Der Generalverdacht

Liebes Tagebuch, heute habe ich über einen Typen nachgedacht, über den in den Mutti-Foren heiß diskutiert wird. „Männlicher Erzieher“ heißt er. Im Gegensatz zur „weiblichen Erzieherin“ gilt seine Rolle noch nicht als ausdiskutiert, sonst schlüge Google nicht automatisch „pro contra“ als weiteres Suchwort vor.

 

Vor allem Mütter machen sich große Sorgen seiner Existenz wegen, aber ohne dieses Sorgenmachen wäre Mutti ja nicht Mutti. So befürchtet Ellen aus dem Pro-Feminin-Forum – völlig zu Recht übrigens –, der „männliche Erzieher“ könne „die Kleinen mal nackt sehen“ oder müsse sie gar „anfassen“, eine Vorstellung, bei der ihr „unwohl“ werde. Frederika aus dem Elite-Partner-Erziehungsforum sieht´s ähnlich und stellt mutig die Frage aller Fragen: „Was bringt einen gesunden jungen Mann dazu, Erzieher werden zu wollen?“

Ich finde diese Ängste nachvollziehbar, liebes Tagebuch. Jahrhundertelang prahlten wir Männer, was durch die Kraft des Testosterons alles möglich sei: Im Job Stehvermögen beweisen. Im Unternehmensvorstand zeigen, dass man die dicksten Eier hat. Selbst als alter Sack im Fußball bei der Stange bleiben. Und an jeder Parklücke demonstrieren, wie passgenau wir unser dickes, langes Ding reinzwirbeln können: tiefer, tiefer, zack, drin!

Klar, dass die Frauen irgendwann denken: Diese Power, die da aus dem untersten Unterleib drängt, die kriegt ein echter Mann auch am Wickeltisch nie völlig unter Kontrolle.

Weiter heißt es in der Forum-Diskussion: Genau aufgrund dieser drei Komponenten bringt der „männliche Erzieher“ auch etwas Neues in die Kita. Für Kämpfchen aller Art ist er stets zu haben, „unsere Jungs“ begeistert er mit Technik-Tricks und ist ihnen ein Vorbild: Superman zum Anfassen. Weint mal einer, dann knufft er den kurz, sagt „Heul nich!“, und gut ist.

Die Schattenseiten des Testosteron-Überschusses lassen sich regeln: Im Kinderladen X darf der Mann nicht wickeln und umziehen, steht dafür aber beim Kotzeaufwischen in der Pflicht. In Kita Y wird festgelegt, das er nur bei offener Tür oder im Beisein einer „weiblichen Erzieherin“ wickeln darf, die ihn qua Geschlecht zur Ordnung rufen kann, wenn ihn unkontrollierbares Begehren überkommt. Kita Z beschließt, den Wickeltisch in die Mitte des Gruppenraums schieben zu lassen – dank der Körperkraft des „männlichen Erziehers“ kein Problem –, so dass er fortan sichtbar für Kolleginnen, Eltern und Kinder wickeln muss. Erzieher V. aus W. hingegen löst das Verdachtsproblem, indem er laut Bekenntnis in der Kreiszeitung „sicherheitshalber konsequent auf Kuscheln und Vorlesen verzichtet“, um „die Eltern nicht zu irritieren“.

Einer sieht belämmert zu. Es ist der „unmännliche Erzieher“. Fußballspielen findet er blöd, beim Möbelschieben und Schrauben stellt er sich ungeschickt an. Seine Kuschelkompetenz macht ihn verdächtig. Natürlich bringt auch der „unmännliche Erzieher“ etwas mit: Begeisterung für Blümchen, eine sanfte Vorleserstimme, ein Händchen fürs Kochen und ganz viel Empathie. Aber das bietet ja bereits die „weibliche Erzieherin“ – und wer nähme dann nicht lieber das Original?

Ist noch was, Tagebuch? Frag ruhig, wir sind unter uns. Wie ich das seinerzeit beim Betreuen im Kindergarten erlebt habe? Beim nachmittägliche Wickeldienst? Ob mir da als Mann nicht manchmal bei all dieser Nacktheit die Gefühle durcheinander gekommen sind, sozusagen Ur-Instinkt? Doch, Tagebuch, oft schüttelte es mich förmlich. Ich konnte es kaum noch aushalten. Puh, Urin stinkt! Und vollgekackte Windeln erst!

Michael Fink ist Autor und Fortbildner.

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