Wie ich zum Ansatzstifter wurde

Als ich wieder einmal einen meiner Vorträge über Beobachtung und Dokumentation im halboffenen, montessoreggi-orientierten Funktionsraumkindergarten mit mittelgroßer Altersmischung hielt, klopfte es. Ehe ich „Herein!“ rufen konnte, hatte sich schon ein freundliches älteres Männlein neben meinen Dozententisch gestellt und sich vorgestellt: Er sei der Bildungsvizediktator von St. Hochniederkleinstein, dem oft so schmählich übersehenen europäischen Zwergstaat zwischen Großdänesien, Östermark und der Krokraine. Schon ein Weilchen habe er an der Tür gelauscht. Meine Ausführungen hätten ihm gut gefallen, und er habe darum entschieden, mich höflichst anzufragen, ihn in sein Vaterländchen zu begleiten, um an der Etablierung einer neuen Pädagogik mitzuwirken.

Gleichzeitig verstört und gebauchpinselt, überging ich die aufmunternden Zurufe der Teilnehmerinnen, die vielleicht nur auf einen verfrühten Schluss der Veranstaltung hofften.

Wie meine Stelle denn genau definiert sei, fragte ich, und der Vizebildungsdiktator lächelte gewinnend: „Sie allein legen unseren pädagogischen Ansatz fest. Sie sind unser Montessorius. Oder der große Ansetzer.“

Schon am nächsten Tag fand ich mich an einem St. Hochniederkleinsteiner Kindergartentisch wieder, umgeben von schüchtern speisenden Kindern und Erzieherinnen mit gezückten Notizblöcken. Was sage ich bloß, um mit irgendeinem Ansatz zu punkten?

„Jedes Kind hat das Recht, sich beim Frühstück sein Essen aussuchen zu dürfen“, fiel mir mit Blick auf die von Erwachsenenhand gefüllten Tellerchen ein. Die Damen erbleichten, notierten den Satz und unterstrichen ihn sorgfältig mit Linealen.

Zaghaft hob sich eine Hand, und eine Stimme fragte leise: „Welche Speisen stellen wir zur Auswahl?“ Ich erwiderte unsicher: „Vielleicht Biobutter, Johannisbeermarmelade, diese Teewurstsorte und Toggenburger Käse?“

„…ggenburger Käse, ist notiert“, repetierte die Dame und fragte: „Den Käse rezent, mittelreif oder würzig?“ Ich improvisierte: „Genau sechs Monate Reifung!“ Als die Damen sich über so viel Klarheit sichtlich freuten, ergänzte ich keck: „Und regelmäßig Schmelzkäse!“ „Täglich?“ Ich schüttelte den Kopf: „Kinder brauchen Wochenhöhepunkte! Schmelzkäse nur an Dienst- und Donnerstagen.“

Wie mir die Auswahl an Möbeln gefalle, wollte man später wissen. Diese Holzstühle gefielen mir gar nicht, erklärte ich streng – das erwartete man offenbar von mir. Stattdessen seien rote Hocker mit grünen Beinen vorzuhalten. „Gilt das für das ganze Land?“ fragte man vorsichtig, und ich nickte.

„Was ist Ihre Meinung zur Digitalität?“ ging es weiter. „Soll es Smartphones geben, Tablets oder beides?“ Leicht gelangweilt berichtete ich, dass mein Ansatz sich klar für die systematische Heranführung der Kinder an Tablets im 8,5 Zoll-Bereich ausspräche, wohingegen kleinere und größere Displays als absolute Kindeswohlverletzung eingestuft würden. Sofort begann man, aufgeregt im Hintergrund zu telefonieren.

„Ich sehe, Sie haben bereits gut in Ihre Rolle gefunden“, ertönte eine schon vertraute Stimme, und der Vizebildungsdiktator betrat schmunzelnd den Raum: „Weiter so!“

Ich sei, ließ ich die immer noch eifrig mitschreibenden Pädagoginnen wissen, sehr unzufrieden mit der uneinheitlichen Wandfarbgestaltung in den Kindergärten St. Hochniederkleinsteins. Ein Farb- und Gestaltungskonzept scheine es in diesem Lande ja nicht zu geben. Schwungvoll schlug ich vor, die Räume aller Kindergärten, die übrigens ab sofort Kinderparks zu nennen seien, umgehend folgendermaßen zu streichen: Schlafräume in Mauve, meiner heutigen Lieblingsfarbe. Den Bauraum in Zinnoberrot mit einem blauen Punkt in der rechten Ecke. Das Bodenturnkabinett jedoch in Nachtblau.

Man habe gar kein Bodenturnkabinett, nur eine Art Bewegungsraum, unterbrach eine Dame mich kleinlaut. Ich erhob mich: „Dann ist dieser landesweit einzurichten – sofort.“

Während die Kinder an meinem zweiten Tag in St. Hochniederkleinstein in den wenigen, von Anstreich- und Neumöblierungsmaßnahmen verschonten Räumen zu spielen versuchten, begab ich mich in mein neues Büro, um ein pädagogisches Grundlagenwerk mit Leitbildcharakter für das Land zu verfassen. „Kinder brauchen….“ stand bereits in meiner Word-Datei, aber dann stockte ich. Was, wenn der Vizebildungsdiktator gleich seine ersten Erlasse verkünden wollte?

Ich gab mir einen Ruck und tippte: „Kinder brauchen tägliches Harfentraining, das sie unabhängig vom Wetter in frischer Luft absolvieren. Kinder brauchen das Spiel mit einem hellhaarigen Bären, der nach dem Vorbild meines Teddys Petzi heißen soll und am Ende jedes Tages in ein ansprechendes Vollholzteddybett zu legen ist, während der sogenannten Teddybettungszeit. Kinder und deren Eltern sind anzuhalten…“

„Gefällt mir ausgesprochen gut“, freute sich der leise hinzugetretene Vizediktator und zeigte mir auf seinem Smartphone die Webcam-Übertragungen der ersten, noch unbeholfen wirkenden Teddyhuldigungen in den Kindergärten.

Bald war der größte Tag meiner Amtszeit als Ansatzstifter gekommen. Im schönsten Kindergarten von St. Hochniederkleinstein saß ich – zu Tränen gerührt und bekleidet mit Talar, Baskenmütze und Nickelbrille – inmitten der Kinder, die, durch meine Anwesenheit ebenfalls zu Tränen gerührt, das „Petzi-Lied“ sangen.

„Hat es euch gefallen, Erdenker des ewigen Ansatzes?“ fragte ein Mädchen. Eine ganz Kleine hielt mir ihr Brot unter die Nase, es roch käsig, und ich hörte das Kind sagen: „Danke für den zweifachen Schmelzkäsetag.“

Ein bisschen genervt von so viel Ehre schlug ich vor, eine Runde Fußball mit den Kindern zu spielen. „Eine gute Idee“, lobten die anwesenden Herrschaften, „aber leider sind seit der Verkündung Ihrer Materialliste keine Spielgeräte im Kugelformat zulässig. Sollen wir den Erlass ändern und den für die Umsetzung zuständigen Fachberater auspeitschen lassen? Oder sollen die Kinder mit einem der verpflichtend in jeder Kita zu züchtenden Kürbisse Fußball spielen?“

„Kinder brauchen keine als Fußball missbrauchten Kürbisse!“ schrie ich mit überschlagender Stimme. „Sie brauchen nichts dringender als pralle, überreife Melonen und ein aus Lakritzstangen gewebtes Fußballtor! Wer das nicht weiß, verdient nicht, nach meinen Ansatz zu arbeiten!“

Das gesamte Personal einschließlich des Vize-Bildungsdiktators zuckte zusammen, rannte erst verwirrt hin und her und dann schnurstracks zum nächsten Obstmarkt. Ich aber nutzte die Gunst der Stunde und entschwand aus St. Hochniederkleinstein.

. . . . . . . . . . . . . . . Auf Nimmerwiedersehen!

 

Foto: kallejipp/photocase.de

Gewaltfrei kommunizieren

Wenn Du A tust, lieber Leser, dann fühle ich B. Weil ich nämlich das Bedürfnis nach C habe, mein Freund. Nur deshalb bitte ich Dich jetzt, D zu tun! Wie wär das für Dich? — Nicht verstanden? Weiter lesen…

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Neue Namen braucht das Land!

„Gute-Kita-Gesetz“ heißt das Teil. Egal, was drin steht: Mit dem Namen hat das ­Familienministerium Maßstäbe gesetzt. Freilich auch für sich selbst. Falls jemals ein weiteres Gesetz zur Verbesserung des Kindergartens herauskommt, wie sollte man es dann nennen?

Hier folgen Vorschläge zur Umbenennung des derzeitigen Gute-Kita-Gesetzes, gratis zur Verfügung gestellt von der Gute-Gesetzesnamen-Entwicklungs-Redaktion.

 

Vielleicht ist es besser, dem jungen Gesetz schnell noch einen ehrlicheren Namen zu verpassen, um ein künftiges „Wirklich-Gute-Kita-Gesetz“ auch so bezeichnen zu können.
Die GGE-Redaktion

Das Lied vom Per–so–nal

Ist ein Kind recht wohlgeraten,

dies für dessen Eltern spricht.

Neigt´s jedoch zu schlimmen Taten,

bittet und bedankt sich´s nicht

und dient jedermann zur Qual,

trägt die Schuld das Personal.

 

Ist denn unsrem Kindergarten

Sauberkeit seit kurzem schnuppe?

Lilys Kleid ziert Rinderbraten

und ihr Hemdchen Erbsensuppe.

In den Haaren klebt Ponal.

Schuld daran: das Personal.

 

Unterm Garderobenschranke

krabbelt Martin auf dem Bauch,

knurrt ironisch: „Mädels, danke,

jetzt fehlt Johnnys Hausschuh auch.“

Letzte Woche war´s der Schal…

Schuld hat nur das Personal.

 

Neues Spielzeug hat der Träger

grad erst vor acht Jahr´n spendiert.

Und schon sind die Softballschläger

wieder völlig ramponiert!

Wer verschleißt das Material?

Schuldig ist das Personal.

 

„Eins ist klar“, sagt Adelene,

die des Sohnes Zeugnis sieht.

„Unser Hans hat beste Gene,

weil er sehr nach uns geriet.

Notendurchschnitt 4? Skandal!“

Schuld ist das Lehrpersonal.

 

Unsre Pupsi®-Pädagogik,

die Frau Chefin ausgeheckt,

strotzt vor Anspruch, Ziel und Logik.

Jedes Kind gelingt perfekt.

Ist die Umsetzung fatal?

Dann trägt Schuld das Personal.

 

„Kinder brauchen digitale

Bildung“, predigt ein gelackter

Referent. Man klatscht im Saale

beim Vortrag auf der Didacta.

„Keene Zeit für Digital“,

meckert rum: das Personal.

 

Diplomierte Pädagogen,

haben wieder was erstellt:

„Engagiertheitseinschätzbogen“

heißt das Ding. Es staunt die Welt.

Wer beguckt das Blatt nicht mal?

Alles klar: das Personal.

 

„Frau Minister, Kitas streiken!“

textet bang der Referent.

Deren Antwort: Smiley-Icon,

weil sie ihre Tanten kennt:

Lange Streiks? Viel zu sozial

ist dafür das Personal.

 

Horst ist weg, und krank ist Gitte.

Und Ersatz wird nicht gefunden.

Leitung sagt: „Sie leisten bitte

unbezahlte Überstunden.“

Wer rennt gleich zum Personal-

Rat? Na, Leser, rate mal…

 

Eltern machen eine Welle:

„Kitaplatzrecht wird verletzt!“

Liegt wohl dran, dass manche Stelle

jetzt auf Dauer unbesetzt.

Und man registriert aschfahl:

Schuld ist: Gibt kein Personal!

 

Woher kriegt bloß Allemagne

mehr Erzieher? Helfen Sticker

oder eine Such-Kampagne

namens „Gehst du Kita, Digger?“

Der Erfolg ist minimal.

Schuld ist…

Dann kannst du was erleben!

Wenn du das tust, mein Freundchen, dann gibt es heute, morgen, diese Woche und überhaupt nie mehr… Stopp! Weiß hier etwa jemand nicht, dass man keine Konsequenzen androhen soll, die man nicht einhalten kann? Um dem abzuhelfen, testet das wamiki-Satire-­Referat an dieser Stelle Deutschlands beliebteste Drohungen auf ihren Gebrauchswert und erteilt Ratschläge für die konsequente…

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Acht Impulse zum Thema „Entschleunigung“

Alles wird heute immer schneller. Stimmt das wirklich? Im Bildungssystem Tätige diskutieren mal hektisch und dann wieder unvergleichlich lahm, ob das Tempo beim Lernen eher viel zu hoch oder viel zu niedrig ist.

Denn: Genau so schnell wie jetzt – das ist ja langweilig!

Im Folgenden kommen die Vertreterinnen und Vertreter der wichtigsten Positionen mal kurz zu Wort:

Tanja: „Wir leben in einer Zeit, in der sich niemand mehr richtig langweilen kann“, sagt Tanja und ergänzt gestelzt: „Ich will den Kindern diese Fähigkeit, deren Fehlen ja zweifelsohne überall zu Recht beklagt wird, wieder zugänglich machen.“

„Aha. Und wie verschaffst du Kindern dieses wertvolle Erlebnis, Tanja?“

„Ganz einfach. Ich mache die gleichen drei, vier Angebote, die ich sowieso seit Jahren draufhabe. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie zum Gähnen langweilig die sind! Zum Beispiel das Gummibärchenexperiment…“

Schnarch!

 

Lydia: „Unsere Lydia entwickelt sich ganz schön schnell“, berichten Jürgen und Christa, glückselig lächelnd. „In der Krippe hat sie alle Kompetenzen immer als erste erreicht. Und die Erzieherinnen im Kindergarten hatten für sie eine Extra-Packung Prospekthüllen stehen, um die täglichen Entwicklungsschritte ins Portfolio zu heften. Die Lehrerin in der 1. Klasse war hellauf begeistert, und das Überspringen zweier Klassen war dann nur noch Formsache. Sag doch auch mal was dazu, Lydielein, zeig mal, was du alles schon kannst!“

„Kein Bock, Alter, vergiss es!“

„Ist sie nicht schnell? Erst sieben – und die Pubertät schon fast absolviert!“

 

Renate: Die Evaluationskommission schüttelt sich vor Schreck. „Also, die Füttersituation hat uns leider gar nicht zugesagt. Und dann die Mittagssituation im Sedierungs-Raum! Vom Angebot im Hier-nicht-Tobe-Raum gar nicht zu reden“, fasst die Erste Evaluatorin das Grauen in Worte.

„Das heißt, äh…“, Leiterin Renate räuspert sich, „das mit dem Kleine-Montessori-Forscher-Zertifikat würd eher nüscht?“

„Sieht kritisch aus“, bestätigt die Evaluatorin. „Aber vielleicht wär das ja was für Sie: das Retropädagogik-Zertifikat von Radio Nordseewelle – mit den besten Hits der fünfziger, sechziger, siebziger Jahre!“

 

Hilde: „Mir ist es wichtig, dass Pädagogik nachhaltigen Erfolg hat“, doziert Hilde. „Diese ganzen Bildungsprogramme mit ihren tausend Bildungszielen – das geht den Kindern doch da rein und da raus.“

„Und Ihre Pädagogik schafft das besser, Tante Hilde?“

„Absolut“, strahlt die erfahrene Pädagogin. „Ich vermittle seit Jahrzehnten ausschließlich die Jahreszeitenpädagogik! Und glauben Sie mir – ich wüsste kein Kind aus meiner Kita, das nicht heute noch die vier Jahreszeiten kennt.“

 

Adolf: AfD-Adolf, Oberstudienrat a.D ., trifft eine Fee, die ihm einen Wunsch gewähren will. Adolf zögert nicht lange: „Ich will, dass alles so ist wie früher – mit klaren Regeln, keinen Fremden, pünktlich Mittag und netten Frauen, die sich um einen kümmern…“

„Gewährt“, säuselt die Fee silberhell und erhebt ihren Zauberstab: Glitzerregen!

Adolf sieht um sich und fragt erschrocken: „Wo bin ich?“

„Im Pflegeheim ‚Sorgenfrei ‘! Gitti schiebt dich gerade zum Mittagessen, ist doch schon 10.30 Uhr! Huch husch, keine Trödelei!“

 

Vanessa: „Achtsamkeit – das ist gerade voll mein Thema“, schwärmt Vanessa. „Kinder sollen bei mir lernen: Gerade die kleinen, unscheinbaren Momente sind so wichtig, weil man normalerweise hektisch auf die nächste Attraktion wartet, den nächsten Genuss, die nächste Ablenkung. Ich sage dir: In unserer schnelllebigen Zeit braucht es nichts mehr als die Wiederentdeckung des Wertes lustvollen Wartens.“

„Sehe ich auch so, Vanessa.“ Kollegin Klara nickt. „Aber sollten wir nicht trotzdem mal anfangen, die Blumenkohlsuppe aufzutun? Die Kinder sitzen ja schon fünf Minuten am Tisch…“

 

Thorsten: „Meinem Mann ist es wichtig, dass jeder Schüler in seinem ganz individuellen Tempo lernen kann“, berichtet Frau Dr. Heisterkamp ihrer Bekannten beim Plausch in der Fußgängerzone.

„Und was heißt das konkret?“ rückfragt die Bekannte.

„Das heißt, dass mein Thorsten alle Schüler, die nicht in seinem individuellen Tempo mitkommen, sitzenbleiben lässt“, informiert die Studienratsgemahlin.

 

Else: „Dieses Jahr zum Muttertag schenken wir Ihnen kein selbstgebasteltes Herz und auch keine Deko-Kleider­bügel“, eröffnet Else den Elternabend. „Dafür schenken wir Ihnen das Schönste, was es überhaupt gibt!“

Interessiert blicken die Eltern von ihren Displays auf.

„Und das ist Zeit! Kostbare Zeit, die Sie mit dem wertvollsten Menschen verbringen dürfen, den Sie haben!“

„Ach, Gottchen“, flötet Ildikos Mutter, „ich bin sooo gerührt! Äh, was heißt denn das genau?“

„Na, außerplanmäßig drei Schließtage. Ab morgen!“

Was für Heldinnen

im Umgang mit Helden Liebe Heldinnen, hier eine kleine Unterweisung für den Umgang mit Helden – gegliedert in Lektion 1 bis 8. 1 Kein Lob ohne Nachschub Alles am männlichen Held wird gelobt und dann wird nachgeschoben „für einen Helden“. Er könne gut fliegen für einen Helden, er wäre ganz schön stark für einen Helden,…

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Achtung, alle mal achtgeben:

wir achten auf Achtsamkeit!

Einsamkeit kann gut tun, und Zweisamkeit ist noch schöner, besonders am lauschigen Ufer der Dreisam. Danach kam nichts mehr, bis vor einigen Jahren die vielleicht herrlichste -samkeit überhaupt ausgerufen wurde, nämlich die Sechs-? Nein! Sieben-? Nein! Selt-? Die gab es schon. Neu ist aber: Achtsamkeit. Tadaa!!!

Achtsamkeit ist Trend. Sie passt so gut in unsere Zeit wie Vollholzmöbel, dieses dänische Glücksgefühl „Hygge“ mit den Kerzen, grüne Smoothies und lange, bewegende Gespräche im Vier­generationenhaus. Also macht jeder mit, allen voran die kleine Kita am Rande der Stadt, und erst nach zwei Jahren fragt das Team irritiert: „Was is’n das eigentlich, Achtsamkeit?“

Höchste Zeit für diesen Text, einen Blick aus blitzgescheiten, sympathisch nickelbebrillten Augen und das Geständnis: „Ich weiß es auch nicht.“ Gefolgt vom pädagogisch korrekten „Aber ich werde es dir trotzdem erklären“.

Achtsamkeit ist Atmung. Eine weit verbreitete Achtsamkeitsübung für Erwachsene ist es, bewusst zu atmen. Eine wirksame Achtsamkeitsübung mit Kindern ist es, mit ihnen gemeinsam zu atmen. Vorteil der Übungen: Atmen muss man sowieso. Also kann man versuchen, das mal bewusst wahrzunehmen. Nachteil der Übungen: Bewusst Atmen ist nach dem zweiten, spätestens dem dritten tiefen Atemzug irgendwie langweilig. Trotzdem muss man weiter­atmen – und steigert seine Achtsamkeit unachtsam.

Achtsamkeit ermöglicht, sich an kleinen Dingen erfreuen zu können, die man normalerweise übersieht oder sogar blöd findet, wenn man sich nicht fest vornimmt, sie zu beachten. Gut, dass es im pädagogischen Alltag viele dieser kleinen Dinge gibt, oft sogar in Kombination: Wenn man auf einem kleinen Stühlchen im kleinen Raum sitzt, um kleine Kinder zu betreuen, und dafür nur ein sehr kleines Gehalt bekommt, dann hat man sie beisammen – all die kleinen Dinge, über die man sich auch manchmal freuen kann.

Achtsamkeit bedeutet, die Umgebung ganz bewusst wahrzunehmen – mit allen Sinnen. Die Welt hält so viele Klänge, Bilder und Düfte bereit, die wir im hektischen Alltag allzu oft übersehen, weil unsere Augen, Ohren und Nasen nicht achtsam genug sind.

Wer achtsam ist, entdeckt plötzlich überall unverwechselbare Reize – mitten im Kitaalltag: Das neue Tattoo auf der entblößten oberen Pobackenhälfte von Hausmeister Ronny, 54. Den Klang von 18 aufgeregt herumkreischenden Vorschülern in der Turnhalle. Den Duft beim abendlichen Leeren des Windeleimers.

Achtsamkeit heißt, nur still dazusitzen, zu lauschen und zu schauen, was passiert. Das entspricht den beiden klassischen Kernbeschäftigungen des Pädagogen: Beobachtung. Und Gartendienst. Achtsamkeit gibt es auch als Affirmation: „Gib acht bei allem, was du tust.“ So steht es in einem Achtsamkeitsbuch. Früher sagte man schroff: „Träum nicht!“ Oder: „Schau nach links, schau nach rechts…“ Ist man achtsam, wird wahnsinnig viel Oxytocin ausgeschüttet. Ist man nicht achtsam, schüttet man den Früchtetee beim Frühstück aus und bekleckert die Tischdecke.

Achtsamkeit vermittelt man weiter, indem man sie anderen vorlebt – den Kindern zum Beispiel. Es darf aber nicht stressig und laut dabei sein. Leider sind Kinder oft laut und stressig. Um ihnen Achtsamkeit vorleben zu können, sollte man die Anzahl der Kinder reduzieren und diejenigen auswählen, die leise sind und nie Stress machen.

Achtsamkeit bedeutet auch, freundlich zu sein. Man kann Kindern das nahe legen, indem man sie bittet, immer „bitte“ und „danke“ zueinander und zu den Erwachsenen zu sagen. Und indem man sich dafür bedankt, dass sie dieser Bitte nachkommen. Vorteilhaft ist: Das trainierte man all die Jahre schon, in denen es noch keine Achtsamkeit gab. Nachteilig ist: Der Satz „Wie heißt das Achtsamkeits-Zauberwort“ klingt ziemlich kompliziert.

Achtsamkeitsexperten schlagen vor, Kinder kleine Steine sammeln zu lassen, die Steine zu befühlen und darüber zu sprechen, wie sie sich angefühlt haben. Besser als Zementbröckchen von der nächsten Baustelle fühlen sich glatte Kiesel an, die man bei Amazon ordern kann. Man kann sie im Kreis auslegen und mit sanfter Stimme sagen: „Jeder nimmt nur einen Kiesel. Jetzt streichelt jeder über seinen Kiesel und sagt dazu, was er fü – Der Kiesel wird nicht geworfen, Marvin. MARVIN! MARVIIIN! Clarissa, dass du… So, jetzt reichts! Gebt die Kiesel zurück! Wenn ihr nicht achtsam sein könnt, hat das hier alles keinen Zweck.“

Achtsamkeit beinhaltet, auf bewusstere Weise zu essen. Jeden Bissen soll man zweihundertmal kauen, bevor man den feingemahlenen Speisebrei den Schlund hinabwandern lässt – langsam und sehr, sehr achtsam. Vorteilhaft beim Essen ist: Der oft belächelte und kritisierte Kostehappen wird endlich als wertvolle Übung verstanden. Nachteilig für die Kinder: Bewusst gegessene zerkochte Möhrchen schmecken leider noch schlechter als hastig hinuntergeschlungene.

Achtsamkeit heißt, auf die Signale des Körpers zu hören. In dieser schnelllebigen Zeit vergessen wir das oft. Achtsam sein heißt, zu spüren: Mein Körper braucht jetzt Ruhe. Und eure Körper, liebe Kinder, brauchen das jetzt auch. Also: Husch husch in den Achtsamkeitsraum, auf die Achtsamkeitsmatte und mucksmäuschenstill auf die Stimme des eigenen Körpers hören. Nicht flüstern!

Ich mache jetzt ganz achtsam Pause…

Achtsamkeit ist wichtig in dieser Zeit voller Leistungsdruck. Sie hilft Kindern, wieder zu sich zu kommen. Denn achtsame Kinder können abends besser einschlafen und sind am Morgen wacher. Tagsüber sind sie bei der Sache, können ihre Emotionen besser regulieren und sich viel besser auf den Lernstoff konzentrieren. Achtsame Schüler haben bessere Noten. In unserer leistungsorientierten Zeit, in der alle immer perfekt funktionieren müssen, hilft Achtsamkeit, immer perfekt zu funktionieren.

Achtsamkeit ist bestimmt eine gute Idee. Aber in der Praxis heißt Achtsamkeit oft: Malt das Mandala aus, esst langsamer und gründlicher, ruht jetzt, seid dankbar, nicht so gierig, höflicher, leiser. Dann ist Achtsamkeit genau das, was wir in Zeiten wie diesen brauchen: ein neues Deckmäntelchen für uralt-schlechte Pädagogik.

Oder?

Mit Fingerchen und flacher, flacher Hand

 

Nicht nur aus dem Morgenkreis kennt man Fingerspiele. Wohl fast jeder von uns weiß davon ziemlich viele. Auch manch alter Kinderreim bleibt uns unvergessen. Er nervte auswärts und daheim vorm Waschen, Schlafen, Essen. Stimmt der Inhalt immer noch? Autor Fink: „Mitnichten! Krempelt mal die Ärmel hoch und lasst uns neue dichten!“

 

 Die Geschichte vom Fachkräftemangel

 

Fünf Damen sind in die Fachschul’ gegangen,
sie wollten den Titel „Erzieherin“ erlangen.
(Die ganze Hand präsentieren)

Die erste erstarrte: „Powischen? Krass!“
Und fragte, vor Schreck plötzlich leichenblass:
„Gibt’s eigentlich Ausnahmeregeln
für Frauen mit künstlichen Nägeln?“
(Mit dem Daumen wackeln)

Die zweite schimpfte: „Dieses Bildungs-Blabla!
Das ist alles nicht mehr, wie’s früher mal war!
Verschont mich mit Dokumentieren!
Ich mach lieber was mit Tieren.“
(Mit dem Zeigefinger drohen)

Die dritte war zwar die längste,
doch leider auch die bängste.
Sie fing sofort an zu weinen:
„Die machen mich fertig, die Kleinen!“
(Alle zehn Finger vor die Augen halten)

Die vierte war gut im Verspäten
und sprach gern von „Universitäten“,
„empirisch“ und „nicht übertragbar“
und dass heut ihr letzter Tag war.
(Den Ringfinger bewegen und dann verschwinden lassen)

Die fünfte war fabelhaft,
hat niemals ein Kind angeblafft,
stets einsatzbereit und voller Kraft,
aber dann: Weg wegen Schwangerschaft.
(Alle Finger weg)

 

Himpelchen und Pimpelchen ganz oben

 

Himpelchen war ein Trägervertreter,
Pimpelchen der Untergebene.
(Einen Daumen vor dem anderen buckeln lassen)

Sie durften dort oben lange beraten,
mit all den Ministerialbürokraten.
(Daumen ganz wichtig herumwackeln lassen!)

Und nach fünfundfünfzig Wochen
sind sie in Klausur gekrochen.
(Daumen in den Fäusten versenken)

Sitzen da in guter Ruh.
Sei mal still und hör schön zu!
(Schnarchgeräusche imitieren, bis der Ruf ertönt:„Was, schon Präsentation der Zwischenergebnisse? Ist denn eine Powerpoint vorbereitet, Herr Dr. Pimpelchen?“)

Himpelchen und Pimpelchen
stiegen auf die Führungsebene.
(Mit zwei Händen das Gefällt mir-Zeichen bilden)

 

Die fünf Lehrer

 

Fünf Lehrer, die klagten im Lehrerzimmer:
„Die Kinder werden immer schlimmer!“
Der erste erkannte messerscharf:
„Zu viele Kinder mit Förderbedarf!“

„Ich bin doch…“, murrte ein zweiter
„kein Schulsozialarbeiter!“

Der dritte Lehrer beklagte,
wie sehr heut die Kita versagte.
Der vierte schwärmte, wie gerne er
anno dunnemals Lehrer gewesen wär:
„Da war man noch Autorität,
und galt was von früh bis spät.“

Der fünfte schlussfolgerte kühler:
„Besser nicht – da warn wir ja die Schüler!“
(Während des Spiels die Finger lethargisch bewegen)

 

Das Bildungshäuschen

 

In Tante Uschis neuem Bildungshaus
hängen coole Bildungsposter aus.
Doch im normalen Tagesablauf
kocht man eiskalten Kaffee auf.

 

Die fünf Muttis

 

Dort auf dem Elternabend,
da ist der Teufel los.
Da streiten sich fünf Mütter
um die Portfolios.
Der ersten fehlt’s an Fotos,
der zweiten an Niveau.
Die dritte findet, die Kinder
schau’n nicht wirklich froh.
Die vierte beklagt die Kosten
fürs Dokumentiermaterial.
Und Vanessa Schulz ihre Mutti
is der janze Quatsch piepejal.

 

Rabenschwarze Pädagogik

 

Wenn mein Kind nicht essen will,
schwinge ich die Keulen.
Zwar nur die moralischen –
trotzdem wird es heulen.

Wenn mein Kind nicht schlafen will,
lass ich’s halt mit zuen
Augen liegen und nenne das
„freiwillig ausruhen“.

Wenn mein Kind nicht machen will,
was ich ihm befehle,
sag ich, dass ihm Koop’ra-
tionsbereitschaft fehle.

Wenn mein Kind nicht warten kann,
in den Garderoben
bastle ich ein großes Schild:
„Hier woll’n wir nicht toben!“

Wenn mein Kind, ein Junge, spielt
mit der schönen Puppe,
zieh ich’s auf und lach es aus
vor der ganzen Gruppe.

Wenn mein Team mich wieder nervt,
werde ich zum Kranken.
Fehl ich, dann gibt’s richtig Stress.
Werd’n sie sich bedanken!

Wenn der Job mir nichts mehr gibt,
geh ich in den Garten.
Werd’ als Hofaufsicht auf den
Renteneintritt warten.

 

Vorsicht, Fake-Pädagogik!

Überall werden wir betrogen und belogen – sehen wir nur in unseren pädagogischen Spam-Mail-Container: „Halo ich bin Señor Cifuentes de Sola. Ish habe erfahren dass sie haben einzigartige Kind mit incredibile Intellegencia. Ish ihnen anbieten zu bringen diese Chico in meine Kindergarten conceptioniert nach Ansatz der vereehrte Señora Montezorio! Du nur mussen zahlen cliccekleine Gebuhre von 250000000 Mio Dollar auf la mia Conto Segreto! Wenn du nicht mitmache, dann…“

Nein, das wollen wir gar nicht zu Ende lesen. Wir leiden schon genug unter all den Schreckensnachrichten über Fake-Pädagogiken, denen immer mehr gutgläubige Erziehende auf den Leim gehen. Lesen Sie sich nur mal die Polizeiberichte in ihrem pädagogischen Käseblatt durch:

„Einer besonders infamen Masche sind offenbar zahlreiche Kindereinrichtungen auf den Leim gegangen. So gaben sich Mitarbeiter eines ‚Hauses der Forschen Kleinen ‘ als Naturwissenschaftler aus und ließen die Kinder sinnlose, entwürdigende Vulkanexperimente durchführen. Später kam heraus, dass die Spitzbuben es auf die Geldreserven des Bildungsministeriums abgesehen hatten und offenbar schon jahrelang ein Leben in Saus und Braus…“ Schnell weiterblättern!

„Guten Tag, Sie haben einen Satz Eipetts für ihr Haus gewonnen!“ Wer so begrüßt wird, noch dazu von angeblichen Vertretern der deutschen Bildungswirtschaft, sollte Bedacht walten lassen. Nicht so das Team der Kita „Villa Bunterkunt“ im niedersächsischen Dangast. Hellhörig wurden die Frauen auch nicht, als ihnen die angeblichen Pädagogen das Blaue vom Himmel versprachen: voll digitalisierte Bildungsangebote, von Lernpsychologen entwickelte Apps für die lieben Kleinen. Natürlich entpuppten diese Angebote sich nach kurzer Zeit als ultra-öde Lernspiele im Zahlenraum von Eins bis Zwei, aber da waren die Herren längst weitergezogen.

„Ich bin immer noch schockiert“, empört sich die kurz vor der Rente stehende Lehrerin Amalie über eine „Luxus-Fortbildungsreise ins Pädagogen-Glück“, die sich als schnöde Abzocke entpuppte. „Besuchen Sie eine der weltweit größten Bildungsveranstaltungen und erleben Sie hochkarätige Experten in unseren prachtvollen Hallen“, stand in dem Reiseprospekt. Die „Luxusreise“ führte Amalie und ihr Kollegium in eine hässliche deutsche Großstadt, an deren Rand zugige Hallen aufgebaut waren, voller Stände mit quietschbunten Nippes. „Erst als der Referent bei der von uns gebuchten Fortbildung plötzlich verlangte, statt einer Vorstellungsrunde geradezu entwürdigende Bewegungen zu Rolfs Schulweg-Hitparade zu machen, wurde mir der Betrug klar.“

„Endlich genau wissen, was Kinder brauchen“, war den Erzieherinnen Hanne und Isabel versprochen worden. Das Konzept klang super: Easy in der Ecke sitzen, den Kindern zuschauen, ab und zu Kreuzchen machen und vielleicht auch mal ein Foto schießen…“, hatten die Herren von einem „sozialwissenschaftlichen Institut“ erklärt. „Ich hätte stutzig werden müssen, als dann Tonnen von diesen Bögen ins Haus flatterten“, sagt Isabel selbstkritisch und berichtet von einem verwirrenden Einschätz-Verfahren, das sie nächtelang mit dem Ausfüllen und Sortieren von Listen beschäftigt. „Die Kinder beobachten? Keine Zeit. Ich sehe sie ja höchstens mal durch die Lochung in den Einschätzskalen-Zusammenfassungsbögen“, beschwert sie sich, bevor sie wieder in dem Wust unangekreuzter Skalen versinkt.

„Für mich klang das wie ein Zauberwort“, erinnert Waltraut sich an den Tag, an dem ein Herr von einem sogenannten Landesbildungsministerium bei ihr vorsprach. Das angeblich kostenfreie Inklusions-Konzept ermögliche es ihr, versprach der Mann, die OECD-Ansprüche an das deutsche Bildungssystem auf eigene Faust umsetzen zu können. „Ich ganz allein? Da hätte ich stutzig werden müssen“, seufzt Waltraud. „Stattdessen habe ich auf eigene Rechnung Material beschafft, Überstunden ohne Ende gemacht, und als ich mich beschwerte, salbaderte der Kerl von ‚nachzujustierendem Personalbedarf ‘ und ‚gebundenen Händen ‘. Irgendwann tauchte er gar nicht mehr auf.

„Landesbildungsminister kann sich heutzutage jeder nennen“, warnen Fachleute. „Diese nicht geschützte Bezeichnung ruft natürlich jede Menge Scharlatane auf den Plan.“ Sie raten, sich Nachweise über pädagogische Ausbildungen zeigen zu lassen und sich weder von Sätzen wie „Ich habe selbst Kinder“ oder vorgezeigten Parteibüchern angeblich bildungssachkundiger Organisationen wie CDU oder SPD beeindrucken zu lassen.

Doch es gibt auch Hoffnung. Pädagogik-Hauptkommissar Fröbelstein stellte letzte Woche ein umfangreiches Paket von Prüf-Software vor, mit deren Hilfe es möglich ist, gefälschte Pädagogiken zu entlarven. Sehen Sie selbst: „Dieser angebliche Reggio-Kindergarten gleicht bis ins Detail dem italienischen Originalkonzept, und weder Kinder noch Eltern oder neue Kolleginnen könnten erkennen, dass es sich um eine raffinierte Fälschung handelt – vom Remida-Anbau bis zum Fördern der 100 Sprachen des Kindes.“

Sekundenschnell entlarvt der „Concept-Detector“ durch lautes Piepen dem menschlichen Auge nicht wahrnehmbare Fehler wie die Verwendung halbtransparenter Remida-Materialien außerhalb des Leuchttischs. „Das würde Loris Malassori und Maria Monteguzzi sofort über­zeugen“, findet Fröbelstein. Da piept das Gerät schon wieder…

 

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