10 Fragen an Susanne Hantz

Wann bist Du glücklich?

Glück ist ein kleiner Heckenschütze.

Was regt Dich auf?

Ungerechtigkeit.

Was fällt Dir ein, wenn Du an Deine Kindheit denkst?

Dass ich als Kind kurze Haare hatte. Dann waren sie lang, und jetzt sind sie wieder kurz.

Was schätzt Du an einem Menschen am meisten?

Dass er oder sie sich fürs Machen begeistern kann.

Was kannst Du am besten?

Ich kann gut Verwirrung stiften.

Was kannst Du überhaupt nicht?

Ich kann nicht lange sachlich bleiben.

Auf welchen Gegenstand kannst Du verzichten?

Auf den Computer.

Was wäre für Dich eine berufliche Alternative?

Ich könnte Gastwirtin sein.

Was wünschst Du Dir?

Sonnige Perspektiven.

Hast Du ein Motto?

Durch. Ohne „Augen zu“.

Das Gemeinwesen in der Turnhalle

Bevor Susanne Hantz Ende 2015 den Job übernahm, sagte ihr Mann Bert: „Susanne, mach´s nicht.“ Worum es ging? Um eine Unterkunft für geflüchtete Menschen: Männer, Frauen, Kinder – insgesamt 260 Leute. Und zwar in einer Turnhalle.

Man erinnere sich: 2015 kamen 890.000 Schutzsuchende nach Deutschland, erklärte der damalige Innenminister Thomas de Maiziére in der „Welt“ vom 30. 9. 2016. Laut Angaben der Senatsverwaltung für Soziales und Gesundheit kamen 79.000 Geflüchtete 2015 in Berlin an, war im „Tagesspiegel“ vom 16. 12. 2016 zu lesen. Knapp 3.000 von ihnen lebten 2016 noch in 38 Turnhallen.

Im Herbst 2015 wurde in der Nachbarschaft des Büros der „Kindererde gGmbH“ eine Unterkunft für Geflüchtete eröffnet. Susanne Hantz, Geschäftsführerin von „Kinder­erde“, ging vorbei, bot Hilfe an und arbeitete beim Aufbau des bezirklichen Willkommensbündnisses mit. Dass junge Kinder in besonderer Weise ihr Thema waren, überrascht nicht, denn die „Kindererde gGmbH“ ist ein kleiner Kitaträger. Also richtete Susanne mit anderen Ehrenamtlichen einen Kinderraum her und bot regelmäßige Betreuung an.

Die Mitarbeit bei „Willkommen KONKRET – Berliner Bündnis für Kinder geflüchteter Familien“ bestärkte sie in der Überzeugung, dass gesellschaftliches Engagement auf vielen Ebenen nötig ist. Als der Berliner Senat über den Paritätischen Wohlfahrtsverband nach Mitgliedsorganisationen suchte, die Notunterkünfte betreiben würden, beschlossen Susanne und ihr Team: „Das machen wir.“

„Geben wir der Wahrheit die Ehre: Für uns als kleiner Träger war das keine strategische Entscheidung, sondern eher eine emotionale. Willst du dir ein neues Geschäftsfeld erschließen, musst du das anders angehen, würde mir jeder Organisationsberater sagen.“

Anfang November kam der erste Anruf: „Sie hatten sich doch bereit erklärt, und da gibt es jetzt eine Halle…“ Am nächsten Morgen war der Besichtigungstermin. Es stellte sich heraus: eine Doppelturnhalle, ebenerdig, 1970er Jahre, unsaniert. Laut Berliner Standard hieß das in diesem Fall: Die Heizung funktioniert meistens, die Duschen sind gesperrt, eine oder zwei Toiletten sind benutzbar, das Stromnetz ist anfällig.

Die Frage der Damen und Herren aus verschiedenen Ämtern, ob „Kindererde“ ein erfahrener Betreiber sei – „Oh Gott! Nicht schon wieder welche, die keine Ahnung haben“ – ließ sich beantworten: Der Betrieb von Kitas und Erfahrungen in der Flüchtlingsarbeit sorgten dafür, dass das „Kindererde“-Team viele hilfreiche Tipps und Hinweise bekommen hatte. Tatsache war aber, dass die Halle als Notunterkunft so nicht „ans Netz“ gehen konnte. Sanitärcontainer mussten her.

„Ich hatte gesagt: ‚Es ist Winter. Wenn es darauf hinausläuft, dass mehr als 200 Menschen hier leben sollen, und die Toiletten sind alle draußen, dann machen wir das nicht.‘ Da sagte einer: ‚Meine Großmutter hatte das Klo früher auch auf dem Hof.‘ ‚Ja‘, entgegnete ich, ‚aber sie hatte wahrscheinlich einen Nachttopf unterm Bett. Möchten Sie irgendwo einziehen, wo 200 Leute einen Nachttopf unterm Bett haben?‘ Allerdings gab es zu dieser Zeit gar keine Sanitärcon­tainer: Lieferengpass. Also wurde entschieden, den Sanitärbereich zu sanieren. Gut für die Schule.“

In den nächsten Wochen hörte Susanne nichts mehr von der Doppelturnhalle, bekam aber zahlreiche Anrufe und Mails mit anderen Angeboten. Doch nach dem Vor-Ort-Besuch hatte das „Kindererde“-Team sich geeinigt: Wir sind bereit, aber wir übernehmen keine einräumige Halle.

Als Susanne schon dachte, das Ding sei durch, bekam sie am 4. Januar gegen Abend einen Anruf: „Sie hatten sich doch bereit erklärt… Start: morgen.“

Und los ging’s: Alle anrufen, den Plan mit den „Was-wäre-wenn“-Überlegungen aus der Schublade holen, den Caterer, die Security, die Reinigungsfirma und die Wäscherei verständigen. Das war ein bisschen wie beim Beginn einer Geburt.

Am nächsten Tag kamen junge Männer von der Bundes­wehr, verlegten Platten auf dem Parkett der Halle, stellten Doppelstockbetten auf und schleppten Kisten. Die Sanitäranlagen waren saniert. Draußen standen zusätzlich einen paar Dixi-Klos.

Immerhin waren die Betten mit Matratzen ausgestattet worden, Handtücher, Kissen und Bettzeug waren vorhanden. Aus den „Kindererde“-Kitas und einem Hort waren überzählige Tische, Bänke und Stühle herbeigeschafft worden. Ein Kopierer stand bereit, Anmeldebögen waren entworfen und Einlassbändchen besorgt worden.

Ein Dorf aus Kokons

So, wie die Geflüchteten im LAGeSo angekommen waren, wurden sie in Busse gesetzt und zur Turnhalle gebracht – am einzigen Januar-Abend, an dem Schnee gefallen war. Ein Bus nach dem anderen fuhr vor.

Im hinteren Teil der Halle lag der große Raum, im vorderen Teil der kleine. Dazwischen Gänge, Sanitär- und Umkleideräume. Die Leute wurden in die kleine Halle gelotst, zu einer Art Check-in-Strecke: Dort konnten sie sich hinsetzen, Tee trinken und sich anmelden. Alle Leute bekamen Einlassbändchen, damit Zugangskontrollen möglich waren. Nach dem Check-in wurden sie in den großen Raum gebracht. Das Team wies ihnen Betten zu: auf der einen Seite die Familien, auf der anderen Seite die allein reisenden Männer. Unter ihnen waren Menschen aus Syrien, dem Irak, aus Afghanistan, Eritrea und Nigeria, aus Moldawien, Tadschikistan und Turkmenistan.

„Wir trennten die Männer nicht von den Familien, obwohl wir wussten, dass das in anderen Notunterkünften üblich war. Wenn es eine Familie geschafft hatte, Krieg und Flucht gemeinsam zu überstehen, kann man die Männer doch nicht extra unterbringen! Außerdem: Wann ist ein Junge ein Mann? Wir weigerten uns, in einem Haus, für das wir die Verantwortung trugen, Männer grundsätzlich als Bedrohung zu definieren. Es musste uns gelingen, eine Atmosphäre von gegenseitigem Respekt zu schaffen. Klar war aber: Die Leute waren deutlich lagererfahrener als wir. Schneller, als wir gucken konnten, hatten sie die Doppelstockbetten zusammengeschoben und mit Laken und Bezügen abgehängt, so dass kleine, geschützte Räume entstanden. Bettwäsche zum Beziehen hatte danach niemand mehr. Erste Lernerfahrung: Wir brauchen Stoff, viel Stoff.“

In der ersten Nacht wurden 245 Menschen aufgenommen. Viele waren krank. Als Susanne deshalb im LAGeSo anrief, riet man ihr, den ärztlichen Notdienst zu verständigen, die Namen der Kranken aufzuschreiben und sie zu isolieren. Doch das war unmöglich. Schließlich wurde ein Sanitäter geschickt, und auch eine Ärztin kam, die Susanne anzischte: „Was denken Sie sich denn? Wir sind für die Bevölkerung zuständig!“

Am nächsten Tag war plötzlich kein Strom da. Dann gab es kein warmes Wasser. Als diese Probleme gelöst waren, konnten die Leute duschen. Überall roch es nach Shampoo, Dampfschwaden krochen durch die Flure, und viele Leute sangen.

Am ersten Tag wanderte Susanne durch die Halle und ließ sich zeigen, wo Säuglinge und Kleinkinder untergebracht waren:

„Ich hatte Sorge, dass wir Mütter haben könnten, die sich in einem Zustand von Erschöpfungsdepression befinden und auf die Bedürfnisse ihrer Kinder nicht mehr eingehen können. In solch einer Situation beginnt Kinderschutz mit einem Stuhl, auf den die Mutter sich setzen kann. Hat sie keinen anderen Platz als das Bett, an dem sie sich aufhalten kann, dann sieht man auch das Kind nicht. Also guckte ich mir alle Babys und vor allem die Mütter an, schaute nach, ob sie stillen oder Babynahrung brauchen. Ich wollte mich vergewissern, dass es ihnen gut geht und dass sie handlungsfähig sind.“

Keine Gewalt!

Müssen sich viele Menschen – entstammen sie verschiedenen Nationalitäten oder seien sie alle Schwaben – eng begrenzten Raum teilen, bleiben Auseinandersetzungen nicht aus. Rigoros warfen Susanne und ihr Team jeden Erwachsenen raus, der zu Gewalt griff. Konflikte beizulegen gelang eher selten, und trotzdem wurden es im Laufe der Zeit weniger.

„Wir wollten uns hinsetzen, über die Probleme sprechen und sie klären. Nur führten die von unserer Kultur geprägten Konfliktlösungsstrategien nicht wirklich zum Erfolg. Im Nachhinein erinnert mich das ein bisschen an unsere Blockflöten-Konzertchen zu Weihnachten. Die Vorstellung war für alle verpflichtend, traf aber überwiegend den Geschmack der Großeltern, und das jüngere Publikum langweilte sich. In der Turnhalle wurden Konflikte häufig irritierend schnell beigelegt und poppten bei der nächsten Gelegenheit wieder auf. Kein Wunder, wenn man sich aufgrund der räumlichen Enge nicht aus dem Weg gehen kann und alles voneinander mitbekommt.“

Geschichten vom Waschen

Anfangs gab es keine Waschmaschinen. Die Leute wuschen ihre Sachen mit der Hand. Überall hing nasse Wäsche, darunter riesige Pfützen. Susanne befürchtete, dass der Hallenboden das nicht lange aushält. Also kaufte sie eine Wäscheschleuder.

„Niemand wusste, was das ist. Eine Afghanin kannte diese Maschine und zeigte, wie man sie so belädt, dass sie keine Unwucht kriegt, und dass man das Abwasser in einer Schüssel auffängt. Andächtig umstanden die anderen Frauen die rotierende Maschine und unterhielten sich. Alle kannten W-LAN. Eine Wäscheschleuder kannte niemand. Sie war so fremd wie ein Alien.

Natürlich wurden auch Wäscheständer gebraucht. Die ersten zehn Stück stellten wir überall in der Halle auf. Nach 10 Minuten waren sie weg. Nach 20 Minuten klopfte eine Frau an meine Bürotür und sagte, sie hätte auch gern einen Wäscheständer. Wir sammelten die Ständer ein und schraubten sie am Boden fest, so dass eine Art Wäscheplatz entstand. Nach kurzer Zeit waren sie Schrott, weil die Kinder damit spielten. Ein Wäscheständer ist halt nicht so stabil wie ein Klettergerüst.

Die neuen Ständer wurden neben den Betten-Kokons platziert. Nun war die Nutzergemeinschaft kleiner und musste sich einigen: Kann ich jetzt mal meine Wäsche…“

Seifenspender wurden an den Handwaschbecken aufgestellt und verschwanden sogleich. Irgendwann werden die Leute seifengesättigt sein, dachte Susanne. Das war ein Irrtum. Warum?

„Wenn du nicht darauf vertraust, dass dir Sachen zur Verfügung stehen, die du nicht besitzt, wirst du sie in deinen Besitz bringen, um sicher zu sein, dass du sie hast, wenn du sie brauchst. Außerdem wurde Seife zum Wäsche-Waschen verwendet. Unser Waschmittel schäumt nicht und war vielen Frauen deshalb suspekt.“

Jeden Morgen markierten große Wäschetüten im Flur die Position in der Reihe zur Wäscheabgabe. Wer zu spät kam, dessen Wäsche wurde nicht mehr angenommen, weil nur eine bestimmte Anzahl an Maschinenladungen pro Tag zu bewältigen war.

„Wir erklärten, stellten die Tüten zurück in die Halle, erklärten noch mal. Sinnlos!

Nach 60 Minuten Teamdiskussion sagte ein Mitarbeiter der Hauswirtschaft: ‚Ich nehme nicht nur neun Tüten Wäsche an. Ich nehme alles, was kommt. Das sind dann mal zehn, elf oder zwölf Tüten. Jeder beschwert sich, wenn ich seine Wäsche nicht annehme. Niemand beschwert sich, wenn sie abends noch nicht fertig ist.‘ Halleluja!“

Grenzen des Vergemeinschaftens

Vieles, das es in der Turnhallen-Zeit gab, sollte gemeinschaftlich genutzt werden: Spiele, Haarschneide- und Nähmaschinen, Musikinstrumente. Doch es war unrealistisch, all diese Sachen auszuleihen, und machte zu viel Arbeit. Merkte das Team, dass jemand oft Schach spielt, bekam er eins der Spiele.

Als eine junge moldawische Mutter ihren Rock flicken wollte, gab Susanne ihr blaues Garn und eine Nadel. Später brachte die Frau das Nähzeug zurück. Damit hatte Susanne nicht gerechnet.

„Ich habe mich geschämt. Das war doch absurd! Hier stieß das Vergemeinschaften an die Grenze der Würde. Wir haben dann Nähkästen besorgt und verteilt.

Manchmal haben wir Verhältnisse konstruiert wie Kinder, die sich draußen eine Räuberhöhle bauen oder Mutter-Vater-Kind spielen. Wir haben Verhältnisse geschaffen, die mal funktionierten und mal nicht. Wenn nicht, verwarfen wir unsere Idee und versuchten es anders. Mit unseren Plänen sind wir oft erst mal grandios gescheitert.“

Im Frühjahr fingen Leute an, draußen auf kleinen Kochern etwas zuzubereiten. Sie wollten endlich mal wieder was essen, das sie selbst gekocht hatten.

„Das war bedürfnisorientiert, selbstbestimmt und ein grundgesunder Impuls, fand ich. Also stellten wir draußen Tische mit Gaskochern auf, beschafften Töpfe und Geschirr aus den Spendenkammern und gingen einkaufen, damit alle, die das wollten, eine kleine Erstausstattung bekamen. Das war übrigens auch eine Form der Kommunikation für uns. Viele Leute sagten: ‚Catering ist Scheiße.‘ Egal, wie viel Mühe sich der Lieferant gab. Aber niemand hätte gefordert: ‚Baut hier mal eine Küche ein.‘

Wir versuchten, Dinge aufzugreifen, unsere eigenen Grenzen immer wieder in Frage zu stellen und neue Herausforderungen zu bewältigen. Aber: Wenn es Kocher und Kühlschränke gibt, muss jemand sie saubermachen. Doch in einer Turnhalle, in der alles frei zugänglich ist, funktionieren keine Reinigungspläne. Du musst jemanden bitten, dich zu unterstützen. Wenn du Glück hast, fühlt sich jemand berufen, langfristig Verantwortung zu übernehmen.

Rückblickend kann ich sagen: Das Ergebnis war nie so, wie ich es erwartet habe. Aber oft war es ziemlich interessant. So was nennt man wohl: neue Erfahrungen machen.“

Geschichten von Kindern

In der Halle lebten zeitweise 100 Minderjährige. Es gab keine Kitaplätze und monatelang keine Schulplätze.

Der Kinderraum in der Turnhalle war täglich geöffnet, und die Kinder wurden betreut. Anfangs bot ein Team-Mitglied Sprachunterricht für die älteren Kinder und Jugendlichen an.

„Dass es so lange dauerte, bis die Kinder zur Schule gehen konnten, fand ich fürchterlich. Für mich ist es ein hohes Gut, dass wir hier die allgemeine Schulpflicht für Mädchen und Jungen haben und sie umsetzen. Es trieb mir die Tränen in die Augen, dass ich für die Schulkinder der geflüchteten Familien nichts tun konnte.“

Die Kinder, vor allem die älteren, sprangen herum und wollten beschäftigt werden. Für sie war die Turnhalle ein großer Spielplatz, und…

„… es war immer was los. Die Erwachsenen konnten sich zurückziehen, zugucken oder mitmachen. Wenn wir Deko-Berge fürs nächste Fest mit den Kindern gebastelt hatten, war die Stimmung gut. Machten sich zwei Männer dran, die Deko-Elemente aufzuhängen – was in einer Turnhalle querdrüber nicht leicht ist –, war das ein Gewinn.

Zwar konnten sich die Kinder in der Halle frei bewegen, der Außenbereich war umzäunt, die Security passte auf, und selbst kleinere Kinder waren relativ sicher. Aber große Kindergruppen entwickeln im Spiel viel Dynamik, und dabei geht oft was zu Bruch. Gebetsmühlenartig wiederholte Reglementierungen halfen nicht. Irgendwann trugen wir zähneknirschend alle nicht benutzten Betten in den Keller, um gefährliche Kletteraktionen auf den instabilen Teilen zu verhindern.“

Hinter all diesen Erlebnissen und Entscheidungen stecken Prozesse – auf der Seite derjenigen, die die Verantwortung für die Turnhalle trugen, wie auf der Seite der Menschen, die darin lebten.

Feste feiern

„Das erste Fest war eine Abriss-Party, denn in der kleineren Halle, unserem Wohnzimmer, sollte PVC-Boden gelegt werden. Alles musste raus. Nach dem Abendessen wurden die Tische beiseitegestellt, die Musik-Anlange wurde aufgebaut, und wir legten los. Die ersten, die zur Musik rumsprangen, waren die jüngeren Kinder. Dann kamen die Männer dazu, schickten ihre eigene Musik von ihren Handys durch die Anlage und tanzten.“

Später nahm ein kleines Mädchen Susanne an die Hand und sagte: „Komm Dusche.“ Was wollte das Kind? Es brachte Susanne in den Duschraum der Frauen, die dort ihre Kopftücher abgelegt hatten und zu den Rhythmen aus einer kleinen Musikbox tanzten. „Komm rein“, bedeuteten sie Susanne. Danach wurde zu jeder Party ein Ort für die Frauen geschaffen – mal ein Zelt, mal etwas Anderes.

Von nun an gab es etwa alle acht Wochen ein Fest, entweder eine Tanzparty nach dem Abendessen oder große Feiern mit Programm und Gästen: mit Volontiergruppen, mit Ehrenamtlichen aus der Nachbarschaft, mit Freunden und Verwandten der Leute.

Nach dem Ramadan feierte man das Zuckerfest. Der Caterer grillte, es gab Zuckerwatte, Kuchen aus der benachbarten Schule, Musik und Spiele. Am Ende der Sommerferien fand ein Back-to-school-Fest mit Angeboten für die Kinder statt, und die Erwachsenen spielten mit. Zu Ostern wurden Eier gefärbt und Osternester versteckt. Zu Sankt Martin wurden Laternen gebastelt, Martins­wecken geteilt, und zum Fasching gab es viele Prinzessinnen, Superhelden, Feuerwehrleute, Löwen und Tiger. Natürlich wurde auch Newroz gefeiert, das persische Neujahr.

„Als wir ein großes Weihnachtsfest planten, sagte jemand: ‚Weihnachten ist doch haram.‘ Okay. Wer nicht mitmachen will – bitte sehr! Ist ja jeder ein freier Mensch.“

Vor dem Fest fragte Susanne Frauen, ob sie für so viele Leute kochen würden. Da sagte eine: „Ach, Susanne! Ich habe schon für 300 Leute gekocht…“ Sie zählte auf, was für das Festessen gebraucht wird, der Caterer lieh einen großen Topf aus, und die afghanischen Frauen kochten das Hauptgericht: Lamm mit roten Bohnen in grüner Kräutersoße. Die arabischen Frauen bereiteten Vorspeisen zu, die moldawischen machten einen Hühnerfleischsalat, und das Team kredenzte mit den Kindern Eisbomben als Dessert. Zwei Weihnachtsbäume mit selbst gebasteltem Schmuck und eine kleine Bühne standen in der Halle.

„Von einem heiß geliebten Bilderbuch aus meiner Kinderzeit hatten sich Kinder und Betreuerinnen inspirieren lassen und Szenen entwickelt: Wenn die Wolken sich im Dezember rosa färben, backen die Engel Kekse, lesen Wunschzettel, nähen Puppenkleidchen und packen alles ein. Bei uns gab es auch Geschenke, eine Weihnachtsfrau, Engel und einen Weihnachtself. Die coolsten Jungen zogen als Rentiere, mit Geweih und roter Blinke-Nase, den Schlitten.

Es war der Tag nach dem Terroranschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz. Wir waren uns einig: Weihnachten ist ein Fest des Friedens, und wir haben allen Grund, dieses Fest nicht ausfallen zu lassen, sondern zusammenzurücken.“

Am 5. Januar 2017 feierte das Gemeinwesen in der Turnhalle den 1. Geburtstag. Zwei Dutzend Geflüchtete waren seit Januar 2015 dabei. Was für eine Leistung!

Dann kam die letzte Fete, mit einer Bilder-Show per Beamer: Fotos aus der Turnhallen-Zeit, die am 21. März 2017 zu Ende ging, denn die Leute bekamen Plätze in anderen Unterkünften, die bessere Lebensbedingungen boten.

Der Auszug

Am ersten Tag zogen die allein reisenden Männer aus, am zweiten Tag die Familien. Für die Kinder und Familien hatte das Team zum Abschied Fotoalben vorbereitet.

Als die jungen Männer ausgezogen waren, saßen sie am späten Nachmittag wieder vor der Turnhalle und sagten: „In der neuen Unterkunft ist nix los.“ Warum? Kein W-LAN.

In den folgenden Tagen guckten die Kinder, die nahe der Turnhalle zur Schule gingen, beim Nach-Hause-Gehen vorbei, um zu sehen, wer noch da ist und wem sie helfen könnten.

Nach dem Auszug hatten sich Müllberge in der Halle aufgetürmt. Alle hatten das liegen gelassen, was sie nicht mitnehmen wollten. Wohin auch damit?

Niemand konnte sich mehr vorstellen, dass in dieser Halle Leute gelebt und gearbeitet, sich an- oder abgefreundet und Zeit miteinander verbracht hatten, die sie wahrscheinlich nicht vergessen.

Fazit

Mit den Leuten verständigte sich das zwölfköpfige „Kinder­erde“-Team auf Arabisch, Dari und Russisch, mit einigen auf Englisch, aber hauptsächlich per Pantomime. Erst später ging manches auf Deutsch.

„Es war eine unglaublich dichte, intensive Zeit, denn: Wenn du keine gemeinsame Sprache hast – Worte schaffen ja immer auch Distanz – und mehr mit deinem Körper sprichst, dann ist das deutlich weniger distanziert und emotional aufgeladener.

Ich hatte mal versucht, das den Leuten zu erklären: Ist jemand berührt oder traurig, kann ich ihn in den Arm nehmen. Verbietet sich das, zum Beispiel weil ein Mann vor mir steht, kann ich mein Mitgefühl ausdrücken, indem ich meine Hände auf die Brust lege. Ich habe nur meinen Körper und meine Mimik. Gebrauche ich sie, löst das etwas aus. Bei mir und bei dem anderen Menschen. Es macht etwas mit uns.“

Als alles begann, legte das Team los, fummelte sich ein, und im Verlaufe eines Jahres entwickelte sich tatsächlich eine Art Gemeinwesen:

„Die Art und Weise, in der wir die Dinge angingen, stärkte besonders die Frauen. Viele von ihnen bewegten sich frei und unbefangen, kochten, diskutierten über Rezepte und tranken zusammen Tee. Die allein reisenden Männer – alle ja auch Söhne, Brüder oder Ehemänner –respektierten die weiblichen Räume.“

Eigentlich haben alle Beteiligten – die Leute und das Team – das Gleiche getan: ein Gemeinwesen aufgebaut. Die einen haben ihre „Häuser“ hergerichtet, die anderen waren für die öffentlichen Einrichtungen zuständig: Rathaus (Büro), Wäscherei, Badehaus, Kinderraum und Spielplatz, Läden des täglichen Bedarfs (Hygieneausgabe und Kleiderkammer), Restaurant, Café, Kino und die Arztpraxis.

„Das Verrückte war: Wir hatten gar keine gemeinsame Perspektive. Weder war es das Lebensideal irgendeiner anwesenden Person, in einer Turnhalle zu leben, noch wussten wir, mein Team und ich, wie lange das eigentlich dauern soll…

Und – machen wir uns nichts vor: Das waren Lebens- und Arbeitsbedingungen, die nicht alle Menschen aushalten können, weder Geflüchtete noch Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter.“

+ + +

Susanne Hantz und ihr Team haben das ausgehalten. Mir hat Susanne davon erzählt. Ich weiß nicht, ob ich es ausgehalten hätte. Aber ich beneide Susanne um diese Erfahrung und hoffe, dass ich aus dem, was sie erzählte, etwas gelernt habe. Danke, Susanne.

Im Dunkel der Nacht

Was es nicht alles gibt! Man glaubt es kaum! Episoden aus dem Kinderleben in Krippe, Kita und Grundschule, erzählt von Praktikantinnen, Erzieherinnen, Leiterinnen, Fortbildnerinnen und Eltern. Erika Berthold hörte zu und schrieb die Geschichten auf.

Auf einer Einwohnerversammlung in Rüdersdorf wurde darüber informiert, dass demnächst 80 Flüchtlinge ankommen, davon 40 Kinder. Besorgt sagte eine Dorfbewohnerin: „Wenn die Laternen um 23.00 Uhr ausgehen, sieht man die Flüchtlinge gar nicht mehr.“ Warum? „Na, weil sie so dunkel sind.“

Da sagte der Landrat: „Denken Sie, dass Flüchtlingsfamilien mit ihrem Kindern nachts um den Dorfplatz spazieren? Die Kinder sind um die Zeit im Bett – wie Ihre und meine. Und ehrlich gesagt: So schön ist es kurz vor Mitternacht in Rüdersdorf auch nicht.“

Foto: REHvolution.de ,  photocase.de

Eine Familie flieht

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Im Mittelpunkt von Kirsten Boies Buch über die Flucht einer Familie aus Syrien stehen Rahaf und ihr Bruder Hassan, heute zehn und neun Jahre alt. Bis vor zwei Jahren wohnten sie in der syrischen Stadt Homs mit den Großeltern, Onkeln, Tanten und jeder Menge Cousins und Cousinen in einem großen Haus. Eines Tages kamen Flugzeuge, die Bomben abwarfen, und Männer, die auf den Straßen kämpften. Menschen blieben am Wegesrand liegen und standen nicht mehr auf. Da beschlossen die Eltern, die Familie in Sicherheit zu bringen. Sie flogen mit den Kindern nach Ägypten und bestiegen ein überfülltes kleines Boot. Das Gepäck hatten ihnen Schlepper abgenommen. Nach acht Tagen landeten sie an einem Ufer, kauften vom letzten Geld etwas zu essen und Fahrkarten nach Frankreich. Sie wollten nach Deutschland. Aus dem Erstaufnahmelager gelangten sie in einen engen Container, in dem sie noch heute wohnen. In der Schule traf Rafah ein Mädchen, das ihr deutsche Wörter beibrachte und ihre Freundin wurde. Es ist noch nicht alles gut, und Rafah hat Heimweh. Aber es wird besser.

Wer dieses Buch kennt, wird sich nicht mehr gegen Flüchtlinge wenden. Deutsche und syrische Kinder können die Geschichte gemeinsam lesen – auf Deutsch und Arabisch. Zum Schluss gibt es einige Redewendungen in beiden Sprachen, damit man in Kontakt kommen kann.

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wamiki-Tipp: Boie, K./Birck, J.: Bestimmt wird alles gut. Übersetzung ins Arabische: Mahmoud Hassanein. Klett Kinderbuch 2016, 48 Seiten, 9,95 Euro. Ab sechs Jahren. Bei Onilo gibt es den Text des Buches in einer Whiteboard-Version mit pädagogischem Begleitmaterial:
www.onilo.de

 

Große Aufgaben – kleine Ressourcen

Ergebnisse der Kita-Umfrage „Kinder geflüchteter Familien in Berlin“

Das Berliner Bündnis für Kinder geflüchteter Familien „Willkommen KONKRET“ sandte allen Berliner Kitas im Herbst 2015 einen Fragebogen, um zu erkunden: Machen sich Kita-Teams Gedanken über geflüchtete Menschen? Was passiert bereits in den Kitas? Was brauchen die Teams, um sich geflüchteten Familien verstärkt zu öffnen? Zirka 5 Prozent aller 2 370 Berliner Kita-Teams beantworteten die 18 Fragen. Dorothee Jacobs und Hannah Rosenfeld berichten über die Ergebnisse der Umfrage.

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Was ist Ihr Fazit nach der Auswertung der Umfrage?

Dorothee Jacobs: Zuerst einmal waren wir überrascht von den vielen Antworten. Sie ermöglichen ein weitaus differenzierteres Bild der Situation in den Berliner Kitas als bisher. Da wir die Umfrageergebnisse verbreiten, können die Verantwortlichen – zum Beispiel Kita-Träger oder die politisch Zuständigen – nun besser auf die Bedürfnisse der Praxis reagieren. Und die pädagogischen Fachkräfte merken, dass sie mit ihren Sorgen und Problemen nicht allein sind, weil es vielen Kitas ähnlich geht. Außerdem erleben sie, dass es Menschen gibt, die sich dafür interessieren, was Kita-Teams brauchen, um gut arbeiten zu können.

Kamen die Teams, die auf die Umfrage reagierten, über geflüchtete Kinder und Eltern ins Gespräch?

Dorothee Jacobs: Ja, die meisten Kita-Teams kamen darüber ins Gespräch. Nur drei Kitas gaben an, ihre Träger seien für das Thema nicht offen.

Als Bündnis fragen wir uns nun: Wie können wir die Träger, Kita-Teams und Eltern anregen, die sich noch nicht miteinander austauschen? Welche Unterstützung brauchen sie von wem? Und wie können gute Praxisbeispiele verbreitet werden?

Zum Beispiel bei wamiki. Was ergaben die Antworten über das Umfeld der Kitas?

Hannah Rosenfeld: Darauf zielten die Fragen 3 bis 6. Es zeigte sich, dass viele Teams nicht wissen, ob und wie sich das Umfeld engagiert, ob es Willkommensinitiativen oder Proteste gibt. Wir denken, dass Kita-Teams, die mit geflüchteten Familien arbeiten, ihr Umfeld kennen sollten und dass sie eine unterstützende Anwohnerschaft brauchen. Wir fragen uns, was wir als Bündnis dafür tun können, zum Beispiel in Sachen Öffentlichkeitsarbeit.

Nehmen die Teams Vernetzungsmöglichkeiten im Umfeld wahr?

Dorothee Jacobs: Die Antworten auf Frage 7 lassen darauf schließen, dass die Teams bisher kaum Kontakte zu  Kitas oder Familienzentren pflegen, die Kinder mit Fluchterfahrungen aufgenommen haben. Sichtlich brauchen sie Unterstützung, um funktionierende soziale Netzwerke aufzubauen. Wir könnten uns vorstellen, dass die Einrichtung besonderer Konsultations-Kitas hier Abhilfe schaffen kann.

Wie viele Kitas haben bereits Erfahrungen auf diesem Gebiet?

Dorothee Jacobs: Die Antworten auf Frage 8 belegen, dass nur ein Viertel der Kitas solche Erfahrungen hat. Demzufolge wäre es wichtig, Kontakte zwischen geflüchteten Eltern, die Kita-Plätze suchen, und Kitas oder Trägern zu erleichtern. Wir finden, dass in dieser Sache erfahrene Träger anderen Trägern beratend zur Seite stehen könnten.

Fast die Hälfte der Kitas hat sich jedoch noch nicht mit dem Thema beschäftigt, wie die Antworten auf Frage 9 zeigen. Was mag dem im Wege stehen? Angst, Unsicherheit oder Überlastung?

Was wissen die Teams über Menschen, die geflüchtet sind?

Hannah Rosenfeld: Die Hälfte der Teams gab auf die Fragen 10 und 11 an, kaum Informationen über die Lebensumstände in den Sammelunterkünften zu haben. Das erschwert natürlich die Einfühlung und Verständigung.

Wer wenig weiß und selten Begegnungen hat, wird kaum Kontakte stiften können, oder?

Dorothee Jacobs: Doch. Viele Teams beantworteten die Frage 12, indem sie von gelungenen Aktionen berichteten: Elterncafés mit geflüchteten Familien, Begegnungen bei Festen, Spiel- und Sportangeboten. Nur ein Viertel der Teams verzichtete auf eine Antwort oder gab an: „Noch keine Idee“.

Im Bündnis sind wir der Meinung, dass das Thema „Flucht“ in absehbarer Zeit auf jede Kita zukommen wird. Deshalb sollten Prozesse der Auseinandersetzung und Ideensuche zum Beispiel von den Trägern initiiert, begleitet und moderiert werden. Am besten nicht eventorientiert, sondern so niedrigschwellig und alltäglich wie möglich.

Schätzten sich die Teams als offen für Inklusions-Prozesse ein?

Hannah Rosenfeld: Ja, denn 85 Prozent der Befragten beantworteten die Frage 13 mit „ja“ oder „eher ja“. Die Grundannahme „Alle gehören dazu“ scheint weit verbreitet zu sein.

Und wie sah es bei der Frage nach „Spielräumen“ in Sammelunterkünften aus?

Hannah Rosenfeld: 38 Prozent der Kita-Teams können sich vorstellen, dass ihre Träger dafür offen wären, solche Räume in Sammelunterkünften zu betreiben. Das war übrigens eine der ersten Ideen unseres Bündnisses, denn: Zwar leben die Familien bei ihrem Start in Deutschland in den Unterkünften, ziehen aber über kurz oder lang wieder aus, und ihre Kinder verlassen die in der Nähe gelegenen Kitas. Es wäre also sinnvoll, zweigleisig zu fahren und in den Unterkünften kindgerechte, den Standards entsprechende Räume zu schaffen, die von Trägern der Kinder- und Jugendhilfe betrieben werden – am besten in Kooperation mit einer Kita.

Fühlen sich die Teams über Kinderrechte informiert?

Hannah Rosenfeld: Die meisten, nämlich 87 Prozent, fühlen sich gut informiert. 11 Prozent beantworteten die Frage 15 nicht oder mit „eher nein“. Dieser Trend widerspiegelt sich auch in den Antworten auf Frage 16, denn 79 Prozent der Teams erklärten, dass es ihnen gelingt, den Bedürfnissen der Kinder mit geringen deutschen Sprachkenntnisse gut oder halbwegs gerecht zu werden. Es zeigte sich, dass die meisten Teams bereits Handwerkszeug besitzen, um mit diesen Kindern zu kommunizieren.

Wie beantworteten die Teams die Frage nach unterstützender Fortbildung?

Dorothee Jacobs: Insgesamt gaben mehr als drei Viertel der Kita-Teams in den Antworten auf Frage 18 an, Unterstützung bei der Arbeit mit geflüchteten Familien zu brauchen. Sie wünschen sich Fortbildungen zu diesem Thema. Konkret ging es ihnen um die kulturellen und religiösen Hintergründe, aber auch um die Lebensumstände der Familien, um Fluchtursachen und rechtliche Grundlagen der Asylverfahren. Auch das Thema „Trauma“ wurde oft genannt.

Um sich für die Familien öffnen zu können, wünschen die Teams sich mehr Zeit, mehr Personal und Supervision. Zudem machen Sprachbarrieren im Kontakt mit den Eltern Sorgen. Ein Viertel der Befragten äußerte Bedarf in diesem Zusammenhang.

Insgesamt zeigte sich, dass es den Beteiligten an Kommunikation und Information fehlt, dass ein besserer Personalschlüssel ebenso nötig ist wie der Einsatz von Sprachmittlern. Unser Bündnis wird sich darum bemühen, all dies an die zuständigen Stellen heranzutragen.

 

Die Fragen

1. Reden Sie in der Kita, im Team und mit den Eltern über Geflüchtete?
2. Ist Ihr Träger aus Ihrer Sicht grundsätzlich offen für die Thematik geflüchteter Familien?
3. Falls es im Umfeld der Kita eine Sammelunterkunft für Geflüchtete gibt – sind die Anwohnerinnen und Anwohner unterstützend engagiert?
4. Falls es im Umfeld der Kita eine Sammelunterkunft für Geflüchtete gibt – sind die Anwohnerinnen und Anwohner abwehrend engagiert?
5. Falls im Umfeld der Kita eine Sammelunterkunft für Geflüchtete geplant ist – sind die Anwohnerinnen und Anwohner unterstützend engagiert?
6. Falls im Umfeld der Kita eine Sammelunterkunft für Geflüchtete geplant ist – sind die Anwohnerinnen und Anwohner abwehrend engagiert?
7. Hat Ihre Kita schon Kontakt mit Kitas oder Familienzentren, die bereits Kinder mit Fluchterfahrung betreuen?
8. Engagiert sich das Team Ihrer Kita bereits und hat Erfahrungen in der Arbeit mit Kindern aus geflüchteten Familien?
9. Wenn nicht – hat sich das Team der Kita schon darüber verständigt, wie es sich engagieren könnte?
10. Sind die konkreten Lebensumstände von Geflüchteten in der Kita bekannt?
11. Hatten Kolleginnen und Kollegen aus Ihrem Team oder Eltern schon einmal Kontakt zu einer Sammelunterkunft?
12. Welche Möglichkeiten sehen Sie, Kontakte zwischen Familien mit Fluchterfahrung und anderen Familien der Kita zu stiften?
13. Würden Sie Ihr Team als offen gegenüber dem Prozess der Inklusion bezeichnen, zum Beispiel: offen zu sein für alle, die in die Kita kommen möchten?
14. Können Sie sich vorstellen, dass Ihr Träger bereit und in der Lage wäre, einen „Spielraum“ in einer Sammelunterkunft eigenverantwortlich zu betreiben – in Patenschaft mit einer Kita?
15. Fühlen Sie sich gut über die Kinderrechte informiert?
16. Gelingt es Ihrem Team, die Bedürfnisse und Lebensthemen von Kindern mit wenig oder keinen (deutschen) Sprachkenntnissen wahrzunehmen?
17. Sind Sie der Auffassung, das Team braucht eine unterstützende Fortbildung, bevor es mit geflüchteten Familien zusammenarbeiten kann?
18. Zu welchen Fragen und Inhalten würden Sie bei einer solchen Fortbildung arbeiten und etwas hören wollen?

Ein großer Teil der Fragen konnte mit „ja“, „eher ja“, „eher nein“, „nein“, „weiß nicht“ und „keine Angaben“ beantwortet werden. Einige Fragen erforderten kurze Ausführungen.

 

 

Verständnis und Verstehen

Eine afghanische Familie in Mecklenburg

Afghanische Familie in Mecklenburg
Kainat und Sana

„Eine Flüchtlingsfamilie mit acht Kindern wohnt jetzt hier im Dorf. Und wir sollen Sachen für die Schule mitbringen, zum Spenden. Das hat Frau Voss gesagt.“ Mit diesen Worten kommt mein Enkel aus der Schule. „Acht Kinder!“ betont er noch einmal.

„Hier in Groß Nemerow?“ frage ich zurück. Diese Nachricht ist mir neu. Doch das wundert mich nicht. Vor Jahrzehnten – ich wohne seit 35 Jahren in diesem Ort – wäre die Ankunft einer solch großen Familie, noch dazu aus unbekannter Ferne, keinen Tag lang verborgen geblieben. Der Dorfkonsum, die Kneipe und die Bänke am Dorfteich waren zuverlässige Informationsquellen. Doch Konsum, Kneipe und Bänke gibt es längst nicht mehr. Somit haben Neuigkeiten es schwer, sich im Dorf zu verbreiten.

Allerdings kommen die Kinder nicht in die hiesige Schule. Die hat einen privaten Träger. Deshalb müssen die Kinder jener Einwohner, die kein Schulgeld aufbringen können, zur Regionalschule in Burg Stargard gefahren werden.

„Die Sachen sollen wir beim Bürgermeister abgeben. Kann ich meine Filzstifte hinbringen? Ich male doch am liebsten mit den Buntstiften“, sagt mein Enkel. Ich indessen frage mich, wo denn die Flüchtlingsfamilie untergebracht sein könnte. Acht fremden Kindern bin ich im Dorf noch nicht begegnet. Also die Nachbarin fragen. Sie ist hier Kindergärtnerin. „Keine Ahnung“, sagt sie, „hab auch nur so was läuten hören.“ Also den Bürgermeister ansprechen. Bei Gelegenheit. Der muss ja etwas wissen. Aber er ist im Urlaub.

Doch die Neuigkeit lässt mir keine Ruhe. Es sind insgesamt elf Leute, höre ich. Zwei Frauen, ein Mann und die acht Kinder. Vielleicht brauchen sie Hilfe? Schließlich entdecke ich die Fremden zufällig beim Vorbeifahren. Sie bewohnen ein bislang leerstehendes Einfamilienhaus am Dorfrand. Im Garten, unter den alten Kirschbäumen, spielen zwei Jungen Fußball.

Afghanische Familie in Mecklenburg
Abu und Yasin

Am nächsten Tag packe ich die große Einkaufstasche und fülle sie mit Reis, einer Büchse geschälter Tomaten, Zucker, Mehl, Salz und Nudeln. Zwei Pappbilderbücher und ein Polizeiauto mit Schwungrad, Heftpflaster, Waschmittel, eine Rolle Kekse und den Türkischen Honig, der als Mitbringsel aus Istanbul noch verpackt im Küchenregal steht, kommen dazu. Wenn die Familie aus Syrien stammen sollte, denke ich, mag sie so etwas bestimmt. Ich hänge die schwere Tasche an das Fahrrad und mache mich auf den Weg.

Als ich vor dem Haus anhalte, sind wieder die beiden Jungen im Garten, außerdem zwei Mädchen und eine junge Frau. Sie trägt ein schwarzes Kopftuch, die Mädchen haben Pudelmützen auf. Es ist nasskalt, und ein hässlicher Wind bläst aus Nordost.

Zögernd trete ich an den Gartenzaun. Eines der Mädchen kommt auf mich zu. Offener Blick, leichtes Lächeln. Die Mütze lässt die hohe Stirn und den schwarz glänzenden Haaransatz frei. Dicke Zöpfe hängen über die Schultern hinab.

Afghanische Familie in Mecklenburg
Husna,Sana, Mina und Kainat

„Hallo“, sage ich. Und: „Ich bin Wera.“ Über die Gartentür reiche ich dem Mädchen die Hand entgegen. „Ich biiin Kainat“, antwortet es mit belegter Stimme und gibt  mir die Hand. Da lassen  die Jungen den Ball liegen und kommen angelaufen. Ich begrüße sie und stelle mich auch ihnen vor. „Challowiegehts“, sagt der kleinere, vielleicht sechs oder sieben Jahre alt. Sein Bruder, etwas älter, bleibt schüchtern hinter ihm. Von Kainat erfahre ich, dass sie Yasin und Abubakar heißen.

Ich reiche meine Tasche über den Gartenzaun und sage zu Kainat: „Vielleicht könnt ihr noch etwas gebrauchen.“ Doch sie wehrt ab. Da zeige ich ihr die Nudeln, die Tomaten, den Reis… Sie schüttelt den Kopf. „We do not need“, sagt sie, „nein, nix brauch.“

Ratlos sehe ich mich nach der jungen Frau um und nicke ihr zu. Lächelnd kommt sie näher und öffnet die Gartentür. Ich reiche ihr die Tasche, sie nimmt sie entgegen und sagt: „Come in. Bitte.“ Zusammen gehen wir ins Haus. Die Jungen holen Latschen für mich. Ich ziehe meine Schuhe aus und schlüpfe hinein.

Diva, die junge Frau, bedeutet mir, Platz auf der Eckbank in der Veranda zu nehmen. „Trinken? Juice?“ fragt sie. „Gern“, sage ich, „vielen Dank.“ Kainat huscht in die Küche, kommt mit einem Tablett zurück und reicht mir ein Glas Orangensaft.

„Ich wollte euch kennenlernen“, erkläre ich und nehme einen Schluck vom dem süßen Getränk. „Ich wohne hier im Ort. Vielleicht kann ich euch was helfen.“

„English, english“, sagt Kainat hastig und setzt sich neben mich. Da zischelt Zakia, die ältere Frau, etwas, und Kainat springt auf. Ich soll allein auf der Bank sitzen. Alle stehen nun um mich herum. „Woher kommt ihr?“ frage ich und stelle das Glas auf das Fensterbrett hinter mir. Einen Tisch gibt es nicht. „Aus Syrien?“ „Afghanistan“, sagt Diva.

Wir versuchen, miteinander zu sprechen. Doch schnell zeigt sich: Ihr Englisch ist noch schlechter als meins. Trotzdem gelingt es mir, ihnen mitzuteilen, dass ich helfen könnte, die deutsche Sprache zu erlernen. Ich lasse meine Telefonnummer und meine Adresse da, verabschiede mich, hänge die leere Einkaufstasche an den Fahrradlenker und fahre nach Hause.

Afghanische Familie in Mecklenburg
Yasin
Afghanische Familie in Mecklenburg
Abdelsamar

Am Abend sehe ich: Der Bürgermeister ist wieder da. Ich rufe ihn an und erfahre, dass die Familie – seit Dezember 2015 in Deutschland – vor zwei Wochen nach Groß Nemerow kam. Es handle sich um einen Mann, dessen zwei Frauen und ihre Kinder. „Da musst du dich jetzt nicht groß drüber wundern, Wera. Das ist bei denen so üblich. Ich sag mal, hier ist es ja auch oft nicht anders. Bloß, dass es nicht legal ist“, sagt der Bürgermeister und berichtet, dass er schon etliche Sachen für die Familie eingesammelt habe. Aber drei Schultaschen fehlen noch, dazu Sportzeug, Turnschuhe vor allem. Das müsse er bis nächste Woche noch irgendwie besorgen.

Am Abend krame ich im Internet nach. Wie bringt man jemandem eine fremde Sprache bei? Ich habe keine Ahnung von Methodik und Didaktik, finde jedoch einen Onlinekurs für ehrenamtliche Helfer: „Deutsch für Flüchtlinge“. Ich müsste 6 bis 8 Stunden investieren und bekomme sogar ein Zertifikat, wenn ich den Test bestehe. Im Netz finde ich auch, welche Sprachen man in Afghanistan spricht, und ein Grundwörterbuch Paschtun-Deutsch mit Bildern, zum Ausdrucken. Ich kopiere zwei Exemplare. Die bringe ich der Familie am nächsten Tag, will sie bloß schnell über den Zaun reichen, doch der Vater ist da, und ich werde ins Haus gebeten. Husna serviert mir grünen Tee mit Sahnebonbons.

Auch Omar, der Familienvater, spricht nur wenig Englisch, und ich verstehe ihn kaum. Die Kinder reißen mir das Lehrmaterial förmlich aus den Händen. Sie umringen mich, setzen sich neben mich auf die Eckbank, streiten dabei um die Reihenfolge und beginnen sofort, die deutschen Wörter zu buchstabieren. Immer wieder sprechen sie mir nach – das Alphabet, Wörter, Zahlen. Pausenlos wiederholt Yasin die Zahlenreihe bis 50. Nach beinahe zwei Stunden schwirrt mir der Kopf vom Feuereifer der wissensdurstigen Kinder. Mit Omar vereinbare ich, dass wir uns zweimal in der Woche treffen könnten: am Dienstag und Sonnabend, jeweils um 10.00 Uhr. Seine Frauen stehen im Türrahmen, scheu lächelnd. Zwischen ihren Beinen krabbelt der Jüngste, Abdulsamad, 15 Monate alt. Wer von den beiden Frauen ist seine Mutter? Später zeigt es sich, denn er wird noch gestillt.

Zwei Tage danach beginne ich mit dem Unterricht. Vom Bürgermeister bekam ich ein Flipchart und den Schlüssel für den Sitzungsraum der Gemeindevertretung. Eine Freundin brachte mir einen zweiten Tafelaufsteller, was sich als sehr nützlich herausstellen sollte, etliches Schreibzeug, Schulsachen für die Kinder, einen Sack voller Plüschtiere und schöne Anziehsachen. Den Onlinekurs habe ich inzwischen absolviert und das Zertifikat heruntergeladen.

Afghanische Familie in Mecklenburg
Omar, Kainat, Sana und Mina

Marlies anrufen! Das fällt mir gerade noch rechtzeitig ein. Sie gibt seit 25 Jahren Deutsch für Ausländer an der Volkshochschule in Neubrandenburg. Noch am gleichen Tag bringt sie mir Lehrmaterial und spart nicht mit Tipps: „Besorge dir einen großen Wandkalender und hänge ihn im Gemeinderaum auf. Sonst klappen die Verabredungen nicht.“

Ich beginne mit dem Alphabet. Vorher hatte ich überlegt, wie ich möglichst alle Sinne bei der Erfassung der fremden Laute und Lautverbindungen nutzen kann:

·         A – Apfel: Ich lasse einen duftenden, kühlen Apfel die Runde machen und zerteile ihn dann in gleich große Stücke, so dass alle davon kosten können.

·         B – Bus: Ich zeige einen Fahrschein herum und schreibe den Ticketpreis an die Tafel.

·         Q – quietschen: Ich reibe zwei Stückchen Styropor aneinander, und die Versammelten verziehen die Gesichter.

·         O und U: Ich bitte Yasin zu mir und bedeute ihm, auf einen Stuhl zu steigen. „Yasin steht OBEN“, sage ich. Dann soll er wieder herunterkommen. „Yasin steht UNTEN.“

 

Ich wiederhole das ein paarmal, steige schließlich selbst auf den Stuhl und wieder herunter. Das amüsiert die Versammelten. Meinen Spaß habe ich bei den Umlauten. Den Kindern gelingen sie am besten, dem Familienoberhaupt kaum, und Abubakar kichert unverhohlen, als sein Vater mit schiefem Mund versucht, ein Ü zu sprechen.

Afghanische Familie in Mecklenburg
Mina und Sana

Nach den Winterferien fahren die Kinder das erste Mal mit dem Schulbus nach Burg Stargard. So bleiben mir an den Dienstagen nur die Erwachsenen. Omar, der bis zur 12. Klasse eine Schule besuchte und danach an einer Hochschule studierte, macht sich eifrig Notizen in Paschtun. Er schreibt sie von rechts nach links zwischen die Zeilen der Übungsblätter. Diva, die älteste Tochter, freut sich, wenn ich sie an die Tafel bitte, um erste deutsche Wörter zu schreiben. Ich habe das Gefühl, sie zeigt dem Vater gern, wie sie vorankommt.

Als es ein paar Wochen später – die Verständigung ist immer noch schwierig und voller Missverständnisse – darum geht, sich um einen Deutschkurs an der Volkshochschule zu bemühen, zögert Omar. Mir scheint, er hält es nicht für nötig, auch die achtzehnjährige Diva dort anzumelden. Ich wende ein, sie müsse gut Deutsch können, damit sie eines Tages eine Ausbildung beginnen kann. Diesen Gedanken nachzuvollziehen fällt ihm schwer, aber schließlich nickt er. Stumm verfolgt seine älteste Tochter unseren geradebrechten Disput, und ich merke, dass sich ihre Augen mit Tränen füllen… Wir werden allesamt voneinander zu lernen haben, wenn wir gemeinsam hier leben wollen, finde ich.

Die beiden Mütter hingegen scheinen Analphabetinnen zu sein. Ihnen gebe ich Übungsblätter für Erstklässler, auf denen sie die Linienführung der lateinischen Buchstaben trainieren können, und helfe ich ihnen, die Stifte richtig zu halten. In ihren schwarzen Kleidern und mit den Kopftüchern wirken sie beinahe düster auf mich. Selten sehe ich ein Lächeln. Ich weiß nicht, ob sie sich vorstellen können, sich in diesem fremden Land mit den fremden Sitten, Gewohnheiten und Normalitäten irgendwann heimisch zu fühlen.

Afghanische Familie in Mecklenburg
Mina und Abdel

Allerdings überraschen sie mich, als ich zum Essen bei ihnen eingeladen bin. Ihre strengen Kopftücher, die kein Haar hervorschauen lassen, tragen sie im Haus nicht, sondern bestickte Seidenschals und lange Kleider: Zakia ein bordeauxrotes mit bronzener Stickerei, Asmat ein dunkelgrünes mit weißem, filigranem Muster an den langen Ärmeln. Ich werde in die Küche gebeten und bekomme einen Teller duftenden Reis mit Rosinen und Karotten, dazu Auberginen-Tomaten-Gemüse mit Linsen und selbstgebackenes Fladenbrot. Die beiden Frauen setzen sich zu mir. Der Kleine quengelt auf dem Schoß der Mutter. Als ich mich ihm nähere, schlägt er nach mir. Ist es Eifersucht, oder was hat ihn so verstört?

Das Haus – ein typisches DDR-Neubauernhaus aus den 1960ern – ist zu klein für diese große Familie. In jedem Zimmer stehen Betten, Stühle und Schrankmöbel. Es gibt nur einen runden Tisch, an dem jedoch schwerlich alle gemeinsam Platz finden. Die Möblierung stammt aus dem Landkreis-Kontingent für die Flüchtlingsunterbringung, einiges wohl auch von der Besitzerin, die das Haus als Unterkunft vermietet. Es gibt weder Radio noch Fernseher. Später erfahre ich, dass die Familie bewusst darauf verzichtet.

„Omar“, frage ich, „erzählst du mir, wie ihr nach Deutschland gekommen seid?“„Mit Schiff“, antwortet er einsilbig. Als ich nachfrage, skizziert er den Fluchtweg auf einem Zettel: Afghanistan – Iran – Türkei – Kos – Athen – Mazedonien – Serbien – Kroatien – Österreich – Passau – Horst – Neubrandenburg – Groß Nemerow. 35 bis 45 Tage war die Familie unterwegs. Omar weiß es nicht mehr genau…

Zu Fuß durch Wüste. Dann in ein Schlauchboot. Die Kindern müssen in der Mitte sitzen. Das Wasser reicht ihnen bis zur Brust. Es ist November. „Afghanistan sehr schwer“, sagt Omar. Bomben jeden Tag, Taliban, die Mädchen ohne Zukunft. Er möchte etwas geben und fragt mich, ob er arbeiten kann: „Nix Geld, nur arbeiten.“

Afghanische Familie in Mecklenburg
Husna

Der Bürgermeister ist einverstanden, dass Omar mit dem neuen Vater meines Enkels die Toilette des Gemeindehauses malert. Nach einigen Tagen – der Bürgermeister braucht erst das Okay der Behörde – machen die Männer sich ans Werk: knallig Grün. Eigentlich sollten sie weiße Farbe verwenden. Ein Missverständnis…

Seit sechs Wochen kommen wir nun zum Deutschlernen zusammen. Die Fortschritte sind zwar spärlich, doch gut helfen können wir bei den Hausaufgaben der Kinder. Manchmal unterstützen mich meine Tochter, mein Enkel, der ob des Lerneifers der Flüchtlingskinder ein bisschen beschämt ist, und mein Mann. Außerdem steht der Familie eine Sozialarbeiterin zur Seite, vor allem bei Behördengängen.

Mitunter sprechen mich Leute aus dem Dorf an, wie es mir denn so ginge mit „meinen“ Flüchtlingen. Von wo die überhaupt kämen und wieso sie hier seien. Bereitwillig erzähle ich dann. „Na, da haben sie ja Glück mit Groß Nemerow gehabt“, sagt Gerda, eine Ureinwohnerin. „Hier, wo denen doch keiner was tut, oder?“

 

Die Bedeutung der Namen

Der Vater

Omar: lang Lebender, der Erstgeborene, Name eines der vier Kalifen im sunnitischen Islam

Die Mütter

Zakia: die Gebildete, die Intelligente

Asmat: die Reine

Die Kinder

Abuabkar: junges Kamel, Name eines der Gefährten des Propheten

Abdulsamad: Diener des Ewigen

Yasin: Herz des Koran, Prophetenname

Diva: die Reiche, die Göttliche

Kainat: die Schöpfung

Husna: die Schönste

Meena: blauer Edelstein, blauer Vogel

Sana: Glanz, Pracht