Perspektivwechsel: Warum die kalten Füße von Max Teil eines Hausschuh-Komplotts sind
Der Klassiker – morgens in der Kita. Ich: „Max möchte gern barfuß laufen. In Puschen bekommt nämlich er immer so heiße Füße. Er sagt mir aber, dass er in der Kita Hausschuhe tragen muss.“
Erzieherin: „Also von mir aus ist das okay. Aber da gibt’s ein paar Kinder, die ziehen sich dann auch die Hausschuhe aus, wenn sie das bei Max sehen, doch für die Kleinen ist der Boden zu kalt. Und der Vater von Leonie will unbedingt, dass seine Tochter Hausschuhe anhat…“ Komisch. Weil der Vater von Leonie will, dass seine Tochter in der Kita Hausschuhe trägt, muss Max auch welche tragen? Ist Max dafür verantwortlich, dass andere Kinder keine kalten Füße bekommen?
Abends in der Kneipe. Ich bestelle ein Flens. Sanft legt sich eine Hand auf meine Schulter, und der Nachbar von schräg gegenüber sagt: „Du, ich finde das ja okay, dass du ein Bier trinkst. Aber wenn die anderen das sehen, wollen sie auch eins und werden nachher davon betrunken. Der Freundin von Alex ist es ganz wichtig, dass der kein Bier trinkt…“ Bin ich dafür verantwortlich, wie viel Alkohol die anderen Leute in der Kneipe konsumieren? Wie viel Schokolade meine Kollegin isst? Wie viel Geld andere Kunden bei Kaisers lassen?
Ist selbst entscheiden dürfen, was für mich gut ist, ein Privileg, das ich erst kurz vor dem Rentenalter erreiche? Lange nach dem Scherenführerschein?
Beim Autofahren verkehrt sich die Puschen-Debatte übrigens ins Gegenteil: Jeder soll sich anschnallen, weil das viel sicherer ist. Aber nicht jeder Autofahrer hält sich dran: „Ach, für deinen Max haben wir jetzt keinen Kindersitz. Macht nix. Ist ja nur ne kurze Strecke. Ich sag den Kindern immer, dass sie sich ducken sollen, wenn die Polizei guckt.“
Ertappt, liebe Puschen-Träger!
Eltern und Erzieherinnen schieben regelmäßig Panik, dass Kinder zu wenig anhaben könnten: Sommerspielplatznachmittag, nicht abebbendes Gezeter zwischen Erwachsenen und Kindern, was jetzt nicht ausgezogen oder nass gemacht werden darf, „weil: sonst wirst du wieder krank!“
Am Straßenrand und vor allem im eigenen Pkw sind alle entspannter. Passiert schon nix.
Leider sind Autos nach wie vor wesentlich gefährlicher für Kleinkinder als ab und zu kalte Füße. Und mal ehrlich: Ein Kind, das wirklich friert, zieht sich doch was an, oder? Sogar gern und freiwillig! Oder durfte es in seinem Leben noch nie frieren und weiß nicht, wie sich das anfühlt? Oder friert es absichtlich, um seine strengen Eltern zu foppen? Haben Eltern Angst, dass ihre Kinder krank werden und leiden? Oder graulen sie sich bloß davor, mal wieder einen Tag mit den kleinen Monstern zu Hause verbringen zu müssen?
Was war eigentlich zuerst da, die Puschen oder die kalten Füße? Vielleicht keins von beiden. Die Kerntemperatur der Puschenfrage ist Macht, nicht Vernunft und schon gar nicht Gesundheit.
Und, was hast du heute in der Kita gelernt, Max? Dass es total wichtig ist, Hausschuhe zu tragen und die Sonnenmütze! Ob das fürs Leben reicht? Mal sehen…
Hier geht’s zu Tasches Beitrag „Die Ein-Blatt-Politik“ aus Heft 2#2015.(Link, wenn online)