Generationen ohne Ende

Wie wird wohl die „Generation Corona“? Ein paar Monate war die Pandemie alt, als die ersten Autor*innen den Begriff verwendeten – und damit einem bewährten Trend folgten. Seit einigen Jahren ist es angesagt, junge Menschen einer Alterskohorte mit Generation-Pipapo-Namen zu behängen, um damit zu behaupten: Weil die alle unter gleichen Voraussetzungen aufgewachsen sind, sind sie einander irgendwie ähnlich. Aber diese Idee ist uralt.

Hier gibts den Artikel als PDF: Wortklauber_#4_2021

 

Schon 3000 Jahre bevor Sokrates die Jugend beschimpfte, weil sie stets „die Beine übereinanderlegt“, reagierten ältere Sumerer ihre Wut auf Tontafeln ab: „Die Jugend achtet das Alter nicht mehr, zeigt bewusst ein ungepflegtes Aussehen, sinnt auf Umsturz, zeigt keine Lernbereitschaft und ist ablehnend gegen übernommene Werte.“ In jeder Epoche gibt es unzählige solcher Schmähungen, mit denen ältere Menschen der jungen Generation Degeneration unterstellen. Dahinter steckte wohl schon immer ein Wahrnehmungsproblem, denn aus Sicht älterer Leuten verhalten sich jüngere Menschen gern tendenziell unreif – die eigene Unreife liegt dagegen lange zurück.

Schicksal, Trauma, Skepsis

Aber seit wann sprach man bestimmten Generationen statt allgemeiner Verlotterungstendenz konkrete Eigenschaften zu? Karl Mannheimer hieß ein deutscher Soziologe, der 1928 die Schrift „Das Problem der Generationen“ publizierte. Seine Kernthese, vereinfacht gesagt: Mitglieder einer Generation erleben gemeinsame Schicksale und verarbeiten vielleicht gemeinsame Zeitströmungen auf gleiche Weise. Beispiele des Soziologen waren damals: die Jugendbewegung vor allem bürgerlicher Heranwachsender zu Beginn des 20. Jahrhunderts und die zarten „Neuromantiker“.

Traumatische Ereignisse scheinen wie geschaffen, eine gemeinsame Generation zu prägen. Kein Wunder, dass nach dem Zweiten Weltkrieg zunehmend wenige Jahrgänge als jeweils eigene Generation bezeichnet wurden. Helmut Schelsky beschrieb in den Fünfzigerjahren wegweisend die „Skeptische Generation“ der überlebenden Kriegsteilnehmer und hoffte, dass diese Generation in ihrem sozialen Bewusstsein und Selbstbewusstsein kritischer, skeptischer, misstrauischer, glaubenslos oder wenigstens illusionsloser als alle Jugendgenerationen vorher ist, dafür aber tolerant, ohne Pathos, Programme oder Parolen.

X und Golf

Dreißig Jahre später ist von Trauma wenig zu spüren, als die Angehörigen der „Boomer-Generation“ allmählich erwachsen werden. Nun ist ein amerikanischer Autor zur Stelle, um den Generationenbegriff boomen zu lassen: Douglas Coupland recycelt 1992 den eigentlich in den frühen Fünfzigern für Rocker verwendeten Ausdruck „Generation X“ in seinem Romantitel „Generation X. Geschichten für eine immer schneller werdende Kultur“. Seine Generationsbeschreibung wird sofort von den Medien aufgegriffen und erweitert, bis das Bild einer Grunge hörenden, stets ironischen Nihilisten-Generation entsteht, die auf dicke Schlitten und das Eigenheim der Eltern pfeift, gerade weil die Alten trotz Zugehörigkeit zur Skeptischen Generation darauf so stolz sind.

Bald ploppt eine Generation nach der anderen auf. Zum Beispiel die „Generation Golf“, in der Florian Illies den eben noch bewunderten „Generation X“-Mitgliedern zuschreibt, weniger nihilistisch, sondern vielmehr hedonistisch zu sein und den von den Eltern angehäuften Wohlstand zu genießen, statt aktiv zu werden.

Von MTV zu Maybe

Nun scheint es Trend zu sein, immer schlimmere Generationen zu entdecken, etwa die „MTV-Generation“ (glotzt nur Musikvideos) und die „Generation Doof“ (glotzt nur RTL 2 und verhält sich entsprechend). „Außerdem legen sie die Füße hoch“, würde Sokrates beipflichten. Oder es werden traurige, weil chancenlose Generationen erdacht, etwa die „Generation Praktikum“ oder die „Generation Prekär“, die beide wirtschaftlich nicht in die Pötte kommen. Weil all die Generationen immer nur auf ein paar Leute zutreffen und auf den Rest nicht, erfindet ein schlauer Mensch die „Generation Maybe“, die sich offenbar nicht festlegen will und deswegen „Vielleicht“ heißt.

Generationsübergreifend!

Immer wieder neue Generationen zu postulieren, um damit mediale Aufmerksamkeit zu erregen, das verbreitet sich inzwischen dermaßen, dass man für entsprechende Autor*innen eine „Generation Generation“ erfinden könnte. Doch das ist ebenso unsinnig wie jeder andere Versuch, große Teile der Menschheit mit einem Label zu versehen. Übrigens wurden bei früheren Generationen nur selten Frauen mitbedacht – siehe: die Flakhelfergeneration.

Wer in den Achtzigern keine vermögenden Eltern hatte, in Ostdeutschland wohnte oder vor irgendeinem Migrationshintergrund aufwuchs, passte kaum zur „Generation Golf“. Und Nicht-Akademiker*innen könnten die prägenden Ängste der „Generation Prekär/Praktikum“ egal sein. Auch beim Beschreiben der „Generation Corona“ wird es schwer, einen gemeinsamen Nenner für wohlhabende Homeoffice-Familienkinder und prekär lebende Notbetreuungskinder zu finden. Trotzdem werden gewiss neue Generationen erfunden werden. Schon weil unsere Generation das Wort Generation so liebt. Längst haben auch die Dinge, die heutige Generationen („Generation App“) prägen, eine eigene Generationenfolge bekommen. Zum Beispiel mein Smartphone – ist es noch „Neueste Generation“ oder wurde bereits ein Nachfolger generiert?

Das abgelegte, obschon noch brauchbare Telefon zeigt uns die wahren Gründe für unsere Generationenbesessenheit: Wir haben Angst vorm Aussortiert-Werden. Was hilft? Solidarität! Wir tun uns einfach zur Generation Generationsübergreifend zusammen.

Bilderrätsel

Welchen Begriff aus der Pädagogik haben wir im übertragenen Sinn collagiert? Die Buchstaben in den hellen Kästchen ergeben den Lösungsbegriff. Unter Ausschluss des Rechtsweges verlosen wir 10 x das Buch: „Mosaik aus Worten, Zeichen, Material“.

PS: In Heft 2/2021 suchten wir den Begriff: Die tiergestützte Pädagogik. Die Redaktion gratuliert allen Gewinnerinnen und Gewinnern.

Bild: Marie Parakenings

 

Schickt eure Lösung per Post an:
wamiki
Was mit Kindern GmbH
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Stichwort: Bilderrätsel.
Einsendeschluss ist der
1. August 2021.

Pädagogik aufräumen

Pädagogik lebt von Ritualen, heißt es. Erzieher, Lehrer und Innen machen alles Mögliche, weil es nun mal derzeit üblich oder sogar vorgeschrieben ist. Egal, ob es Sinn hat oder nicht. Sinnvoll ist es aber auf jeden Fall, ab und zu auszumisten. Deswegen stellt diese Rubrik pädagogische Gewohnheiten aufs Tapet und fragt ganz ergebnisoffen: Ist das pädagogische Kunst, oder kann das weg?

 

Bastelsageverbot

Laternen aus nachgemachten Käseschachteln, fein geschnibbelt aus Tonpapier: Braucht kein Mensch, mag kaum ein Kind herstellen, genau wie all die Muttertags-Herzchen aus per Serviettentechnik kaschiertem Styroporrohlingen aus dem Hobby-Shop. Zu Recht fordern PädagogInnen seit langem, Kinder zu Bauvorhaben und Gestaltungsprozessen zu inspirieren, statt sie nach schrittweisen Anleitungen unnützen Deko-Kram herstellen zu lassen. Diese sinnvolle Diskussion führte dazu, dass das Wort „Basteln“ für moderne PädagogInnen zum Unwort wurde.

Doch es passiert wieder einmal, was so oft passiert, wenn man das Tun der Menschen über neue Wörter verändern will: Es bleibt beim Alten, nur mit anderen Worten. Dass man nicht mehr Hilfsschüler sagt, sondern vom Sonder-, Förder- und Integrationsschüler zum Integrationskind gelangte, hat an der Ausgrenzung wenig geändert. So ist es auch bei unserem B-Wort: Keiner erzählt mehr davon, diese Käseschachtel-Laternen zu basteln. Sie entstehen stattdessen beim Bauen oder Gestalten im Kreativbereich, gleichen einander aber wie eh und je.

Gibt es noch jemand, der „Basteln“ sagt? Ja – fast alle Kinder. Wenn man sie fragt, ob sie Lust auf Basteln haben, sind sie begeistert, schleppen Material und Werkzeug herbei und freuen sich auf das, was wir Gestaltungsprozesse nennen. Sie haben mit der Wortwahl völlig recht: „Gestalten“ ist das, was der Erwachsene tut, der sein Werk vor Augen hat. Basteln bedeutet laut Lexikon: „sich mit kleinen Handwerksarbeiten aus Liebhaberei beschäftigen“ oder „etwas handwerklich herstellen, ohne in einer Zunft zu sein“. Wer bastelt, hat Lust auf das Tun, nicht auf das Ergebnis.

Hört auf, die Kinder Käseschachteln zu Laternen verarbeiten zu lassen. Aber lasst sie basteln – sie wissen, wie das wirklich geht!

Foto: REHvolution/ photocase.de

Leserin Nancy Laschek stellt Fragen

Wenn das Kita-Gelände keinen Zaun hätte: Wie viele Kinder würden dann bleiben?

Wenn es keinen Fachkräfte-Mangel gäbe: Wie viele Kolleg*innen (inklusive dir selbst) hätten dann noch ihren Job?

Wenn es keinen Mangel an Betreuungs-Plätzen gäbe: Wie viele Familien würden die Einrichtung wechseln?

Was fällt dir schwerer: Gehen oder gehen lassen?

Was kostet mehr Kraft: Gehen oder Bleiben?

Kriegen wir noch Gehalt oder schon Schmerzensgeld?

Beruf, Berufung oder doch nur Helfersyndrom?

Wenn du jetzt aussteigen würdest: Was würdest du vermissen? Das Kinderlachen? Das Machtgefühl? Die festen Arbeitszeiten? …?

Zu wie viel Prozent gefällt dir, was du tust?

An wie vielen Arbeitstagen in der Woche denkst du dir „Hätte ich nur Holzbearbeitung gelernt“?

Was haben dein jetziger Beruf und dein Traumberuf gemeinsam?

Es geht rund

Sachbuch

In Natur und Technik sind Kreisläufe ein Grundprinzip. Die mitunter komplexen Zusammenhänge und wiederkehrenden Strukturen wahrzunehmen und ihre Wandelbarkeit zu verstehen, ist nicht immer einfach. Umso verblüffender, mit welcher Leichtigkeit Johannes Vogt und Felicitas Horstschäfer diese Abläufe in ihrem Sachbuch bereits jungen Leserinnen und Lesern näherbringen. Der Clou ist dabei zweifellos die gestalterische Idee, die ebenso genial wie einfach erscheint: Hier werden Kreisläufe in einem Buch präsentiert, das aufgeklappt selbst kreisrund ist. Auf stabiler Pappe, die im Zusammenspiel mit dem Sonderformat zum Drehen und somit auch zum sinnlichen Erfassen einlädt, werden insgesamt neun verschiedene Kreisläufe vorgestellt – von Tages- und Jahreszeiten, Nahrungs- und Nährstoffkreisläufen über Fortpflanzung (am Beispiel Frosch) bis hin zu Mehrwegflaschen und Recyclingpapier.

Wozu hat der Apfel Kerne? Wer frisst wen? Wohin kommen all die Schnipsel? – Prägnante Fragen leiten die knappen, nah an der kindlichen Lebenswelt formulierten Erklärtexte zu den einzelnen Abschnitten ein. Deren visuelle Gestaltung wird durch den pointierten Einsatz von Schmuckfarben in den sonst blau-grau gehaltenen Bildern abgerundet. Ab 5 Jahren.

Nominiert für den Kinder-und Jugendliteraturpreis 2021

Die vollständige Liste aller 2021 nominierten Bilder-, Kinder-, Jugend- und Sachbücher gibt es unter: https://www.jugendliteratur.org

Manno!

Kinderbuch

 

In diesem Comicalbum präsentiert Anke Kuhl 18 pointierte Episoden ihrer erinnerten Kindheit in den 1970er Jahren. Aus kindlich-naiver Perspektive wird berichtet von großen und kleinen, witzigen, ernsten und mitunter auch traurigen Ereignissen eines ganz normalen Kinderlebens. Es geht dabei um den Zusammenhalt der Geschwister, aber auch um Streitigkeiten, um Haustiere, Leistenbrüche, Brillen und Strumpfhosen oder die Zuflucht bei Oma und Opa, wenn die Eltern streiten. Auch eklige, skurrile oder irrwitzige Kinderspiele finden ihren Platz wie Klobürstenkämpfe oder das schreckliche Quälspiel mit der Stinkvase.

Bildliches und sprachliches Erzählen sind mit den Möglichkeiten des Comics geschickt inszeniert. Die Panelanordnung wird spannungsreich durch die Übergänge aufgebrochen. Für viel Dynamik sorgen dabei Momentaufnahmen, Perspektivwechsel und Zooms, angereichert mit Speedlines und Soundwords. Die Ich-Erzählerin kommentiert in den teils offenen, teils geschlossenen Textkästen das generationsübergreifende Familienleben. Die Panels zeigen, dass es keine heile Welt sein muss, um Zusammenhalt zu generieren. Die Figuren wirken durch liebevolle Details wie Omas „Warzn af der Nosen“ oder Papas „Pilzfrisur“ besonders authentisch und sympathisch unperfekt. Die Farbkontraste in Buntstiftästhetik passen hingegen perfekt zu den fabelhaft vielseitigen Kindheitserlebnissen. Ab 8 Jahren.

Nominiert für den Kinder-und Jugendliteraturpreis 2021

Die vollständige Liste aller 2021 nominierten Bilder-, Kinder-, Jugend- und Sachbücher gibt es unter: https://www.jugendliteratur.org

Der Stein und das Meer

Bilderbuch

Alexandra Helmig erzählt von einem kleinen grünen Stein auf einem Felsen im Meer, nicht weit vom Ufer entfernt. Seit Jahrtausenden liegt er dort und beobachtet, was um ihn herum geschieht. Doch mit der Zeit wächst die Neugier, den Platz zu verlassen und selbst ins Meer einzutauchen. Der nächste große Sturm schwemmt ihn mit. Und wer dieses Bilderbuch betrachtet, darf ihn begleiten bis zum erstaunlichen Ende der poetischen Geschichte, in der ein Kind letztlich die entscheidende Wendung herbeiführt. Zwischen den Zeilen werden bedeutsame, nahezu philosophische Fragen aufgeworfen und Gedanken angeregt, die weit über die Handlung dieser kleinen Erzählung hinausweisen.

Die Bilder von Stefanie Harjes inspirieren diese Gedankenreise, indem sie durch ihre surrealen Elemente in den Zeichnungen, Collagen und Scherenschnitten das Realitätsenthobene, Wirklichkeitsentrückte hervorheben und eine eigene Wahrheit miterzählen. Diese Geschichte scheint nicht von dieser Welt zu sein. Aber in den grotesken kleinen Figuren spielt sie mit Bekanntem und Vertrautem. Das macht dieses Bilderbuch so reizvoll und wird die Lust am Fabulieren und Philosophieren wachhalten. Ab 7 Jahren.

Nominiert für den Kinder-und Jugendliteraturpreis 2021

Die vollständige Liste aller 2021 nominierten Bilder-, Kinder-, Jugend- und Sachbücher gibt es unter: https://www.jugendliteratur.org

Unsichtbar in der großen Stadt

Bilderbuch

Unerhört – ein Kind läuft ganz allein durch eine hektische, verwirrende Großstadt! Hochhäuser, Baustellen, Verkehr, Gedränge und Lärm stürmen auf es ein. Alles blinkt und blendet. Das Kind lässt sich nicht davon beirren. Es geht einfach seinen Weg, selbst als es plötzlich zu schneien beginnt, Parkbänke und Bäume unter dem dichten Weiß verschwinden und die vielen Autos das Schneetreiben in Matsch verwandeln. Im von Bernadette Ott behutsam übersetzten Text spricht der Ich-Erzähler dabei fortwährend ein rätselhaftes „Du“ an, ermutigt es, warnt vor gefährlichen Orten, verrät sichere Verstecke und Abkürzungen. Wer spricht hier mit wem?

Was für ein mutiger und genialer Einstieg in eine Bilderbuchgeschichte, die sich bis zu einem verblüffenden Ende atemberaubend steigert. Ästhetisch zieht der kanadische Bilderbuchkünstler Sydney Smith alle Register seines Könnens. Virtuos arbeitet er mit Licht und den Aggregatzuständen von Wasser, variiert gekonnt alle Schattierungen von Schwarz, Grau und Weiß, nur durchbrochen von wenigen Farbtupfern, und wechselt kleine Formate mit opulenten Doppelseiten ab. Dabei versteckt er so manch bildliche Fährte, die beim Immer-Wieder-Anschauen entdeckt werden kann. Das alles erzeugt eine geradezu filmische Spannung, bis am Ende nicht nur das Kind das sichere Zuhause erreicht. Ab 4 Jahren.

Nominiert für den Kinder-und Jugendliteraturpreis 2021

Die vollständige Liste aller 2021 nominierten Bilder-, Kinder-, Jugend- und Sachbücher gibt es unter: https://www.jugendliteratur.org

Einfach weg mit Einweg

Wer abhaut, muss draußen essen. Das ist kein hartes Los dank Streetfood, sondern klingt hip, ist aber kein ganz neuer Trend. Hier gibts den Artikel als PDF: 1Euro_#3_2021 Schon der Römer futterte mittags im Thermopolium stehend einen leckeren Teller Linsen mit ordentlich Garum – das war so eine Art Maggi auf Fisch-Eingeweide-Basis. Eigentlich stammt der…

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Alvin allein nach Haus

Hier werden Rechtsfragen aus der Pädagogik verhandelt. Diesmal geht es um juristische Finessen, die zu beachten sind, wenn Kinder sich selbstbestimmt aus der Kita entfernen. Hier gibts den Artikel als PDF: Rechthaber_#3_2021 Schrei! Zeter! Tob! Heul!   Donnerlittchen, was ist denn da im Kindergarten los? Gar nichts – die Kinder der „Vorschulmäuse“ spielen gerade friedlich…

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Fehl am Platz?

Warum sind wir, wie wir sind? Und warum stoßen wir damit nicht nur auf Gegenliebe? Erinnerungen an missliche Situationen, Erkenntnisse über Verhaltensweisen, Erfahrungen mit Lösungsmöglichkeiten und Umsetzungstipps – Aline Kramer-Pleßke, Supervisorin und Coach, möchte dazu beitragen, dass wir unsere Potenziale entdecken, unsere Ressourcen stärken, emotionale Entlastung finden und souveräner handeln können.

Hier gibts den Artikel als PDF: Supervisorin_#3_2021

Erinnerungen

Oft wollte ich einfach nur weg! Und es gab viele dieser prägenden Erlebnisse:

Im Kindergarten musste ich gefühlt stundenlang vor meinem Teller sitzen und sollte aufessen. Die anderen Kinder spielten schon, und ich war allein.

In der 1. Klasse sagte die Lehrerin immer wieder: „Aline, komm nach vorn an die Tafel und schreib eine Vier.“ Jedes Mal rief sie dann: „Falsch! Falsch! Falsch!“ Dabei war ich kreativ, dachte mir neue Formen für die blöde Vier aus und erfuhr irgendwann, dass ich Spiegelschrift geschrieben hatte. Das hätte meine Lehrerin mir gleich sagen sollen.

8. Klasse, Ferienarbeit im Krankenhaus: Ich träumte davon, auf der Kinderstation helfen zu dürfen, aber es wurde die Geriatrie. Der Chefarzt hieß genauso wie ich, und die Verantwortlichen dachten, ich sei seine Tochter. Mir war das unangenehm, ich hatte Angst und wollte dort nicht bleiben.

Als ich jung war, konnte ich solche Situationen nicht auflösen. Heute frage ich mich: Wer war damals wirklich fehl am Platz?

Auch als junge Erwachsene hatte ich diese Fluchtimpulse. Zumeist waren es Unklarheiten und konflikthafte Auseinandersetzungen, die mir Angst machten, oder Herausforderungen, denen ich vermeintlich nicht gewachsen war. Ich hatte den Eindruck, nicht in den Rahmen zu passen.

Während meiner Studienjahre traf ich auf mir wohlgesonnene Leute, die mich ermutigten zu reflektieren: Was passiert, was fühle ich, wie verhalte ich mich? Ich durfte ausprobieren, was zu mir passt. Selbstvertrauen und Selbstbestimmung wuchsen.

Erfahrungen

Aktuell spielt die Pandemie eine entscheidende Rolle. Sehr viele meiner sonst engagierten Supervisand*innen aus Kita und Schule fühlen sich fehl am Platz, sind entmutigt und denken darüber nach, den Beruf zu wechseln. Was für eine katastrophale Situation! Der Gefühlscocktail reicht von Ausgeliefertsein, Hilflosigkeit, Ohnmacht und Ärger über Wut bis zur Resignation. Die Geschäftsführer*innen kämpfen und versuchen mit ihren Kolleg*innen die sich immer wieder ändernden Beschlüsse und Vorgaben zu erklären und umzusetzen. Oft ungeschützt. Eine Erzieherin sagte, sie komme sich vor wie im Bällebad bei Ikea und ertrinke darin.

Ich appelliere an dieser Stelle dringend zu Handeln! Im Grunde musste vorgestern nachgebessert werden, um einen ganzen Berufszweig nicht den Bach runtergehen zu lassen. Ich vermute, ein solcher Schaden wird uns noch Jahre mühsamen Wiederaufbaus bescheren.

Zurück zum Thema: In mein Coaching kommen meist gut qualifizierte, leistungsbewusste Menschen, die interessante Positionen bekleiden. Fast alle haben das Gefühl, im Job „fehl am Platz“ zu sein. Das kann sehr unterschiedliche Gründe haben. Hauptthemen sind die berufliche Rolle, Kommunikation, Konflikte, Selbstverständnis, Haltung, Stressbewältigung und Resilienz. Oft gibt es einen Effekt, den ich den „BaggerVance“ nenne.

Kennen Sie den Film „Legende von Bagger Vance“? Die Geschichte spielt in den 1930er Jahren in Savannah, Georgia. Djuna, ein junger Kriegsveteran und ehemals brillanter Golfspieler wird zu einem Turnier herausgefordert. Allerdings ist er seit dem Krieg desillusioniert, traumatisiert, hat sich für das Vergessen entschieden, trinkt und spielt. Nun soll er ins Turnier. Wie aus dem Nichts taucht Bagger Vance auf, wird sein Caddy und sagt: „In jedem von uns steckt ein wahrer, authentischer Schwung. Etwas, womit wir geboren wurden, und das nur uns allein gehört. Etwas, das man nicht lehren oder lernen kann. Etwas, worauf man sich zurückbesinnen muss. Die Welt kann uns den Schwung nehmen und ihn unter all diesem Könnte, Müsste, Sollte begraben.“ Djuna hatte seinen authentischen Elan verloren. Bagger Vance unterstützt ihn mit guten Ratschlägen und weisen Tipps, seinen Schwung wiederzufinden.

Auch Frau X. hatte ihren authentischen Elan verloren, als sie zu mir ins Coaching kam. Sie war Mathematikerin und arbeitete im Controlling eines Unternehmens. Ihre berufliche Rolle war ihr fremd geworden, sie fühlte sich ausgelaugt und fehl am Platz. Gemeinsam erforschten wir ihre Bedürfnisse, Sehnsüchte, Leidenschaften. Wofür brannte sie?

Vor allem wollte sie etwas Sinnvolles tun. Über die Jahre hatte sie sich entwickelt, ihre Rolle passte nicht mehr zu ihr. Am Ende entschied sie sich, im Controlling nur noch in Teilzeit zu arbeiten. Sie suchte sich eine Stelle als Honorarkraft an einer Schule. Dort forschte sie mit Kindern und Jugendlichen zu mathematischen Themen. Diese sinnvolle und herausfordernde Tätigkeit gab ihr einen riesigen Aufschwung. Sie hatte den eigenen „Sound“ – so nannte sie es – gefunden und war auf dem für sie richtigen Platz gelandet.

Experiment

Fühlen Sie sich auch manchmal fehl am Platz? Stehen Sie an einer Wegkreuzung und sind sich nicht sicher, wohin Sie sich wenden sollen? Halten Sie an! Dafür brauchen Sie die innere Erlaubnis von sich selbst. Sie dürfen schwach sein, aus dem Leistungs- und Bewertungskarussell aussteigen. Nehmen Sie sich Zeit für sich, für die Suche nach dem eigenen „Sound“.

Unser Leben besteht aus mehreren Bereichen, zum ­Beispiel: die Familie, soziale Kontakte, Gesundheit, ­Finanzen, persönliche Weiterentwicklung, berufliche Tätigkeit, Energie, Partnerschaft. Je nach Lebenssituation ändert sich der Fokus und lässt sich individuell gewichten. Machen Sie eine Bestandsaufnahme. Dazu können Sie eine Collage anfertigen, ein Bild malen oder eine Liste schreiben. Nützliche Fragen sind:

Wie stabil sind die einzelnen Bereiche?

Wie zufrieden und erfüllt sind Sie?

Gibt es Bereiche, die in letzter Zeit zu wenig Beachtung fanden?

Wie flexibel sind Sie in den verschiedenen Bereichen? Welche Unterschiede nehmen Sie wahr?

Was wollen und können Sie zurzeit so lassen?

Welcher momentane Zustand geht für Sie nicht mehr?

Auf welche Bereiche wollen Sie sich in nächster Zeit besonders konzentrieren?

Wo wollen und können Sie Veränderungen aktiv hervorrufen?

In welcher Reihenfolge möchten Sie Entwicklungen vorantreiben?

Was genau wollen Sie verändern – an der Situation, an sich selbst?

Was könnten Sie investieren oder vielleicht sogar riskieren?

Wer ist auch davon betroffen?

Wer kann Sie unterstützen?

Wo bekommen Sie Informationen oder praktische Hilfe?

Welche Art der Lösung käme für Sie nicht in Frage?

Gibt es eigentlich Bereiche, in denen Sie besonders mutig oder ängstlich sind? Bedenken Sie: Wo die Angst ist, ist der Weg. Besinnen Sie sich auf Situationen, in denen Sie Probleme lösen konnten.

Vergessen Sie nicht: Sie schlagen Ihren Weg ganz bewusst ein. Sie gestalten selbst, sind selbst verantwortlich für Ihr Tun, Ihr Verhalten, Ihre Ziele und was in Ihrem Leben jetzt gerade wichtig ist.

 

Foto: cw-design / photocase