Jahresvorschau 2020

Februar

Die Umsetzung des Gute-Kita-Gesetzes beginnt, und die 5,5 Milliarden werden verteilt. Während Organisationen in der Nähe der kräftig sprudelnden Geldquelle frohlocken – „Seit Tagen schwimmen wir hier in Geld! Der Keller unseres Bürohauses ist schon überflutet!“ – erwartet man weit draußen auf der sogenannten Praxisebene den Geldfluss sehnsüchtig. Leider kommt es infolge lang­anhaltender finanzieller Trockenheit unterwegs zu erheblichen Versickerungsprozessen, sodass es nur ein bis zwei Geldtröpfchen bis in die pädagogische Provinz schaffen. „Das geben wir aber nicht gleich für eine Plastikschaufel aus“, beschließt das Team der „Mäusekiste“ in Flöha einstimmig.

März

Im März eröffnet die didacta ihr Pforten, aber der Zustrom lässt nach. Offenbar fühlen sich viele Menschen durch die zahlreichen Digital-Mottos der vergangenen Messen veranlasst, einer Real-life-Veranstaltung fernzubleiben. Wahrscheinlich fürchten sie, als zu analog zu gelten. Nach kurzer Beratung beschließt das didacta-Präsidium, beim nächsten Mal Neuland zu betreten und die Messe nur noch digital stattfinden zu lassen, also per Besuch im Netz. „Eine Schlüsselrolle wird unser digitaler didacta-Assistent mit dem Namen DiDi Dackta spielen, der das Publikum durch die virtuellen Hallen geleitet“, erläutert Präsident Froschmann. Als besonderes Highlight sei eine App vorgesehen, die – vorausgesetzt, die Besucher verfügen über 3D-Drucker – das Ausdrucken der beliebten Sport-Thieme-Poolnudel erlaubt. Druckzeit: 37, 5 bis 264 Stunden, je nach Datenverbindung.

Mai

Im Elterninitiativkindergarten „Billy n’Gual…“ in Berlin-Prenzlauer Berg kommt es zu einer Massenvergiftung. Ein offenbar völlig verpeilter Vater hatte anlässlich des vierten Geburtstags seines Sohnes Jörg-Björn-Thorben einen Kuchen mitgebracht, der sowohl Milch, Eiweiß, Butter, Zucker und möglicherweise sogar Spuren von Mehl enthielt. Diese Ingredienzien lösten schwere Symptome von Glutenunverträglichkeit, Weizenallergie, laute Zöliakie-Furze und zuckerinduzierte Hyperaktivität aus. Auch Verschmutzungen auf einem hochwertigen Biofilzmarkenpulli blieben nicht aus.

Zur gleichen Zeit vertilgen 40 Kinder im benachbarten Wedding reichlich aus Amerika importierten Marshmellowfluff in rosa, pink und glow-in-the-dark-phosphor­grün. Ohne wahrnehmbare Folgen.

Juli

Neue Plagiatsvorwürfe gegen Franziska Giffey: Im Juli wird offenbar, dass die Familienministerin in ihrer Broschüre „Das Gute-Kita-Gesetz – gute Bildung gemeinsam weiterentwickeln“ zahlreiche Textstellen aus anderen Werken benutzt hat, zum Beispiel „KitaPlus: Weil gute Betreuung keine Frage der Uhrzeit ist“, „Gut ist Kita, wenn die Kleinsten eine Rolle spielen“ und „Kita-Einstieg: Brücken bauen in frühe Bildung“. Insbesondere die inflationäre Verwendung von Worten wie „gut“, „frühe Chancen“ oder von Satzbausteinen wie „Gut ist Kita, wenn sie alle stark macht“ hatte die Plagiatsjäger auf die Spur gebracht. Zu ihrer Entschuldigung verweist die Ministerin darauf, dass die Sätze – teils noch von Ursula von der Leyen stammend – nach wie vor Gültigkeit haben, denn „umgesetzt wurde ja seit cirka 1975 von all den Forderungen eh nix“.

September

Der Fachkräftemangel treibt immer schlimmere Blüten. In Siegburg gelingt es Kindern aus dem Kindergarten „Steppenstrolche“, einen den Gehweg fegenden Mitarbeiter einer Reinigungsfirma mit einem Schwungtuch zu fesseln, ins Haus zu zerren und tagelang unbemerkt als Erzieher im Bau-Raum schuften zu lassen.

Rechtskonformer ist die Idee eines der verarmten norddeutschen Bundesländer, Kinder im Vorschulalter einen „Krippi-Führerschein“ erwerben zu lassen, der sie zur Tätigkeit als Hilfserzieherlein in der Krippe berechtigt. Voraussetzung: ein mindestens Zweijähriger assistiert ihnen. Eine kleine Prüfung, die fröhlich-bunte „Ernennungsurkunde“ und ein Miniatur-Erzieherschreibtisch für die neuen U3-Pädagöglein können übrigens komplett aus Mitteln des Gute-Kita-Gesetzes finanziert werden, stellt die zuständige Ministerin in Aussicht.

November

Kitaleiter Trampe ist zurück. Der teils verschriene, teils bewunderte Pädagoge hat nach seinem Verschwinden – „wamiki“ berichtete – die Amtsgeschäfte in seinem Kindergarten urplötzlich wieder aufgenommen. „Ich habe mir nichts vorzuwerfen“, erklärt er auf der Elternversammlung und fügt drohend hinzu: „Und Sie mir sowieso nichts!“

In den nächsten Tagen agiert Trampe wie gewohnt: Erst überrascht er den Ortsbürgermeister mit der Offerte, den S-Bahnhof und die City-Arkaden als Zusatzbauraum für 3.000 Euro Spielgeld kaufen zu wollen. Dann bietet er dem stets gehänselten Außenseiter August aus der Ameisengruppe an, ihn vor den rüden Vorschulkindern zu beschützen, falls August sich bereit erklärt, belastendes Material gegen seine Gruppenerzieherin Elke zu liefern.

Dezember

Weihnachten steht vor der Tür – und damit der mittlerweile traditionelle Vorweihnachts-Shitstorm, in dem die zünftigen AfD-Trolle wieder einmal den Untergang des christlichen Abendlandes anprangern, weil irgendeine Kita „Lichterfest“ oder „Laternenfest“ feiert. Erst nach Wochen aufgeregter TV-Diskussionen und BILD-Zeitungs-Berichte können einige Vorwürfe entkräftet werden:

Erstens hieß Berlin-Lichterfelde wirklich niemals Weihnachtsfelde.

Zweitens wurde der Dresdener Weihnachtsmarkt tatsächlich umbenannt. Aber das geschah schon um 1500, als man ihn anlässlich der Erfindung des Stollens Striezelmarkt nannte.

Drittens hatte PeKita-Leiter Rico Rätzsch aus Roitzsch tatsächlich die Bezeichnung „Weihnachtsfeier“ untersagt, aber damit wollte der des Gutmenschentums völlig unverdächtige Volkspädagoge lediglich dagegen protestieren, dass „von dieser aus dem Morgenland eingewanderten christlich-römischen Mischreligion ja unsere schöne germanische Jul-Weihe-Kultur verdrängt wurde“.

 

Illustration: Tasche

Michael Fink ist Autor und Fortbildner.

Einen Kommentar schreiben

Deine Email-Adresse wird nicht veröffentlicht. Pflichtfelder sind mit einem * markiert.