„Kein Bier vor vier“, sagt Otto beim Frühstück und setzt sogleich das Glas an, denn: Ausnahmen bestätigen die Regel. Der Satz mit der Ausnahme von der Regel gehört zweifelsohne zu den universell einsetzbaren Sprichwörtern, aber wie viel Wahrheit liegt in ihm? Und worauf bezieht er sich bloß?
Es lohnt sich, seiner Herkunft nachzuforschen, denn dabei erkennt man die kalte Logik, die ihm innewohnt. Als Cicero formulierte: „Exceptio probat regulam in casibus non exceptis“ (zu Deutsch: „Die Ausnahme beweist die Regel in den nicht ausgenommenen Fällen), meinte er nichts anderes, als dass man bei ausdrücklichen Verboten davon ausgehen könne, sie seien außerhalb des Geltungsbereichs erlaubt. „Kein Bier vor vier“ enthält die Erlaubnis, nach vier Bier trinken zu dürfen oder zu müssen. „In der Garderobe wird nicht gerannt“ heißt also, dass dies außerhalb der Garderobe überall erlaubt ist.
Für unser beliebtes „Mach mal ’ne Ausnahme“ trifft der Satz leider kaum zu. Er könnte allenfalls passen, wenn die Ausnahme klar eingegrenzt ist. „Ich darf im Bauraum essen, weil ich schon erwachsen bin“ bestätigt, dass die Regel für alle Nicht-Erwachsenen bindend ist. Mal abgesehen vom alten Cicero: Stimmt der Spruch in der Verwendungsweise von Otto, bei der es um ausnahmsweises Übertreten der Regel geht? Nein, willkürliche Ausnahmen stellen eine Regel schnell in Frage. Und zwar zu Recht, denn: Wenn es dir nicht verboten ist, warum dann mir? Geht die Ausnahme auf eine erwachsene Sondererlaubnis zurück, kommt übrigens eine Machtkomponente hinzu: Weil ich der Chef bin, darf ich mich auch über eherne Regeln hinwegsetzen.
Wäre es nicht schön, Regeln mal nicht so ernst zu nehmen? Gewiss. Noch besser wäre es, manche Regeln gar nicht erst aufzustellen. Regeln sollte man nur, was unbedingt und strikt einzuhalten ist, damit man stolz sagen kann: Der Rest ist absolut frei entscheidbar. Oder: Die Regel ist, dass man alles darf – bis auf die konkret benannte Ausnahme. So hatte Cicero sich das vorgestellt, und es passt 2000 Jahre später immer noch.