„Familien- feindlich ohne Ende“

Wie verlief die Bundestagsdebatte zur Misere der Kitas?

Fachkräfte im Burnout, verzweifelte Familien:
Im Bundestag herrschte am 9. Februar 2023 Einigkeit, dass es im System Kita nicht weitergehen kann wie bisher. Doch was muss passieren?

 

Zur Misere der Kindertagesbetreuung debattierte am 9. Februar 2023 der Bundestag auf Initiative der Linksfraktion in einer Aktuellen Stunde. Dietmar Bartsch, Co-Vorsitzender der Linksfraktion, schilderte die Lage zu Beginn mit drastischen Worten. „Wir laufen in eine Katastrophe“, sagte er. Es fehlten 380.000 Betreuungsplätze sowie mindestens 100.000 Erzieherinnen und Erzieher. Keine andere Berufsgruppe erkranke so oft an Burnout.

Seit zehn Jahren gebe es einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz, der sei aber „oft ein Papiertiger, der Familien in die Verzweiflung treibt“. Träger und Kommunen würden gezwungenermaßen Betreuungszeiten „einstampfen“. Ein Vollzeitjob oder Schichtarbeit werde so für Eltern unmöglich. Das sei „familienfeindlich ohne Ende“ und „real existierender Anti-Feminismus“.

„Was macht denn eigentlich so ihr Ministerium?“, fragte er an die Adresse von Ekin Deligöz (Grüne), parlamentarische Staatssekretärin im Familienministerium auf der Regierungsbank. Die konnte später selbst erwidern. Es gehe darum, die Arbeitsbedingungen zu verbessern, sagte sie. Thema der Debatte war auch das Kita-Qualitätsgesetz, mit dem die Bundesländer unter bestimmten Voraussetzungen auch künftig Geld in Beitragssenkungen stecken können. Ihr wäre es lieber gewesen, wenn alles Geld in die Qualität geflossen wäre, sagte Deligöz. Das war allerdings mit den Ländern nicht zu machen.

Deligöz forderte, wie auch andere Rednerinnen und Redner, den Wegfall von Schulgeld an allen pädagogischen Ausbildungsschulen. „Jede einzelne Person in der Branche der frühkindlichen Bildung ist systemrelevant“, sagte sie. Es gebe dort 860.000 Beschäftigte – mehr als in der Automobilbranche. In Richtung der Unionsfraktion sagte die Staatssekretärin: „Die Lage war schon immer ernst, nur Sie haben sich bisher weggedrückt, und nun wachen Sie auf.“

 

Jede einzelne Person in der Branche der frühkindlichen Bildung ist systemrelevant.

Ekin Deligöz, parlamentarische Staatssekretärin

 

Zuvor hatte die CDU-Abgeordnete und Familienpolitikerin Silvia Breher gesagt, sie frage sich, warum die Regierung nicht endlich handele. Es fehle an einer Gesamtstrategie und an einem Investitionsprogramm für neue Betreuungsplätze. Die oft genannten vier Milliarden Euro für das Kita-Qualitätsgesetz seien die „Mogelpackung des Jahres“, weil dafür zum Beispiel andere Bundesprogramme gestrichen worden seien.

Dem Appell für mehr Geld schloss sich die SPD-Abgeordnete Carolin Wagner an und richtete ihn an Finanzminister Christian Lindner (FDP). Sie unterstütze aus tiefstem Herzens Saskia Eskens Vorschlag für ein Sondervermögen Bildung. Wagner rief Lindner auf, sich überzeugen zu lassen.

 

Mogelpackung des Jahres

Silvia Breher (CDU) über das Kita-Qualitätsgesetz

 

Matthias Seestern-Pauly, FDP-Familienpolitiker, sagte, der Fachkräftemangel komme in den Kitas an. Das System laufe, „wenn wir ehrlich sind, seit Jahren über dem Limit“. Es sei ein großer Fehler der früheren Großen Koalition gewesen, überhaupt mit Bundesgeld pauschale Beitragssenkungen zu finanzieren. Dies wurde durch das Gute-Kita-Gesetz ermöglicht und wird nun im Kita-Qualitätsgesetz in verringerter Form weitergeführt. „So wurde wertvolle Zeit verschenkt“, sagte Seestern-Pauly. „Bund und Länder müssen Fachkräftemangel als absolute Priorität behandeln“, sagte Seestern-Pauly. „Wir, der Bund, tun das bereits.“

 

Seit Jahren über dem Limit

Matthias Seestern-Pauly, FDP-Familienpolitiker, über das deutsche Kita-System

 

Die Linken-Abgeordnete Heidi Reichinnek urteilte trotzdem, die Regierung tue viel zu wenig. Sie forderte einen Kita-Gipfel und außerdem kreative Ideen wie eine Rückkehrprämie für Fachkräfte, die den Beruf verlassen haben, sowie eine Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich für Erzieherinnen und Erzieher.

Mehr echtes, konstruktives Engagement der Opposition forderte die grüne Familienpolitikerin Nina Stahr. „Diese Haltung, liebe Regierung, macht mal, das ist mir echt zu wenig“, sagte sie an die Adresse von Unions- und Linksfraktion. Viele der Rednerinnen und Redner waren sich zumindest einig, der Bund dürfe sich nicht mit Verweis auf die Zuständigkeit der Länder vor dem Thema drücken. Am Ende sei es auch eine Frage der ökonomischen Vernunft, genügend Betreuungsplätze zu schaffen, sagte gegen Ende der Debatte die grüne Parteichefin und Bundestagsabgeordnete Ricarda Lang. Und außerdem seien Kitas „der Ort in unserem Land, an dem über Chancen und Gerechtigkeit entschieden wird“.

 

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