Kaufst du noch oder lebst du schon?

Lisa-Nicole Biebel, Kindheitspädagogin, antwortet:

Ich habe erlebt, dass Erwachsene, die ein Kind versorgen müssen, 50 Euro Essensgeld in der Woche bekommen. Mit diesem Geld gehen sie dann in den nächsten Supermarkt, um das Günstigste vom Günstigen zu kaufen, damit das Geld auch wirklich für die ganze Woche reicht. Die Lebensmittel sollen aber bitte auch noch gesund sein! Und die Mahlzeiten abwechslungsreich! Vielleicht sogar BIO?

Haben diese Menschen eine Wahl? Nein! Und haben andere Menschen eine Wahl? Ich würde auch hier behaupten: Nein. Wieso nicht? Ist meine Behauptung zu überspitzt, zu übertrieben? Womöglich könnte sich sogar jemand angegriffen fühlen und sagen: „Natürlich habe ich eine Wahl!“

Welche denn? Die Wahl, einkaufen zu gehen, haben wir ja schon mal nicht, denn wir kaufen alle ein, weil wir es müssen. Jeder rennt zum Supermarkt, manche Leute täglich, andere einmal in der Woche – das ist die Wahl! Und vielleicht noch, wo jemand einkaufen geht. Doch die Vielfalt der Produkte suggeriert Auswahl und somit das Gefühl von Selbstbestimmung. Juhu! Ich kann zwischen großen und kleinen Tomaten wählen, sagt uns unser Gehirn. Und die Wirtschaft freut sich, lobt unser Konsumentenverhalten.

Was könnten wir dagegen tun? Müssen wir überhaupt etwas dagegen tun? Vielleicht selbst wieder mehr Lebensmittel anbauen? Auf dem Balkon? Ja, das wäre eine Idee! Ich gehe mal schnell ins Garten-Center und kaufe ein paar Setzlinge.

Der Kauf im Volksmund

Mit Geld, weiß der vorlaute Volksmund, kann man alles kaufen. Selbst der Tod ist nicht umsonst zu haben – er koste bekanntlich das Leben.

Ja, das Wort „kaufen“ hat es dem Volksmund angetan. Er nutzt es gern, um eine Art Inbesitznahme auszudrücken. „Den Halunken kauf ich mir“, verspricht er manchmal, obwohl er fürchtet, womöglich selbst in Besitz genommen zu werden. Etwa, indem er „für dumm“ verkauft wird – an wen und für welchen Betrag auch immer. Vorsichtshalber stellt er deshalb schon mal fest, er sei „verkauft und verraten“ worden. Das heißt: ER kann nichts dafür. Bei Behauptungen hingegen, die er nicht für glaubwürdig hält, knurrt er: „Das kauf ich dir nicht ab.“ Schlau lässt er offen, ob er alle wahren Behauptungen automatisch kauft und welchen Preis er dafür zahlt. Meist kauft er ein, der Volksmund. Nur selten kauft er ab, zu oder auf – das ist ihm zu differenziert. Da möchte er sich nicht fest­legen. Noch seltener sagt er über sich oder andere Leute: Man habe sich durch sein Verhalten etwas erkauft. Jede Vorsicht lässt er ­­fahren, wenn seine Kaufstätte ihn mit zwei Vorsilben ködert: Ab-Verkauf und Aus-Verkauf ziehen ihn magisch an; er verspricht sich, „Schnäppchen“ zu „erjagen“, stürzt los und hält an, um etwas zu „erstehen“. Da steht er nun, in einer langen Schlange wie zu DDR-Zeiten. Kommt er dran, „erwirbt“ er etwas, obwohl er doch selbst geworben worden war.

Obwohl er so gerne kauft, scheint unserem Volksmund das Wort inzwischen langweilig zu werden. Vielleicht fehlt ihm der gemütliche Kaufmann hinter dem Ladentisch. Deshalb sucht er Zuflucht bei neuen, klangvolleren Verben wie dem angesagten Wort „shoppen“, und statt des „Kaufhauses“ reizt ihn die „Shopping Mall“ oder das „Outlet“, obwohl dieses englische Wort nur „Rauslassen“ meint. Vielleicht will der Volksmund ja dort etwas rauslassen, das ihn bedrückt? Denen da oben unterstellt der Volks­-mund gern bessere Kaufbeziehungen. Von nicht näher benannten Superreichen weiß er, dass sie Politiker kaufen, besonders schöne oder junge Prostituierte und treffsichere Fußballspieler. Nicht, dass der Volksmund solche Kauf-Ambitionen hätte. Aber ein bisschen neidisch ist er schon, oder? Fragt man ihn, schweigt er vielsagend. Aber den kauf ich mir schon, den Volksmund!

Foto: photocase.de

 

#wamiki 5/2017: Kauflust

Die neue wamiki 5/2017 wird bereits gedruckt … wenige Tage also nur noch, bis sie an unsere Abonnent_innen geht. Deshalb kommt hier schon einmal unser Editorial, das auf das Heftthema Kaufen-Konsum einstimmt. Viel Spaß beim Lesen wünschen Dir die wamikis!

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