Flaggen ohne Bedeutung

Habt ihr schon mal über eure Nationalflagge nachgedacht? Wie viele verschiedene Flaggen gibt es in eurer Gruppe oder Klasse? Gibt es unter euch Familien, die alte Wappen haben? Hat eure Familie, eure Kita, euer Hort oder die Schule eine eigene Flagge?

Nationalflaggen stiften Identität. Sie schließen ein und gleichzeitig aus. Die Nationalflagge ist ein symbolisches Objekt, das Macht trägt. Vor dem Hintergrund des unwürdigen Umganges mit Geflüchteten faszinierte die australische Künstlerin Sonja Hornung der Gedanke, diese symbolische Macht ad absurdum zu führen: Was wäre, wenn sich die Nationalflaggen komplett entleeren? Lena Grüber sprach mit der Erfinderin des Kunst-Projektes: Flaggen ohne Bedeutung

Foto: Patricia Breves

Wie bist Du auf diese Idee gekommen?

Ich bin 2012 von Australien nach Deutschland gekommen. Als ich das Land verließ, wurden gerade die Asylgesetze für die Einreise verschärft. Es hat mich irritiert, als erstes als Australierin identifiziert zu werden, weil ich diese Politik meines Heimatlandes nicht mittrage. Ich wollte ich sein – und nicht mit dieser australischen Politik verbunden werden. In Berlin angekommen erlebte ich den Marsch der Geflüchteten, bei dem Asylsuchende auf ihre rechtelose Situation aufmerksam machten. Das Thema Flucht und Grenzen war überall präsent in der Stadt. Und in mir. Ich fragte mich: Gibt es ein Symbol, das die nationalen Grenzen aufheben kann? Ohne, dass es jenseits der Realität ist? Ich wollte das bestehende System ersetzen und … fand einen Weg. Endlich!

Welchen denn?

Das symbolmächtigste Objekt für Nationalstaaten sind die Flaggen des Landes. Sie repräsentieren Millionen Menschen, die Landesgeschichte, besondere geografische Bedeutungen sowie Herrschaftsansprüche. Sie stiften Identität – schließen ein und gleichzeitig aus. Die Nationalflagge ist ein Objekt, das Macht trägt. Mich fasziniert der Gedanke, diese Macht ad absurdum zu führen, sie zu entblößen, sie zu knicken.

Also begann ich Nationalflaggen zu erforschen. Ihre Geschichte fand ich sehr spannend:

Zuerst gab es das Wappensystem, zum Beispiel mit einem Adler oder einem Schwert. Diese Wappen waren lokal gebunden, denn sie trugen Symbole der adligen Familien vor Ort. So konnte man gut unterscheiden, wer woher kam und welche Anrechte hatte. Als im 19. Jahrhundert die ersten demokratischen Staaten geschaffen wurden – zum Beispiel in Frankreich mit den Gedanken von Gleichheit, Freiheit, Brüderlichkeit – wurde das Wappensystem abstrahiert. So wurde das Dreifarbensystem – die Trikolore –erfunden. Die drei Farben standen für das Bürgertum und die Republik in Abgrenzung zur bisher vorherrschenden Monarchie. So konnte man schon an der Flagge erkennen, wer den Staat regiert.

 

Ich fand die Abstraktion von gesellschaftlichen Werten sehr spannend und fragte mich, wie weit ich diese Abstraktion wohl treiben konnte. Könnte ich auch eine Nationalflagge komplett entleeren und ihr damit jeden Sinn nehmen?

Und? Kannst Du alle Fahnen gleich machen?

Meine erste Idee war es, die Schatten der Flaggen zu fotografieren. Im Schatten lösche ich alle Farben und Muster gleichermaßen. So scheinen auch die unterschiedlichen Länder gleicher. Um die Schatten der Flaggen zu fotografieren, fuhr ich im Sommer durch Berlin und besuchte Botschaften. Daraus ist diese Bildreihe entstanden:

Wie unterscheiden sich die Flaggen? Was vereint sie? Könnt ihr erkennen, welche Flagge zu welchem Land gehört? Wie fühlt es sich an, wenn die Flaggen so aussehen? Was macht der unterschiedliche Untergrund? Und die unterschiedliche Schärfe des Schattens? Wehen alle Flaggen? Ist die Richtung, in die die Flaggen wehen, wichtig?

 

Als ich so Tag für Tag die Schatten der Flaggen sammelte, beobachtete ich, wie sie im Wind wehen. In Farbe, ganz in echt. Ich überlegte: Könnte man neben meinem kleinen Trick mit dem Schatten auch die echten Flaggen, die dort oben wehen, abstrahieren und entleeren?
Ich malte die Flaggen einzeln auf und analysierte ihre Bestandteile. Kreuz, Balken, zwei Balken, Sterne, … Daraus entwickelte ich ein Würfelspiel, in dem in drei bis vier Schritten Farben und Muster einer neuen Flagge völlig zufällig entstehen. Und nicht historisch wachsen. Flaggen ohne Bedeutung.

Sonjas Würfelspiel: 3- 4 x würfeln für eine neue Flagge

Wollt ihr das auch ausprobieren? Hier gibt es das Flaggenspiel von Sonja: Ihr benötigt einen Würfel, Papier und Stifte, um die neue Flagge zu erschaffen. Beim ersten Wurf habt ihr das Grundmuster links. Dieses wird beim zweiten Wurf um das nächste Muster ergänzt und beim dritten Wurf um das dritte Muster. Danach erwürfelt ihr die Farbe.

 

Fragen zum Weiterspielen:
Welche Werte spiegelt diese Flagge für euch wider und warum? Gibt es Symbole, die ihr bevorzugt? Oder Lieblingsfarben? Wie würde eine Flagge aussehen, die eure Gruppe beschreibt? Wie eine, die eure ganze Einrichtung vertritt? Könnte es eine Flagge geben, die die ganze Welt repräsentiert?
Was bedeutet euch eine nationale Identität? Was bedeutet es heute zum Beispiel deutsch zu sein? Kann man nur eine Nationalität haben?
Schickt Sonja eure selbstgebastelten Flaggen. Findet ihr im Stadtraum ungenutzte Flaggenmasten, an denen ihr eure eigene ‚entleerte‘ Flagge hissen könnt?

 

Später habe ich die Flaggen erwürfelt und ca. 60 Stück selbst genäht. Diese habe ich den Botschaften angeboten als Ersatz für ihre nationale Flagge.
Meist lief die Kommunikation mit den Botschaften dann so ab: Ich bekomme einen Anruf. „Hallo, worum geht es denn genau?“ Ich erkläre mein Anliegen, die Flaggen zu tauschen. Große Verwirrung in der Konversation: „Was? Sie wollen unsere Flagge ersetzen? Durch eine Flagge, die keine Bedeutung hat?“
Es war immer sehr formell, vorsichtig und ernst. Die Sprache ist eine eigene Performance. Ich stieß gegen wahnsinnig großen Bedacht. Hier lernte ich, dass Staat auch eine Art von Performance ist und wenn man diese Performance nicht richtig ausführt, sie auch scheitern kann. Deswegen nehmen das alle sehr ernst. Außerdem gibt es viele Regeln und Gesetze zum Hoheitsgebiet der Botschaften.
Einmal wartete ich zum Beispiel vor der Botschaft von Kasachstan, und ich war relativ früh da, sodass der Schatten der Flagge zwar sichtbar war, aber innerhalb der Botschaft lag. Ich konnte ihn wegen des großen Zauns nicht von außen fotografieren. Also klingelte ich und fragte zunächst den Pförtner. Der holte den Botschafter, beide diskutierten lange miteinander und antworteten mir dann: „Nein, geht nicht, Sie dürfen hier nicht reinkommen.“ Ich wollte gehen, aber ich war so weit gefahren und wollte doch nicht aufgeben. Also blieb ich stehen. Die beiden rauchten eine Zigarette zusammen und kamen zurück zu mir. “Was wollen Sie jetzt noch?“ Ich: „Ich gehe doch nicht weg, ich will nur 10 Minuten hier rein, um die Flagge zu fotografieren.“ Sie überlegten, dann kam der Botschafter zu mir und sagte: „Ok, geben Sie mir Ihre Kamera und ich fotografiere das für Sie. Sie können mir sagen, wie Sie das genau haben wollen.“ Ich blieb vor dem Zaun, der Botschafter kam wieder, zeigte mir die Fotos und wir wählten das Beste aus. Die Staatsperformance wurde gewahrt und ich hatte, was ich wollte. Das sind für mich witzige Situationen, in denen sich Menschen trotzdem sehr menschlich verhielten. Ich habe es dann doch geschafft, einige Flaggen woanders aufzuhängen, z.B. vor mehreren ehemaligen Botschaftsgebäuden im Osten Berlins.

Foto: Benjamin Busch

Was meint Sonja mit Staatsperformance? Kennt ihr besondere Regeln, denen Botschafter folgen müssen? Oder kennt ihr besondere Ausnahmen, die nur für sie gelten? Warum haben sie andere Regeln als wir?

 

Sonja hängt eine Flagge ohne Bedeutung auf
Foto: Patricia Breves

Sonja Hornung (geb. 1987, Melbourne) ist bildende Künstlerin. 2010 schloss sie ihren Bachelor of Creative Arts mit Schwerpunkt visuellen Medien an der University of Melbourne ab. Sie ist Absolventin des Masterstudiengangs „Raumstrategien“ an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee (2016). Sie lebt und arbeitet in Berlin.

Das Projekt wurde mit dem kuratorischen Plattform Neue Berliner Räume entwickelt und realisiert.

 

 

Komm heim!

Woher kommst Du, liebe Leserin, lieber Leser?

Hast Du eine Heimat? So eine richtige, mit alten Eichen, alten Tanten und Fachwerkhäusern? Wird in Deiner Heimat gejodelt, plattdeutsch gesprochen oder gar sächsisch? Verzehrt Ihr gern Saumagen, frömmelt ihr ganzjährig, um im Karneval oder beim Schützenfest die Sau aus jedwedem Loch zu lassen?

Wir vermuten: Du kommst auch nur von dort, wo wir alle herkommen. Kindheit im Reihenhaus am Rande von Doppelnamenhausen, dann der Umzug nach Kaffstadt. Später in das Viertel jener Stadt gezogen, wo sie alle wohnen. Oder im Plattenbau aufgewachsen und immer noch drin, wenn auch am Rande der Hauptstadt. Manchmal, im Urlaub, wenn die Trachtenkapelle an Dir vorbeizieht, hast Du kurz das Gefühl, Du seist jetzt da, wovon der Begriff künden will: in einer Art Heimat. Aber fühlst Du Dich da wirklich wohl?

In diesem Heft erkunden wir, was das ist und was das bedeutet: Heimat. Ob man automatisch eine hat, ob man sie sich erschaffen kann, ob man mehrere haben kann. Und ob sie sich von ihrem Gegenüber, der Fremde, überhaupt unterscheidet. Hat nicht jede Heimat Seiten, die uns eher befremdlich erscheinen? Und entdecken wir nicht in der allerfernsten Fremde plötzlich etwas Heimatliches wieder?

Heimat, Fremde, Identität. Unsere Kultur und die der anderen:
Viel ist in der letzten Zeit von solchen Wörtern zu lesen, auch in Bezug auf Kinder und ihr Aufwachsen in einer Welt voller Heimat-Flüchtiger.

Wir wollen in diesem Heft untersuchen, was sich hinter solchen Schlagwörtern, die allzu gern für Parolen taugen, an Erfahrungen versteckt.

Dir jederzeit gern eine Heimat für Lesestunden sind

Deine wamikis

Und hier geht es zum Heft #3/2017 unserer pädagogischen Fachzeitschrift

Macht mit beim Hei-di-Hei-no-Hei-mat-Quiz!

Heimat&Fremde sind die Themen in #wamiki 3/2017 „Komm heim!“ Dazu hat sich unser Autor Jony Pony ein Quiz aus 14 Fragen ausgedacht, mit dessen Hilfe Ihr mit Freund_innen oder Bekannten spielerisch erraten könnt, woher Jede/r kommt. Ihr könnt aber auch den Online-Fragebogen ausfüllen und Euch am Ende die Antworten der anderen Teilnehmer ansehen und raten, woher sie kommen. Versprochen: Sehr unterhaltsam und spannend!

Hier gehts zum Online-Fragebogen

 

Offline geht’s so:

Man nehme eine Runde von Leuten. Jedem in dieser Gruppe händigt man einen Fragebogen mit den 14 Fragen aus. Die Fragen sind allein zu beantworten. Bitte nicht lange nachdenken – lieber genau das aufschreiben, woran man zuerst denkt. Keiner verrät dem anderen, welches seine Heimat ist. Nach 10 Minuten sollten alle Fragen beantwortet sein. Dann liest je eine Person ihre Antworten vor. Die anderen hören zu und raten, welches die Heimat des Vorlesers ist. Nun liest der nächste seine Antworten vor.

Los geht’s.

1. Heimat – schon mal davon gehört? In Deutschland kennt das Wort jeder. Aber wenn man es jemandem aus dem Ausland erklären soll, kommt man schon mal in Erklärungsnöte. Dabei hat doch jeder eine Heimat, oder?

2. Wie weit bist du gerade von deiner Heimat entfernt? Ist sie hier um die Ecke oder liegt sie auf einem anderen Kontinent? Wie bist du hierhergekommen und warum?

3. Was siehst du, wenn du an Heimat denkst? Wohin wandern deine Gedanken, wenn sie einen Ort suchen, der sich heimatlich anfühlt? Ist das nur ein Ort oder sind es viele ganz verschiedene?

4. Wonach klingt Heimat für dich?

5. Wonach schmeckt sie?

6. Wie riecht deine Heimat? Die Heimat, die du mit deinen Sinnen hörst, schmeckst und riechst, ist so einzigartig wie du selbst. Und das, obwohl wir die gleiche Heimat haben könnten.

7. Wofür bist du deiner Heimat dankbar? Welche Geschenke hat dir deine Heimat mit auf den Weg gegeben, die dich zu diesem wunderbaren Menschen machen?

8. Was sagt man über die Menschen aus deiner Heimat? Hallo Vorurteile. Schön, dass wir uns mal wieder treffen. Es gibt da manches, was man über meine Leute sagt – aber trifft es zu?

9. Wen verehrt man in deiner Heimat? Auch deine Leute haben ihre Idole. Jemanden an den sie glauben, zu dem sie aufschauen. Du auch?

10. Was darf keiner? Was ist in deiner Heimat Tabu? Wofür handelt man sich jede Menge Ärger ein, was sollte man besser lassen?

11. Singt man in deiner Heimat? Singen die Leute in ihrer Freizeit? Singen sie Lieder in ihrer oder in einer fremden Sprache? Wann singen sie? Und was?

12. Welches ist das schönste Tier aus deiner Heimat? Ist es gestreift? Kann es singen? Klettert es auf Bäume? Was macht es so besonders?

13. Welche Länder grenzen an deine Heimat? Jede Heimat hat Nachbarn. Welche sind deine?

14. Was sagt man sich zum Abschied in deiner Heimat? Ahoi, Howdy, Hau, Tschüssi und Bussi, Bussi – wie verabredet ihr euch zu einem Wiedersehen?

Und? Hat schon jemand eine Ahnung? Ist es nicht überraschend, was Heimat alles so sein kann?

18 Fragen zu Heimat&Fremde

 

Wie oft haben Sie schon ehrlich gesagt, was Sie über Ausländer denken, und wie sehr belügen Sie sich bei der Beantwortung dieser Frage gerade selbst?

 

Woran genau merken Sie, wo Sie heimisch sind?

 

Wann haben Sie sich mal ausgegrenzt gefühlt, und wie hat sich das angefühlt?

 

Wie oft reden Sie sich ihre Heimat schön?

 

Wie empfehlen Sie mit einem Satz Ihre Heimat?

 

Hat ein Fremder auch Vor- oder nur Nachteile?

 

Welche drei Eigenschaften musste ein Fremder haben, damit er in Ihrer Heimat anerkannt werden kann?

 

Nehmen Sie Heimat nicht nur gedanklich, sondern auch emotional wahr?

 

Was wollten Sie einen Fremden immer schon mal fragen?

 

Welche Kinder würden Sie lieber exkludieren, stigmatisieren und selektieren, trauen sich aber nicht, das zu sagen?

 

Was genau ist „normal“ für Sie, und wie „normal“ sind Sie?

 

Wann haben Sie sich das letzte Mal so richtig fremd gefühlt?

 

 

Wie müsste eine Welt aussehen, in der niemand ein Fremder ist?

 

Warum sind Sie in Gegenwart eines Ausländers nicht mehr in der Lage, in ganzen Sätzen zu sprechen?

 

Kann man einem Fremden vertrauen?

 

Woran erkennt man zweifelsfrei einen Fremden?

 

Wenn bei einem Unglück keine Deutschen umkommen – wie schlimm ist das Unglück dann wirklich?

 

Haben Sie eine pädagogische Heimat?

 

 

 

 

Super Uschi in der Fremde

 …

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Bettina von Arnim: Gedicht

Auf diesem Hügel überseh ich meine Welt!

 

Auf diesem Hügel überseh ich meine Welt!

Hinab ins Tal, mit Rasen sanft begleitet,

Vom Weg durchzogen, der hinüber leitet,

Das weiße Haus inmitten aufgestellt,

Was ist’s, worin sich hier der Sinn gefällt?

 

Auf diesem Hügel überseh ich meine Welt!

Erstieg ich auch der Länder steilste Höhen,

Von wo ich könnt die Schiffe fahren sehen

Und Städte fern und nah von Bergen stolz umstellt,

Nicht ist’s, was mir den Blick gefesselt hält.

 

Auf diesem Hügel überseh ich meine Welt!

Und könnt ich Paradiese überschauen,

Ich sehnte mich zurück nach jenen Auen,

Wo Deines Daches Zinne meinem Blick sich stellt,

Denn der allein umgrenzet meine Welt.

 

Mia san ned nur mia

Eine Passauer Heimatgeschichte „Mia san mia“ ist mehr als ein youtube-Kanal des FC Bayern: Es handelt sich um eine real existierende, bayerische Identitätserzählung, die vom Eigensinn einer Region spricht. Doch wer ist „wir“? Und was steckt dahinter? Als ich im Zuge der so genannten Flüchtlingskrise 2015 in meine alte Heimat im Bayerischen Wald zurückkehrte, stieß…

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