Liebe Leserin, lieber Leser,
Dieses Editorial haben wir vor Beginn der „Corona-Zeit“ verfasst. „Passt das noch?“ überlegten wir und stellten fest: Passt genau, weil es zeigt, was sich beim Thema Angst geändert hat – und was nicht.
bist Du sicher? Also in dem Sinne, dass Du zurzeit gerade relativ frei von Gefahren lebst?
Wenn wir uns in der Redaktion befragen, fällt uns auf: Einerseits können wir als typische MitteleuropäerInnen nicht beklagen, dass wir realen Bedrohungen an Leib, Leben und Gut ausgesetzt sind. Trotzdem könnten wir uns unsicher fühlen, weil man ja gerade als vergleichsweise ungefährdet lebender Mensch befürchten kann, dies alles könne plötzlich anders werden. Aber ist das schon Unsicherheit? Was würden Menschen, die wirklich in Gefahr sind, darüber denken?
Sich fürchten, weil man eigentlich nix zu befürchten hat? Diese Zeit scheint auch für uns „typische MitteleuropäerInnen“ vorbei zu sein. Oder nicht? Je glimpflicher wir davonzukommen scheinen, desto mehr wird auch Corona zur Furcht im Konjunktiv, wenn wir uns vor drohenden Gefahren fürchten, die für viele Nicht-MitteleuropäerInnen längst real sind…
Bist Du sicher? Also im Sinne von „Bist Du Dir sicher, dass das stimmt, was Du so sagst“? Vermutlich kennen praktizierende PädagogInnen wie über Pädagogik Schreibende das Problem gleichermaßen: Wir äußern oft unsere Ansichten ganz unmissverständlich und erklären anderen die Welt. Sind wir eigentlich sicher, dass wir das auf die richtige Weise tun? Verkünden nicht auch wir ab und zu „gesicherte Erkenntnisse“, die sich später als grundfalsch entpuppen? Tun wir manchmal nur so, als seien wir unserer Sache sicher, weil wir uns daran gewöhnt haben, dass man uns glaubt?
Masken nein, ja oder vielleicht? Impfung demnächst oder nie? Wenn Corona etwas klargemacht hat, dann: In der Not werden wir süchtig nach Expertinnen und knallharten Entscheidern – auch wenn wir im Grunde längst ahnen: Die tappen gerade auch nur im Nebel.
Bist Du sicher? Im Sinne von selbstsicher? Viele von uns Erwachsenen strahlen Selbstsicherheit aus – auf Kinder oder ältere Lernende, die eher als „unsichere Menschen“ bezeichnet werden – von anderen oder von sich selbst. Viele sich heute als gestandene Menschen fühlende Erwachsene erinnern sich an Zeiten, in denen sie „ziemlich unsicher“ waren. Wo genau war der Punkt, an dem dieses Gefühl von „unsicher“ in „sicher“ umschlug? Und was trug dazu bei? Gab es Momente, in denen das Pendel zurückschlug? Und was war der Impuls dazu? Kann man Menschen davor beschützen? Oder ist es gut, ab und zu Unsicherheit zu spüren, um sich seiner selbst sicher zu werden?
Geld weg, Job in Gefahr, Urlaubsreise storniert: Vielleicht ist es gar nicht so schlimm, etwas von der Selbstsicherheit zu verlieren, die entsteht, wenn jahrelang immer alles klappt. Oder? Gerade unter uns MitteleuropäerInnen?
Solche Fragen stellen wir in diesem Heft. Endgültige Antworten und gesicherte Erkenntnisse finden wir dabei mit Sicherheit nicht…
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