Gastfreundschaft

Bilderbuch

„Ein Sturm zieht auf, ein Sturm zieht auf!“ Die Waldbewohner verrammeln ihre Häuser, gefüllt mit Vorräten, Wärme und Licht. Sie machen es sich gemütlich. Da kommen Großer Bruder Bär und sein kleiner Bruder. Misstrauisch aus Gucklöchern beäugt, bitten sie höflich um Einlass. Ihnen ist kalt, sie haben Hunger, und sie haben Angst im Dunkeln. Aber niemand lässt sie ein. „Der Platz reicht schon für uns kaum aus. Geht weiter bis zum nächsten Haus.“ Nur Kleiner Fuchs läuft ihnen nach und bringt ihnen eine Laterne.

Abgewiesen landen sie auf einem eisigen Hügel. Doch sie haben Glück: Es beginnt zu schneien. Wie man aus Schnee Höhlen baut, das wissen die Bären. Als Familie Fuchs aus ihrer zusammenbrechenden Höhle fliehen muss, findet sie bei ihnen Unterschlupf.

„In einer Nacht ohne Ende

Und ohne Mondenschein

Öffneten zwei Fremde

Ihr notdürftiges Heim.“

Die kleine Geschichte wird in lyrisch-rhythmischer Sprache erzählt, in Reimen, die die Suche beschreiben. Tiere als handelnde Personen – das Buch könnte schon 100 Jahre alt sein. Trotzdem oder gerade deswegen bringt es das Thema „Gastfreundschaft“ bezaubernd auf den Punkt, das für viele Gemeinschaften überlebenswichtig war und ist. Mit lebhaftem Strich, ausdrucksstarken Figuren und einer Sprache, die sich fast von allein vorliest, überzeugt das Buch ebenfalls.

Farben der Wut

Bilderbuch

Eine Bildgeschichte über die Wut eines Kindes: Vom „fröhlichen Vögelchen“ verwandelt es sich in eine „runzlige Rübe“, wenn der Zorn es packt. Was ihn so in Wut versetzen kann, schildert der kleine Ich-Erzähler, begleitet von Bildern, die ihn in einer rosaroten familiären Idylle zeigen: Vater, Mutter und Kind – breit lächelnd.

Aber wenn das Kind nur noch will und will und will, sagen die Eltern „Nein“ und verharren inmitten des kindlichen Wutanfalls aus allen Rottönen in zurückhaltendem Weiß. Erst als sich das Gefühlsgewitter gelegt hat und der Junge wieder ein bisschen denken kann, fällt ihm ein, was die Eltern immer sagen: dass sie nicht gut hören können, wenn sie jemand anschreit, und dass die Leute sich voneinander entfernen, wenn sie zu laut zu sind. Als der Junge sich beruhigt hat, erinnert er sich, dass Mama ihn liebhat und dass ihr Weiß seinem Rot näherkommt, bis die Welt rosarot ist.

Ein schneller, explodierender Strich und explosive Farben zeigen die Gefühle des Kindes und auch den Punkt, an dem es „zurückrudert“, sich beruhigt und seine Gedanken wiedereinsetzen. Geradezu beneidenswert vorbildlich begleiten die Eltern das Kind durch die große Wut, indem sie sich zurückziehen, abwarten und für ihr Kind da sind, als es wieder „weiß“ sehen kann.

Die in Wort und Bild überzeugend erzählte Geschichte von der großen Wut, aus der einem – bitte! – jemand heraushelfen möge, ist auch ein Ratgeber für Eltern, ganz ruhig und „weiß“ zu bleiben, schon um sich auf die rosaroten Momente danach freuen zu können.

Ich bin nicht müde!

Bilderbuch

Der Mann mit der altmodischen Zipfelmütze und dem Nachtlicht muss kein Kind ins Bett bringen, sondern eine Taube. Offenbar überfordert ihn das, denn er schiebt den Auftrag schnell dem Vorleser und dem betrachtenden Kind zu: „Bring doch mal schnell die Taube ins Bett!“ Und weg ist er.

Die Taube legt sofort los: „Erst mal: Ich bin überhaupt nicht müde!“ Danach zitiert sie alle Argumente aus dem lehrreichen Fernsehfilm über das Angebot, endlich mal in Ruhe miteinander über Hasis Bedürfnisse zu reden. Und die klassische Frage nach dem Glas Wasser bleibt auch nicht aus.

Die Taube ist ganz allein im Bild und unterhält sich mit dem Betrachter, bis sie nicht mehr kann, verspricht aber: „Das war noch nicht mein – gäääähn – letztes Wort!“ Kurz darauf fallen sie und der Kuschelhase in Tiefschlaf.

Den von Mo Willems mit rasantem Strich und viel Humor aufs Papier gebrachten Cartoon können nur Menschen verstehen, die schon mal Kinder ist Bett gebracht haben. Oder?

Ich wusste allerdings nicht, dass auch Taubenkinder alle Tricks beherrschen.

Das Tegeler Kitasägenmassaker

Hier werden Rechtsfragen aus der Pädagogik verhandelt. Michael Fink stellt sie. Diesmal: Ist geregelt, welche Werkzeuge zu gefährlich für Kita-Kinder sind?

Zack! Aaron sticht zu, und alles ist übersät mit roten Spritzern. Nochmal zack! Mitten in den Bauch trifft er, ein blutrotes Loch reißt auf. „Uuund jetzt, du Schurke“, zischt Aaron mit Gruselstimme, „sind deine Arme ab! Sägesägesägesäge!“ Den Körper seines Opfers überziehen dunkelrote Schichten. Fingerfarbenrot. „Fertig gemalt?“ fragt Erzieherin Tine und legt das Bild in den Stapeltrockner. „Willst du noch ein Blatt?“

„Ich würde den Jungen an deiner Stelle mal zu etwas Sinnvollerem motivieren“, rät Tines Kollegin Gundi, die sich am Nebentisch mit Selma und Alma über eine offenbar langwierige Prickelarbeit beugt. „Kein Wunder, wenn der hier Scheibe spielt.“

„Na gut“, meint Tine milde, „dann werkeln wir jetzt was, Aaron. Wollen wir am Holzpferd weiterbauen? Hol doch mal die Japansäge.“

„In dem Zustand würde ich den Jungen nicht sägen lassen“, findet Gundi. „Überhaupt, diese Japansägen! Die sind so scharf! Wie schnell ist da ein Fingerchen ab.“

„Okay“, murmelt Tine. „Sägen entfällt dann wohl. Mit den lahmen Laubsägen kriegt man ja kein Holzbrett durch. Wie ist es, Aaron? Wollen wir die Beine vom Pferd festnageln?“

„Hämmern? Würde ich nicht machen, wenn du mich fragst“, rät Gundi. „In der Kita in Sprockhövel, in der ich 1971 zur Ausbildung war, hat sich damals einer fast das Nasenbein zerdeppert. Kam haarscharf mit’m Schrecken davon. Aber wenn du auf Risiko stehst – bitte!“ Tine verdreht die Augen. Aaron sieht es, Gundi nicht. „Jungs, dann wird eben geklebt. Aaron und Lino, steckt ihr mal die Heißklebepistole rein?“

„Ich würde ja“, ertönt es abermals vom Prickeltisch, „diese Leimpistolen verbieten, ganz ehrlich. Neulich, als ich nach Feierabend die Muttertags-Gestecke zu Ende kleben musste, habe ich mich fast verbrannt. Was so eine gefährliche Waffe im Kindergarten zu suchen hat, ist mir schleierhaft.“

Tine atmet tief durch und verkündet, ironisch lächelnd: „Jungs, wir nehmen Klebeband! Selma und Alma, wenn ihr keine Lust mehr zum Prickeln habt, könnt ihr gerne mitmachen.“

Aaron, Selma, Alma und Tine versuchen, die Beine mit Packband am Pferdekörper zu befestigen – mit mäßigem Erfolg. Als das gerade angeklebte Vorderbein plötzlich abfällt, kann Selma es gerade noch auffangen, stößt dabei aber an Linos Po. Der verliert das Gleichgewicht und kann sich gerade noch an Alma abstützen, die das Klebeband in Streifen schneidet. Alma erschrickt, zuckt und sticht mit der Schere in Tines Unterarm. „Aua!“ Blut tropft, und Selma sucht in der Rollenspielecke nach dem Arztkoffer. Da erklingt Gundis Stimme vom Nachbartisch: „Ich würde ja an deiner Stelle lieber gar nicht erst solche gefährlichen…“

„An deiner Stelle würde ich jetzt mal die Klappe halten!“ brüllt Tine. „Sonst klaue ich mir an meiner Stelle deine Prickelnadel! Und was ich damit tun würde, das würde ich niemandem wünschen!“

§ Stopp! Auseinander! Ich würde an der Stelle von Lars Ihlenfeld nicht darauf eingehen, ob Tine sich jetzt der Nötigung oder gar des Kolleginnenmords mit Vorwarnung schuldig macht. Lieber würde ich an seiner Stelle erklären, ob es statt „Ich würde…“ verlässlichere rechtliche Empfehlungen gibt, welche Werkzeuge man mit Kita-Kindern welchen Alters nutzen kann. Bitteschön!

_____ Lars Ihlenfeld — Kitarechtler, antwortet:

Wenn Tine und Gundi Zombiefilm-Szenen mit fehlenden Körperteilen vermeiden wollen, sollten sie bei Bastelarbeiten auf die Beschaffenheit der Werkzeuge, die jeweilige Tätigkeit und die Stimmung der Kinder vor dem Muttertags-Sonntag oder dem Nikolaustag achten.

Ab dem 4. oder 5. Lebensjahr können Alma, Aaron und Selma lernen, mit speziellen Werkzeugen Holz zu bearbeiten. Ab diesem Lebensalter dürfte die allgemeine Einsichtsfähigkeit, die Bereitschaft, sich an Regeln zu halten, und auch die Fähigkeit, Gefahren beim Umgang mit Werkzeugen abzuschätzen, ausreichend ausgebildet sein.

Da wären wir schon beim ersten wichtigen Punkt: Tine und Gundi müssen Alma & Co. vorab genau erklären, wie mit den jeweiligen Werkzeugen umzugehen ist, wie man sie benutzt, und die Kinder auch auf Gefahren hinweisen, die entstehen, wenn sie sich den Vorgaben der Erwachsenen widersetzen. Von elektrischen oder elektronischen Werkzeugen sollten Tine und Gundi grundsätzlich Abstand nehmen, weil die Schnelligkeit dieser Geräte und deren Stärke Alma, Selma und Aaron überfordern könnten. Die Heißklebepistole sollten also vorsichtshalber nur Tine und Gundi benutzen.

Eine Orientierung für die vorherige Einweisung in den Gebrauch der Werkzeuge liefern die Vorgaben der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung.

Weiterhin sollte man die Altersempfehlungen für den Gebrauch der Werkzeuge beachten, jedoch immer mit dem Blick auf das einzelne Kind. Wie es scheint, hat Gundi richtig erkannt, dass Aaron eher auf Action aus ist als Alma und Selma.

Was konkret erlaubt ist und was nicht, lässt sich also pauschal nicht beantworten. Man kann sich lediglich an den oben erwähnten Tipps orientieren und beachten, mit wie vielen Kindern man arbeitet, wie einsichtig sie sind und ob sie Gefahren schon abschätzen können. Darüber hinaus empfiehlt es sich zu bedenken, was im Rahmen der obliegenden Aufsichtspflicht überhaupt ohne Risiken umsetzbar ist. Zwar mag Gundi Recht haben, dass eine Säge (derzeit!) nicht das richtige „Spielzeug“ für Aaron ist. Aber das schließt den Umgang mit der Säge in der Kita natürlich nicht grundsätzlich aus. Will Tine mit Aaron das Pferd weiter bearbeiten, muss sie das Sägen wohl selbst übernehmen oder mit ihm zusammen werkeln. Mit einem Hammer dürfte es ähnlich sein. Je nachdem, um welche Art von Hammer es sich handelt, eignet sich so ein Werkzeug für Gruppenarbeiten nur, wenn Erwachsene mittun.

Es ist, wie so oft: Leider gibt es keine allgemeingültige Auf­listung, welche Spiel- und Werkzeuge in der Kita definitiv von den Kindern benutzt werden dürfen und welche eher ungeeignet sind. Aber kann man es schaffen, im Kita-Alltag immer die richtige Einschätzung zu treffen? Ja, man kann das. Die Rechtsprechung ist hier großzügig und gewährt Fachkräften einen gewissen Spielraum bei der Gestaltung ihrer pädagogischen Arbeit. Doch da das menschliche Gedächtnis in der Regel ein wenig verlässliches Werkzeug ist, empfehlen wir dringend, nach einem Unfall mit Säge & Co. kurz zu notieren, aus welchem Grund man welchem Kind die Nutzung erlaubt hatte.

Illustration: studio luxabor

In Heft 2/19 wird es darum gehen, wie sich Mega-GEMA-Ärger vermeiden lässt.

Dann schreiben Sie uns. Wir leiten die Fragen weiter.

Konsequenz

Warum sind wir, wie wir sind? Und warum stoßen wir damit nicht nur auf Gegenliebe? Erinnerungen an missliche Situationen, Erkenntnisse über Verhaltensweisen, Erfahrungen mit Lösungsmöglichkeiten und Umsetzungstipps – Aline Kramer-Pleßke, Supervisorin und Coach, möchte dazu beitragen, dass wir unsere Potenziale entdecken, unsere Ressourcen stärken, emotionale Entlastung finden und souveräner handeln können Weiter lesen…

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Ich bin ganz Rohr!

Teuer muss nicht sein, aber kreativ! Michael Fink inspiziert Ausgesondertes, um nach Dingen zu suchen, die kaum etwas kosten. Weiter lesen…

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Dann kannst du was erleben!

Wenn du das tust, mein Freundchen, dann gibt es heute, morgen, diese Woche und überhaupt nie mehr… Stopp! Weiß hier etwa jemand nicht, dass man keine Konsequenzen androhen soll, die man nicht einhalten kann? Um dem abzuhelfen, testet das wamiki-Satire-­Referat an dieser Stelle Deutschlands beliebteste Drohungen auf ihren Gebrauchswert und erteilt Ratschläge für die konsequente…

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Verhaltens­auffällig

Gerlinde Lill versenkt pädagogische Begriffe.

Aha, da haben wir wieder ein verhaltensauffälliges Kind. Wodurch fällt es auf?

Es rennt und hampelt, sitzt nie still, ist hyperaktiv. Es haut andere Kinder, schubst und beißt, ist aggressiv. Es will immer Bestimmer sein. Es kann sich nicht konzentrieren. Es will beim Morgenkreis nicht mitmachen, sondern immer nur bauen, Fußball spielen oder… Es fordert ständige Beachtung, ist distanzlos. Es spielt den Kasper, will

immer im Mittelpunkt stehen.

Zunächst einmal: Der Begriff „verhaltensauffällig“ trifft zu. Das Kind fällt durch sein Verhalten auf. Es fällt in irgendeiner Weise aus dem Rahmen, verhält sich anders als gewohnt oder üblich.

Für sich genommen wäre das ja kein Makel. Anders zu sein als andere, etwas Besonderes zu tun oder aufzufallen, das könnte ja auch zur Konsequenz haben, besonders beachtet und anerkannt zu werden. Doch diesen Klang hat der Begriff „verhaltensauffällig“ eher nicht. Wenn ein Kind als „auffällig“ bezeichnet wird, dann meint das fast immer: Es ist „gestört“.

Ob es wirklich gestört ist oder eher gestört wird – dieser Frage wird selten weiter nachgegangen. Abweichendes Verhalten stört und soll abgestellt werden. Deshalb sucht man schnell nach Ursachen. Am Liebsten in der Familie.

Typische Erklärungsmuster:

• Die Eltern setzen keine Grenzen.

• Die Eltern erwarten zu viel und setzen ihr Kind unter Leistungsdruck.

• Die Eltern sind extrem ängstlich.

• Die Eltern trennen sich gerade.

• Die Eltern kümmern sich vorwiegend um das jüngere Geschwisterkind.

• Die Eltern haben kein Interesse an ihrem Kind und parken es vorm Fernseher. Es bleibt zu lange in der Kita, ist morgens das erste und abends das letzte Kind. Es wird mit Konsum überschüttet, aber Zuwendung ist Mangelware.

• Die Mutter ist völlig überfordert.

• Die Mutter ist alleinerziehend.

• Die häuslichen Verhältnisse sind beengt, von Gewalt geprägt oder…

• Kein Wunder, wenn das Kind verhaltensauffällig ist.

Der Druck nimmt zu

Solchen Aussagen liegen häufig Vorstellungen über Familie und „richtiges“ Elternverhalten zugrunde, die sich am idyllischen Bild der traditionellen mittelständischen Kleinfamilie orientieren. Diesem Bild entsprechen immer weniger Familien.

Die Frage nach der Lebenssituation des Kindes in seiner Familie, nach der Situation der Familie überhaupt ist zweifellos wichtig. Doch reicht es, die häuslichen Bedingungen unter die Lupe zu nehmen, um das Verhalten von Kindern zu entschlüsseln? Wohl kaum.

Übliche Konsequenzen:

Das Kind wird ermahnt, reglementiert, manipuliert, „sanft“ gezwungen, ruhig gestellt, bestraft, abgesondert … Dauerkonflikte und Dauerbelastungen bleiben in aller Regel erhalten.

Eltern werden zum Gespräch gebeten. Es wird ihnen ein Besuch beim Therapeuten, beim Kinderarzt oder bei der Familienberatung empfohlen. Sie bekommen ein schlechtes Gewissen, weil ihr Kind nicht so funktioniert, wie es soll. Sie machen sich Sorgen, geraten unter Druck und erhöhen den Druck auf das Kind.

Häufige Vermutung:

ADHS. Erleichterung, wenn das bestätigt und mit Pillen behandelt wird. Jetzt weiß man endlich, was mit dem Kind ist. Es ist krank.

Akzeptanz von Differenz? Fehlanzeige

Auffallend bei den üblichen Beschreibungen und Interpretationen: Vor allem Jungen bekommen den Stempel „verhaltensauffällig“. Ihre ausladenden Spiele, ihre lautstarke Präsenz, ihr Übermut, ihre Lust am Kräfte-Messen und ihre überhaupt schwer zu bändigenden Kräfte sind für viele Frauen befremdlich. Männern hingegen fällt das weniger unangenehm auf, denn sie erinnern sich…

Auffallend ist auch: Lautstärke und Bewegungsfreude sind eher ein Grund für pädagogische Besorgnis als leises Elend. Das fällt weniger auf.

Und daran fällt auf: Nicht die Not eines Kindes steht im Zentrum der Aufmerksamkeit. Nicht das Problem, das es hat, führt zu weiteren Überlegungen, sondern das Problem, das es macht. Erwachsene machen sich vor allem dann Sorgen, wenn ein Kind von der Norm abweicht, wenn womöglich „etwas nicht stimmt“ und deshalb besondere Förderung notwendig wird.

Übrigens: Auch Erwachsene, die aus dem Rahmen fallen, bekommen schnell einen Stempel verpasst. Die Bereitschaft zur Akzeptanz von Differenz ist trotz wachsender Individualisierung und Vielfalt von Lebensformen noch immer nicht sehr ausgeprägt. Warum sollte das in der Kita anders sein? Sollte es? Es sollte.

Was ist unser Part?

Professionelle Pädagoginnen und Berater sind sich meistens einig. Selten kommen Zweifel auf. Doch vermeintliche Gewissheiten in Frage zu stellen ist ein Schlüssel zum Verstehen. Ein weiterer Schlüssel liegt darin, in Beziehung zum Kind zu gehen und ein dritter in der kritischen Frage nach der eigenen Wahrnehmung und Interpretation.

Wenn wir Kinder wirklich in ihrer Entwicklung unterstützen wollen, müssen wir uns auf sie einlassen, genau hinschauen, zuhören und nachfragen. Wir müssen ihre Verhaltensweisen als das sehen, was sie sind: ihre individuellen Antworten auf die Umstände ihres Lebens. Wir müssen ihre Signale zu verstehen suchen, um angemessen reagieren zu können.

Wir dürfen den Blick dabei nicht allein auf das Kind und sein familiäres Umfeld richten, sondern auch und vor allem auf seine Situation und die Bedingungen in der Kita:

• Wo ist die Not des Kindes? Was bewegt das Kind? Welche Gefühle können wir erkennen?

• Fühlt es sich eventuell in seinem Tun gestört? Kann es seine Spiele oder Forschungen in Ruhe zu Ende führen? Findet es die Dinge vor, die es interessieren? Findet es genügend Herausforderungen in der Kita, die seine Neugier befriedigen oder wecken?

• Anders geschaut: Was ist an diesem Kind besonders liebenswert? Durch welche Fähigkeiten und Interessen fällt es besonders auf? Und: Was ist mein Anteil daran, dass die Beziehung zu diesem Kind schwierig ist? Was stört mich? Zugespitzt: Wo liegen meine, unsere Verhaltensalternativen?

Die meisten Kinder verbringen einen großen Teil ihres wachen Lebens in der Kita. Hier machen sie Erfahrungen mit Beziehungen und Strukturen. Hier erleben sie Achtung und Beachtung ihrer Besonderheit – oder auch nicht. Hier machen sie prägende Erfahrungen, die für ihr Selbstbild von Bedeutung sind.

Die Frage ist also vor allem: Was ist unser Part? Was können wir dazu beitragen, dass sich jedes Kind gesehen und geachtet fühlt – so, wie es ist, und nicht so, wie es sein soll, aber leider, leider noch immer nicht ist. Was können wir tun, um bedenkliche Entwicklungen zu erkennen? Wir müssen uns ernsthaft damit auseinandersetzen, wie Kindern geholfen werden kann, die unglücklich sind, desinteressiert wirken, ständig in Konflikte geraten, ausgegrenzt werden oder deren Entwicklung stagniert. Und was ist noch bedenklich? Wenn ein Kind den Stempel „verhaltensauffällig“ bekommt. Das hilft ihm nicht, es schadet nur. Deshalb lassen Sie uns den Begriff mitsamt der daran hängenden Scheingewissheit an einen dicken Stein binden und über Bord werfen. Platsch.

 

Neu bei wamiki:

Begriffe versenken

Bezugskinder, Elternarbeit, Haltungs­änderung, Wachkinder….
Was sprichst Du? Was willst Du damit sagen?
Welchen Wörtern gehst Du auf den Leim?

Begriffe versenken. Was ist das für ein Spiel?
In unserer pädagogischen Alltagssprache benutzen wir häufig Begriffe, die nicht mehr auf der Höhe der Zeit sind. Oft sind sie auch nicht auf der Höhe dessen, was wir tatsächlich tun. Lassen wir uns auf den Gedanken ein, die Gewohnheitswörter der pädagogischen Szene auf ihren Gehalt zu überprüfen, kommen wir gar nicht mehr aus dem Versenken und Waschen heraus. Denn in den meisten Begriffen steckt ein längst überholtes Rollen- und Berufsbild. Kein Wunder, Sprache verändert sich. Aber nur allmählich. Der erste Schritt ist, das Unsichtbare sichtbar zu machen. Dazu sollen die in diesem Buch gesammelten Beispiele dienen. Gespielt wird mit 37 pädagogischen Unwörtern von A wie Abholen über E wie Elternarbeit, H wie Haltungsänderung bis Z wie Zielvereinbarungen.

„Ich ging
den Worten auf
den Leim.“

Peter Maiwald

 

Was mit Brücken

 

 

Brücken

sind interessante Bauwerke.

Warum? Weil sie Orte, Ufer, Wege, Türme,
Menschen und Ideen miteinander verbinden.

Was gibt es überhaupt für Brücken?

Eisenbahnbrücken, Seebrücken, Holzbrücken,
Hängebrücken…

Ihr könnt Brücken suchen, entdecken, fotografieren, zeichnen, erfinden und konstruieren. Brücken, die es noch nie gab oder die in der Nachbarschaft stehen.

Was Ihr gefunden, gezeichnet oder gebaut und fotografiert habt, schickt uns an:

juhu@wamiki.de

 

Fotos: Dagmar Arzenbacher

Das NetzWerk Bildung

…. ist ein Arbeitskreis von Fachleuten aus Praxis, Fortbildung, Ausbildung und Forschung im Bereich der Pädagogik früher Kindheit. Zu Beginn des neuen Jahrtausends schloss sich dieser Kreis zusammen, um gegen die Vermessung von Kindern, die Test- und Förderwut sowie gegen schlechte Rahmenbedingungen in Kitas und Grundschulen einzutreten. Ein Positionspapier.

Wofür wir stehen

Wir gehen davon aus, dass Menschen jeden Alters aus eigenem Antrieb lernen – und zwar unter allen Umständen. Bildung ist ein individueller Prozess, den jeder Mensch auf seine Weise durchläuft.

Alle Menschen haben von Geburt an Möglichkeiten und Kräfte, sich den Zugang zu ihrer Umwelt zu erschließen. Von Anfang an interessieren sie sich für ihre soziale und kulturelle Umgebung und bringen ihre eigenen Vorstellungen und Wünsche ein. Wenn Kinder dies gemeinsam mit anderen Kindern tun und dabei von zugewandten Erwachsenen begleitet werden, stärkt das ihre Motivation und ihr Selbstvertrauen.

Von diesem Bildungsverständnis ausgehend,

• respektieren wir den Willen, die Sichtweisen und
die Fähigkeiten der Kinder;

• räumen wir Kindern freie, unverplante Zeit und möglichst viele Gelegenheiten ein, damit sie ihre Welt handelnd erforschen;

• folgen wir den Impulsen der Kinder, greifen wir ihre Fragen, Ideen oder Themen auf und unterstützen sie bei der Umsetzung, stellen unsere Erfahrungen zur Verfügung und bemühen uns, die Kinder weitgehend in Ruhe zu lassen, sie also nicht ständig zu stören und ihnen nichts aus der Hand zu nehmen;

• achten und beachten wir die offenen Lernprozesse, die durch die Neugier der Kinder in Gang gehalten werden;

• erleben wir mit Vergnügen auch unsere eigenen Lernprozesse, insbesondere in der Auseinander­setzung miteinander. Unser Credo: All das, was
für Kinder gilt, gilt auch für Erwachsene.

 

Damit Kinder ein Bewusstsein von sich selbst, ihrem Handeln und Denken gewinnen, brauchen sie hinreichende Resonanz von anderen Menschen auf das, was sie tun und denken. Resonanz unterscheidet sich von einer Antwort dadurch, dass sie sich auf die Sichtweisen der Kinder einlässt, ihren Gedanken und Hypothesen folgt und zu Gast im Reich ihrer Fantasie ist.

Was Kinder tun

Kinder gestalten soziale Beziehungen vom ersten Tag an und experimentieren fortwährend mit der sie umgebenden Welt. Dafür brauchen sie die Interaktion mit anderen Kindern ebenso wie das gemeinsame Erleben mit Erwachsenen.

Kinder zeigen uns, was für sie von Bedeutung ist.

Wenn Erwachsene das wahrnehmen und respektieren, machen Kinder gute Beziehungserfahrungen.

Kinder entdecken Bedeutung in ihrer Umgebung.

Wenn Erwachsene ihnen vielfältige Weltzugänge eröffnen und ihnen ein Umfeld bieten, das ihre Neugier erhält und ihren Mut herausfordert, stärkt das ihr Selbstvertrauen.

Kinder gestalten Kultur.

Wenn Erwachsene ihnen Zugang zur Natur und zu kultureller Vielfalt eröffnen, können die Kinder sich erproben und ihre individuellen Ausdrucksformen entfalten. Im Austausch und im gemeinsamen Handeln inspirieren Erwachsene und Kinder einander.

Kinder leben im Hier und Jetzt; sie denken handelnd.

Wenn Erwachsene Kindern Zeit lassen, sich Zeit für ihre Belange nehmen und sie mit Wohlwollen begleiten, kann die Kita ein Ort unbeschwerter Kindheit sein.

Kinder denken in Bildern und Geschichten.

Wenn Erwachsene die kindlichen Fantasien und Deutungen der Welt würdigen, fühlen Kinder sich ernst genommen und anerkannt. Daraus erwächst ein positives Selbstbild.

Kinder suchen nach Sinn.

Wenn Erwachsene die Sinnfindungsprozesse der Kinder herausfordern, ertragen und gelassen reagieren, dann haben Kinder die Chance, eigene Weltbilder zu entwerfen.

Kinder wollen entscheiden und wirksam sein.

Wenn Erwachsene den Kindern zugestehen, sich einzumischen, Bündnisse zu schmieden, Geheimnisse zu haben, Umwege zu gehen, Widerstand zu leisten – notfalls mit List und Tücke –, bleiben Kinder stark.

Was wir wollen

Nach unserem Verständnis wird pädagogische Professionalität am Handeln der Menschen erkennbar, die mit Kindern arbeiten:

• Professionalität beginnt damit, die Welt-Sicht der Kinder wahrzunehmen.

• Professionalität zeigt sich im Nachdenken über die eigenen Biografien, die Lernerfahrungen und die gemeinsame Reflexion darüber.

• Professionalität zeigt sich, wenn Fachwissen und Qualitätsansprüche an der eigenen Praxis kritisch überprüft werden.

• Professionalität zeigt sich, wenn Teams mutig ­verändern, was sie ändern können, und sich nicht von dem entmutigen lassen, was sie nicht ändern können.

• Professionalität zeigt sich, wenn pädagogisches Handeln sich am Erleben jedes einzelnen Kindes ­orientiert.

• Nur wo das Grundrecht des Kindes auf Unantast­barkeit seiner Würde in Krippen, Tagesstätten und Schulen umgesetzt wird, kann Professionalität Wurzeln schlagen.

Sinnvoller, als darauf zu warten, dass sich Rahmenbedingungen und die Politik zum Besseren wenden, ist es, selbst zu beginnen – dort, wo wir arbeiten und mit Kindern leben. Die Freude und der Genuss, Kinder auf ihren verschlungenen und überraschenden Lernwegen zu begleiten und ihnen zu folgen, sind auf unserer Seite.

Foto: tobeys, photocase