Mit diesem Beitrag wird die Serie fortgesetzt, in der wir – in Kooperation mit der GEW und um die Kampagne „Für ein besseres EGO“ zu unterstützen – Pädagoginnen porträtieren, über ihre Arbeit, ihre Kompetenzen und ihr Engagement berichten. Mehr über die Kampagne erfahrt Ihr auf unserer Internetseite: www.wasmitkindern.de
Diesmal stellt wamiki die Erzieherin Jenny Thörner-Klasen aus der zwischen Eifel und Mosel gelegenen Kita Wittlich-Neuerburg vor.
„Als ich nach der 10. Klasse von der Schule abging, überlegte ich, welchen Weg ich jetzt einschlagen könnte. Welcher Beruf könnte mich interessieren? Ich entschied mich für einen sozialen Beruf, weil ich schon immer interessant fand, wie der Mensch sich entwickelt, was ihn ausmacht, und wurde Erzieherin“, sagt Jenny Thörner-Klasen. „Ich wollte Kinder in ihrer Entwicklung begleiten und unterstützen.“
Jenny bewarb sich in einer großen Kita, absolvierte dort ihr Vorpraktikum und lernte, etwas für Kinder vorzubereiten, deren Interessen sie zu kennen glaubte. „Eigentlich ein Widerspruch in sich“, sagt sie, „aber so war es. Wir beobachteten die Kinder und nahmen eine Situationsanalyse vor, anstatt sie zu fragen, was sie machen wollen.“
Von laut nach leise und umgekehrt
Jenny ist 30 Jahre alt. In den letzten Jahren eignete sie sich in Fort- und Weiterbildungen zum Thema „Sprache“ Fach- und Hintergrundwissen an, das sie ins Team und konzeptionell einbringt. Ihr Bereich ist die pädagogische Arbeit mit den Jüngsten.
Beim Rundgang durch die Kita erklärt Jenny: „Der lange Flur verbindet diese Bereiche. Jeder Raum hat seinen speziellen Aufforderungscharakter. Am rechten Ende des Flurs liegt der Bewegungsraum, es folgen der Werkraum, der Bauraum und der Verkleidungsraum. Am linken Ende befindet sich der ruhigere Bereich, in den die Kinder durch die meist offene Glastür gelangen.“ Es geht also von laut nach leise.
„Ja“, sagt Jenny, „das ist das Prinzip. Den leisen Bereich bevorzugen die jüngeren Kinder. In den Räumen finden sie Sandtische, Kugelbahnen und Fühlinseln, also viele Möglichkeiten, leib-sinnliche Erfahrungen zu machen. Übrigens gestattet das Von-laut-nach-leise-Prinzip des Hauses allen Kindern, sich selbst zu regulieren, denn sie finden in jedem Raum Rückzugsmöglichkeiten und können auswählen, was gerade für sie passt. “
Der Flur ist lang und würde eine tolle Rennstrecke abgeben, wenn es da nicht viele Inseln gäbe. Zum Beispiel eine Sitzecke mit einem Sofa und Sesseln aus Urgroßvaters Zeiten, dahinter Regale mit den Bildungsbüchern und Könner-Heften der Mädchen und Jungen. Erlauben es die Kinder, dürfen Eltern oder Freunde darin blättern. Schräg gegenüber steht das „Birkenwäldchen“, eine Baumgruppe ohne Wurzeln und Kronen, aber mit einem Hochsitz, auf den Kinder klettern und den ganzen Flur überblicken können: Wer kommt? Wer geht? Was tut sich rundum?
Den Flur teilt ein niedriger runder Tisch, dem Kita-Eingang gegenüber platziert, an dem eine Erzieherin mit Kindern sitzen und sich mit ihnen austauschen, aber auch als Ansprechpartnerin für Kommende, Gehende oder Vorbei-Gehende fungieren kann. Gleich daneben steht eine Voliere, in der Wellensittiche zu Hause sind. Eines Tages brüteten sie. Als die Zeit heran war, schlüpfte tatsächlich ein Küken aus. Walter wurde es genannt. Unter der Überschrift „Unsere Wellensittiche haben Nachwuchs“ wurde seine Entwicklung dokumentiert. Doch der Kleine hatte eine Fußfehlstellung. In der freien Natur hätte er kaum Überlebenschancen gehabt. Die Dokumentation liegt neben der Voliere auf einem Tisch, und jeder kann Walters Werdegang noch einmal verfolgen. „Walter hatte eine starke Einschränkung“, sagt Erni Schaaf-Peitz, die Leiterin, „aber er war voller Lebensfreude. Ein Züchter sagte mir: ‚Das wird nichts, den müssen Sie entsorgen.‘ Trotzdem brachte ich das Vögelchen zurück in die Voliere. Seine Eltern waren froh, dass Walter wieder da war, fütterten ihn, und alle waren guten Mutes. Regelmäßig bandagierte eine Tierärztin seinen Fuß, ich machte mit Walter Krankengymnastik. Schließlich entwickelte er spezielle Fähigkeiten, bewegte sich unter Zuhilfenahme seines Schnabels, kletterte und lernte fliegen. Wir bauten breitere Stangen in die Voliere, so dass er besser landen konnte. Die Hauptgründe für Walters Genesung waren jedoch seine Stärke und die Zuwendung seiner Eltern. Mit der allergrößten Selbstverständlichkeit lebten die Vögel uns vor, was möglich ist, wenn man sich umeinander kümmert. Faszinierend für die Kinder, die Eltern und das Team.“
Dass Walters Geschichte an dieser Stelle erzählt wird, soll übrigens kein Argument für tiergestützte Pädagogik sein, sondern ein Beleg für den offenen Umgang mit den Dingen der Welt, die vor keiner Kita-Tür Halt machen, aber nicht überall eingelassen werden, ob Offene Arbeit im Konzept steht oder nicht.
Verstehen und verstanden werden
Jenny Thörner-Klasen ist die Sprachexpertin in der Kita. Schon währen ihrer Ausbildung zur Erzieherin gingen ihr die Dimensionen des Berufs auf, sie merkte, wie breit er gefächert ist. Da erwachte ihr Interesse erst wirklich, sagt sie heute, und erklärt: „Es kommen immer jüngere Kinder in die Kitas, die sich hauptsächlich nonverbal verständigen. Ich muss sensibel und einfühlsam sein, um zu merken, was sie mir mitteilen möchten. Wie finde ich heraus, was so ein kleines Kind braucht? Was möchte es von mir? Was will es mir signalisieren?“
Nicht zufällig geriet Jenny nach ihrer Elternzeit zu den Jüngsten. „Die Entwicklungssprünge, die gerade kleine Kinder machen, faszinieren mich. Gut finde ich, dass wir uns nicht mehr unbedingt nach all diesen Tabellen richten müssen, in denen steht: Bis zu dem Monat muss ein Kind dies und das können. Wenn nicht, besteht Förderbedarf, und dann wird ihm etwas aufgezwungen, das es womöglich gar nicht gebrauchen kann. Ich finde es viel spannender, die Entwicklung der kleinen Kinder zu beobachten, zu dokumentieren, zu begleiten und herauszufinden, was ihnen gut tut. Mittels Mimik, Gestik, Blickkontakt, der Stimme…“ Jenny glüht förmlich, ihre Augen strahlen. „Da sitze ich auf dem Boden, ein Kind kommt angekrabbelt und zupft mich am Ärmel. Ich wende mich ihm zu, schaue es an und zeige ihm damit: Ich bin da, du kannst mir etwas mitteilen. Es kann sein, dass ich das Kind frage: Möchtest du etwas? Das Kind nickt oder schüttelt den Kopf, ergreift aber meinen Zeigefinger und führt mich. Ich folge ihm, lasse mich leiten, und es zeigt mir, was es möchte. Ohne Worte.“
Wir müssen authentisch mit Kindern kommunzieren, sie ernst nehmen, so klein sie noch sind.
Das ist die nonverbale Kommunikation, die die Erzieherin leib-sinnlich beherrscht. Kein Wunder, möchte man denken, denn in dieser Kita kommuniziert man auch erfolgreich mit Wellensittichen, ohne zu pfeifen oder zu flöten. Aber was ist mit der Sprache? „Ich finde immer wieder beeindruckend“, sagt Jenny, „wie Kinder sich Sprache aneignen. Wenn ich ihnen zeige, dass ich ihre Zwei-Wort-Sätze verstehe, wieso kommen sie zu Drei-Wort-Sätzen? Welche Motivation haben sie, ihre Sprache weiterzuentwickeln? Sie wollen verstehen und verstanden werden. Das ist der Motor der Sprachentwicklung. Und Sprache ist ein Schlüssel zur Welt.“
Ein weiterer Schlüssel: gute Beziehungen. „Wenn Kinder sich wohl und sicher fühlen, dann können sie die Welt entdecken, Kontakt zu anderen Menschen aufnehmen, neugierig auf alles zugehen und ihre eigenen Wege finden. Fühlen sie sich unsicher, sprechen sie vielleicht nicht oder ziehen sich womöglich zurück.“
Jenny sagt: die Kinder. Jenny sagt nicht: Wir, die Erwachsenen, machen dies und das. Aber sie sagt: „Eine Erzieherin kann für die Sprachentwicklung kleiner Kinder nichts Besseres tun, als authentisch mit ihnen zu kommunizieren, was voraussetzt, sie ernst zu nehmen, so klein sie noch sind. Also nicht eia-eia, wau-wau, sondern – selbst wenn sie nicht alle Wörter verstehen – der ernsthafte, zugewandte Dialog. Diese Haltung nehmen junge Kinder sofort wahr, reagieren darauf und können sich in ihrer Sprache, auch der verbalen, weiterentwickeln.“
Bewegung und Vielfalt
Das Team hat sich der Offenen Arbeit verschrieben und bietet den Kindern damit die Möglichkeit, über sich hinauszuwachsen, jeden Tag ein Stück weiter zu gehen. Jenny beschreibt das bei den Jüngsten so: „Sie krabbeln oder gehen zur Tür, bleiben stehen, gucken und gehen wieder zurück. Ein paar Tage später überschreiten sie die Schwelle und schauen um die Ecke in den Flur. Erkenne ich das, kann ich sagen: Komm, wir gehen ein Stück weiter.“
Wahrscheinlich muss Jenny gar nichts sagen, denn die Kleinen merken: Jenny ist da, ich kann mich ins Unvertraute wagen. „Doch“, sagt Jenny, „Zuspruch ist immer gut.“
Ein anderer Vorzug der Offenen Arbeit: Die Kinder lernen von anderen Kindern, nicht allein von gleichaltrigen, sondern auch von älteren oder jüngeren, und von den Erwachsenen. „Wir haben hier alles quer Beet“, sagt Erni Schaaf-Peitz, „sind quasi ein Spiegelbild der Gesellschaft. Im Team gibt es zur Zeit zwei türkische Erzieherinnen, eine Erzieherin mit russischem Hintergrund, einen Erzieher und eine junge Frau mit Förderschulabschluss, die ein freiwilliges soziales Jahr bei uns absolviert. Ganz selbstverständlich wachsen die Kinder hier mit verschiedenen Menschen auf, mit kleinen und großen, dicken und dünnen, jungen und älteren. Das ist für sie normal.“
Manche Eltern fragen bei der Anmeldung trotzdem, wie es mit dem Migrationshintergrund in der Kita aussieht. „Super“, sagt Erni Schaaf-Peitz dann und geht in die Offensive, „wir begrüßen es sehr, wenn Familien mit verschiedenen Hintergründen uns bereichern, und freuen uns, dass wir Kinder haben, die in Persien geboren wurden, aus Marokko, Aserbaidschan und Rumänien, aus den USA, Finnland, der Türkei und Frankreich zu uns kommen. Diese Vielfalt macht unser Leben aus. Wir können voneinander lernen.“
Austausch und Ermutigung
Als Erzieherin mit dem Schwerpunkt „Sprache“ ist Jenny Thörner-Klasen nicht allein bei den Kleinen unterwegs, sondern im ganzen Haus. „Besonders wichtig ist es mir, mich mit den Kolleginnen auszutauschen, wenn es um Sprachanlässe geht oder darum, Dialogmöglichkeiten zu erkennen und aufzugreifen. Ein Beispiel: Will ein Kind in den Garten, kann ich es einfach schnell anziehen. Ich kann diese Alltagssituation aber auch als Anlass nutzen, um mit ihm einen kurzen Dialog zu führen. Natürlich muss wirkliches Interesse dahinterstecken. Sonst kommt es nicht zu diesem wunderbaren Moment gemeinsam geteilter Aufmerksamkeit, der für die Sprachentwicklung so bedeutsam ist.“
Im Austausch mit Kolleginnen aus anderen Einrichtungen geht es Jenny auch um Zuspruch. „Traut euch, euch mit den kleinen Kindern auf den Weg zu machen“, spornt sie die Erzieherinnen aus den Kitas an, sich auf die Jüngsten einzulassen. „Mutet euch und den Kindern ruhig etwas zu, weil ihr euch und den Kindern das zutraut. Besucht Fortbildungen, sucht das Gespräch und lasst euch bestärken.“
Dies ist gerade in der Offenen Arbeit unerlässlich. Immer wieder muss man sich miteinander verständigen, auch im eigenen Team. „Denn man bekommt ein ganz anderes Bild von einem Kind, wenn man dessen Entwicklung nicht nur mit der Kollegin aus dem eigenen Bereich bespricht“, sagt Jenny. „Dadurch eröffnen sich andere Perspektiven auf ein Kind, das ich vielleicht in der letzten Zeit als zurückhaltend erlebt hatte. Und dann berichtet die Kollegin, die für den Außenbereich zuständig ist, dass das Kind dort ganz selbstbewusst agiert. Schon wird mein Blick differenzierter und weitet sich.“
In der Kita gibt es Raumzuständigkeiten. Die Erzieherinnen sind mindestens ein Jahr lang für bestimmte Bereiche zuständig, damit Struktur und Verlässlichkeit für die Kinder und das Team gesichert sind. „Selbstverständlich steht das ganze Haus allen Kindern offen“, betont Jenny, „aber sie wissen: Sonja finden wir im Werkraum und Jenny meist im Kleinkindbereich. Übrigens haben wir bewusst keine Nestgruppe eingerichtet, denn wir wollen die Kleinen nicht wegsperren. Je älter sie werden, desto mehr erschließen auch sie sich das ganze Haus. Sie entscheiden, ob sie einen Raum verlassen, und nicht die geschlossene Tür.“
Hat noch jemand Fragen zum Thema „Kinder ernst nehmen“? Nein. Ich auch nicht.
Kindertagesstätte Wittlich-Neuerburg
Ahornstr. 12
54516 Wittlich
Tel.: 06571/4506
E-Mail: kita.wittlich-neuerburg@t-online.de
Web: www.kita-neuerburg.wittlich.de
In der Kita gibt es 97 Plätze für Zwei-bis Sechsjährige und 10 Krippenplätze. Geöffnet ist das Haus von 7.00 Uhr bis 17.00 Uhr. Das Team arbeitet seit mehr als 25 Jahren nach einem offenen Konzept und setzt den Schwerpunkt auf sozial-ökologische Bildungsprozesse in „natur“licher Umgebung. 24 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – einschließlich der Hauswirtschafterin und Diätassistentin, die täglich für vollwertige Mahlzeiten sorgen – sowie der Berufspraktikantin und FSJlerin gehören zurzeit zum Team.
Die Leiterin Erni Schaaf-Peitz legt Wert auf ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Vollzeit- und Teilzeitkräften, denn Kinder, die den ganzen Tag in der Einrichtung verbringen, haben das Recht darauf, möglichst viele Stunden von ihrer Bezugserzieherin begleitet zu werden. Die Teilzeitkräfte verstehen sich als Kooperationspartnerinnen, begleiten die Kinder bei den Mahlzeiten, im Bewegungsraum und auf dem Außengelände, in den Ruhephasen, in Projekten und beim Übergang von der Kita in die Schule.
Hintergrundinformationen zur Artikelserie in Kooperation mit der GEW findet Ihr hier