Frauke Hildebrandt sieht rot, wenn ihr Misstrauen begegnet, und stellt fest, dass sie immer misstrauischer wird. Keine schöne Erfahrung. Aber vielleicht am Ende doch eine produktive?
In letzter Zeit erlebe ich zunehmend, dass Pädagoginnen in Kita und Grundschule Kindern nicht vertrauen. Nicht etwa deshalb, weil sie vermuten, die Kinder könnten lügen oder bösartig sein, sondern weil sie vielfach, so scheint es mir, das Gefühl haben, dass die Kinder zu dem, was von ihnen erwartet wird, überhaupt nicht fähig sind. Ebenso oft erlebe ich, dass Erwachsene ihren eigenen Kenntnissen und Kompetenzen im Umgang mit Kindern nicht trauen. Ich fürchte, viele misstrauen letztlich dem gesamten Bildungssystem, der Idee von Selbstbildung und freiem Lernen. Sie glauben nicht, dass individuelle Förderung wirklich so klappen kann, wie es in den Bildungsplänen verlangt wird. Zum einen, weil die Rahmenbedingungen ihrer Meinung nach nicht stimmen, zum anderen – und hier ist meiner Erfahrung nach das Misstrauen besonders groß –, weil sie die Idee und das Bild vom Kind zwar für wünschenswert, nicht aber für real halten. Zumindest sind sie skeptisch.
Ich bin ganz sicher: All diese Formen der Skepsis hängen zusammen. Perfide ist, dass dieses Misstrauen, diese Skepsis sich hinter sprachlichen Floskeln verbergen, die auf die Kompetenzen der Kinder abzielen.
Ein Beispiel: Im brandenburgischen Oderbruch bin ich zu einer Elternversammlung eingeladen und spreche darüber, wie man den Übergang aus der Kita in die Grundschule individuell gestalten kann, zeige Grafiken, erläutere Studien, bringe Praxisbeispiele und spüre: Misstrauen. Ich sehe skeptische Blicke, die besagen: Schön wär’s ja, aber es funktioniert nicht.
Woher kommt dieses Misstrauen? Daher vielleicht, dass niemand die Umsetzung dieser Grundidee in seinem Werdegang erleben konnte und sich demzufolge nicht vertrauensvoll darauf einlassen kann?
Jetzt bin ich es, die skeptisch wird. Ich traue diesem Begründungsversuch nicht. Ist die Skepsis der Menschen im Oderbruch nicht doch eine begründete? Das frage ich, obwohl ich gesehen habe, wie individualisierte Bildung unter Brandenburger Regelbedingungen gelingen kann. Was ist, wenn die Leute, die ich vor Augen habe, das nicht so praktizieren können? Was ist, wenn mein Einblick bislang ein Blick durch die rosarote Brille des Wünschens war?
Pädagogische Ideen, scheint mir, leben nicht nur davon, dass man sie in empirischen Studien nicht falsifiziert, sondern sie leben davon, dass Menschen sie für richtig und wünschenswert halten. Sie sind normativ. Das heißt: Es geht nicht nur darum, zu beschreiben, wie Prozesse funktionieren oder wie Kinder lernen, sondern einen Willen auszudrücken, dass dies in einer bestimmten Art und Weise geschieht, weil man ein bestimmtes Menschenbild hat und somit auch eine demokratische Bildungsidee. Es gibt also eine Idee und man möchte gern, dass sie stimmt, weil einem das Ziel wünschenswert erscheint. Misstraut man diesem Bild aber, wird es schwierig, sich – zumal gegen vielfache Widerstände – für dieses Ideal einzusetzen. Doch es ist genauso schwierig, eine bestimmte Idee von Bildung nicht zu hinterfragen und ihr ohne Skepsis gegenüberzustehen.
Was folgt daraus? Soll ich dem Ideal einer demokratischen Bildung, die die Kinder individuell in den Blick nimmt, misstrauen? Dieses Ideal immer wieder hinterfragen? Oder soll ich sagen: Liebe Leute, vergesst euer Misstrauen! Versucht es mal mit Vertrauen, es gibt gute Gründe dafür … Darum bemühe ich mich zwar, aber Gründe haben die Skeptiker auch, und es sind ebenfalls gute Gründe.
Gefällt uns eine Idee, wollen wir nicht genau hingucken, wie sie umgesetzt wird, und Schwierigkeiten werden als Lernphänomene interpretiert, nicht als Systemfehler. Das erlebe ich immer wieder, kenne es schon aus Ostzeiten und bemerke es jetzt an mir selbst: Bei Projekten, in denen Pädagoginnen und Pädagogen auf die Selbsttätigkeit der Kinder setzen, bin ich viel eher bereit, eine unscharfe Brille aufzusetzen, weil mir der Ansatz gefällt. Und gerade diesem Verhalten misstraue ich. Ein unangenehmer Zustand. Zumal, wenn man – wie ich – Pädagogik unterrichtet, bestimmte Ideen für wichtig und im Prinzip für richtig hält, dafür einsteht und sie weiterentwickeln möchte. Genau genommen, denke ich jetzt, muss man das Misstrauen, die Skepsis gleich mitliefern, beides ernst nehmen und zur Sprache bringen. Ob es sich dann irgendwann in begründetes Vertrauen verwandelt? Wahrscheinlich nicht. Denn niemand weiß letztlich, ob die Art und Weise, in der wir Bildung verstehen und strukturieren, wirklich die richtige ist, weder die Ideengeber noch die Empiriker.
Mein Dilemma dabei: Ich sehe rot bei Leuten, die skeptisch gegenüber einer neuen Idee von Bildung sind. Aber bei Leuten, die nicht skeptisch sind, sehe ich auch rot.