Mein Erziehungspartner will sich verändern

Hier werden Rechtsfragen aus der Pädagogik verhandelt. Diesmal geht es darum, ob Eltern Veränderungen des Kita-Konzepts hinnehmen müssen oder nicht.

Es ist mucksmäuschenstill im abendlichen Gruppenraum. 30 Elternteile hocken auf den Stühlchen, in den Köpfen die Worte aus dem Einladungsschreiben: Sonderelternabend… wichtige Veränderung… konzeptioneller Neuanfang… partizipative Prozesse. Alle fragen sich:

Was wird Helga uns da gleich verkünden? Nur Sören denkt: Gibt’s danach Feierabendbier?

Endlich geht es los. Helga holt tief Luft: Atmung kontrollieren! Sie versucht, allen Eltern so ins Gesicht zu schauen, wie neulich im Coaching geübt. „Unser Kindergarten steht vor einer großen Veränderung“, hebt sie an. „Die letzte Evaluation hatte ergeben, dass wir uns mehr mit Partizipation beschäftigen müssen. Wir haben uns beraten und finden, dass wir als ersten Schritt zur Mitbestimmung unser Konzept öffnen. Das heißt: Die Kinder können sich Räume und Spielpartner aussuchen, können entscheiden, mit wem sie Mittag essen und ob sie einen Mittagsschlaf benötigen. Ich denke, diese Veränderung trifft die Bedürfnisse Ihrer Kinder.“ Helga räuspert sich, schaut mit dem Coaching-Blick in die Runde und fragt: „Möchten Sie dazu etwas sagen?“

Wenn ich die Kinder bloß ein einziges Mal so ruhig bekäme wie jetzt die Eltern, denkt Helga in die Grabesstille hinein. Zwei Straßen weiter fährt die M12 vorbei. Deutlic

h hört man auch das Zischeln des Kaffees am Deckel der Thermoskanne.

„Erfreulich ist ja“, bricht Gunnar das Schweigen, „dass auch Sie durchaus – ähem! – Verbesserungspotenziale sehen. Allerdings sehen wir Eltern diese nicht unbedingt – hüstel! – in einem Zuviel an Struktur. Sollten wir nicht gerade die wichtigen Gruppenstrukturen bewahren und gemeinsam beraten, wo wirklich etwas verbessert werden könnte?“

„Zu unserer ‚Flohkiste ‘ passt dieser Öffnungs-Quatsch nicht“, konkretisiert Johanna.

Helga greift ein: „Das bisherige Konzept entspricht leider nicht mehr dem aktuellen pädagogischen Stand. Das hat auch unsere Evaluatorin gesagt. Und Sie als Eltern haben ein Recht auf zeitgemäße, moderne Pä…“

Gunnar unterbricht: „Wenn es darum geht – kein Problem. Wir bestätigen Ihnen gerne schriftlich, dass wir darauf verzichten, unsere Kinder nach dem aktuellen Konzept betreuen zu lassen und lieber so eine Art… Wie sagt man…“

„Retro-Pädagogik“, schlägt Holger vor. „Oder ist das Vintage-Pädagogik?“

„Ich würde es das Manufactum-Prinzip der Pädagogik nennen“, bringt Susi ein. „Die guten Erziehungsmethoden – es gibt sie noch!“

„Klingt klasse“, ist man sich einig. Da ertönt Manfreds Bass: „Hiermit zur Wahl gestellt…“, alle Eltern heben die Hand, „und angenommen!“

Als Helga protestieren will, sagt Anke scharf: „Sie reden immer nur von Partizipation. Jetzt haben Sie sie!“

____ Lars Ihlenfeld — Kitarechtler, antwortet:

Wir würden dringend empfehlen, eine einstweilige Verfügung gegen die in Kampfabstimmung erwirkte pädagogische Rückwärtsrolle zu beantragen.

Nicht nur im Rahmen einer pädagogischen Evaluation spielt Partizipation eine Rolle. Es geht dabei auch um hard facts, genauer: um die Betriebserlaubnis. Paragraf 45, Abs. 2, Nr. 3 SGB VIII enthält seit dem Inkrafttreten des Bundeskinderschutzgesetzes am 1. 1. 2012 die Bedingung für die Erteilung und die Aufrechterhaltung der BE (wie der Profi sagt), dass Verfahren zur Beteiligung (und Beschwerde) in eigenen Angelegenheiten konzeptionell verankert und natürlich auch gelebt werden. Weiterer Konkretisierungen hat sich der Gesetzgeber enthalten und damit den Trägern weitestgehend Freiheit bei der Ausgestaltung dieser Vorgabe gelassen. Es besteht aber Einigkeit, dass die Kinder mindestens bei den Grundbedürfnissen – zum Beispiel „Bin ich so müde, dass ich schlafen will?“ und „Was und wie viel möchte ich essen?“ – selbst entscheiden, Schlaf und Essenfassen also nicht über ihre Köpfe hinweg angeordnet werden. Da die Kita „Flohkiste“ offenbar auch an diesen Stellen Nachbesserungsbedarf in Sachen Partizipation hat, dürfte eine Änderung für den Bestand der Einrichtung existenziell sein und der Änderungsbedarf das Retro-Bedürfnis – eventuell ein Ausgleich für heimische Grenzenlosigkeiten? – deutlich überwiegen.

Wie aber sähe es mit weniger dringlichen konzeptionellen Änderungen aus?

Das pädagogische Konzept wird – ob ausdrücklich oder stillschweigend vereinbart – Teil des Betreuungsvertragsverhältnisses zwischen Sorgeberechtigten und Träger. Damit ist es auch Grundlage der pädagogischen Arbeit, die die Eltern vom Träger und seinen Fachkräften verlangen können. Dem Träger steht es allerdings im Rahmen seiner grundgesetzlich verankerten „Berufsfreiheit“ – Art. 12 GG – offen, das zu ändern. Nach Verabschiedung wird auf dieser neuen Basis betreut und gefördert. Den Eltern oder sonstigen Erziehungsberechtigten steht dann gegebenenfalls ein Sonderkündigungsrecht zu.

Die meisten Kita-Gesetze der einzelnen Bundesländer sehen leicht variierende Formen der Mitwirkung beziehungsweise Beteiligung vor. So will zum Beispiel das Berliner KitaFöG, dass Eltern „in Fragen der Konzeption und deren organisatorischer und pädagogischer Umsetzung (…) zu beteiligen“ (Paragraf 14, KitaFöG) sind.

Beteiligung heißt allerdings nicht Mitbestimmung. Darf ich mich beteiligen, muss mich der Träger – wie Helga das gemacht hat – über geplante Änderungen informieren und meine Hinweise zur Kenntnis nehmen. Danach richten muss er sich aber nicht.

Eine Ausnahme von dieser Beschränkung der Eltern-Rechte auf die oben genannte Mitwirkung bietet Sachsen-Anhalt seinen Eltern mit Kita-Kindern. Das anhaltinische Kifög kennt das Institut des Kuratoriums (Paragraf 19). Es setzt sich aus Elternvertretern, der Leitung und einer Vertreterin des Trägers zusammen und hat unter anderem bei der Festlegung der Öffnungs- und Schließzeiten, bei der Änderung der Art und des Umfangs der Verpflegung und auch bei der Änderung der Konzeption ein echtes Mitbestimmungsrecht. Danach ist die Umsetzung einer konzeptionellen Änderung tatsächlich von der Zustimmung dieses Gremiums abhängig.

Auf einem einfachen Elternabend jedoch, auch wenn er noch so viele „Sonder-“ davor hat, können nicht in ein Gremium gewählte oder mit einem Amt ausgestatte Eltern keine wirksame Änderung des Konzepts erzwingen.

Zusammenfassend lässt sich mithin feststellen, dass der einzureichende Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung gegen die adhoc-Änderung des Konzepts der „Flohkiste“ schon wegen Verfahrensfehlern hinreichend Aussicht auf Erfolg hätte.

 

Text: Michael Fink und Lars Ihlenfeld

 

Foto: jock+scott / photocase.com

Angst — Eine Ermutigung

Warum sind wir, wie wir sind? Und warum stoßen wir damit nicht nur auf Gegenliebe? Erinnerungen an missliche Situationen, Erkenntnisse über Verhaltensweisen, Erfahrungen mit Lösungsmöglichkeiten und Umsetzungstipps – Aline Kramer-Pleßke, Supervisorin und Coach, möchte dazu beitragen, dass wir unsere Potenziale entdecken, unsere Ressourcen stärken, emotionale Entlastung finden und souveräner handeln können. Erinnerungen Als Kind rannte…

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Es war wie ein Weltuntergang

Was sagen Kinder, wenn sich ihre Eltern trennen und scheiden lassen?

 

1

Was hast du als Erstes gedacht, als deine Eltern dir von der Trennung erzählten?

Es war ein wie ein Weltuntergang.

Am liebsten hätte ich auf den Tisch gehauen, so dass alles hoch fliegt.

Ich habe es nicht geglaubt.

Haben die beiden sich das auch richtig überlegt?

Ich war ziemlich traurig.

Jetzt gibt es weniger Probleme.

Als ich die Nachricht gehört hatte, wusste ich nicht, was ich machen sollte.

Es ist doof, dass wir nun umziehen müssen.

Gut, dann ist der Streit endlich vorbei und meine Eltern müssen sich nicht mehr ärgern.

2

Was war blöd an der Trennung?

Man kann nichts mehr zusammen machen,
so wie früher.

Die Gerichtsprozesse.

Ich muss ständig daran denken, dass jetzt alles
kaputt ist.

Wir sitzen nur noch zu zweit am Frühstückstisch.

Ich hatte Angst zu sagen, dass ich den anderen vermisse.

3

Was war gut an der Trennung?

Nichts.

Ich mag mein neues Zuhause mehr als mein altes.

Ich habe nun zwei verschiedene Leben.
Eins bei Papa und eins bei Mama.

Nichts.

Mein Papa mag keine Tiere, aber ich.

Bei Mama habe ich nun einen kleinen Hund.

4

Hast du Tipps für Kinder, deren Eltern sich gerade trennen?

Lass es locker angehen. Mach weiter wie immer.

Wenn du im Bett liegst und hörst, dass sie streiten, und du kannst deswegen nicht schlafen: Mach eine CD an, ganz laut, oder lies, so dass du den Streit nicht mehr hörst.

Lass dich nicht in den Streit deiner Eltern hineinziehen.

Halte zu beiden Eltern gleich.

Es wird mit der Zeit besser.

Besprich mit deinen Eltern, dass sie nicht so weit
voneinander wegziehen.

Sag Beiden, dass du sie gleich stark magst, aber du auch genauso stark von ihnen enttäuscht bist.

Hör in dich rein und sag nicht immer: Alles ist gut!

Zeig deinen Eltern, wie es dir geht.

 

Und was wird jetzt mit mir?

Warum lassen sich Menschen scheiden?

Bin ich schuld am Streit oder an der Trennung?

Was kann ich tun, wenn es Streit gibt?

Lieben sich meine Eltern noch?

Sind wir jetzt noch eine richtige Familie?

Was, wenn nur einer die Trennung will?

Haben sich meine Eltern jetzt noch lieb?

Kann ich selbst entscheiden, wo ich wohnen möchte?

Muss ich meinen Freunden von der Trennung erzählen?

Wie lange dauert eine Scheidung?

Wird sich jetzt alles ändern?

Werden wir noch genug Geld haben?

Wie kann ich meinen Eltern helfen?

Warum tut mein Bauch so oft weh?

Wie schaffe ich es, beim Pendeln an alles zu denken?

Gibt es irgendwas Gutes an einer Trennung?

Warum müssen meine Eltern vor Gericht gehen?

Wer liebt mich mehr, mein Vater oder meine Mutter?

Was hilft, wenn ich Mama oder Papa vermisse?

Muss ich am Wochenende zu meinem Vater gehen, wenn ich keine Lust habe?

Muss ich meiner Mutter erzählen, wie mein Vater so lebt?

Warum sagen meine Eltern böse Dinge übereinander?

Ist meine Mutter traurig, wenn ich bei meinem Vater bin?

Warum kommt mein Vater nicht zu meinem Geburtstag?

Sind meine Eltern auch traurig über die Trennung?

Kann man Eltern verlieren?

Kann ich mehrere Eltern haben?

Bin ich dann auch geschieden?

Werde ich bei beiden ein Zimmer haben?

Hat Papa mich noch genauso lieb, wenn ich mit Mama in eine andere Stadt ziehe?

Warum suchen sich meine Eltern neue Partner?

Was kann ich tun, wenn ich den neuen Freund meiner Mutter nicht mag?

Warum ist das neue Baby auf einmal wichtiger als ich?

Liebt Mama ihren neuen Freund mehr als mich?

Wohin kann ich gehen, wenn mir alles zu viel wird?

 

Seid mutig und stark

Mut und Stärke sind nur zwei der vielen Eigenschaften, die wir unseren ­Kindergarten­kindern am Ende ihrer Kindergartenzeit gerne mit auf den Weg geben. Aber wie gelangen Kinder zu diesen Eigenschaften? Sie brauchen geeignete Vorbilder.

Wenn wir an Mut und Stärke denken, fallen uns viele Vorbilder aus den unterschiedlichsten Berufsgruppen ein. Das reicht vom Polizisten über die Greenpeace-Aktivistin bis zum Tierpfleger, Starkstromelektriker, Dachdecker, Berg­retter oder der Bürgermeisterin. Die Berufsgruppe der Erzieherinnen und Erzieher verbinden wir eher nicht mit den Eigenschaften Mut und Stärke, die im Kita-Alltag von Außenstehenden nämlich nicht deutlich zu erkennen sind. Vielleicht liegt es aber auch daran, dass Erzieherinnen und Erzieher nicht gerade als Personen wahrgenommen werden, die man landläufig als „Rampensau“ betrachtet. Und dennoch birgt der Alltag im Kindergarten viele Momente, in denen wir Mut, Stärke und Standing beweisen müssen, wenn wir unseren Bildungsauftrag gut und gewissenhaft erfüllen möchten.

Zum einen muss es Erzieherinnen und Erziehern gelingen, sich vom „Förderitisvirus“ nicht anstecken zu lassen und dankend abzulehnen, wenn es zum Beispiel heißt: „Komm mit uns ins Zahlenland“. Moment mal! Plötzlich habe ich eine kleine Melodie im Kopf, die nicht nach Zahlen klingt, sondern nach Abenteuer.

Abenteuer, das ist es, was wir suchen! Eine Kita sollte voll spannender Erlebnisse und mutiger Erwachsener sein, die es wagen, mit den Kindern auf Entdeckungsreise zu gehen, oder so tollkühn sind, dass sie es Kindern sogar zutrauen, allein auf eine solche Reise zu gehen. Können Sie sich vorstellen, dass ganz schön viel Mut dazu gehört, die Kleinen allein durch die Einrichtung wandern oder in einem unbewachten Raum spielen zu lassen? Denn was ist, wenn die Eltern nachfragen oder die Kollegin denkt, man sei faul, weil man die Kinder nicht begleitet?

Dringend brauchen wir pädagogisches Fachpersonal, das nicht immer den Fallschirm für die Kinder aufspannt, sondern sie bestärkt, eigene Erfahrungen zu sammeln, und sie dabei unterstützt, sich selbst einschätzen zu lernen. Da ist es für beide Parteien, Kind und Fachkraft, eine Hilfe, sich auf die Ideen der Kinder einzulassen, sich von ihrem Forscher- und Entdeckerdrang inspirieren zu lassen und gemeinsam mit ihnen nach Problemlösungen zu suchen. Wenn wir den Kindern auf Augenhöhe begegnen, erfahren wir etwas über ihre Weltanschauung, erweitern unseren eigenen Horizont und riskieren es vielleicht, unsere eigenen Denkweisen zu reflektieren. Dazu ist Stärke vonnöten, denn wenn wir uns intensiv auf die Kinder einlassen möchten, gehört dazu, dass wir uns mit unseren Charaktereigenschaften einbringen und unsere Persönlichkeit preisgeben. Es gehört dazu, dass wir bereit sind, Neues auszuprobieren, Fehler zu machen, mit Kindern und Erwachsenen auch mal darüber zu lachen und den Alltag durch Unerwartetes zu bereichern. Ebenso gehört dazu, unsere Grenzen zu überschreiten, wenn die Kinder sich wünschen, dass wir einen toten Igel inspizieren, eine vertrocknete Blindschleiche aufschneiden oder einem Kind zusehen, das den höchsten Ast des Kletterbaums erklimmt.

Etwas nicht perfekt zu können, das macht uns menschlich und nahbar für Kinder und Erwachsene. Eltern ist es sympathisch, wenn wir nicht immer alles wissen und zugeben, etwas erst mal nachschlagen zu müssen.

Mut gehört auch dazu, mal Nein zu sagen, zum Beispiel zu absurden Wünschen der Eltern, die Rahmenbedingungen deutlich zu machen und aufzeigen, wo die Grenze ist.

Meiner Meinung nach gehört besonders viel Mut dazu, Müttern oder Vätern klarzumachen, dass es nicht in Ordnung ist, wenn sie ihr Kind regelmäßig zu spät abholen. Genauso erfordert es Mut, Stärke und Standing, Nein zu unzumutbaren Arbeitsbedingungen zu sagen und sich für bessere Rahmenbedingungen der pädagogischen Fachkräfte einzusetzen.

Eins wird ganz deutlich: Wenn man sein persönliches Profil als pädagogische Fachkraft schärfen möchte, gehört dazu, dass man seinen Weg zwischen „Ist mir doch egal“ und „Alles muss perfekt sein“ findet und ihn selbstverständlich vertritt. Nur so gelingt es uns, dazu beizutragen, dass die Gesellschaft endlich das Klischee von der Kaffee trinkenden Erzieherin, die sich nicht dreckig machen möchte und nur nach Bastelvorlage arbeiten kann, verabschiedet. Dazu sind Mut und Stärke unerlässlich.

10 Fragen an Heidrun Mildner

Wann bist du glücklich?

Im Sonnenschein am Meer.

Was regt dich auf?

Ignoranz.

Was kannst du von Kindern lernen?

Im Hier und Jetzt zu sein.

Wen möchtest du unbedingt mal treffen?

Barack Obama.

Was schätzt du an einem Menschen am meisten?

Gradlinigkeit und Klugheit.

Was kannst du am besten?

Mit Worten umgehen und Texte verfassen.

Was kannst du überhaupt nicht?

Mir Fehler verzeihen.

Auf welchen Gegenstand kannst du verzichten?

Auf die Uhr.

Was wäre für dich eine berufliche Alternative?

Es gibt keine. Ich habe meinen Traumberuf.

Was wünschst du dir?

Ich würde gern im Lotto gewinnen und – jenseits aller Ressourcen – eine Kita aufmachen.

 

Heidrun Mildner leitet das Kinderhaus Osteresch im Hamburger Stadtteil Bahrenfeld/Flottbek, das der Verein zur Förderung von Kleinkinderziehung in Gruppen e. V. trägt. Mitglieder des Vereins sind alle Eltern, deren Kinder im Kinderhaus betreut werden.
38 Kinder im Alter von einem Jahr bis zum Schuleintritt besuchen eine Krippen- und eine Elementargruppe. Für jede Gruppe sind drei Pädagoginnen zuständig, die sich schwerpunktmäßig je einem Bildungsbereich und dem entsprechenden Fachraum zuordnen. Zum Team gehören ein Koch, eine Reinigungsfrau und wechselnde Praktikantinnen.
Kontakt: Kinderhaus Osteresch, Osteresch 20, 22607 Hamburg,
Tel: 040 899 30 35

Unter Druck

Eltern melden ihr erstes Kind in der Kita an, lernen die Leiterin und die Erzieherin kennen, die ihr Kind betreut, und erleben bei der Eingewöhnung, wie der Kita-Alltag aussieht. Natürlich möchten sie auch wissen, was passiert, wenn sie nicht dabei sind: Isst ihr Kind genug, schläft es mittags? Wird es in der Kindergruppe nicht übersehen?…

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Bildung for Future

Welche Kompetenzen brauchen Kinder (und Erwachsene) im 21. Jahrhundert? Und wie können Veränderungen im Bildungssystem gelingen? Darüber diskutierte Mister Pisa: Prof. Dr. Andreas Schleicher, Bildungsforscher und Direktor für Bildung bei der OECD, mit mehr als 220 Teilnehmer*innen aus Politik, Praxis, Wissenschaft, Verbänden und Administration auf dem 9. Berliner Plenum Frühpädagogik. Eingeladen hatten Stefan Spieker, Vorstandsvorsitzender…

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Jahresvorschau 2020

Februar

Die Umsetzung des Gute-Kita-Gesetzes beginnt, und die 5,5 Milliarden werden verteilt. Während Organisationen in der Nähe der kräftig sprudelnden Geldquelle frohlocken – „Seit Tagen schwimmen wir hier in Geld! Der Keller unseres Bürohauses ist schon überflutet!“ – erwartet man weit draußen auf der sogenannten Praxisebene den Geldfluss sehnsüchtig. Leider kommt es infolge lang­anhaltender finanzieller Trockenheit unterwegs zu erheblichen Versickerungsprozessen, sodass es nur ein bis zwei Geldtröpfchen bis in die pädagogische Provinz schaffen. „Das geben wir aber nicht gleich für eine Plastikschaufel aus“, beschließt das Team der „Mäusekiste“ in Flöha einstimmig.

März

Im März eröffnet die didacta ihr Pforten, aber der Zustrom lässt nach. Offenbar fühlen sich viele Menschen durch die zahlreichen Digital-Mottos der vergangenen Messen veranlasst, einer Real-life-Veranstaltung fernzubleiben. Wahrscheinlich fürchten sie, als zu analog zu gelten. Nach kurzer Beratung beschließt das didacta-Präsidium, beim nächsten Mal Neuland zu betreten und die Messe nur noch digital stattfinden zu lassen, also per Besuch im Netz. „Eine Schlüsselrolle wird unser digitaler didacta-Assistent mit dem Namen DiDi Dackta spielen, der das Publikum durch die virtuellen Hallen geleitet“, erläutert Präsident Froschmann. Als besonderes Highlight sei eine App vorgesehen, die – vorausgesetzt, die Besucher verfügen über 3D-Drucker – das Ausdrucken der beliebten Sport-Thieme-Poolnudel erlaubt. Druckzeit: 37, 5 bis 264 Stunden, je nach Datenverbindung.

Mai

Im Elterninitiativkindergarten „Billy n’Gual…“ in Berlin-Prenzlauer Berg kommt es zu einer Massenvergiftung. Ein offenbar völlig verpeilter Vater hatte anlässlich des vierten Geburtstags seines Sohnes Jörg-Björn-Thorben einen Kuchen mitgebracht, der sowohl Milch, Eiweiß, Butter, Zucker und möglicherweise sogar Spuren von Mehl enthielt. Diese Ingredienzien lösten schwere Symptome von Glutenunverträglichkeit, Weizenallergie, laute Zöliakie-Furze und zuckerinduzierte Hyperaktivität aus. Auch Verschmutzungen auf einem hochwertigen Biofilzmarkenpulli blieben nicht aus.

Zur gleichen Zeit vertilgen 40 Kinder im benachbarten Wedding reichlich aus Amerika importierten Marshmellowfluff in rosa, pink und glow-in-the-dark-phosphor­grün. Ohne wahrnehmbare Folgen.

Juli

Neue Plagiatsvorwürfe gegen Franziska Giffey: Im Juli wird offenbar, dass die Familienministerin in ihrer Broschüre „Das Gute-Kita-Gesetz – gute Bildung gemeinsam weiterentwickeln“ zahlreiche Textstellen aus anderen Werken benutzt hat, zum Beispiel „KitaPlus: Weil gute Betreuung keine Frage der Uhrzeit ist“, „Gut ist Kita, wenn die Kleinsten eine Rolle spielen“ und „Kita-Einstieg: Brücken bauen in frühe Bildung“. Insbesondere die inflationäre Verwendung von Worten wie „gut“, „frühe Chancen“ oder von Satzbausteinen wie „Gut ist Kita, wenn sie alle stark macht“ hatte die Plagiatsjäger auf die Spur gebracht. Zu ihrer Entschuldigung verweist die Ministerin darauf, dass die Sätze – teils noch von Ursula von der Leyen stammend – nach wie vor Gültigkeit haben, denn „umgesetzt wurde ja seit cirka 1975 von all den Forderungen eh nix“.

September

Der Fachkräftemangel treibt immer schlimmere Blüten. In Siegburg gelingt es Kindern aus dem Kindergarten „Steppenstrolche“, einen den Gehweg fegenden Mitarbeiter einer Reinigungsfirma mit einem Schwungtuch zu fesseln, ins Haus zu zerren und tagelang unbemerkt als Erzieher im Bau-Raum schuften zu lassen.

Rechtskonformer ist die Idee eines der verarmten norddeutschen Bundesländer, Kinder im Vorschulalter einen „Krippi-Führerschein“ erwerben zu lassen, der sie zur Tätigkeit als Hilfserzieherlein in der Krippe berechtigt. Voraussetzung: ein mindestens Zweijähriger assistiert ihnen. Eine kleine Prüfung, die fröhlich-bunte „Ernennungsurkunde“ und ein Miniatur-Erzieherschreibtisch für die neuen U3-Pädagöglein können übrigens komplett aus Mitteln des Gute-Kita-Gesetzes finanziert werden, stellt die zuständige Ministerin in Aussicht.

November

Kitaleiter Trampe ist zurück. Der teils verschriene, teils bewunderte Pädagoge hat nach seinem Verschwinden – „wamiki“ berichtete – die Amtsgeschäfte in seinem Kindergarten urplötzlich wieder aufgenommen. „Ich habe mir nichts vorzuwerfen“, erklärt er auf der Elternversammlung und fügt drohend hinzu: „Und Sie mir sowieso nichts!“

In den nächsten Tagen agiert Trampe wie gewohnt: Erst überrascht er den Ortsbürgermeister mit der Offerte, den S-Bahnhof und die City-Arkaden als Zusatzbauraum für 3.000 Euro Spielgeld kaufen zu wollen. Dann bietet er dem stets gehänselten Außenseiter August aus der Ameisengruppe an, ihn vor den rüden Vorschulkindern zu beschützen, falls August sich bereit erklärt, belastendes Material gegen seine Gruppenerzieherin Elke zu liefern.

Dezember

Weihnachten steht vor der Tür – und damit der mittlerweile traditionelle Vorweihnachts-Shitstorm, in dem die zünftigen AfD-Trolle wieder einmal den Untergang des christlichen Abendlandes anprangern, weil irgendeine Kita „Lichterfest“ oder „Laternenfest“ feiert. Erst nach Wochen aufgeregter TV-Diskussionen und BILD-Zeitungs-Berichte können einige Vorwürfe entkräftet werden:

Erstens hieß Berlin-Lichterfelde wirklich niemals Weihnachtsfelde.

Zweitens wurde der Dresdener Weihnachtsmarkt tatsächlich umbenannt. Aber das geschah schon um 1500, als man ihn anlässlich der Erfindung des Stollens Striezelmarkt nannte.

Drittens hatte PeKita-Leiter Rico Rätzsch aus Roitzsch tatsächlich die Bezeichnung „Weihnachtsfeier“ untersagt, aber damit wollte der des Gutmenschentums völlig unverdächtige Volkspädagoge lediglich dagegen protestieren, dass „von dieser aus dem Morgenland eingewanderten christlich-römischen Mischreligion ja unsere schöne germanische Jul-Weihe-Kultur verdrängt wurde“.

 

Illustration: Tasche

Beteiligung kommt von Beteiligung

Über Macht und Selbstorganisation in der Kita Text: Lars Ihlenfeld und Carola Giese-Brandt Nach seinen Seminaren „Arbeitsrecht für Leitungskräfte“ ist Lars Ihlenfeld zunehmend unzufrieden, denn: So hilfreich die Informationen zu Direktionsrecht, Abmahnung & Co. auch sein mögen – wenn die Teilnehmenden dort angelangt sind, wo sie davon Gebrauch machen müssen, ist es nach Rechtsanwalt Ihlenfelds…

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Nachdenken über Autonomie und Solidarität

Eine Einladung zum Mitdenken und Ausprobieren

Immer wieder wird darüber diskutiert, ob sich die Arbeit in Kitas nicht zu stark auf die Autonomie der Kinder konzentriert, während die Gemeinschafts­fähigkeit vernachlässigt wird. Häufig wird darauf verwiesen, dass es früher so war: Im Osten des Landes ging es um die Gemeinschaft, im Westen eher um Individualität. Frauke Hildebrandt macht sich Gedanken über Solidarität und Autonomie in der Kita. Man könnte auch sagen: über Gemeinsinn und Eigensinn. Sie beteiligt uns an ihren Überlegungen und lädt ein, mitzudenken und auszuprobieren.

 

Was heißt denn überhaupt Autonomie?

Dass jeder machen kann, was er will?

Mein Autonomie-Begriff folgt den Philosophen Kant und Tugendhat: Der Mensch handelt dann autonom, wenn er es schafft, das zu tun, was er selbst richtig findet und von dem er meint, nachdem er ernsthaft darüber nachgedacht hat: Das ist das, was ich will. Wenn ich es schaffe, das zu tun, handle ich autonom.

Allerdings setzt dieser Autonomie-Begriff voraus, dass ein Mensch in der Lage ist, darüber nachzudenken, was für ihn gut ist, sich ein Ziel zu setzen und daran festzuhalten. Und was ist eigentlich mit Solidarität gemeint?

 

Solidarität – mit wem und weshalb?

Okay, dachte ich, das steht ja überall: Kinder sollen mündige Menschen werden, die in der Lage sind, sich in die Gesellschaft einzubringen. Dazu müssen sie im eben beschriebenen Sinne autonom sein. Doch wie hängt Autonomie, also diese Form von Eigensinn und Rationalität, mit Solidarität zusammen? Als ich dieser Frage nachging, stellte ich fest, dass es sehr unterschiedliche Definitionen für Solidarität gibt.

Landläufig bedeutet Solidarität, dass Menschen zusammenstehen, solange sie ein Ziel teilen. Zum Beispiel: „Arbeiter aller Länder, vereinigt euch!“ Das heißt: Arbeiter haben ein gleiches Ziel, wollen etwas in der Arbeitswelt verändern und stehen, solange sie dieses Ziel anstreben, füreinander ein. Das hat aber etwas Exklusives. Bauern dürfen nicht mitmachen.

Es geht also nicht darum, mit den Mitmenschen generell solidarisch zu sein und Gemeinsinn zu haben, sondern: Man will etwas gegen andere Menschen durchsetzen – und sei es aus guten Gründen. Aber: Auch die AfD ist solidarisch, wenn sie etwas durchsetzen will. Mein Fazit: Wenn Solidarität eine Haltung meint, die nur besteht, solange es eine Übereinstimmung der Interessen und/oder Ziele gibt, fasst dieser Begriff nicht, was zum Beispiel meine Studierenden in der Diskussion um Solidarität am häufigsten geäußert haben. Nämlich dass Solidarität einem abverlangt, sich neben jemanden zu stellen, obwohl man seine Ziele und Interessen nicht teilt.

Dieser zweite Solidaritäts-Begriff bezieht sich wahrscheinlich nicht auf große Menschengruppen, sondern auf das engere Umfeld. Ein Beispiel: Rosi ist mit ihrem Mann Bernd auf einer Party und möchte nach Hause gehen. Zwar würde ihr Mann gern noch bleiben, hat also ein anderes Interesse oder Ziel als sie, aber Rosi erwartet, dass er sie nach Hause begleitet. Es ist nicht so, dass sie ein Ziel teilen und deshalb zusammenstehen, sondern Rosi verlangt von Bernd, weil er ihr Mann ist, dass er ihr folgt. Bernd sieht das auch so: Er findet es richtig, aus Solidarität mit Rosi die Party zu verlassen und zu ihren Gunsten auf etwas, das ihm Spaß machen würde, zu verzichten. Würde ihre Freundin nach Hause wollen, wäre Rosi höchst erstaunt, wenn Bernd sie begleiten würde – aus Solidarität.

Diese Art von Solidarität hat also auch etwas Exklusives, obwohl sie sich nicht als im Interessenskampf gegen etwas oder jemanden stellt. Trotzdem kann man an dieser Auslegung von Solidarität einiges klarmachen.

Woran mir aber zunächst lag: Ich wollte einen Solidaritätsbegriff bestimmen, den man tatsächlich als grundlegend – weil nicht exklusiv – ansehen kann, und fand ihn tatsächlich: Es ist die Fähigkeit zu kooperieren, füreinander einzutreten und einander zu helfen – ein Grundprinzip menschlichen Zusammenlebens. Man kann auch Mitmenschlichkeit dazu sagen. Du musst keine Gruppen- oder Verwandtschaftsbeziehung, keine Interessen- oder Zielübereinstimmungen mit Menschen haben, zugunsten derer du sogar von eigenen Zielen absiehst, sondern nur eine ganz grundlegende Ebene: dein Gegenüber.

Diesen Solidaritätsbegriff habe ich mit Autonomie zu verknüpfen versucht und überlegt, wie die beschriebene Form von Autonomie und diese grundlegende Art von Solidarität, die hierzulande ein Erziehungsziel ist, sich zueinander verhalten. Kann man sie wirklich gegeneinander stellen? Gemeinschaft versus Individualität? Solidarität versus Autonomie? Gibt es nicht-autonome und doch solidarische Menschen? Und kann es nicht-solidarische autonome Menschen geben?

Rosi und Bernd mit Rationalität in Symmetrie

Meine These: Solidarität ohne Autonomie ist eher Gehorsam, Unterordnung oder Gruppendruck. Siehe Rosi: Wenn ihr Mann nicht mit ihr nach Hause fährt, weil sie seine Frau ist und er das für sie tut, sondern weil er später eins übergebraten kriegt, dann freut Rosi sich nicht darüber, dass er so gehandelt hat. Es war kein autonomer, souveräner Akt Bernds, sondern Angst vor Stress mit Rosi. Wenn Bernd sich nicht frei und mit guten Gründen entscheidet, sondern Angst vor Rosis Zorn ihm seine Entscheidungsfreiheit nimmt, dann handelt er nicht autonom. Aber Rosi wünscht sich ja, dass er aus freier Entscheidung solidarisch handelt. Würde er aus Angst mit ihr gehen, hätte sie nun tatsächlich Grund, sich zu ärgern – über das nicht-autonome und also unsolidarische Verhalten von Bernd.

Dieses Beispiel lässt sich übrigens auf jedes beliebige Gegenüber beziehen und belegt: Autonomie und Solidarität oder Eigen- und Gemeinsinn kann man nicht trennen. Das eine ist die Voraussetzung für das andere. Oder: Wer nicht autonom ist, kann nicht solidarisch handeln.

Aber: Der Mensch kann nur autonom handeln, wenn er in der Lage ist, darüber nachzudenken, was er tut. Also ist alles, was Nachdenken und Rationalität fördert, autonomie- und solidaritätsförderlich. Dazu gehört auch die Fähigkeit, einen Perspektivwechsel zu vollziehen, also zu erkennen, welche Perspektive der andere Mensch auf das gleiche Phänomen hat. Bleiben wir bei Bernd und Rosi: Bernd hat eine andere Perspektive auf die Party als Rosi, kann sich aber vorstellen, wie die Sache aus ihrer Sicht aussieht. Das heißt: Er weiß, dass andere Menschen andere Perspektiven haben und ebenso autonome Wesen sind wie er. Seine Autonomie, das zu tun, was er für sich als richtig erkannt hat, wird dadurch begrenzt, dass neben ihm Menschen sind, die ähnlich autonom sind wie er. In diesem Fall ist es sogar seine Frau, und er mag sich denken: Was du nicht willst, dass man dir tu’, das füg auch keinem andern zu. Man kann auch Symmetrie dazu sagen.

Bei Kindern findet sich diese Symmetrie schon früh, belegen Experimente: Wenn Gummibärchen ausgeteilt werden und ein Kind kein Bärchen erhält, finden die anderen Kinder das genauso sonderbar wie das Kind, das kein Bärchen bekam. Dieses Grundbedürfnis nach Symmetrie äußert sich auch im Gerechtigkeitsbedürfnis. Aber – so Immanuel Kant: Wir können dem Symmetriebedürfnis dann gerecht werden, wenn wir nicht nur sagen, wir tun das, weil der andere es genauso braucht wie wir, sondern wenn wir überlegen: Was passiert, wenn wir das, was wir tun, zum Gesetz für alle erheben würden? Alle kriegen ein Gummibärchen. Kriegt jemand keins, sorgen wir dafür, dass er eins bekommt oder protestieren wenigstens.

Wie kommen Kinder dazu, solidarisch zu handeln?

Kinder tun nichts ohne Grund. Das heißt: Wir müssen ihnen Rationalität zuschreiben und ermöglichen, dass sie die Autonomiebedürfnisse anderer Kindern wahrnehmen, also merken, dass andere Kinder neben ihnen genauso sind wie sie. Mehr ist eigentlich nicht nötig, denke ich.

Wenn Autonomie die Voraussetzung von Solidarität ist, ergibt sich Zugehörigkeit wie von selbst, denn: Der Perspektivwechsel auf das andere Kind, das gerade kein Gummibärchen bekam, verschafft eine Art Zugehörigkeitsgefühl jenseits der Gruppenzugehörigkeit. Nämlich: Wir sind alle Kinder und müssen deshalb Gummibärchen kriegen. Oder, eine Etage drüber: Wir sind alle Menschen.

Zum Autonomie- und Symmetriebedürfnis von Kindern gibt es zahlreiche Studien: Schon von 18 Monaten an können Kinder die Bedürfnisse anderer Kinder wahrnehmen, verstehen und einander helfen. Sie sind dazu in der Lage, und du kannst sie unterstützen. Aber wie? Wieder, indem du ihnen Rationalität zuschreibst. Weil manche Kinder noch wenig sprechen, musst du als Erzieherin dein eigenes Inneres in Sprache fassen und ein Modell für Rationalität sein, indem du laut abwägst, vermutest, Bedürfnisse, Gefühle, Absichten, Zweifel und eigene Gründe vorbringst – also das, was du denkst, hörbar oder sichtbar machst und nach außen trägst. Um Rationalität bei den Kindern zu fördern, musst du als Pädagogin eigene Abwägungs- und Entscheidungsprozesse transparent machen.

Natürlich gibt es in der Kita auch nicht verhandelbare, zum Beispiel ethische Regeln, deren Geltung du nicht als verhandelbar darstellen darfst. Andere Regeln sind nicht so grundlegend, zum Beispiel der Beginn der Mahlzeiten. Du musst deutlich machen, warum etwas nötig ist, und darfst nicht so tun, als könne man darüber abstimmen, denn: Nichts ist schlimmer als Fake-Partizipation.

Fällst du eigene Entscheidungen, dann präsentiere Alternativen. Sage: „Ich habe mir das und das überlegt. Für das habe ich mich entschieden, weil ich denke, es passt gut. Das andere war aber auch nicht schlecht.“ Das ist wichtig, weil die Kinder merken: Es gibt immer mehrere Optionen. Idealerweise werden sie in Entscheidungsprozesse einbezogen.

Wie erleben Kinder Autonomie?

Im Kita-Alltag bist du das Gegenüber der Kinder, der andere Mensch im Vergleich zu ihnen. Das zeigst du ihnen, indem du die eigene Perspektive benennst, sie ermutigst, ihre Perspektiven darzustellen, und ermöglichst, dass andere Kinder ihre anderen Positionen oder Empfindungen wahrnehmen können: „Guck mal, dem Peter schmeckt der Blumenkohl. Und dir schmeckt Brokkoli besser.“ Solche schlichten Dinge kannst du gar nicht oft genug ansprechen, denn sie zeigen: Menschen sind autonome Einzelne mit unterschiedlichen Positionen, Sichten oder Geschmäckern.

Helfen kannst du den Kindern, indem du ihre Handlungsabsichten benennst. Versucht Peter, eine Kugel auf der Murmelbahn runterkullern zu lassen, und du siehst, dass die Kugel klemmt, weil sie zu groß ist, sagst du zu Peters Mitspieler: „Guck mal, Peter will die Kugel rollen lassen, aber sie klemmt.“ Das angesprochene Kind erkennt, dass Peter etwas tun will, weil du seine Handlungsabsichten wahrnehmbar gemacht hast, und kann sich etwas einfallen lassen, um Peter zu helfen, oder eine eigene Idee einbringen.

Du musst also viel stärker in den Vordergrund stellen, was in den Köpfen von Kindern passiert. Nicht nur, um dem einen Kind zu zeigen, dass du es im Blick hast, sondern um den anderen Kindern zu zeigen, dass alle mit ihren Handlungsabsichten oder Bedürfnissen autonome Menschen sind.

Konflikte als Lernsituationen

In Konflikten wird Autonomie wirklich erlebbar. Streitet man mit einem anderen Menschen, merkt man: Er hat eine komplett andere Position. Wie kann er nur!

Konfliktsituationen sind ideale Solidaritäts-Lernsituationen, denn jeder kann alles lernen: Du kannst begründen lernen, kannst merken, dass ein anderer Mensch eine andere Position hat, und herausfinden, wie man damit umgehen kann.

Gibt es Streit in der Kita, sorgst du dafür, dass die Positionen der Streitenden erst mal nebeneinander stehen, hörbar oder sichtbar werden, und gibst jedem Beteiligten die Chance, zu seiner Position noch etwas auszuführen. Sind die verschiedenen Positionen oder Sichten dargestellt, fragst du: „Habt ihr eine Idee, was wir jetzt machen können?“ Das führt die Kinder aus der beschreibenden Sicht ihrer Positionen heraus, und sie überlegen, was man tun könnte. Haben sie keine Ideen, kannst du etwas vorschlagen.

Die meisten Konflikte sind mikroskopisch kleine Lernsituationen, prägen aber viel stärker als alle möglichen Angebote, weil die Kinder wahrnehmen, wie du darauf reagierst. Bagatellisieren ist ebenso solidaritätszerstörend wie das Nicht-Hinsehen.

Ein Beispiel: Marie sitzt im Buddelkasten und Lucas haut sie mit der Schippe. Das Mädchen schreit aber nicht, sondern zuckt nur kurz zusammen und buddelt weiter. Es gibt also keine Eskalation. Sollst du etwas tun? Manche sagen: Wenn es kein Theater gibt, dann geh drüber hinweg. Doch gerade in dieser Situation zeigen sich die Werte der Gesellschaft wie durch ein Brennglas: Schweigst du, obwohl Marie und Lucas wissen, dass du alles gesehen hast, dann signalisierst du dem Opfer wie dem Täter: Das ist okay. Damit setzt du eine Norm, die dir nicht gefallen kann. Autonomie- oder solidaritätsförderlich ist sie ohnehin nicht. Also: Aufgreifen, nicht bagatellisieren und den Konflikt nicht für die Kinder lösen, sondern ihn thematisieren.

Zuerst solltest du dich dem Opfer zuwenden, nicht dem Täter. Es sei denn, der Täter ist so handgreiflich, dass du ihn beiseite nehmen musst. Wenn die Beteiligten noch klein sind, gibst du ihnen Worte für das Erlebte: „Der Lucas hat dich gehauen, Marie. Und das tat bestimmt so weh, dass du gar nichts sagen kannst.“ Zu Lucas: „Du warst bestimmt wütend und hast Marie gehauen.“ Damit wird deutlich: Du hast es gesehen. Du bist da und stellst dich zur Verfügung, um mit den Kindern nachzudenken, wie sie weiterkommen können.

Lucas sagt vielleicht: „Aber Marie hat meine Schippe…“ Danach verhilfst du Marie zum Wort, wenn sie nicht spricht: „Du hast hier gesessen und wolltest…“ Zu beiden sagst du: „Was können wir denn jetzt machen? Habt ihr eine Idee?“

Entscheidend ist: Erst mal signalisieren, dass du die Aktion miterlebt hast – und zwar für beide Seiten. Damit machst du die Autonomie beider Kinder erlebbar und schaffst eine Voraussetzung dafür, dass sie sich solidarisch verhalten können.

Übergriffige Assistenzen

Oft gibt es Situationen, in denen die Erzieherinnen Autonomie von Kindern nicht erlebbar machen, weil sie eingreifen, wenn sie meinen, dass ein Kind Hilfe braucht. Ein Beispiel: Max schafft es nicht, die Glaskanne auf den Tisch zu stellen. Statt ihm die Kanne mit den Worten „Jetzt hast du wieder gekleckert, du kannst das noch nicht“ aus der Hand zu nehmen, sagst du: „Die Kanne ist aber schwer. Soll ich dir helfen?“ Dadurch machst du die Perspektive von Max deutlich und benennst seinen Versuch, etwas zu tun, für alle anderen Kinder. Du förderst seine Autonomie, indem du ihm Rationalität zuschreibst. Alle anderen Kinder nehmen das wahr. Du stellst nicht die Gemeinschaft in den Vordergrund – „Jetzt müssen wir alle warten, bis Max…“ –, sondern förderst die Autonomie von Max und stärkst dadurch die Autonomie aller Kinder. Eins sagt dann vielleicht: „Wenn Max die Kanne so anfasst…“ Ein anderes steht vielleicht auf und packt mit an.

Was immer im Konzept deiner Kita steht – es sind diese kleinen Momente, in denen sich zeigt: Es gibt einen Impuls, der autonomieförderlich und gleichzeitig solidaritätsförderlich ist. Schau mal, ob du solche Impulse bei dir wahrnimmst, und bedenke: Menschen, die autonom sind, können auch andere Leute anerkennen. Menschen, die Autonomieerfahrungen gemacht haben, können autonom handeln und sind dieser Erfahrungen wegen solidaritätsfähig.

Solidarische Menschen sind also immer autonom.

Aber gibt es eigentlich autonome Menschen, die nicht-solidarisch sind?

Darüber habe ich nur gesagt, dass das über das Symmetriebedürfnis vermittelt erklärt werden müsste.

Ich habe aber eine Idee davon, wie man sich klarmachen könnte, dass es autonome, nicht-solidarische Menschen nicht gibt. Immerhin.

 

Richtig Schluss machen

 

probiers aus!

„qr-code-scanner“ …

wamiki-Hitliste

„Der letzte Pogo ist getanzt.“
Von „Junimond“ über „Ich möchte mich gern von mir trennen“ bis „It’s all over now, Baby blue“.
Was singen die wamikis beim Fertigstellen dieser Ausgabe? Die 17 Lieblingssongs zum Thema: Schlussmachen findest du hier:

 

Gehen oder bleiben?

Erzieher*innen werden mies bezahlt.
Man muss reich sein, um das den ganzen Tag machen zu können. Mit dem Kita-Song von extra 3 können wir uns das Problem schönsingen.

 

„Wir haben uns getrennt“

Influenzer*innen verarbeiten ihre
Trennungen inzwischen öffentlich
in ihren Videos. Warum nur?

 

Alles steht Kopf

Riley, 11 Jahre, muss mit ihrer Familie umziehen. Ihre Emotionen: Freude, Wut, Angst, Ekel, Kummer geraten außer ­Kontrolle. Rileys Gefühlswelt steht Kopf!

Der Film aus dem Hause Disney-Pixar
entführt uns in die faszinierende Welt
der Gefühle, Träume, Wünsche und ­Erinnerungen.

 

 

 

 

Mein Leben ohne mich

Ann, 23 Jahre und unheilbar erkrankt, schreibt eine Liste von Dingen, die sie gern tun möchte, bevor sie stirbt.
Zugleich regelt sie die Zeit nach dem Tode für ihre Familie. Ein zärtlicher Film vom Abschied, der Mut macht.

 

Machst du mit Freund*innen Schluss?

Zum Beispiel, wenn sie wegziehen, ­politisch anders ticken oder viel mehr Geld haben? Fünf Menschen erzählen von den Grenzen ihrer Freundschaft.

 

Nicht anfangen können

Aufschieberitis: Warum schieben wir lästige wie schöne Aufgaben auf und welcher Aufschiebetyp bist du?

 

Nicht Schluss machen können

Bist du co-abhängig?

Wenn du dich in einer schwierigen ­Beziehung befindest oder einen Suchtkranken in deinem näheren Umfeld hast, befürchtest du vielleicht in eine
Co Abhängigkeit zu rutschen.
Ob du gefährdet bist?

 

Ein Ende finden

Eine Sammlung von 50 (uff) Tipps
zur persönlichen Auswahl gegen
die Aufschieberitis.

 

 

 

 

Foto: dima_gerasimov, photocase

Vom Bleiben und vom Gehen

                          Wenn die Kindheit eine Adresse hätte, dann würde auf der Anschrift „Zuhause“ stehen. Hier werden die Kinder groß. Eines Tages ziehen sie aus. Zimmer, Wände und Haken werden leer. Die letzte Wäsche wird gewaschen und weggeräumt. Das ist gut. Es ist anders….

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