Nachdenken über Autonomie und Solidarität

Eine Einladung zum Mitdenken und Ausprobieren

Immer wieder wird darüber diskutiert, ob sich die Arbeit in Kitas nicht zu stark auf die Autonomie der Kinder konzentriert, während die Gemeinschafts­fähigkeit vernachlässigt wird. Häufig wird darauf verwiesen, dass es früher so war: Im Osten des Landes ging es um die Gemeinschaft, im Westen eher um Individualität. Frauke Hildebrandt macht sich Gedanken über Solidarität und Autonomie in der Kita. Man könnte auch sagen: über Gemeinsinn und Eigensinn. Sie beteiligt uns an ihren Überlegungen und lädt ein, mitzudenken und auszuprobieren.

 

Was heißt denn überhaupt Autonomie?

Dass jeder machen kann, was er will?

Mein Autonomie-Begriff folgt den Philosophen Kant und Tugendhat: Der Mensch handelt dann autonom, wenn er es schafft, das zu tun, was er selbst richtig findet und von dem er meint, nachdem er ernsthaft darüber nachgedacht hat: Das ist das, was ich will. Wenn ich es schaffe, das zu tun, handle ich autonom.

Allerdings setzt dieser Autonomie-Begriff voraus, dass ein Mensch in der Lage ist, darüber nachzudenken, was für ihn gut ist, sich ein Ziel zu setzen und daran festzuhalten. Und was ist eigentlich mit Solidarität gemeint?

 

Solidarität – mit wem und weshalb?

Okay, dachte ich, das steht ja überall: Kinder sollen mündige Menschen werden, die in der Lage sind, sich in die Gesellschaft einzubringen. Dazu müssen sie im eben beschriebenen Sinne autonom sein. Doch wie hängt Autonomie, also diese Form von Eigensinn und Rationalität, mit Solidarität zusammen? Als ich dieser Frage nachging, stellte ich fest, dass es sehr unterschiedliche Definitionen für Solidarität gibt.

Landläufig bedeutet Solidarität, dass Menschen zusammenstehen, solange sie ein Ziel teilen. Zum Beispiel: „Arbeiter aller Länder, vereinigt euch!“ Das heißt: Arbeiter haben ein gleiches Ziel, wollen etwas in der Arbeitswelt verändern und stehen, solange sie dieses Ziel anstreben, füreinander ein. Das hat aber etwas Exklusives. Bauern dürfen nicht mitmachen.

Es geht also nicht darum, mit den Mitmenschen generell solidarisch zu sein und Gemeinsinn zu haben, sondern: Man will etwas gegen andere Menschen durchsetzen – und sei es aus guten Gründen. Aber: Auch die AfD ist solidarisch, wenn sie etwas durchsetzen will. Mein Fazit: Wenn Solidarität eine Haltung meint, die nur besteht, solange es eine Übereinstimmung der Interessen und/oder Ziele gibt, fasst dieser Begriff nicht, was zum Beispiel meine Studierenden in der Diskussion um Solidarität am häufigsten geäußert haben. Nämlich dass Solidarität einem abverlangt, sich neben jemanden zu stellen, obwohl man seine Ziele und Interessen nicht teilt.

Dieser zweite Solidaritäts-Begriff bezieht sich wahrscheinlich nicht auf große Menschengruppen, sondern auf das engere Umfeld. Ein Beispiel: Rosi ist mit ihrem Mann Bernd auf einer Party und möchte nach Hause gehen. Zwar würde ihr Mann gern noch bleiben, hat also ein anderes Interesse oder Ziel als sie, aber Rosi erwartet, dass er sie nach Hause begleitet. Es ist nicht so, dass sie ein Ziel teilen und deshalb zusammenstehen, sondern Rosi verlangt von Bernd, weil er ihr Mann ist, dass er ihr folgt. Bernd sieht das auch so: Er findet es richtig, aus Solidarität mit Rosi die Party zu verlassen und zu ihren Gunsten auf etwas, das ihm Spaß machen würde, zu verzichten. Würde ihre Freundin nach Hause wollen, wäre Rosi höchst erstaunt, wenn Bernd sie begleiten würde – aus Solidarität.

Diese Art von Solidarität hat also auch etwas Exklusives, obwohl sie sich nicht als im Interessenskampf gegen etwas oder jemanden stellt. Trotzdem kann man an dieser Auslegung von Solidarität einiges klarmachen.

Woran mir aber zunächst lag: Ich wollte einen Solidaritätsbegriff bestimmen, den man tatsächlich als grundlegend – weil nicht exklusiv – ansehen kann, und fand ihn tatsächlich: Es ist die Fähigkeit zu kooperieren, füreinander einzutreten und einander zu helfen – ein Grundprinzip menschlichen Zusammenlebens. Man kann auch Mitmenschlichkeit dazu sagen. Du musst keine Gruppen- oder Verwandtschaftsbeziehung, keine Interessen- oder Zielübereinstimmungen mit Menschen haben, zugunsten derer du sogar von eigenen Zielen absiehst, sondern nur eine ganz grundlegende Ebene: dein Gegenüber.

Diesen Solidaritätsbegriff habe ich mit Autonomie zu verknüpfen versucht und überlegt, wie die beschriebene Form von Autonomie und diese grundlegende Art von Solidarität, die hierzulande ein Erziehungsziel ist, sich zueinander verhalten. Kann man sie wirklich gegeneinander stellen? Gemeinschaft versus Individualität? Solidarität versus Autonomie? Gibt es nicht-autonome und doch solidarische Menschen? Und kann es nicht-solidarische autonome Menschen geben?

Rosi und Bernd mit Rationalität in Symmetrie

Meine These: Solidarität ohne Autonomie ist eher Gehorsam, Unterordnung oder Gruppendruck. Siehe Rosi: Wenn ihr Mann nicht mit ihr nach Hause fährt, weil sie seine Frau ist und er das für sie tut, sondern weil er später eins übergebraten kriegt, dann freut Rosi sich nicht darüber, dass er so gehandelt hat. Es war kein autonomer, souveräner Akt Bernds, sondern Angst vor Stress mit Rosi. Wenn Bernd sich nicht frei und mit guten Gründen entscheidet, sondern Angst vor Rosis Zorn ihm seine Entscheidungsfreiheit nimmt, dann handelt er nicht autonom. Aber Rosi wünscht sich ja, dass er aus freier Entscheidung solidarisch handelt. Würde er aus Angst mit ihr gehen, hätte sie nun tatsächlich Grund, sich zu ärgern – über das nicht-autonome und also unsolidarische Verhalten von Bernd.

Dieses Beispiel lässt sich übrigens auf jedes beliebige Gegenüber beziehen und belegt: Autonomie und Solidarität oder Eigen- und Gemeinsinn kann man nicht trennen. Das eine ist die Voraussetzung für das andere. Oder: Wer nicht autonom ist, kann nicht solidarisch handeln.

Aber: Der Mensch kann nur autonom handeln, wenn er in der Lage ist, darüber nachzudenken, was er tut. Also ist alles, was Nachdenken und Rationalität fördert, autonomie- und solidaritätsförderlich. Dazu gehört auch die Fähigkeit, einen Perspektivwechsel zu vollziehen, also zu erkennen, welche Perspektive der andere Mensch auf das gleiche Phänomen hat. Bleiben wir bei Bernd und Rosi: Bernd hat eine andere Perspektive auf die Party als Rosi, kann sich aber vorstellen, wie die Sache aus ihrer Sicht aussieht. Das heißt: Er weiß, dass andere Menschen andere Perspektiven haben und ebenso autonome Wesen sind wie er. Seine Autonomie, das zu tun, was er für sich als richtig erkannt hat, wird dadurch begrenzt, dass neben ihm Menschen sind, die ähnlich autonom sind wie er. In diesem Fall ist es sogar seine Frau, und er mag sich denken: Was du nicht willst, dass man dir tu’, das füg auch keinem andern zu. Man kann auch Symmetrie dazu sagen.

Bei Kindern findet sich diese Symmetrie schon früh, belegen Experimente: Wenn Gummibärchen ausgeteilt werden und ein Kind kein Bärchen erhält, finden die anderen Kinder das genauso sonderbar wie das Kind, das kein Bärchen bekam. Dieses Grundbedürfnis nach Symmetrie äußert sich auch im Gerechtigkeitsbedürfnis. Aber – so Immanuel Kant: Wir können dem Symmetriebedürfnis dann gerecht werden, wenn wir nicht nur sagen, wir tun das, weil der andere es genauso braucht wie wir, sondern wenn wir überlegen: Was passiert, wenn wir das, was wir tun, zum Gesetz für alle erheben würden? Alle kriegen ein Gummibärchen. Kriegt jemand keins, sorgen wir dafür, dass er eins bekommt oder protestieren wenigstens.

Wie kommen Kinder dazu, solidarisch zu handeln?

Kinder tun nichts ohne Grund. Das heißt: Wir müssen ihnen Rationalität zuschreiben und ermöglichen, dass sie die Autonomiebedürfnisse anderer Kindern wahrnehmen, also merken, dass andere Kinder neben ihnen genauso sind wie sie. Mehr ist eigentlich nicht nötig, denke ich.

Wenn Autonomie die Voraussetzung von Solidarität ist, ergibt sich Zugehörigkeit wie von selbst, denn: Der Perspektivwechsel auf das andere Kind, das gerade kein Gummibärchen bekam, verschafft eine Art Zugehörigkeitsgefühl jenseits der Gruppenzugehörigkeit. Nämlich: Wir sind alle Kinder und müssen deshalb Gummibärchen kriegen. Oder, eine Etage drüber: Wir sind alle Menschen.

Zum Autonomie- und Symmetriebedürfnis von Kindern gibt es zahlreiche Studien: Schon von 18 Monaten an können Kinder die Bedürfnisse anderer Kinder wahrnehmen, verstehen und einander helfen. Sie sind dazu in der Lage, und du kannst sie unterstützen. Aber wie? Wieder, indem du ihnen Rationalität zuschreibst. Weil manche Kinder noch wenig sprechen, musst du als Erzieherin dein eigenes Inneres in Sprache fassen und ein Modell für Rationalität sein, indem du laut abwägst, vermutest, Bedürfnisse, Gefühle, Absichten, Zweifel und eigene Gründe vorbringst – also das, was du denkst, hörbar oder sichtbar machst und nach außen trägst. Um Rationalität bei den Kindern zu fördern, musst du als Pädagogin eigene Abwägungs- und Entscheidungsprozesse transparent machen.

Natürlich gibt es in der Kita auch nicht verhandelbare, zum Beispiel ethische Regeln, deren Geltung du nicht als verhandelbar darstellen darfst. Andere Regeln sind nicht so grundlegend, zum Beispiel der Beginn der Mahlzeiten. Du musst deutlich machen, warum etwas nötig ist, und darfst nicht so tun, als könne man darüber abstimmen, denn: Nichts ist schlimmer als Fake-Partizipation.

Fällst du eigene Entscheidungen, dann präsentiere Alternativen. Sage: „Ich habe mir das und das überlegt. Für das habe ich mich entschieden, weil ich denke, es passt gut. Das andere war aber auch nicht schlecht.“ Das ist wichtig, weil die Kinder merken: Es gibt immer mehrere Optionen. Idealerweise werden sie in Entscheidungsprozesse einbezogen.

Wie erleben Kinder Autonomie?

Im Kita-Alltag bist du das Gegenüber der Kinder, der andere Mensch im Vergleich zu ihnen. Das zeigst du ihnen, indem du die eigene Perspektive benennst, sie ermutigst, ihre Perspektiven darzustellen, und ermöglichst, dass andere Kinder ihre anderen Positionen oder Empfindungen wahrnehmen können: „Guck mal, dem Peter schmeckt der Blumenkohl. Und dir schmeckt Brokkoli besser.“ Solche schlichten Dinge kannst du gar nicht oft genug ansprechen, denn sie zeigen: Menschen sind autonome Einzelne mit unterschiedlichen Positionen, Sichten oder Geschmäckern.

Helfen kannst du den Kindern, indem du ihre Handlungsabsichten benennst. Versucht Peter, eine Kugel auf der Murmelbahn runterkullern zu lassen, und du siehst, dass die Kugel klemmt, weil sie zu groß ist, sagst du zu Peters Mitspieler: „Guck mal, Peter will die Kugel rollen lassen, aber sie klemmt.“ Das angesprochene Kind erkennt, dass Peter etwas tun will, weil du seine Handlungsabsichten wahrnehmbar gemacht hast, und kann sich etwas einfallen lassen, um Peter zu helfen, oder eine eigene Idee einbringen.

Du musst also viel stärker in den Vordergrund stellen, was in den Köpfen von Kindern passiert. Nicht nur, um dem einen Kind zu zeigen, dass du es im Blick hast, sondern um den anderen Kindern zu zeigen, dass alle mit ihren Handlungsabsichten oder Bedürfnissen autonome Menschen sind.

Konflikte als Lernsituationen

In Konflikten wird Autonomie wirklich erlebbar. Streitet man mit einem anderen Menschen, merkt man: Er hat eine komplett andere Position. Wie kann er nur!

Konfliktsituationen sind ideale Solidaritäts-Lernsituationen, denn jeder kann alles lernen: Du kannst begründen lernen, kannst merken, dass ein anderer Mensch eine andere Position hat, und herausfinden, wie man damit umgehen kann.

Gibt es Streit in der Kita, sorgst du dafür, dass die Positionen der Streitenden erst mal nebeneinander stehen, hörbar oder sichtbar werden, und gibst jedem Beteiligten die Chance, zu seiner Position noch etwas auszuführen. Sind die verschiedenen Positionen oder Sichten dargestellt, fragst du: „Habt ihr eine Idee, was wir jetzt machen können?“ Das führt die Kinder aus der beschreibenden Sicht ihrer Positionen heraus, und sie überlegen, was man tun könnte. Haben sie keine Ideen, kannst du etwas vorschlagen.

Die meisten Konflikte sind mikroskopisch kleine Lernsituationen, prägen aber viel stärker als alle möglichen Angebote, weil die Kinder wahrnehmen, wie du darauf reagierst. Bagatellisieren ist ebenso solidaritätszerstörend wie das Nicht-Hinsehen.

Ein Beispiel: Marie sitzt im Buddelkasten und Lucas haut sie mit der Schippe. Das Mädchen schreit aber nicht, sondern zuckt nur kurz zusammen und buddelt weiter. Es gibt also keine Eskalation. Sollst du etwas tun? Manche sagen: Wenn es kein Theater gibt, dann geh drüber hinweg. Doch gerade in dieser Situation zeigen sich die Werte der Gesellschaft wie durch ein Brennglas: Schweigst du, obwohl Marie und Lucas wissen, dass du alles gesehen hast, dann signalisierst du dem Opfer wie dem Täter: Das ist okay. Damit setzt du eine Norm, die dir nicht gefallen kann. Autonomie- oder solidaritätsförderlich ist sie ohnehin nicht. Also: Aufgreifen, nicht bagatellisieren und den Konflikt nicht für die Kinder lösen, sondern ihn thematisieren.

Zuerst solltest du dich dem Opfer zuwenden, nicht dem Täter. Es sei denn, der Täter ist so handgreiflich, dass du ihn beiseite nehmen musst. Wenn die Beteiligten noch klein sind, gibst du ihnen Worte für das Erlebte: „Der Lucas hat dich gehauen, Marie. Und das tat bestimmt so weh, dass du gar nichts sagen kannst.“ Zu Lucas: „Du warst bestimmt wütend und hast Marie gehauen.“ Damit wird deutlich: Du hast es gesehen. Du bist da und stellst dich zur Verfügung, um mit den Kindern nachzudenken, wie sie weiterkommen können.

Lucas sagt vielleicht: „Aber Marie hat meine Schippe…“ Danach verhilfst du Marie zum Wort, wenn sie nicht spricht: „Du hast hier gesessen und wolltest…“ Zu beiden sagst du: „Was können wir denn jetzt machen? Habt ihr eine Idee?“

Entscheidend ist: Erst mal signalisieren, dass du die Aktion miterlebt hast – und zwar für beide Seiten. Damit machst du die Autonomie beider Kinder erlebbar und schaffst eine Voraussetzung dafür, dass sie sich solidarisch verhalten können.

Übergriffige Assistenzen

Oft gibt es Situationen, in denen die Erzieherinnen Autonomie von Kindern nicht erlebbar machen, weil sie eingreifen, wenn sie meinen, dass ein Kind Hilfe braucht. Ein Beispiel: Max schafft es nicht, die Glaskanne auf den Tisch zu stellen. Statt ihm die Kanne mit den Worten „Jetzt hast du wieder gekleckert, du kannst das noch nicht“ aus der Hand zu nehmen, sagst du: „Die Kanne ist aber schwer. Soll ich dir helfen?“ Dadurch machst du die Perspektive von Max deutlich und benennst seinen Versuch, etwas zu tun, für alle anderen Kinder. Du förderst seine Autonomie, indem du ihm Rationalität zuschreibst. Alle anderen Kinder nehmen das wahr. Du stellst nicht die Gemeinschaft in den Vordergrund – „Jetzt müssen wir alle warten, bis Max…“ –, sondern förderst die Autonomie von Max und stärkst dadurch die Autonomie aller Kinder. Eins sagt dann vielleicht: „Wenn Max die Kanne so anfasst…“ Ein anderes steht vielleicht auf und packt mit an.

Was immer im Konzept deiner Kita steht – es sind diese kleinen Momente, in denen sich zeigt: Es gibt einen Impuls, der autonomieförderlich und gleichzeitig solidaritätsförderlich ist. Schau mal, ob du solche Impulse bei dir wahrnimmst, und bedenke: Menschen, die autonom sind, können auch andere Leute anerkennen. Menschen, die Autonomieerfahrungen gemacht haben, können autonom handeln und sind dieser Erfahrungen wegen solidaritätsfähig.

Solidarische Menschen sind also immer autonom.

Aber gibt es eigentlich autonome Menschen, die nicht-solidarisch sind?

Darüber habe ich nur gesagt, dass das über das Symmetriebedürfnis vermittelt erklärt werden müsste.

Ich habe aber eine Idee davon, wie man sich klarmachen könnte, dass es autonome, nicht-solidarische Menschen nicht gibt. Immerhin.

 

Richtig Schluss machen

 

probiers aus!

„qr-code-scanner“ …

wamiki-Hitliste

„Der letzte Pogo ist getanzt.“
Von „Junimond“ über „Ich möchte mich gern von mir trennen“ bis „It’s all over now, Baby blue“.
Was singen die wamikis beim Fertigstellen dieser Ausgabe? Die 17 Lieblingssongs zum Thema: Schlussmachen findest du hier:

 

Gehen oder bleiben?

Erzieher*innen werden mies bezahlt.
Man muss reich sein, um das den ganzen Tag machen zu können. Mit dem Kita-Song von extra 3 können wir uns das Problem schönsingen.

 

„Wir haben uns getrennt“

Influenzer*innen verarbeiten ihre
Trennungen inzwischen öffentlich
in ihren Videos. Warum nur?

 

Alles steht Kopf

Riley, 11 Jahre, muss mit ihrer Familie umziehen. Ihre Emotionen: Freude, Wut, Angst, Ekel, Kummer geraten außer ­Kontrolle. Rileys Gefühlswelt steht Kopf!

Der Film aus dem Hause Disney-Pixar
entführt uns in die faszinierende Welt
der Gefühle, Träume, Wünsche und ­Erinnerungen.

 

 

 

 

Mein Leben ohne mich

Ann, 23 Jahre und unheilbar erkrankt, schreibt eine Liste von Dingen, die sie gern tun möchte, bevor sie stirbt.
Zugleich regelt sie die Zeit nach dem Tode für ihre Familie. Ein zärtlicher Film vom Abschied, der Mut macht.

 

Machst du mit Freund*innen Schluss?

Zum Beispiel, wenn sie wegziehen, ­politisch anders ticken oder viel mehr Geld haben? Fünf Menschen erzählen von den Grenzen ihrer Freundschaft.

 

Nicht anfangen können

Aufschieberitis: Warum schieben wir lästige wie schöne Aufgaben auf und welcher Aufschiebetyp bist du?

 

Nicht Schluss machen können

Bist du co-abhängig?

Wenn du dich in einer schwierigen ­Beziehung befindest oder einen Suchtkranken in deinem näheren Umfeld hast, befürchtest du vielleicht in eine
Co Abhängigkeit zu rutschen.
Ob du gefährdet bist?

 

Ein Ende finden

Eine Sammlung von 50 (uff) Tipps
zur persönlichen Auswahl gegen
die Aufschieberitis.

 

 

 

 

Foto: dima_gerasimov, photocase

Vom Bleiben und vom Gehen

                          Wenn die Kindheit eine Adresse hätte, dann würde auf der Anschrift „Zuhause“ stehen. Hier werden die Kinder groß. Eines Tages ziehen sie aus. Zimmer, Wände und Haken werden leer. Die letzte Wäsche wird gewaschen und weggeräumt. Das ist gut. Es ist anders….

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Gedicht: Gottfried August Bürger

Mittel gegen den Hochmut der Großen

Viel Klagen hör’ ich oft erheben

Vom Hochmut, den der Große übt.

Der Großen Hochmut wird sich geben,

Wenn unsre Kriecherei sich gibt.

 

 

Foto: Pippilotta, photocase

Mach endlich Schluss!

Niemand muss so oft Schluss machen wie die PädagogInnen. Während der Normalbürger höchstens alle paar Jährchen etwas absagt, müssen die PädagogInnen den lieben langen Tag junge Menschen auffordern, etwas zu beenden. Weil die Freispielzeit um oder die Diktatschreibezeit abgelaufen ist, weil ein Zwist zur Kabbelei entartet, weil das Gebrabbel in der letzten Reihe nervt und das eben gehörte Widerwort unverschämt ist. Unzählige Momente, in denen sie zum Schlussmach-Wort greifen. Hören wir mal, welche Wörter zur Verfügung stehen.

Unter Möchtegernen

Möchtest du beim Schlussmachen sanft und einen Hauch partizipativ rüberkommen? Dann wähle den höflichsten aller Modi, nämlich den Konjunktiv, also den Mode-Modus. Verkünde: „Wäre es ok, wenn ihr mal damit aufhört? Wir müssten so allmählich mal zum Schluss kommen. Im Grunde ist die Zeit längst um. Also, ich fände es richtig toll, wenn jetzt jeder mal anfängt, aufzuhören…“ Ernte Zustimmung bei den Kindern: „Ja, wäre im Grunde wirklich toll, wenn wir das täten. Aber wir machen lieber weiter…“

Vorsicht vor falschen ­Konjunktiv- Freunden! Die formulieren streng: „Du möchtest jetzt bitte sofort mit dem Gebrabbel aufhören.“ Vielleicht klappt es ja, und das Kind glaubt, dass es das möchte.

Bei Sonunmachenwirs

Wenn du Überrumplungseffekte liebst, bist du bei den „Sonunmachenwirs“ richtig. Die rufen betont ruhig, aber einen Tick zu laut in die beschäftigte Kindergruppe: „So, nun legen wir alle unser Spielzeug beiseite… (Pause, in der die Kinder verwirrt ihre Sachen ablegen) … und räumen alles auf sei-näään Platz… (abermals Pause, den Blick wachsam schweifen lassen) … und gehen jääätzt ganz ruhig zum Ääässensraum.“

Die Technik der Massenhypnose wurde garantiert in einem solchen Kindergarten erfunden.

Bei den Warlords und -ladys

Du liebst knappe Kommandos und unbedingten Gehorsam? Eine Vielzahl gesellschaftlich akzeptierter Floskeln steht zum Schlussmachen bereit: „Finito! Kein Mucks mehr! Punkt, aus, Ende! Es reicht!“ Oder auf gut Italienisch: „Basta!“

Apropos „Es reicht“: Nutze „Es“-Formulierungen, um dich mit einer unsichtbaren Macht zu verbünden. „Mir reicht´s jetzt“ klingt nach übellaunigen Erwachsenen. „Es ist genug!“ heißt hingegen: Das objektiv aufgestellte Maß ist voll, und ich muss jetzt den Befehl von oben durchsetzen.

Arbeite im Ernstfall mit Lautmalerei: Wie eine Militärblaskapelle klingt ein akzentuiert und am besten in ­Proll-Berlinerisch ausgesprochenes „Hör – uff!“

Unter Sprücheklopfern

Es behagt dir trotz des Erfolges nicht, das Militärische? Dann kleide deine Kommandos einfach in putzige Sprich- oder Reimwörter. Sage „Ende Gelände“, obwohl das eigentlich keinen Sinn ergibt. Behaupte, dass „die Laube“ oder „der Lack“ fertig seien. Sorge für ein bisschen Grusel mit „Aus die Maus!“ Reicht das nicht, dann werde deutlicher: „Klappe zu, Affe tot.“

Bei den Fertigen

Wenn du nicht gern viele Worte machst, dann nutze „Fertig“, das Universalwort für Schlussmachen. Sag es, und Schluss ist.

 

Foto: Eva Blanco Fotografia, photocase

Wir bauen eine neue Stadt Kopieren

Ein visionärer Blick auf die Zukunft der Pädagogik oder ein Beitrag über das Selbstverständliche, das alles andere als selbstverständlich ist: Drei Wochen Mini-München

Mit ungefähr 1500 Kindern warten wir morgens vor den Zenith-Hallen in München Freimann darauf, reingelassen zu werden. Bis Mittag wird man fast 2500 Kinder zählen. In den nächsten drei Wochen will ich mit meinem Kamerateam beobachten, was die Kinder in Mini-München alles machen. Wie sie es machen. Und was sich dabei in ihnen und zwischen ihnen sowie zwischen ihnen und den Erwachsenen abspielt.

Die Kinder stehen geduldig in der Schlange. An diesem ersten Ferientag scheint die Sonne. Wunderbare Augustsonne. Manche sind in Begleitung von Müttern oder Vätern gekommen. Viele sitzen auf dem Boden, beraten woran sie teilnehmen wollen. „Will ich diesmal Vollbürger werden?“ „Gehe ich lieber gleich arbeiten oder erst mal studieren?“ Sie füllen den Mini-München Mitspielpass aus oder lesen die Regeln. Die 10. heißt, „Wer Regeln aufstellt, kann sie auch verändern.“ Das macht die Bürgerversammlung. Es gibt schon viele Regeln und Traditionen, denn Mini-München findet in diesem Sommer zum 18. Mal statt. Alle zwei Jahre in den großen Ferien. Manche Eltern waren bereits als Kinder dabei. Viele der Betreuer auf dem Bauhof, im Rundfunkstudio oder im Gasthaus „Zur Fetten Sau“ sind Ehemalige.

Es wird fast noch eine Stunde bis zum Einlass dauern. Dann werden die Kinder ungefähr so reinstürmen, wie sie am letzten Schultag aus der Schule rausgerannt sind.

Nicht wenige waren schon vor zwei oder vier Jahren oder noch häufiger dabei. Sieben Jahre alt muss man sein und nicht älter als Fünfzehn. Von einigen hören wir, dass sie ihre Eltern überredet haben später in den Urlaub zu fahren, damit sie erst mal zu Mini-München können. Und nun wollen sie an den ersten Ferientagen oder die ganzen drei Wochen hier von morgens bis gegen Abend Dinge herstellen, ins Rathaus gehen, Geld verdienen, einkaufen, was so alles hergestellt wird. Es gibt eine Währung, den MiMü. Und ihren ganzen Alltag selbst regeln. Eltern bekommen nur ein Visum für eine halbe Stunde. Und das wird, wie man jetzt schon hört, streng, also mit Eifer und mit großer Freude von den Kindern kontrolliert. Schulfrei und elternfrei.

Mini-München hat bei den Kindern einen so umwerfend guten Ruf, dass man sich das einfach genauer ansehen muss. Wir haben schon einen Vorbereitungstag gefilmt und werden nun bis zum Ende drei Wochen jede Minute dabei sein. Eines ist schon klar. Wenn man wissen will, was Vorfreude ist, muss man jetzt in diese Gesichter blicken.

Ich schwanke noch, ob der Film eher ein visionärer Blick auf die Zukunft der Pädagogik sein wird, oder eine Studie über das Selbstverständliche. Dieses Selbstverständliche, das alles andere als selbstverständlich ist. Es gibt bedrückende Hinweise, dass das freie Spiel der Kinder so bedroht ist wie manches Biotop.

Der Hunger auf Welt

Nun geht’s los. Punkt 10 Uhr. Die Hallentore werden geöffnet. Die Kinder rennen. Manche rasen zum Ziel, das sie schon kennen. Es gibt das Rathaus und Handwerksbetriebe, das Gasthaus, die Comenius Hochschule und die Bank und das Arbeitsamt, auch Müllabfuhr, Theater, Kino und Fernsehen. 68 Einrichtungen. Die Kinder sind Bürgermeister und Taxifahrer, Gärtner und Hochschullehrer. Es gibt Märkte und Wahlen, Müllsammelaktionen und natürlich Feste. Das Botschaftsgebäude wird in diesem Jahr von Kindern aus Indien, Japan und europäischen Städten gestaltet. Dort gibt es nämlich Ableger dieser in München kreierten Idee. Zentral ist in diesem Jahr der Klimaschutz mit einem Wertstoffhof und einem Forschungsinstitut.  200 Erwachsene sind die Mentoren: Pädagogen, Künstler, Handwerker, Studenten und Wissenschaftler, kurz: erwachsen gewordene Erwachsene, Leute, bei denen die Kinder aus erster Hand die Dinge und das Können, also die Welt kennenlernen, auf die Kinder so hungrig sind.

Sie rennen in die Hallen, um an die besonders beliebten Jobs zu kommen. Zum Beispiel Taxifahrer auf seifenkistenartigen Gefährten. Oder auch Taxen reparieren. Wer dann anderswo arbeiten will, kündigt, bekommt einen Lohnscheck, der bei der Bank eingelöst wird. Die Arbeitskarte für diesen Arbeitsplatz geht zum Arbeitsamt, wo die Jobs nun tagsüber vermittelt werden.

Bank und Arbeitsamt

Mini München ist Fest und Alltag. Nur immerzu Fest wäre ja so schwer auszuhalten wie nichts als Alltag. Die Kids kommen freiwillig. Eine Festpflicht wäre so etwas wie ein Zwangsrestaurant mit Aufesszwang. Dort würden sich selbst bei guter Küche bald Essenstörungen ausbreiten.

Viele Kinder finden ihr Ding. So ein 14jähriger, der letztes Mal an die hundert Seiten Gesetzestext für die Kinderrepublik geschrieben hatte. Wo hat er das nur her? Die Kinder vertiefen sich in Themen. Diesmal haben einige den digitalen Geldverkehr entwickelt, den sie neben der gedruckten MiMü-Währung einführen wollen. Ein Expertenwerk. Kinder wechseln ihre Tätigkeiten. Auch weil sie etwas suchen, an dem sie hängen bleiben können. Aber sie wechseln nicht ständig im 45-Minutentakt des Stundenplans, als wäre der Vormittag ein Pro-ADHS-Training.

Das ewige Kind in uns

In der Comenius Hochschule lehrt Ellen Fritsche. Sie ist ein Fan von Mini-München. Schon seit Jahren. Sie spendet und ist dort „Professorin“. Professoren sind diejenigen, die Vorlesungen oder Kurse halten. Das machen Kinder, Jugendliche, Profis oder jemand wie Ellen Fritsche. Sie ist 88 Jahre alt und ohne Übertreibung, sie gehört in mancher Hinsicht zu den Jüngsten. Sie interessiert sich schon ihr Leben lang, exakt seit 1945, für Hände. Sie interessiert sich auch für vieles andere. Aber über Hände hat sie ein riesiges Wissen. Und Hände sind für sie ein mindestens ebenso großes Geheimnis geblieben. Sie ist mit den Händen nicht fertig. Von Händen kann sie was erzählen. Ihre Begeisterung und Neugierde haben nicht nachgelassen.

„17000 Fühlsensoren haben wir an unseren Händen.“ Die Kinder staunen. „Aber das kann sich natürlich niemand vorstellen“, fügt sie gleich hinzu. Deshalb hat sie kleine, einen Quadratzentimeter große Zettelchen ausgeschnitten und an die Kinder ausgegeben. „Auf einem Zentimeter Fingerkuppe gibt es 144 Sensoren.“ Das kann man sich schon eher vorstellen und deshalb auch merken. Frau Fritsche ist eine gute Lehrerin, was sie allerdings nie von Beruf war. Sie hatte eine Handschuhmanufaktur gegründet.

Ständig sind ihre Hände in Bewegung. Sie spricht nicht nur über Hände, sie spricht auch mit ihnen, erklärt wofür wir sie gebrauchen und was sie ausdrücken. Schon im Mutterbauch beginnt dieses Spiel und für das Baby sind dann die Finger das erste Spielzeug. Wie wunderbar in diesem Organ Tätigkeit und Wahrnehmung  zusammenliegen. Was wären wir ohne Hände? „Das müsst ihr euch mal vorstellen“, verlangt sie. Pause. Konzentration und Ruhe. Wache, nachdenkliche und dabei schöne Gesichter. Dann fordert sie die Kinder auf ihren Puls zu fühlen. „Was, du fühlst keinen?“ fragt sie mit superkräftiger Stimme. „Das ist ja furchtbar, dann bist du tot“. Aber tot ist hier natürlich niemand. Auch nicht so scheintot wie sonst häufig im Unterricht. Ellen Fritsche ist einfach ansteckend vitalisierend. Sie erinnert an Albert Einsteins Antwort auf die ihm gestellte Frage, wie er denn all das herausfinden und entdecken konnte. Er sagte: Weil ich immer das ewige Kind geblieben bin. Natürlich ist bei Albert Einstein und bei Ellen Fritsche sonnenklar, dass dieses ewige Kind nichts mit Infantilität zu tun hat. Im Gegenteil. Gelungene Erwachsene – im Unterschied zu den vielen Verwachsenen – haben nicht nur ihre Urteilskraft entwickelt, sie bieten diesem ewigen Kind Schutz. Sie haben es nicht abgetrieben. So werden sie immer wieder neu staunende, große Anfänger. Je mehr sie wissen, umso mehr Fragen haben sie. Sie sind eben nicht fertig. Das macht eine Ellen Fritsche oder einen Einstein mit den Kindern so verwandt. Die Kinder spüren diese Verwandtschaft sofort. Kinder brauchen solche Erwachsene.

Klimazentrum

Mit Leib und Seele

Nun sind wir schon ein paar Tage dabei. An einem Morgen so um neun, auf dem Weg von der U-Bahnstation Freimann zu den Zenith-Hallen. Vor mir drei Knirpse im Laufschritt, diese kindertypische Begeisterung.  Einer guckt auf die Uhr und sagt, „es sind noch genau 57 Minuten, wir können mehr trödeln“. Sie verlangsamen den Schritt. Der andere, „ne, die Warteschlangen sind doch immer so lang“. Der dritte, „dann lasst uns rennen“. Der erste wieder, „da sparen wir höchstens eine halbe Minute“. Dann sind sie wieder in diesem glücklichen Laufschritt. Bewegte Vorfreude. Vorfreude auf den Tag, Vorfreude auf Erlebnisse und Vorfreude auf sich selbst.

Werkzeugausgabe

Unsere erste Station ist diesmal die Gärtnerei. Die Kinder tragen Körbe mit Pflanzen ins Freie, gießen sie, erklären uns welche mit der Tülle, die jungen nämlich, und welche ohne, aber mit sanftem Strahl gegossen werden. So eine stolze Fachlichkeit. Auf dem Bauhof entsteht Klein-Mini-München. Hier bauen die Kinder Häuser, am Anfang Buden, dann verschachteltere Konstruktionen. Ein Zimmermann ist immer dabei. Außerdem wird an einem U-Boot Modell gearbeitet. Das brauchen die Trickfilmer. In der Küche werden Kartoffeln püriert. Butter, Quark und viel Schnittlauch werden zugesetzt. Das wird ein Brotaufstrich. Die Kellner probieren ihre bodenlangen, roten Schürzen an, nehmen sich Notizblöcke und werden nachher Bestellungen aufnehmen, bedienen und kassieren.

Erstaunlich ist die Hingabe der Kinder. Jeder findet seinen Platz, bleibt für ein paar Stunden, dann kann gewechselt werden. Die meisten in der Küche wollen dortbleiben. Andere wollen aber ebenfalls mal den Job in der Küche haben. Vielleicht ein Thema für die Bürgerversammlung am Nachmittag? Da können allerdings nur Vollbürger abstimmen. Die Vollbürgerschaft kann nach vier Stunden Arbeit, vier Stunden Studieren und einem „Zoff-Kurs“ beantragt werden. Dort lernt man Streits nicht eskalieren zu lassen.

Gerichtstag
Modenschau

Wie Schulen aussehen können

Damit sind wir wieder mitten in Mini-München und bei den Kindern. Wir sehen andauernd Kinder, die tief in eine Sache versunken sind. Zum Beispiel im Architekturbüro. Eben noch haben sie draußen Flächen vermessen, auf denen Häuser gebaut werden sollen. Da waren sie wach und agil. Nun sind sie übers Papier gebeugt, übertragen die Maße und bauen Modelle. Jetzt könnte ein Schrank neben ihnen umfallen und sie blieben unbeeindruckt. Weder das Dorfplatztreiben noch ein Kameramann, der nah an sie herangeht, lässt sie aufblicken. Maria Montessori nannte das die Polarisierung der Aufmerksamkeit.

Das Geheimnis von Mini-München ist, dass die Dinge, die Tätigkeiten und die Ziele selbst wichtig und wertvoll sind. Dann wollen viele Kinder um 17 Uhr nicht nach Hause und stehen am nächsten Morgen zu Hunderten lange vor der Öffnung in der Schlange.

Die Zeit bei Mini-München vergeht schnell. Am auffälligsten ist die Haltung der Kinder. Diese schier unglaubliche Aufmerksamkeit. Ihre Intensität. Anderes als die in der Schule mit zumeist nur sitzenden Schülern, die einen Kopf zu transportieren haben und ansonsten ruhiggestellt werden, hier diese bewegten, friedlichen und zusammen handelnden „ganzen Kinder“! Nicht einmal hörte ich in dieser Woche den Kommandoruf „Ruhe!“ Auch keine Disziplinprobleme sind aufgefallen. Die Kinder sind nicht im Status der sie ungerührt lassenden Vorratsdatenspeicherung. Sie sind ganz gegenwärtig. Sie sind in der Welt. Die wird ihnen nicht aus zweiter Hand gereicht. Sie wird tätig erfahren. Die Möglichkeit seine Erfahrungen zu machen, und dann aus den Erfahrungen was Anderes zu machen, Lösungen, etwas Neues oder etwas ganz Anderes. Einigen Ehemaligen, die sich an einem Nachmittag trafen, fiel auf, dass sie kein Kind mit einem Smartphone in der Hand gesehen haben.

Mini-München ist ein Labor des Lernens, Denkens und Handelns und muss unbedingt als solches entdeckt werden. Weil die Kinder handeln wollen, denken sie und dabei lernen sie. Viele, auch in München glauben ja immer noch, das sei eine sehr schöne und ziemlich aufwendige Ferienbetreuung. Keine Betreuung! Mini-München verhält sich zur Schule nicht wie Freizeit zur Arbeit, es verhält sich zu ihr eher wie die Grammatik der Industriegesellschaft zu der einer nachindustriellen Tätigkeitsgesellschaft, die hier, das ist das Großartige, gebildet wird. Man bekommt eine Idee davon, wie eine Schule aussehen könnte. Eine aus Werkstätten, Ateliers, Übungsräumen, auch Cafés und Räumen der Stille. In so einer Schule wären Lehrer auch Menschensammler. Sie holen Experten, Meister ihrer Sache, also Botschafter aus der tätigen Welt hinein und führen die Kinder nach draußen zu interessanten Orten. Die Schule selbst wäre ein Basislager der Gesellschaft, ein generativer Ort, an dem die Generationen zusammenkommen und Neues generieren. Und wie wichtig sind doch die Lebendigkeit und die Neugier von Kindern für uns Erwachsene! Es wäre ein Geben und Nehmen.

Geldwechsler

Die Kinder stoßen zu den Dingen, zu den Phänomenen selbst vor. Deshalb sind sie so begeistert. Sie verwandeln die Dinge. Das nennen sie Arbeit. Und Lernen ist, dass sie sich die Dinge und die Erfahrungen und das Wissen anverwandeln. Dabei werden sie nach ein paar Tagen einen Kopf größer. Diesen Satz habe ich mehrfach gehört. Auch von einer Redakteurin des Bayrischen Rundfunks. Sie macht hier mit den Kindern eine tägliche Radiosendung „radioMikro“ und sie hat ihren Sohn mitgebracht, der in die erste Klasse geht. In der Schule, sagt sie, begann er sich schon mehr und mehr zu langweilen und war frustriert, weil er sich nicht mehr wie im Kindergarten frei bewegen und seine Sachen machen konnte. Hier ist er glücklich, emsig, hier ist ihm nicht langweilig und nach ein paar Tagen ist er „einen Kopf größer.“

Und was kommt dabei raus, wenn Kinder ihre Sachen machen, ihr Ding finden und es weiter und weitertreiben? Die Redakteurin selbst war als achtjähriges Kind erstmals bei Mini-München dabei. Da wollte sie zuerst nichts Anderes als in der Küche „Zur Fetten Sau“ arbeiten. „Immer nur umrühren.“ In den folgenden Jahren kam für sie anderes hinzu. Sein Ding zu finden ist eben keine lineare oder einmalige Angelegenheit. Eigentlich müsste man dafür einen neuen Begriff erfinden: Die positive Traumatisierung. Oder einfach: Glück.

PS. Das ist natürlich nur ein Ausschnitt von dem, was wir gesehen haben und filmen konnten. Und auch nur ein Teil der Gedanken, die dann auf Papier im DVD-Buch stehen werden. Mehr Infos:

Wir bauen eine neue Stadt Kopieren

Ein visionärer Blick auf die Zukunft der Pädagogik oder ein Beitrag über das Selbstverständliche, das alles andere als selbstverständlich ist: Drei Wochen Mini-München

Mit ungefähr 1500 Kindern warten wir morgens vor den Zenith-Hallen in München Freimann darauf, reingelassen zu werden. Bis Mittag wird man fast 2500 Kinder zählen. In den nächsten drei Wochen will ich mit meinem Kamerateam beobachten, was die Kinder in Mini-München alles machen. Wie sie es machen. Und was sich dabei in ihnen und zwischen ihnen sowie zwischen ihnen und den Erwachsenen abspielt.

Die Kinder stehen geduldig in der Schlange. An diesem ersten Ferientag scheint die Sonne. Wunderbare Augustsonne. Manche sind in Begleitung von Müttern oder Vätern gekommen. Viele sitzen auf dem Boden, beraten woran sie teilnehmen wollen. „Will ich diesmal Vollbürger werden?“ „Gehe ich lieber gleich arbeiten oder erst mal studieren?“ Sie füllen den Mini-München Mitspielpass aus oder lesen die Regeln. Die 10. heißt, „Wer Regeln aufstellt, kann sie auch verändern.“ Das macht die Bürgerversammlung. Es gibt schon viele Regeln und Traditionen, denn Mini-München findet in diesem Sommer zum 18. Mal statt. Alle zwei Jahre in den großen Ferien. Manche Eltern waren bereits als Kinder dabei. Viele der Betreuer auf dem Bauhof, im Rundfunkstudio oder im Gasthaus „Zur Fetten Sau“ sind Ehemalige.

Es wird fast noch eine Stunde bis zum Einlass dauern. Dann werden die Kinder ungefähr so reinstürmen, wie sie am letzten Schultag aus der Schule rausgerannt sind.

Nicht wenige waren schon vor zwei oder vier Jahren oder noch häufiger dabei. Sieben Jahre alt muss man sein und nicht älter als Fünfzehn. Von einigen hören wir, dass sie ihre Eltern überredet haben später in den Urlaub zu fahren, damit sie erst mal zu Mini-München können. Und nun wollen sie an den ersten Ferientagen oder die ganzen drei Wochen hier von morgens bis gegen Abend Dinge herstellen, ins Rathaus gehen, Geld verdienen, einkaufen, was so alles hergestellt wird. Es gibt eine Währung, den MiMü. Und ihren ganzen Alltag selbst regeln. Eltern bekommen nur ein Visum für eine halbe Stunde. Und das wird, wie man jetzt schon hört, streng, also mit Eifer und mit großer Freude von den Kindern kontrolliert. Schulfrei und elternfrei.

Mini-München hat bei den Kindern einen so umwerfend guten Ruf, dass man sich das einfach genauer ansehen muss. Wir haben schon einen Vorbereitungstag gefilmt und werden nun bis zum Ende drei Wochen jede Minute dabei sein. Eines ist schon klar. Wenn man wissen will, was Vorfreude ist, muss man jetzt in diese Gesichter blicken.

Ich schwanke noch, ob der Film eher ein visionärer Blick auf die Zukunft der Pädagogik sein wird, oder eine Studie über das Selbstverständliche. Dieses Selbstverständliche, das alles andere als selbstverständlich ist. Es gibt bedrückende Hinweise, dass das freie Spiel der Kinder so bedroht ist wie manches Biotop.

Der Hunger auf Welt

Nun geht’s los. Punkt 10 Uhr. Die Hallentore werden geöffnet. Die Kinder rennen. Manche rasen zum Ziel, das sie schon kennen. Es gibt das Rathaus und Handwerksbetriebe, das Gasthaus, die Comenius Hochschule und die Bank und das Arbeitsamt, auch Müllabfuhr, Theater, Kino und Fernsehen. 68 Einrichtungen. Die Kinder sind Bürgermeister und Taxifahrer, Gärtner und Hochschullehrer. Es gibt Märkte und Wahlen, Müllsammelaktionen und natürlich Feste. Das Botschaftsgebäude wird in diesem Jahr von Kindern aus Indien, Japan und europäischen Städten gestaltet. Dort gibt es nämlich Ableger dieser in München kreierten Idee. Zentral ist in diesem Jahr der Klimaschutz mit einem Wertstoffhof und einem Forschungsinstitut.  200 Erwachsene sind die Mentoren: Pädagogen, Künstler, Handwerker, Studenten und Wissenschaftler, kurz: erwachsen gewordene Erwachsene, Leute, bei denen die Kinder aus erster Hand die Dinge und das Können, also die Welt kennenlernen, auf die Kinder so hungrig sind.

Sie rennen in die Hallen, um an die besonders beliebten Jobs zu kommen. Zum Beispiel Taxifahrer auf seifenkistenartigen Gefährten. Oder auch Taxen reparieren. Wer dann anderswo arbeiten will, kündigt, bekommt einen Lohnscheck, der bei der Bank eingelöst wird. Die Arbeitskarte für diesen Arbeitsplatz geht zum Arbeitsamt, wo die Jobs nun tagsüber vermittelt werden.

Bank und Arbeitsamt

Mini München ist Fest und Alltag. Nur immerzu Fest wäre ja so schwer auszuhalten wie nichts als Alltag. Die Kids kommen freiwillig. Eine Festpflicht wäre so etwas wie ein Zwangsrestaurant mit Aufesszwang. Dort würden sich selbst bei guter Küche bald Essenstörungen ausbreiten.

Viele Kinder finden ihr Ding. So ein 14jähriger, der letztes Mal an die hundert Seiten Gesetzestext für die Kinderrepublik geschrieben hatte. Wo hat er das nur her? Die Kinder vertiefen sich in Themen. Diesmal haben einige den digitalen Geldverkehr entwickelt, den sie neben der gedruckten MiMü-Währung einführen wollen. Ein Expertenwerk. Kinder wechseln ihre Tätigkeiten. Auch weil sie etwas suchen, an dem sie hängen bleiben können. Aber sie wechseln nicht ständig im 45-Minutentakt des Stundenplans, als wäre der Vormittag ein Pro-ADHS-Training.

Das ewige Kind in uns

In der Comenius Hochschule lehrt Ellen Fritsche. Sie ist ein Fan von Mini-München. Schon seit Jahren. Sie spendet und ist dort „Professorin“. Professoren sind diejenigen, die Vorlesungen oder Kurse halten. Das machen Kinder, Jugendliche, Profis oder jemand wie Ellen Fritsche. Sie ist 88 Jahre alt und ohne Übertreibung, sie gehört in mancher Hinsicht zu den Jüngsten. Sie interessiert sich schon ihr Leben lang, exakt seit 1945, für Hände. Sie interessiert sich auch für vieles andere. Aber über Hände hat sie ein riesiges Wissen. Und Hände sind für sie ein mindestens ebenso großes Geheimnis geblieben. Sie ist mit den Händen nicht fertig. Von Händen kann sie was erzählen. Ihre Begeisterung und Neugierde haben nicht nachgelassen.

„17000 Fühlsensoren haben wir an unseren Händen.“ Die Kinder staunen. „Aber das kann sich natürlich niemand vorstellen“, fügt sie gleich hinzu. Deshalb hat sie kleine, einen Quadratzentimeter große Zettelchen ausgeschnitten und an die Kinder ausgegeben. „Auf einem Zentimeter Fingerkuppe gibt es 144 Sensoren.“ Das kann man sich schon eher vorstellen und deshalb auch merken. Frau Fritsche ist eine gute Lehrerin, was sie allerdings nie von Beruf war. Sie hatte eine Handschuhmanufaktur gegründet.

Ständig sind ihre Hände in Bewegung. Sie spricht nicht nur über Hände, sie spricht auch mit ihnen, erklärt wofür wir sie gebrauchen und was sie ausdrücken. Schon im Mutterbauch beginnt dieses Spiel und für das Baby sind dann die Finger das erste Spielzeug. Wie wunderbar in diesem Organ Tätigkeit und Wahrnehmung  zusammenliegen. Was wären wir ohne Hände? „Das müsst ihr euch mal vorstellen“, verlangt sie. Pause. Konzentration und Ruhe. Wache, nachdenkliche und dabei schöne Gesichter. Dann fordert sie die Kinder auf ihren Puls zu fühlen. „Was, du fühlst keinen?“ fragt sie mit superkräftiger Stimme. „Das ist ja furchtbar, dann bist du tot“. Aber tot ist hier natürlich niemand. Auch nicht so scheintot wie sonst häufig im Unterricht. Ellen Fritsche ist einfach ansteckend vitalisierend. Sie erinnert an Albert Einsteins Antwort auf die ihm gestellte Frage, wie er denn all das herausfinden und entdecken konnte. Er sagte: Weil ich immer das ewige Kind geblieben bin. Natürlich ist bei Albert Einstein und bei Ellen Fritsche sonnenklar, dass dieses ewige Kind nichts mit Infantilität zu tun hat. Im Gegenteil. Gelungene Erwachsene – im Unterschied zu den vielen Verwachsenen – haben nicht nur ihre Urteilskraft entwickelt, sie bieten diesem ewigen Kind Schutz. Sie haben es nicht abgetrieben. So werden sie immer wieder neu staunende, große Anfänger. Je mehr sie wissen, umso mehr Fragen haben sie. Sie sind eben nicht fertig. Das macht eine Ellen Fritsche oder einen Einstein mit den Kindern so verwandt. Die Kinder spüren diese Verwandtschaft sofort. Kinder brauchen solche Erwachsene.

Klimazentrum

Mit Leib und Seele

Nun sind wir schon ein paar Tage dabei. An einem Morgen so um neun, auf dem Weg von der U-Bahnstation Freimann zu den Zenith-Hallen. Vor mir drei Knirpse im Laufschritt, diese kindertypische Begeisterung.  Einer guckt auf die Uhr und sagt, „es sind noch genau 57 Minuten, wir können mehr trödeln“. Sie verlangsamen den Schritt. Der andere, „ne, die Warteschlangen sind doch immer so lang“. Der dritte, „dann lasst uns rennen“. Der erste wieder, „da sparen wir höchstens eine halbe Minute“. Dann sind sie wieder in diesem glücklichen Laufschritt. Bewegte Vorfreude. Vorfreude auf den Tag, Vorfreude auf Erlebnisse und Vorfreude auf sich selbst.

Werkzeugausgabe

Unsere erste Station ist diesmal die Gärtnerei. Die Kinder tragen Körbe mit Pflanzen ins Freie, gießen sie, erklären uns welche mit der Tülle, die jungen nämlich, und welche ohne, aber mit sanftem Strahl gegossen werden. So eine stolze Fachlichkeit. Auf dem Bauhof entsteht Klein-Mini-München. Hier bauen die Kinder Häuser, am Anfang Buden, dann verschachteltere Konstruktionen. Ein Zimmermann ist immer dabei. Außerdem wird an einem U-Boot Modell gearbeitet. Das brauchen die Trickfilmer. In der Küche werden Kartoffeln püriert. Butter, Quark und viel Schnittlauch werden zugesetzt. Das wird ein Brotaufstrich. Die Kellner probieren ihre bodenlangen, roten Schürzen an, nehmen sich Notizblöcke und werden nachher Bestellungen aufnehmen, bedienen und kassieren.

Erstaunlich ist die Hingabe der Kinder. Jeder findet seinen Platz, bleibt für ein paar Stunden, dann kann gewechselt werden. Die meisten in der Küche wollen dortbleiben. Andere wollen aber ebenfalls mal den Job in der Küche haben. Vielleicht ein Thema für die Bürgerversammlung am Nachmittag? Da können allerdings nur Vollbürger abstimmen. Die Vollbürgerschaft kann nach vier Stunden Arbeit, vier Stunden Studieren und einem „Zoff-Kurs“ beantragt werden. Dort lernt man Streits nicht eskalieren zu lassen.

Gerichtstag
Modenschau

Wie Schulen aussehen können

Damit sind wir wieder mitten in Mini-München und bei den Kindern. Wir sehen andauernd Kinder, die tief in eine Sache versunken sind. Zum Beispiel im Architekturbüro. Eben noch haben sie draußen Flächen vermessen, auf denen Häuser gebaut werden sollen. Da waren sie wach und agil. Nun sind sie übers Papier gebeugt, übertragen die Maße und bauen Modelle. Jetzt könnte ein Schrank neben ihnen umfallen und sie blieben unbeeindruckt. Weder das Dorfplatztreiben noch ein Kameramann, der nah an sie herangeht, lässt sie aufblicken. Maria Montessori nannte das die Polarisierung der Aufmerksamkeit.

Das Geheimnis von Mini-München ist, dass die Dinge, die Tätigkeiten und die Ziele selbst wichtig und wertvoll sind. Dann wollen viele Kinder um 17 Uhr nicht nach Hause und stehen am nächsten Morgen zu Hunderten lange vor der Öffnung in der Schlange.

Die Zeit bei Mini-München vergeht schnell. Am auffälligsten ist die Haltung der Kinder. Diese schier unglaubliche Aufmerksamkeit. Ihre Intensität. Anderes als die in der Schule mit zumeist nur sitzenden Schülern, die einen Kopf zu transportieren haben und ansonsten ruhiggestellt werden, hier diese bewegten, friedlichen und zusammen handelnden „ganzen Kinder“! Nicht einmal hörte ich in dieser Woche den Kommandoruf „Ruhe!“ Auch keine Disziplinprobleme sind aufgefallen. Die Kinder sind nicht im Status der sie ungerührt lassenden Vorratsdatenspeicherung. Sie sind ganz gegenwärtig. Sie sind in der Welt. Die wird ihnen nicht aus zweiter Hand gereicht. Sie wird tätig erfahren. Die Möglichkeit seine Erfahrungen zu machen, und dann aus den Erfahrungen was Anderes zu machen, Lösungen, etwas Neues oder etwas ganz Anderes. Einigen Ehemaligen, die sich an einem Nachmittag trafen, fiel auf, dass sie kein Kind mit einem Smartphone in der Hand gesehen haben.

Mini-München ist ein Labor des Lernens, Denkens und Handelns und muss unbedingt als solches entdeckt werden. Weil die Kinder handeln wollen, denken sie und dabei lernen sie. Viele, auch in München glauben ja immer noch, das sei eine sehr schöne und ziemlich aufwendige Ferienbetreuung. Keine Betreuung! Mini-München verhält sich zur Schule nicht wie Freizeit zur Arbeit, es verhält sich zu ihr eher wie die Grammatik der Industriegesellschaft zu der einer nachindustriellen Tätigkeitsgesellschaft, die hier, das ist das Großartige, gebildet wird. Man bekommt eine Idee davon, wie eine Schule aussehen könnte. Eine aus Werkstätten, Ateliers, Übungsräumen, auch Cafés und Räumen der Stille. In so einer Schule wären Lehrer auch Menschensammler. Sie holen Experten, Meister ihrer Sache, also Botschafter aus der tätigen Welt hinein und führen die Kinder nach draußen zu interessanten Orten. Die Schule selbst wäre ein Basislager der Gesellschaft, ein generativer Ort, an dem die Generationen zusammenkommen und Neues generieren. Und wie wichtig sind doch die Lebendigkeit und die Neugier von Kindern für uns Erwachsene! Es wäre ein Geben und Nehmen.

Geldwechsler

Die Kinder stoßen zu den Dingen, zu den Phänomenen selbst vor. Deshalb sind sie so begeistert. Sie verwandeln die Dinge. Das nennen sie Arbeit. Und Lernen ist, dass sie sich die Dinge und die Erfahrungen und das Wissen anverwandeln. Dabei werden sie nach ein paar Tagen einen Kopf größer. Diesen Satz habe ich mehrfach gehört. Auch von einer Redakteurin des Bayrischen Rundfunks. Sie macht hier mit den Kindern eine tägliche Radiosendung „radioMikro“ und sie hat ihren Sohn mitgebracht, der in die erste Klasse geht. In der Schule, sagt sie, begann er sich schon mehr und mehr zu langweilen und war frustriert, weil er sich nicht mehr wie im Kindergarten frei bewegen und seine Sachen machen konnte. Hier ist er glücklich, emsig, hier ist ihm nicht langweilig und nach ein paar Tagen ist er „einen Kopf größer.“

Und was kommt dabei raus, wenn Kinder ihre Sachen machen, ihr Ding finden und es weiter und weitertreiben? Die Redakteurin selbst war als achtjähriges Kind erstmals bei Mini-München dabei. Da wollte sie zuerst nichts Anderes als in der Küche „Zur Fetten Sau“ arbeiten. „Immer nur umrühren.“ In den folgenden Jahren kam für sie anderes hinzu. Sein Ding zu finden ist eben keine lineare oder einmalige Angelegenheit. Eigentlich müsste man dafür einen neuen Begriff erfinden: Die positive Traumatisierung. Oder einfach: Glück.

PS. Das ist natürlich nur ein Ausschnitt von dem, was wir gesehen haben und filmen konnten. Und auch nur ein Teil der Gedanken, die dann auf Papier im DVD-Buch stehen werden. Mehr Infos:

Bilderrätsel

Welchen Begriff aus der Pädagogik haben wir im übertragenen Sinn collagiert? Die Buchstaben in den hellen Kästchen ergeben den Lösungsbegriff. Unter Ausschluss des Rechtsweges verlosen wir 10 x das Buch „Wilde Tiere in der Kita“ von Herbert Österreicher.

PS: In Heft 4/2019 suchten wir den Begriff: Mobbing.
Die Redaktion gratuliert allen Gewinnerinnen und Gewinnern.

 

Schickt eure Lösung per Post an:
wamiki
Was mit Kindern GmbH
Kreuzstr. 4 ∫ 13187 Berlin
oder per E-Mail an: info@wamiki.de
Stichwort: Bilderrätsel.
Einsendeschluss ist der 31. Dezember 2019.

Das Tablet

DER JUNGE geht seit einem Jahr in den Kindergarten. Weil er da ist, konnte der Kindergarten eine zusätzliche Kraft einstellen.

Der Junge spricht nicht mit dem Mund. Er kommuniziert über ein Tablet. Auf das Tablet ist eine besondere App geladen.

Dreimal hat die Mutter die Erzieherinnen in die Benutzung eingewiesen. Auch eine Beraterin für Unterstützte Kommunikation war schon da. Trotzdem wird das Tablet kaum benutzt. Wenn die Mutter nachfragt, warum nicht, hört sie:

„Heute waren wir nur zu zweit.“

„Das Tablet geht ja immer wieder aus…“
oder

„Wir haben heute nur draußen gespielt, da stört es.“

Vor den Ferien gab es wieder einmal ein ausführliches Gespräch darüber, wie wichtig das Tablet für den Jungen ist. Denn nur so kann er sich ausdrücken.

Nun sind die Ferien vorbei und die Mutter ist gut erholt und guter Dinge. Sie bringt ihren Sohn in die Gruppe und legt das Tablet auf den Erzieherinnen-Tisch. Eine Erzieherin, die zusätzliche Kraft, schaut mit großen Augen erst auf das Tablet, dann auf die Mutter und sagt:

„Also, ob wir das mit dem Tablet diese Woche schaffen, kann ich nicht garantieren. Wir gewöhnen jetzt doch die neuen Kinder ein!“

Der Kinder- Kalender 2020

Kalender

Einzigartig und mehrfach ausgezeichnet: Jede Woche ein Gedicht aus der weiten Welt in der Originalsprache mit deutscher Übersetzung und mit der Originalillustration. Wieder hat das weltweit vernetzte, findige Lektorat der berühmten, einst von Jella Lepman gegründeten Internationalen Jugendbibliothek in München aus ihrem riesigen Fundus Gedichte aus über 30 Ländern ausgewählt, von Finnland bis Senegal, Kanada bis Südkorea – ein einmaliges Panorama internationaler Kinderlyrik. Der Frankfurter Gestalter Max Bartholl hat daraus wieder ein wunderschönes, farbenfrohes Ensemble gezaubert.

53 Momente aus der internationalen Welt der Kinderlyrik. Eine Woche lang gereimte und ungereimte, witzige und nachdenkliche Gedichte zum Laut- und Leise-Lesen, zum Auswendiglernen, zum Lachen und Träumen. Und für alle dichtenden und zeichnenden Kinder gibt es extra ein leeres Blatt, auf dem sich alle verwirklichen können. Die besten Blätter werden prämiert.