noch Tiere sind, sondern ein eigenes Reich bilden, das lateinisch Funga oder Mykobiota genannt wird. Erst 1969 wurde das festgestellt.

Im Buch folgen wir der Spur der Pilze erst einmal in die Welt der essbaren – mit Tipps und Rezepten –, die man von den für Menschen giftigen Pilzen zu unterscheiden lernen muss. Es folgen Pilze, die weltweit in der Heilkunde eingesetzt wurden und werden, zum Beispiel das Antibiotikum Penicillin. Das heißt: Manche Pilze sind für den Menschen genießbar oder haben eine heilende Wirkung, andere nicht. Übrigens gilt das auch für den Schimmel, genießbar zum Beispiel im Schimmelkäse.

Wir lernen den größten Pilz kennen, der 8,9 Quadratkilometer groß ist, den kurzlebigsten, den räuberischsten. Wir erfahren, dass es Pilze im Wasser und in der Luft gibt, pilzförmige Naturereignisse, Stürme und den menschengemachten, tödlichsten aller Pilze, den Atompilz. Staunend lesen wir, dass Forscher dabei sind, aus Pilzen Materialien zu entwickeln, die das heutige Plastik ersetzen und zu neuen Baumaterialien werden können.

Das Buch gleicht einer Wunderwelt, die schon Kinder ab 8 Jahren erforschen können: Manche Pilze sehen aus wie moderne Kunstwerke, aus anderen Pilzen kann man welche machen. Und man schätzt, dass das Pilzreich sechsmal so groß ist wie das Pflanzenreich. Täglich werden neue Arten entdeckt.

Wunderschön gestaltet und gut geschrieben, sollte dieses dicke, großformatige Buch möglichst vielen Kindern zugänglich gemacht werden – in Bibliotheken, Kitas, Schulen und überall dort, wo Kinder an Bücher herankommen können.

 

 

 

Das Kinderbuch der Woche: Über die Nützlichkeit von Mauern

Bücher für Kinder von null bis zu zwölf Jahren und für ihre Erwachsenen – von Gabriela Wenke empfohlen. Jeden Donnerstag bis zur Frankfurter Buchmesse 2019!

Bilderbuch

„Hallo Donald Trump“, sagt der Buchtitel. Reflexartig zucke ich zurück, weil die direkte Umsetzung politischer oder weltanschaulicher Überzeugungen im Bilderbuch leicht zum Traktat gerät. Aber der lockere Strich der Titelillustration ermutigt mich, weiterzuschauen. Tatsächlich ist die Geschichte über die Vor- und Nachteile von Mauern witzig, verständlich und weist über die Tagesaktualität hinaus auf verschiedene Funktionen von Mauern und auf historische Beispiele wie die Chinesische Mauer oder den Hadrianswall.

Sam lebt in Berlin, und seine Eltern erzählen ihm, wie befreiend es war, als die Mauer, die die Stadt teilte, geöffnet und niedergerissen wurde. Nun schreibt Sam Briefe an Donald Trump, weil der im Fernsehen von „unerwünschten Personen“ sprach, die er mit einer Mauer abwehren will. Sam findet, sein großer Bruder, mit dem er ein Zimmer teilen muss, ist so eine unerwünschte Person. Deshalb könnte Sam eine Mauer gebrauchen, mitten durchs Zimmer. Weder Bruder noch Eltern halten das für eine gute Idee.

Seine Überlegungen teilt Sam Donald Trump in den Briefen mit. Auf den Doppelseiten sind häuslichen Begebenheiten und Fantasien Sams jeweils Szenen gegenübergestellt, in denen Trump Sams Briefe erhält, die den Präsidenten augenscheinlich nicht interessieren.

Zu Hause sind jede Menge Überzeugungsarbeit der Eltern und Verhaltensänderungen des Bruders nötig, bis Sam erkennt, dass es Vorteile hat, wenn einem jemand zu Hilfe kommen oder einen in der Nacht trösten kann, ohne erst eine Mauer niederreißen zu müssen.

Die Geschichte wird vorlesenden Erwachsenen und Kindern viel Spaß machen, und das bisschen Belehrung über das Mauern-Bauen und -Einreißen flutscht unauffällig durch.

 

Das Kinderbuch der Woche: Mädchen so und Jungen so

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Bilderbuch

 

Dieses Bilderbuch macht Spaß!

Der Ich-Erzähler hat nämlich nicht nur eine neue Freundin – Pina, das schönste und schlauste Mädchen im Kindergarten –, sondern auch eine neue Sicht auf die Welt. Die hat er von Pina, deren Eltern „verrückte Künstler“ und nicht immer da sind, um auf ihr Kind aufzupassen.

Die Mama des Ich-Erzählers findet Pina nicht verrückt, sondern forsch und wünschte sich ihren Sohn auch so. Aber dass er seine neuen Lieblingsfarben Rot, Pink, Violett und Rosa nun dauernd tragen muss, verursacht ihr Herzrasen.

Der Papa hingegen wirkt wie erlöst, weil die Farbenordnung – Mädchen so und Jungen so – aufgehoben ist, denn er leidet darunter, dass er jeden Tag in einem grauen Anzug zur Arbeit gehen muss, obwohl seine Lieblingsfarben Grün und Blau sind. Aber: Grün und Blau „trägt nur Kaspars Frau“, heißt es. Deshalb trägt der Papa bloß immer grüne und blaue Socken.

Doch die Änderung althergebrachter Regeln ist nicht leicht. So behauptet zum Beispiel Eddies Vater, dass Mädchen nicht Fußball spielen dürfen, dass Jungen, deren Lieblingsfarbe Rosa ist, schwul werden und dass deren Eltern dann schuld daran sind. Das bringt Mama so auf die Palme, dass ihr Sohn fürchtet: Gleich kriegt sie einen Herzinfarkt.

Natürlich weiß Pina, was schwul ist: Wenn Männer sich küssen. Papa küssen gehört nicht dazu. Also verschieben die Kinder die Entscheidung, ob sie schwul werden wollen, auf später und zeigen den Papas schon mal, dass man mit Mädchen wunderbar Fußball spielen kann und dass die Erzieherin einen ausgezeichneten Torwart abgibt.

Die federleicht erzählte Geschichte rückt – mit comichaften, sehr beweglichen Strichmännchen und skurrilen Ideen – die Ansichten einiger altmodischer Eltern zurecht. Wer will, kann die angerissenen Probleme natürlich mit den Kindern besprechen, doch in einer einigermaßen liberalen Umgebung auch darauf vertrauen, dass Kinder ansprechen, was sie wissen wollen, und spielen, was sie beschäftigt.